Am 18. August passierte, was eigentlich unmöglich erscheint: Der Pegel des Rheins fiel in Emmerich auf minus drei Zentimeter. Ein Negativrekord: Dass hier auf dem Niederrhein überhaupt noch Schiffe fahren können, liegt lediglich daran, dass die Fahrrinne immer weiter ausgebaggert worden ist, in der sich jetzt das gesamte Flusswasser konzentriert: Die ist noch mit knapp zwei Meter Wasser gefüllt, aber eben drei Zentimeter unter dem ursprünglichen Pegelnull.
„Wenn du mich siehst, dann weine!“ Diese Aufschrift trägt der Deciner Hungerstein, eines der ältesten hydrologischen Denkmäler an der Elbe in Tschechien. Dieser Tage ist er wieder trockengefallen, auch der Elbe fehlt das Wasser. Stromab, in Dömitz an der Niederelbe, fiel der Pegel a
er Pegel auf 46 Zentimeter. Die Schifffahrt ist auf Deutschlands drittgrößtem Strom vielerorts längst zum Erliegen gekommen, nicht einmal jene Fähren, die in manch ländlichem Gebiet die Verbindung sichern, können noch überall übersetzen. Noch schlimmer erwischt hat es die Weser: Auf mehr als 200 Kilometern herrscht Niedrigwasser – von Höxter bis nach Bremen.„Bis Mitte August fielen in Deutschland im Flächenmittel nur 104 Liter Regen pro Quadratmeter“, sagt Kristina Fröhlich vom Deutschen Wetterdienst. Normal wären in den Sommermonaten 239 Liter. Fröhlich: „Selbst wenn uns noch die Daten der letzten zehn Tage fehlen: Dieser Sommer war extrem.“ 104 Liter Regen pro Quadratmeter – das ist noch weniger, als in den Dürresommern 2018 und 2019 gefallen war. Und deutlich weniger als der bisherige Negativrekord seit Beginn der Aufzeichnungen – der Sommer 1911 mit nur 125 Liter Regen.Die Spree: strömungslosEs sind nur noch zwei kleine Rinnsale, die am Wehr in Neubrück über die Schließklappen plätschern: Die Spree, Deutschlands zehntlängster Fluss, führt derzeit so wenig Wasser, dass sie praktisch strömungslos ist. „Vor der Schleuse stinkt das Wasser richtig, es bilden sich mancherorts sogar Blasen, das Wasser blüht“, sagt Andre Rössel, ein Sachse, der hier gerade Erholung im Paddelboot sucht. Die allerdings wurde Mitte August eingeschränkt: Am Pegel in Leibsch am Ausgang des Unterspreewaldes flossen nur noch 0,79 Kubikmeter Wasser pro Sekunde, weshalb „Phase 3“ des Konzepts zur Wasserbewirtschaftung in Kraft trat. Das bedeutet: Manche Spree-Schleuse wurde geschlossen, Paddler müssen ihre Boote umtragen. Einige Fließe fielen im Spreewald trocken, was notgedrungen zu Fischsterben führt. Das Landesamt für Umwelt rief dazu auf, „trockenfallende Gewässer an die Landkreise zu melden oder gegebenenfalls eigenständig Fische und andere Wasserlebewesen zu retten und in wasserführende Gewässer umzusetzen“.Tausende tote Fische sorgten schon an der Oder wochenlang für Schlagzeilen: Der Wasserpegel lag Mitte August in Frankfurt/Oder nur noch knapp über dem historischen Niedrigwasser-Wert von 77 Zentimeter aus dem Jahr 2015. Noch immer ist nicht restlos klar, was zu dem massiven Fischsterben geführt hat. Klar ist indes, dass der geringe Wasserstand die größte Umweltkatastrophe in Brandenburg seit Jahrzehnten begünstigte: Das Gift wirkte so in höherer Konzentration, Dutzende Tonnen Fischkadaver wurden bislang geborgen. Zudem heizt die Sonne flacheres Wasser viel stärker auf. Für einige Arten wird es schon ab 21 Grad Wassertemperatur lebensgefährlich. Ab 25 Grad haben Fische wie Äschen, Forellen oder Saiblinge keine Chance mehr. Deshalb hat das bayerische Landesamt für Umwelt auch Alarmpläne für Donau und Main ausgearbeitet, die ebenfalls unter Niedrigwasser leiden.Das Problem ist aber nicht nur fehlender Regen: Der diesjährige Juni und auch der Juli zählen mit ihren Hitzewellen zu den wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. „Der Juni war 3 Grad, der Juli 2,3 Grad heißer als in der Referenzperiode 1961 bis 1990“, sagt Kristina Fröhlich vom Deutschen Wetterdienst. Hitze verleitet die Flora dazu, mehr Wasser zu verdunsten. Bäume beispielsweise kühlen sich dadurch ab, dass sie mehr Feuchtigkeit über die Spaltöffnungen ihrer Blätter an die Umgebung abgeben. Mehr Verdunstung sorgt aber dafür, dass noch weniger verfügbares Wasser in der Landschaft ist.Für manche Regionen kann das existenziell werden. Beispielsweise stammen zwei Drittel des Trinkwassers, das durch die Berliner Leitungen fließt, aus dem Uferfiltrat der Spree. Deshalb gibt es ein Abkommen zwischen Brandenburg und Berlin, nach dem pro Sekunde acht Kubikmeter Spreewasser über die Landesgrenze fließen