Regent ohne Zepter

König der Leserbriefspalten Im Kommunalwahlkampf holt sich Kurt Biedenkopf in den Bierzelten noch stehenden Applaus ab. Doch in der CDU wird der Ruf nach Krisentreffen immer lauter

Kurt Biedenkopf schwebt in das Bierzelt ein, die Leute klatschen frenetisch, die Hohburger Musikanten spielen einen Tusch. In Sachsen stehen an diesem Wochenende Kommunalwahlen an, und da ist Biedenkopf viel unterwegs. Sicherlich: Manche Kreisverbände haben überlegt, ob sie den "MP" vielleicht im Moment lieber doch ausladen sollten. Für Jürgen Schmidt, der in Wurzen Oberbürgermeister bleiben möchte, wäre das aber "schlichtweg Mobbing". Biedenkopf wird sich "doch nicht wegen drei Wurstscheiben aus dem Amt jagen lassen".

Der greift zum Mikrofon und legt los. Er ist schnell bei den Themen der Zeit: EU-Osterweiterung, Solidarpakt, Rente, die großartige Leistung der Sachsen. Wo immer es sich anbietet, schiebt er die Worte Muldentalkreis und Wurzen ein. Die Leute klatschen begeistert. Worte, die irgendwie mit "Affäre" in Zusammenhang zu bringen sind, kommen in seinem Vortrag nicht vor.

Mit Journalisten redet Kurt Biedenkopf derzeit allerdings ganz anders: "Ich und meine Frau bekommen körbeweise Briefe, die uns zum Weitermachen auffordern." Und darauf war seine Verteidigungsstrategie bislang ganz und gar ausgerichtet: "Was da gegen mich und meine Frau vorgetragen wird, ist eine bundesweite Medienkampagne, angetrieben durch die Springer- und GrunerBlätter. Die Sachsen denken anders. Aber die Damen und Herren Journalisten machen sich ja nicht die Mühe, dass mal zu recherchieren." Und dann gibt es noch einen zweiten Intriganten. Schröder, Gerhard heißt der, und der ist "Mitauslöser der Mietaffäre". Sagt Biedenkopf. Der jetzt doch schon einiges über 70 ist.

In der Tat gibt es derzeit kaum eine Umfrage, kaum ein Signal aus dem Volke, das nicht sagt: Lasst unseren Kurt in Ruhe. Ein bisschen Prunk, ein bisschen Pomp, na und! Was hat der Mann nicht schließlich alles für unser Sachsenland getan! Und auch die Leserbriefspalten sind voll. Hermann Ziegenbalg aus Riesa zum Beispiel stellt in der Sächsischen Zeitung schlichtweg fest: "In Sachsen war und ist Professor Biedenkopf seit der Wende der beliebteste Politiker." Und er weiß, was sich abspielt: "Da wird geschnüffelt und gewühlt, dass es eine Freude ist. Muss der Herr Professor sich das antun?"

Ganz bequem kann sich Biedenkopf angesichts dieser Stimmungsbilder zurücklehnen und poltern: "Meine Frau und ich denken weder daran aufzuhören noch auszuziehen. Die Wähler im Freistaat haben uns einen Auftrag erteilt." Immerhin, Kurt bemerkt seinen Lapsus mit der Ingrid - die den staatlichen Fahrdienst für private Zwecke nutzte, sich bei der CDU Landtags-Mehrheit einen eigenen, millionenschweren Etat als "Frau des Ministerpräsidenten" abtrotzte, deren Mutter und Kinder schon mal kostenfrei im Gästehaus der Staatsregierung wohnten, deren Personenschützer Hutschachteln tragend fotografiert wurden, oder deren Schwiegersohn den lukrativen Bewirtschaftungsvertrag für das Gästehaus der Staatsregierung, in dem die Biedenkopfs selbst wohnen, bekam. Biedenkopf berichtigt sich: "Ich meine, mir haben die Wähler den Auftrag erteilt."

Auf der einen Seite die - zumindest in den gehobenen Positionen aus dem Westen importierten - Journalisten, auf der anderen Seite seine Sachsen. Bislang schien die Lage für Sachsens Ministerpräsidenten also glasklar. Nicht einmal die Politstrategen in seinem Umfeld schienen an dieser Einschätzung Zweifel zu hegen. Bis der sächsische Landesrechnungshof seinen Prüfbericht zu Biedenkopfs Wohnverhältnis vor zwei Wochen vorstellte. Dessen Aussage ist verheerend: Mit bis zu einer Million Mark hat Biedenkopf, der seine Sachsen so gern zu Bescheidenheit aufruft, eben diesen auf der Tasche gelegen.

