Im Osten geht die Sonne auf

Energie Vor zehn Jahre killte die Politik die deutsche Solarindustrie. Gelingt jetzt dank Innovationen und Investoren der Neustart?
Ausgabe 13/2021
Nanu? Plötzlich gibt es wieder innovative Solartechnologie made in Germany
Nanu? Plötzlich gibt es wieder innovative Solartechnologie made in Germany

Foto: Justin Sullivan/Getty Images

Auf dem Schild an der A9 kurz vor der Abfahrt Bitterfeld steht immer noch „Solar Valley“: Vor zehn Jahren glaubten sie hier, das Sonnenenergie-Pendant zum kalifornischen „Silicon Valley“ werden zu können. Die Hälfte aller Solarzellen auf der Welt wurde damals in Deutschland produziert, der Standort in Sachsen-Anhalt war der zweitgrößte Europas – nach dem in Frankfurt (Oder) mit dort 5.000 Beschäftigten. Aber dann kürzten Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) gemeinsam die Solartarife so stark, dass die gesamte Branche zusammenbrach.

Von der einst blühenden Solarwirtschaft in Deutschland ist heute nicht mehr viel übrig. Die Zahl der Beschäftigten in der Branche sank von 150.000 im Jahr 2011 auf weniger als ein Drittel. Von den 350 Solarzellenproduzenten, die es vor zehn Jahren in Deutschland gab, sind kaum noch ein paar Dutzend übrig.

Doch jetzt keimt neue Hoffnung auf. „Solarenergie neu denken“ – so lautet der Werbespruch der Meyer Burger Technology AG. Einst war der Schweizer Konzern darauf spezialisiert, Maschinen für die Produktion von Solarzellen zu bauen. Weil es in Europa aber kaum noch Modulfertigungen gibt, entschied das Management im vergangenen Jahr, selbst in die Herstellung von Sonnenkraftwerken einzusteigen. Dafür kauften die Schweizer die Reste insolventer deutscher Hersteller auf. Im Mai sollen zwei Werke mit der Produktion beginnen, eines in Freiberg (Sachsen), wo einst der damalige Vorreiter Solarworld mehr als tausend Menschen beschäftigte, das andere in Thalheim (Sachsen-Anhalt), wo bis 2011 rund um den Marktführer Q-Cells 3.500 Jobs entstanden waren. Aktuell stellt Meyer Burger Arbeitskräfte ein, die – wie es Manager Moritz Borgmann ausdrückt – „an der Renaissance der europäischen Solarindustrie mitwirken wollen.“

Hoffnung auf Solar-Klebefolie

Tatsächlich gingen im großen Niedergang der deutschen Solarindustrie ja nicht nur Arbeitsplätze und Marktführerschaft verloren. Deutsche Firmen wurden an Investoren aus China, Südkorea oder Taiwan verkauft, die so auch an wertvolle Patente kamen, das Know-how der Solarwirtschaft. Zwar kaufte das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) einige dieser Patente „für den Erhalt dieser Zukunftstechnologie in Deutschland“, wie Institutsleiter Eicke Weber erklärt. Das Gros aber nutzten asiatische Unternehmen für ihren technologischen Siegeszug. Ob Jinko Solar, JA Solar oder Trina Solar: Acht der zehn größten Solarkonzerne der Welt kommen heute aus China, einer aus Südkorea.

Das könnte sich aber auch wieder ändern. Denn der Schweizer Konzern Meyer Burger ist nicht der einzige Hoffnungsschimmer. 2020 wurden hierzulande erstmals wieder Solarkraftwerke mit knapp 5.000 Megawatt Leistung ans Netz geschaltet, viermal mehr als Mitte des vergangenen Jahrzehnts. In Prenzlau in Brandenburg fertigen sie jetzt Solar-Dachziegel, die bis zu 70 Prozent des Strombedarfs eines Einfamilienhauses decken. Erstmals seit Langem machte der hessische Solarspezialist SMA wieder mehr als eine Milliarde Euro Umsatz. Und jetzt kommt eine ganz neue Technologie „made in Germany“ auf den Markt.

„Wir beginnen im ersten Quartal mit der Serienproduktion“, sagt Martin Hermenau, Leiter der Produktentwicklung bei dem Dresdner Start-up Heliatek. 15 Jahre wurde an der Entwicklung der „organischen Solarzelle“ gearbeitet, jetzt soll der Durchbruch gelingen, die Massenproduktion die Kosten senken. Heliatek will die Solarwirtschaft revolutionieren.

