Einmal Öko und zurück

Porträt Matthias Platzeck war mal Umweltschützer, bis er in die SPD eintrat. Nun soll er die Kohlekommission leiten
Ausgabe 23/2018
SPD-Chef war er nur kurz. Als Landesfürst von Brandenburg förderte Matthias Platzeck dort den Kohleabbau
SPD-Chef war er nur kurz. Als Landesfürst von Brandenburg förderte Matthias Platzeck dort den Kohleabbau

Foto: Florian Gaertner/Photothek/Getty Images

Auf dem Plakat, das im Frühjahr 1993 in Leipzigs Innenstadt hing, stand „Umschwung Ost“. Ins erste Wort hatten die Grafiker eine Weltkugel montiert; wer wollte, konnte auch „Umweltschwung Ost“ lesen. Beabsichtigt war beides: Die Grüne Liga, das Netzwerk der ostdeutschen Umweltbewegung, hatte zur Bundesdelegiertenkonferenz geladen. Vor allem in den Kohleregionen rings um Leipzig, Bitterfeld und in der Lausitz kam der Strukturwandel nicht in Schwung.

Matthias Platzeck war mit dem Zug angereist. Das hätte er nicht tun müssen, Platzeck, im Herbst 1989 Mitbegründer der Grünen Liga, war mittlerweile Umweltminister des Landes Brandenburg, ihm stand ein Dienstwagen zu. Vermutlich wollte der Minister vom Bündnis 90 kein Aufsehen erregen, er stand in der Kritik, weil sein Kabinett kurz zuvor beschlossen hatte, den Brandenburger Ort Horno abzubaggern. Das überwiegend von Sorben bewohnte Dorf lag mitten im Abbaugebiet des Tagebaus Jänschwalde. Platzeck wies zur Verteidigung auf die Arbeitslosenquote hin, die in Brandenburg auf 15 Prozent geklettert war. Der Kohlekonzern LAUBAG beschäftigte damals noch 11.000 Menschen. Die Grünligisten warfen ihrem Mitglied Platzeck vor, dass so der „Umschwung Ost“, für den sie 1989 gemeinsam angetreten waren, niemals in Gang käme. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) versprach, Horno werde der letzte Ort sein, der der Kohle weichen müsse. Damit war der Strukturwandel terminiert: Irgendwann um das Jahr 2025 würden die genehmigten Lausitz-Tagebaue ausgekohlt sein. Dann sorgte Helmut Kohl (CDU) auf der ersten Weltklimakonferenz für Aufsehen. Im April 1995 erklärte der Kanzler in Berlin, Deutschland werde „bis zum Jahr 2005 seinen CO₂-Ausstoß gegenüber 1990 um 25 Prozent“ senken. Zwei Jahre später bildete Johannes Rau (SPD) in Nordrhein-Westfalen erstmals mit den Grünen eine Landesregierung. Deren wichtigstes Ziel: das Braunkohleprojekt Garzweiler II stoppen. Zwölf Orte mit 8.000 Menschen sollten von den Baggerschaufeln weggefressen werden. Gerhard Mai, damals Verhandlungsführer der Öko-Partei: „Es muss einfach ein klares Signal für den Abschied von diesem Wahnsinnsprojekt geben.“ Sollte also jetzt der „Umschwung“ auch ganz ohne Umweltschwung kommen? Bei Platzeck zunächst nicht. Der hatte sich vehement gegen die Verschmelzung von Bündnis 90 mit den Grünen gewehrt. Dabei war es nicht die Grüne Liga, die Platzecks Politikerkarriere begründete. Die Grünligisten schickten Klaus Schlüter als „Minister ohne Geschäftsbereich“ in die letzte SED-Regierung, Platzeck bekam den Posten auf dem Ticket der Grünen Partei erst im Februar 1990. Nach der Vereinigung zu Bündnis 90/Die Grünen im Mai 1993 trat er aus, gründete mit anderen Enttäuschten das „Bürgerbündnis freier Wähler“, das bei der Landtagswahl 1994 gerade einmal ein Prozent der Brandenburger überzeugte und in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Platzeck aber durfte bleiben. Ab 1994 saß er in Stolpes zweitem Kabinett als Umweltminister ohne Basis, 1995 trat er in die SPD ein. Vielleicht wäre die Politik-Karriere des Matthias Platzeck an dieser Stelle auf dem Zenit gewesen. Im Sommer 1997 fing es aber an zu regnen; sanft zunächst, bald jedoch so, dass sich der Vergleich mit der Sintflut aufdrängte: Eine sogenannte „IVb-Wetterlage“ – bis dahin hierzulande seit 1342 erst fünfmal registriert, wegen der Erderwärmung seitdem aber dutzendfach gemessen – ergoss sich über Polen und Tschechien, mehr als 110 Menschen starben. Und weil das Wasser von dort nun einmal über die Oder abfließt, rissen in Brandenburg bald die Deiche.

Der „Deichgraf Platzeck“ wurde geboren: Unermüdlich tourte der Umweltminister zu den Krisenherden der Flut, stets gefolgt von einem Kameratross. Platzeck kümmerte sich, organisierte, tröstete, erwies sich als effizienter Krisenmanager, der sich wie einst Helmut Schmidt (SPD) während der Elbesturmflut 1962 für höhere Aufgaben empfahl. 2002 war es so weit, im Juni wurde Platzeck zum Ministerpräsidenten Brandenburgs gewählt. Dumm nur, dass er die Politik seines Ziehvaters Stolpe aufgab: Plötzlich sollten drei neue Tagebaue in der Lausitz aufgeschlossen werden, sieben Dörfer gab Platzeck den Schaufelrädern preis. „Braunkohle und Energiewirtschaft waren und sind in der Lausitz der bestimmende Industriezweig, und das wird auch in Zukunft so bleiben“, erklärte er jetzt, was den endgültigen Bruch mit der Grünen Liga bedeutete: „Matthias Platzeck verrät die Landeskinder“, polterte René Schuster, heute Bundesvorsitzender der Grünen Liga.

Einmal noch hatte Platzeck Gelegenheit, für den Umschwung zu sorgen. 2005 wurde er zum Chef der SPD gewählt. In Frankfurt/Oder siedelte sich zu der Zeit eine Solarfabrik nach der anderen an, bald wurde der Platz knapp, die Unternehmer wichen in Städte wie Fürstenwalde aus. Die Branche beschäftigte allein am Standort Frankfurt mehr als 5.000 Menschen und im gesamten Bundesland nun deutlich mehr als die Braunkohle. Der SPD-Chef hätte seine Partei auf „regenerativ“ trimmen können, auf Zukunft, weg von der Kohle. Stattdessen sagte er Sätze wie: „Ob wir in Brandenburg unsere beiden Kraftwerke Jänschwalde und Schwarze Pumpe schließen, hat auf das Weltklima ungefähr so viel Auswirkungen, als ob in China ein Sack Reis umfällt.“ Weshalb in Frankfurt/Oder heute Tausende Solarwerker arbeitslos sind, die Technologie aus dem frühen 20. Jahrhundert aber immer noch die Zukunft bescheren soll.

Nun also soll Matthias Platzeck mit die „Kommission zur Zukunft der Kohle“ leiten. Das trifft sich gut. Dem einstigen Vorkämpfer für Luftreinhaltung und gegen die Kohle bietet sich eine ideale Gelegenheit, die Fehler seines Regierungshandelns zu korrigieren.

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