Porno-Stopp fürs Klima

Stromverbrauch Videos aus dem Netz verursachen so viel CO₂ wie Spanien. Zeit für #streamscham?
Ausgabe 30/2019

Kann ja sein, dass sie niedlich sind: Trotzdem zerstören Katzenvideos das Weltklima. Genauso wie übrigens Pornos oder Serien wie Game of Thrones. Denn die Nutzer von Youtube, Sex.com, Netflix und Co. haben im Jahr 2018 weltweit 300 Millionen Tonnen Kohlendioxid produziert. Das ist Ergebnis einer Studie der französischen Denkfabrik „The Shift Project“. 300 Millionen Tonnen – das entspricht dem jährlichen Kohlendioxidausstoß Spaniens. Oder knapp einem Prozent der globalen Gesamtemissionen.

Klima-Krise: Die nicht nachhaltige Nutzung von Online-Videos heißt die Studie, in die Berechnung gingen die Energiemengen für die eigentliche Datennutzung ein, aber auch jene, die für die IT-Infrastruktur notwendig sind. Überraschend: Für die Datennutzung wird mit 55 Prozent mehr Strom verwendet als für Aufbau und Unterhaltung der Infrastruktur, also Server, Übertragungsantennen, W-Lan-Router oder Clouds, in denen die Daten liegen.

Den größten Anteil an diesen Daten machen mittlerweile Videos aus, „rund 80 Prozent des Internetverkehrs“, wie Hugues Ferreboeuf von The Shift Project erläutert: „Die meisten Videos werden zu Unterhaltungs- oder Werbezwecken konsumiert.“ 34 Prozent sind Videos-on-Demand, also „Abruf-Videos“, Filme oder Serien, die auf Plattformen wie Videoload oder Maxdome vertrieben werden. Streamingplattformen wie Youtube machen 21 Prozent aus. Weitere 18 Prozent sind Videos, die über die sozialen Netzwerke geteilt werden. Pornografie liegt mit einem Anteil von 27 Prozent „nur“ auf Rang zwei.

Bewegtbilder benötigen riesige Datenmengen. Zehn Stunden Film streamen in HD-Qualität erfordert laut The Shift Project mehr Bits und Bytes als alle Artikel der größten Internetenzyklopädie der Welt, der englischsprachigen Wikipedia. Dass Fliegen schädlich für das Klima ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Nun ruft The Shift Project dazu auf, auch „digitale Enthaltsamkeit“ zu üben. Unsere digitalen Konsummuster zu ändern, so Hugues Ferreboeuf, „ist nicht nur möglich, sondern angesichts der Klimakatastrophe auch angebracht“.

Denn die Wachstumsraten sind enorm. Nach einer Erhebung des SVOD-Tracker der Gesellschaft für Konsumforschung verbrachten die Deutschen im ersten Quartal 2019 rund 1,2 Milliarden Stunden mit Serien- und Filmkonsum bei Anbietern wie Maxdome, Amazon Prime Video oder Spotify. 22,7 Millionen Deutsche sind bei kostenpflichtigen Streamingdiensten angemeldet, was im Vergleich zum Vorquartal einem Zuwachs von neun Prozent entspricht – 1,8 Millionen neue Nutzer. Ein immer größerer Anteil der Weltbevölkerung nutzt das Internet, der weltweite Datentransfer wächst: um mehr als 25 Prozent pro Jahr. Und immer höhere Auflösung erfordert immer mehr Daten.

Einmal um die Welt gestreamt

Wer seine Lieblingsserie allerdings analog im Fernsehen ansieht statt im Livestream, der verbraucht weniger Energie. Natürlich frisst auch das TV-Gerät Strom. Hingegen werden hier die Daten nur national übertragen statt – wie oft bei gestreamten Angeboten der Fall – einmal quer durch die halbe Welt. Es gilt die Formel: Je länger der Datentransportweg, desto größer der Stromverbrauch.

Selbst wer Grünstrom bezieht, Strom zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie, ist nicht fein raus: Das Abspielen am Endgerät frisst den geringsten Anteil, das Gros geht für die Übertragung drauf. Besonders viel Strom ist bei einer Mobilfunkübertragung notwendig. Weil Einflüsse wie Entfernung zum Sendemast, umliegende Gebäude, die sogenannte Freiraumdämpfung, aber auch die Witterung die elektromagnetischen Wellen schwächen, führt das zu Verlusten. Deshalb sind hohe Sendeleistungen, ergo viel Strom notwendig.

Aber auch wer auf Videos verzichtet, verbraucht jede Menge Strom bei der Nutzung des Internets. Auf vielen Seiten wird Werbung geschaltet, die schrill ist und große Datenmengen verarbeitet. Die New York Times hat den Internetauftritt von boston.com untersucht, einem Webmagazin für die Region Massachusetts. Während für die Artikel lediglich ein Datenvolumen von vier Megabyte notwendig war, nahmen die Anzeigen 15,4 Megabyte in Anspruch. Eine Relation, die sich auf deutsche Angebote übertragen lässt.

Beim Bundesverband Digitale Wirtschaft ist das Problem präsent, wie Verbandssprecher Tim Sausen erklärt: „Möglichst energiesparend, also CO₂-arm zu wirtschaften, das ist ein Innovationstreiber der Branche.“ Solare Kühlung der Rechenzentren, Effizienzgewinne durch digitale Hygiene oder Clouds, die CO₂-neutral arbeiten, die Branche suche nach Lösungen. Allerdings werde die Datenübertragung in naher Zukunft „nie komplett CO₂-neutral gestaltet werden können“.

Google hat erklärt, eigene Wind- und Solarparks mit einer installierten Kapazität von 3,5 Gigawatt bauen zu wollen – und deckt nach eigenen Angaben seinen Strombedarf bereits zu 100 Prozent regenerativ. Auch Konkurrenten wie Apple oder Facebook investieren in grüne Stromproduktion. Die Suchmaschine Ecosia versucht, den Fußabdruck zu kompensieren, das Unternehmen spendet 80 Prozent seines Einnahmeüberschusses an Aufforstungsprojekte, beispielsweise in den Usambara-Bergen in Tansania. „Sieben Millionen Bäume haben wir für Ecosia bereits gepflanzt, 15 Millionen sollen es insgesamt werden“, sagt Ibahati Msumary von den „Friends of Usambara-Mountains“, dem Partner von Ecosia in Tansania.

Dennoch sind solche Strategien wohl nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Wäre das Internet ein Land, so hätte es weltweit den sechstgrößten Stromverbrauch“, sagt Niklas Schinerl, Energieexperte bei Greenpeace. Insofern reiche es nicht aus, wenn einige Anbieter Klimaschutz betrieben. Amazon beispielsweise setze vorwiegend auf Kohle und Atomstrom, nur 17 Prozent stammten aus regenerativen Quellen. Viele Angebote von Netflix, das weltweit knapp 150 Millionen Abonnenten besitzt, werden über die Server von Amazon geleitet, zu Spitzenzeiten machen über Netflix gestreamte Angebote heute bereits mehr als ein Drittel des Datenverkehrs in Nordamerika aus, so Greenpeace. Experte Schinerl: „Wenn Amazon, Netflix und andere nicht schnell und konsequent auf erneuerbare Energien umsteigen, werden sie zur Schmuddelecke im Klimaschutz“.

Nick Reimer, Journalist und Buchautor, war Chefredakteur von klimaretter.info

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