Reuige Sünder auf Koalitionskurs

Sachsen-Anhalt Das Magdeburger Modell hat zuerst das Parlament aufgewertet und dann die Klüngelrunden. Auch die PDS hat nun von Reibereien genug und orientiert sich am Schweriner Modell

Könnte sich die politische Farbenlehre nun 2002 nach Berlin auch im Bund ändern? Nein, wehrt SPD-Generalsekretär Franz Müntefering gelassen ab. Warum auch? Mit mehr Doppelrot in den neuen Bundesländern vertrauen die Sozialdemokraten im wahlarithmetischen Bermudadreieck Ostdeutschland auf günstigere Winde als in den vergangenen zehn Jahren und haben die Segel gestellt. Am vorigen Wochenende ist schon einmal die PDS in Sachsen-Anhalt auf gleichen Kurs geschwenkt und hat Koalitionsbereitschaft für das Frühjahr 2002 beschlossen. Und auch in dem verbleibenden von der SPD regierten Brandenburg hat sich das Verhältnis von PDS und SPD entspannt.

Der politische Sündenfall sieht so aus: Auf der einen Seite steht die Schwärmerei. Auf der anderen Drohung. Mal lieben sie, mal schlagen sie sich. Dann schmollen sie. Was natürlich nicht heißt, dass sie nicht wieder zusammen und der Sünde abhold kommen. Man wird nur vorsichtiger. Sichert sich ab. Durch einen Vertrag etwa.

Wir schreiben den 21. Juli 1994, den Tag der Geburt dieses politischen Sündenfalls. Mit den Stimmen der PDS lässt Reinhard Höppner sich und seine rot-grüne Minderheitsmannschaft zum Regierungschef küren. Die SED-Nachfolger, die Mauerbauer, die Stalinisten, Antidemokraten werden erstmals im neuen Deutschland als politischer Partner akzeptiert. Entsprechend groß ist das Gebrüll. Der damalige Kanzler Helmut Kohl etwa wirft Höppner vor, durch die Zusammenarbeit "mit den Linksextremen den Konsens aller Demokraten aufgekündigt" zu haben. Andere, wie der CSU-General Erwin Huber, werfen mit Schlamm: Höppner sei nichts zu schmutzig, um an die Macht zu kommen. Rote Socken werden von nun an Plakatwände zieren, der SPD ein durchaus intimes Verhältnis zum wieder umgehenden Fratzengesicht des Kommunismus nachgesagt. Die Spitze der Sozialdemokraten erklärt eiligst in Dresden, das Modell in Magdeburg sei nur eine Ausnahme und keinesfalls - im Herbst stehen die Bundestagswahlen an - auf Bonn oder irgendein anderes Bundesland übertragbar.

Es war nicht so, dass nicht auch die Sozialdemokraten oder die bürgerbewegten Bündnisgrünen sich widerstands- oder bauchschmerzenfrei von der PDS tolerieren ließen. Aber da war ja die Schwärmerei: Das Magdeburger Regierungsmodell als "Idealzustand der parlamentarischen Demokratie". Nicht mehr die Minister bestimmten mit ihren Gesetzesvorlagen die Tagespolitik, sondern die Parlamentarier, so die Argumente der Protagonisten. Und tatsächlich - der Kompromiss zwischen den politischen Lagern wurde zum Hohelied der Politik. Ohne ihn kam selten eine Mehrheit zustande. Ein ums andere Mal nahmen die Parlamentarier Gesetzesvorlagen auseinander, trotzten den Ministern Änderungen ab. Dem Magdeburger Modell wurde schnell ein neue Qualität in der politischen Landschaft nachgesagt.