Organische Solarzellen besitzen einen anderen Halbleiter als herkömmliche Module, von denen 90 Prozent Silizium zur Umwandlung der Sonnenenergie nutzen, die restlichen machen sich kristalline Verbindungen wie Galliumarsenid zunutze. „Wir hingegen verwenden organische Materialien“, sagt Hermenau. Der Strom wird mithilfe von Kohlenwasserstoff-Verbindungen erzeugt, „ganz ohne Silizium, ohne Blei und andere Schadstoffe“. Deshalb sei der ökologische Fußabdruck der Dresdner Zelle sehr viel kleiner als bei herkömmlichen Photovoltaik-Modulen, Materialengpässe, wie beispielsweise bei den Seltenen Erden, seien ausgeschlossen.

Solarfolien sind leicht, dünn und einfach zu installieren. Überall dort, wo „normale“ Module zu schwer sind oder zu unflexibel, könnte die Dresdner Klebefolie aufgebracht werden. In Spanien wurde der Turm eines Windrades beklebt, in Frankreich das Leichtbaudach einer Mittelschule, in Donauwörth die Fassade eines Getreidesilos, in Berlin die Waben einer Traglufthalle.

„Im Vergleich zu den herkömmlichen Solarzellen sind die organischen tausendmal dünner“, sagt Birger Zimmermann vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE. Dadurch sei wesentlich weniger Materialaufwand notwendig: „Zudem sind organische Solarzellen extrem anpassbar an die verschiedenen Anwendungsbereiche“. Beispielsweise können die neuen Zellen nur bestimmte Bandbreiten des Lichts in Strom umwandeln, etwa jene, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. „Man kann so Fensterscheiben zu Sonnenkraftwerken umfunktionieren“, sagt Zimmermann, etwa in Gewächshäusern.

Es ist die Molekülstruktur, die den Strom erzeugt, was Zimmermann als „Fluch und Segen zugleich“ bezeichnet: Einerseits sind durch neue Moleküle immer neue Anwendungen möglich. Anders als bei den siliziumbasierten Solarzellen lässt sich aber die Lebensdauer der neuen Sonnenkraftwerke nicht mit Gewissheit vorhersagen. Zimmermann: „Die ist für jedes neue Material neu zu prüfen“.

Es bräuchte politischen Willen

Könnten Innovationen wie die organische Photovoltaik aus Dresden der deutschen Solar-Branche also neue, tragfähige Impulse geben? Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, ist skeptisch: „Der Weltmarkt wächst jährlich um 20 bis 30 Prozent“, um konkurrenzfähig zu bleiben, hätte die deutsche Solarbranche mitwachsen müssen. Nur so könne man konkurrenzfähige Preise aushandeln, etwa beim Grundstoff Silizium. „In dem Moment, wo der Heimatmarkt weggebrochen ist, hatten die Deutschen keine Chance mehr, mitzuwachsen“, sagt Quaschning. Und: „Die Politik unternimmt nichts, um dem Markt Vertrauen zurückzugeben.“

Das sieht auch Birger Zimmermann so. Wer der Branche einen Wachstumsschub geben wolle, der „müsste dafür ein entsprechendes Wirtschaftsumfeld schaffen, so wie es die rot-grüne Bundesregierung einst mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gemacht hat.“ Derlei sei derzeit nicht in Sicht. Dabei ist klar, dass die deutschen Klimaziele nur mit einem drastischen Ausbau der Photovoltaik erreicht werden können. „Von allein wird dieser massive Ausbau nicht passieren“, sagt Zimmermann.

Tatsächlich erscheint der Schritt von Meyer Burger auf den zweiten Blick weniger revolutionär als auf den ersten: Finanziert wird der Neustart des Solargeschäfts durch eine Kapitalerhöhung um 155 Millionen Euro – die vierte in rund zehn Jahren. Im gleichen Zeitraum hat die Aktie des Unternehmens 97 Prozent an Wert verloren. Das Land Sachsen-Anhalt gibt 22,5 Millionen Euro Starthilfe hinzu, 300 Leute werden zunächst eingestellt, weit über tausend sollen sich beworben haben.

Die Neue Züricher Zeitung bewertet den Neustart in Deutschland als Verzweiflungstat, mit der sich der Schweizer Konzern zu retten versucht. Anfangs soll sich die Produktionskapazität der Werke in Freiberg und Thalheim auf 400 Megawatt belaufen. Zum Vergleich: Allein die „Solar Factory III“ fertigte früher am Standort Freiberg 600 Megawatt im Jahr. Aber vielleicht geht der Plan ja auf. Der Schweizer Bundesrat beschloss gerade eine Erhöhung der Solarförderung für kleine Photovoltaik-Dachanlagen, exakt solche, die Meyer Burger anbieten will. Stimmt die Nachfrage, soll die Fertigung bis 2022 auf 1.400 Megawatt hochgefahren werden. Das wäre dann wirklich eine kleine Renaissance.

Von Nick Reimer und Toralf Staud erscheint im Mai das Buch Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird

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