Was vor Jahresfrist noch als Provinzposse durchgegangen wäre, ist inzwischen zur Zustandsbeschreibung sächsischer Politik geworden. In rüdem Ton attackierte der Sachsenregent auf einer Wahlveranstaltung in Grimma seinen Rechnungshof und setzt hinzu: "Und wenn es das Letzte ist, was ich tue: Ich werde die Ehre meiner Familie nicht beschmutzen lassen."

Was derzeit auch immer der Stab Biedenkopf unternimmt, um das Zepter des Handelns wieder in die Hand zu bekommen, es ist das Falsche. Kaum hatte der Kurt in harschem Ton dem Rechnungshof Demut verordnet, meldete sich der Bund der Steuerzahler. Dessen Präsident Thomas Meyer fordert, dass Biedenkopf als Kompromiss eine halbe Million zahlen soll. "Unsere Bewertung deckt sich mit denen des Rechnungshofpräsidenten", so Meyer, der davon ausgeht, dass jetzt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Vorteilsannahme im Amt ermitteln wird.

Diesmal war es Thomas de Maizière, der die Gegenstrategie vermasselte. Der sächsische Finanzminister veröffentlichte in der vergangenen Woche die Beträge, die Kurt Biedenkopf an die Landeskasse nachzahlen soll: insgesamt rund 120.000 Mark. Zudem wird Biedenkopfs Miete um rund 40 Prozent angehoben. Wirklich nachzahlen soll der Regent nach de Maizières Rechnung aber nur 10.000 Mark. Urplötzlich nämlich will die Staatsregierung 110.000 Mark für eine Einliegerwohnung in Biedenkopfs Haus am Chiemsee berücksichtigen, in der seit 1991 der Objektschutz logiert. Diesmal gab es tatsächlich so etwas, wie einen Sturm der Entrüstung, wenn auch nur im Wasserglas. Regierungssprecher Michael Sagurna beeilte sich zu erklären: "Der Ministerpräsident wird diese Forderung nicht geltend machen."

Bestürzt über derartigen Dilettantismus beginnen Teile die CDU-Basis zu revoltieren. Einige Kreisverbände rufen nach einem Krisentreffen - "so schnell wie möglich und ohne Rücksicht auf die Bürgermeisterwahlen am Sonntag", um die "anscheinende Selbstblockade", wie es Fredo Georgi, CDU-Chef im Vogtland nennt, zu überwinden. Wurzens Bürgermeister Schmidt - der nach Biedenkopfs Rede erklären wird, wie beeindruckt er ist - wird das allerdings nicht unterstützen.

Die Opposition. Ach Gott. "Der Bericht des Landesrechnungshofes ist ein Schlag ins Gesicht des Ministerpräsidenten", erklärte der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle. Solche Sätze sagt Nolle nun aber schon seit drei Monaten. "Die CDU muss nun endlich ihren Stall ausmisten." Oder: "Biedenkopf bleibt angesichts der Schwere der Vorwürfe nur der Rücktritt." Mal versucht die PDS ein destruktives Misstrauensvotum gegen Biedenkopf anzustrengen - was die Landesverfassung gar nicht vorsieht. Aber dort, wo die CDU über eine Zweidrittel-Mehrheit verfügt, schafft es nicht einmal die Zehn-Prozent-Partei SPD, komplett gegen Biedenkopf zu stimmen. Mal bringt die PDS einen SPD-Politiker - den ehemaligen Oberbürgermeister Leipzigs, Hinrich Lehmann-Grube - als Biedenkopf-Nachfolger in die Diskussion. Was die SPD erzürnt zurückweist.

Nein, diese Opposition muss Biedenkopf nicht fürchten. Gefährlich werden kann ihm allenfalls ein miserables Wahlergebnis an diesem Sonntag. "Der aufmunternde Beifall hat Ihren großartigen Leistungen gegolten", sagt der Landrat nach Biedenkopfs Rede in Wurzen. Wenn er die Wahl am Sonntag verliert, wird er anders über Kurt Biedenkopf reden.

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