Das wurde schwieriger, als nach der Landtagswahl 1998 der kleine, grüne Partner - und damit ein Koalitionsvertrag, der bis dato inhaltliche Eckpunkte der PDS-Tolerierung festgeschrieben hatte - abhanden kam. Jetzt wurde aus der Lebensgemeinschaft eine wilde Ehe - die Zeit der Drohungen begann. Egal ob beim Polizei-, Haushalts-, Landesentwicklungs-, Kindertagesstätten- oder Sonstwie-Gesetz - bevor die Novellen den Landtag passierten, konnte man das immer gleiche Szenario beobachten: Die PDS drohte ihre Stimme zu verweigern, falls nicht nachgebessert werde. Die SPD drohte mit Neuwahlen, falls nachgebessert werden müsste. Hatten sich dann beide Seiten in der Mitte getroffen, monierte die Basis, alle eigenen programmatischen Positionen würden aufgegeben.

Um dennoch gemeinsam Politik machen zu können, gaben sich die Sündigen im Februar 1999 schließlich einen Grundlinien-Vertrag, der die gemeinsamen politischen Projekte dieser Legislatur festschrieb. Was wundersame Folgen hatte. "Es passiert schon mal, dass eine gemeinsame Presseerklärung verkündet, was später beschlossen werden soll", erklärte damals der CDU-Fraktionssprecher André Schröder. Prompt ließen die Christdemokraten prüfen, ob der PDS noch Oppositionsstatus und Zuschüsse - immerhin 200.000 Mark jährlich - zugebilligt werden kann.

Das aber war nicht die entscheidende Frage. Wesentlicher für die politische Landschaft im Sachsen-Anhaltischen war, dass PDS und SPD näher zusammengerückt sind. Mit tragischen Folgen: Der Modellversuch "Wechselnde Mehrheiten" ist zu einer Stammtischangelegenheit geworden. In regelmäßigen Abständen ging Ministerpräsident Reinhard Höppner mit den Fraktionsspitzen von SPD und PDS auf Wochenend-Ausflug, um gemeinsame politische Projekte abzustimmen. Politik wurde jetzt nicht mehr vom schwärmerischen Parlament, sondern von diesem als "Klüngelrunde" verschrienen Kreis gemacht.

Und das nicht sonderlich erfolgreich. Handlungsschwäche - mindestens aber Zeitverzögerungen - traten immer wieder offen zu Tage. Die Menschen zwischen Saale und Elbe wurden zunehmend überdrüssig, dem politischen Hickhack ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Während sich die - im Sprachgebrauch oppositionellen - Sozialisten rühmten, beim so genannten Kinderbetreuungsgesetz einen Standard "fast auf DDR-Niveau" durchgesetzt zu haben, rutschte Sachsen-Anhalt bei fast allen negativen Wirtschaftskenndaten auf Spitzenplätze - in der Arbeitslosenstatistik genauso wie bei der Pro-Kopf-Verschuldung.

Wäre nun, da Rot-Grün Berlin eroberte, nicht eine Koalition reibungsfreier, effektiver sinnvoller? Um das zu erklären, nahm die PDS Ende 1998 die Koalition in Mecklenburg als "Schweriner Modell" in ihren politischen Sprachgebrauch auf. "Das Schweriner Modell konkurriert mit unserem Magdeburger Modell", glaubte PDS-Fraktionsvize Matthias Gärtner. Man werde sehen, welche Form von Regierungsbeteiligung der PDS die effektivere ist. Bislang sei es der PDS in Sachsen-Anhalt jedenfalls gelungen, Hunderte von Millionen Mark umzuschichten. "Im Ergebnis haben wir mehr erreicht, als vom Schweriner Koalitionsvertrag zu erwarten ist", so Gärtner.

Diese Erkenntnis ist nun überholt. Auf ihrem Landesparteitag erklärte PDS-Landesvorsitzende Rosemarie Heine am vergangenen Samstag: "Diese Form von Zusammenarbeit ist ausgereizt." Hein gab stattdessen eine angestrebte Regierungsbeteiligung als Ziel der Landtagswahlen im April 2002 aus. Die bisherige Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung, die "wir als Magdeburger Modell bekannt gemacht haben", habe ihre Berechtigung zwar in der Vergangenheit gehabt. Die politischen Räder drehen sich aber weiter. Der Parteitag goutierte dieses Abwenden vom politischen Sündenfall: Hein wurde mit 88 Prozent der abgegebenen Stimmen in ihrem Amt bestätigt.

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