sollen. Um so etwas zu gewährleisten, wurde unter anderem gerade das Wehr in Neubrück für 11,5 Millionen Euro neu gebaut. Ziel war es, im Winter und Frühjahr mehr Wasser aufzustauen, damit es eine Reserve für den Sommer gibt. Aber wie soll diese ausreichen, wenn – wie derzeit – nur 0,79 Kubikmeter Wasser pro Sekunde nachfließen? In der schnell wachsenden Hauptstadt werden deshalb Pläne geprüft, Berlin über eine Meerwasserentsalzungsanlage an der Ostsee zu versorgen. „Das ist material- und energieintensiv. Daher ist das nur verantwortbar, wenn man mit erneuerbaren Energien arbeitet“, kommentiert der Gewässerökologe Martin Pusch vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Weil aber derzeit jede Kilowattstunde für den aktuellen Bedarf gebraucht werde, „ist die Meerwasserentsalzung eher eine mittelfristige Lösung“.Auch Trinkwasser wird knappTatsächlich werden in Deutschland nur 70 Prozent des Trinkwassers aus Grundwasserreservoirs gewonnen, der Rest kommt aus Talsperren, Quellen und Flüssen. In Hitzesommern steigt überall der Wasserverbrauch, weil die Menschen häufiger duschen oder den Rasen sprengen. Die Wasserwerke dürfen aber nur so viel Trinkwasser aus den Tiefenschichten fördern, wie sich auf Dauer neu bildet. „Wenn wenig Wasser im Boden ist, steht auch wenig zur Grundwasserneubildung zur Verfügung“, sagt Andreas Marx vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Marx ist für den „Dürremonitor“ verantwortlich, der aktuell auf 80 Prozent der Fläche Deutschlands im Unterboden die höchste Dürre-Stufe konstatiert: eine „außergewöhnliche Dürre“.Dabei ist „Dürre“ kein absoluter Zustand. Andreas Marx: „Als Dürremonat wird ein Monat beschrieben, der 80 Prozent weniger Bodenfeuchte aufweist als im Mittel der Jahre 1951 bis 2015“. Dabei sei der Boden eine wichtige Komponente in der Dürrewissenschaft: Sandige Böden nehmen Wasser zwar besser auf, speichern Feuchtigkeit aber wesentlich schlechter als lehmige. Hitzewellen wie im Juni oder Juli – in Hamburg wurde mit 40,1 Grad Celsius ein neuer Rekord gemessen – verstärken die Dürregefahr, denn Hitze dörrt den Boden aus, wodurch seine hydraulische Leitfähigkeit minimiert wird. „Der Boden ist dann wie imprägniert“, sagt Marx, „ausgedörrte Böden sind in der Regel selbst nach einem starken Regenguss staubtrocken.“ Bis in tiefere Schichten dringe Regen dann gar nicht mehr vor, Marx vergleicht das mit dem Kuchenbacken: „Schüttet man Milch auf trockenes Mehl, vermengt sich beides kaum. Feuchter Teig hingegen nimmt Flüssigkeit sehr leicht auf.“Klimamodelle sagen deshalb Probleme bei der Grundwasser-Neubildung voraus, in Brandenburg etwa, in Sachsen oder Niedersachsen. Konflikte ums Wasser sind vorprogrammiert, denn die Industrie verbraucht beispielsweise deutlich mehr als die Privathaushalte: Allein der RWE-Konzern verbraucht dreimal so viel Wasser wie alle 3,65 Millionen Berliner zusammen. Entsprechend gereizt reagiert die Industrie auf die aktuelle Trockenheit und die Wasserstände in den Flüssen. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Anlagen in der chemischen oder Stahlindustrie abgeschaltet werden, Mineralöle und Baustoffe ihr Ziel nicht erreichen oder Großraum- und Schwertransporte nicht mehr durchgeführt werden können“, sagte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssten sich darauf einstellen, dass solche Trockenperioden künftig nicht mehr nur Ausnahmen bleiben, sondern die Regel werden.Gereiztheit in GrünheideEntsprechend gereizt reagieren aber auch die Menschen. In Grünheide, Ostbrandenburg, gingen die Anwohner wochenlang auf die Straße, als Tesla den Bau seines Werkes dort verkündet hatte – nicht weil sie gegen die gut dotierten Industriearbeitsplätze in der strukturschwachen Region sind, sondern weil sie fürchten, künftig nicht mehr genügend Trinkwasser zu bekommen. Denn mit der Landwirtschaft kommt ein neuer Konkurrent hinzu: Landwirte setzen immer häufiger auf Beregnungstechnik, etwa beim Kartoffelanbau oder bei Gemüse. „Wir gehen davon aus, dass wir solche Witterungssituationen in den nächsten Jahren immer wieder bekommen werden“, sagt Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes.Das Jahr 2022 hat uns auch einen neuen Brandrekord beschert: Nach dem Europäischen Waldbrand-Informationssystem EFFIS vernichtete Feuer bis Mitte August rund 4.239 Hektar Wald – zehn Prozent mehr als im gesamten Waldbrand-Rekordjahr 2018. Und die diesjährige Feuersaison ist noch nicht zu Ende, nicht einmal der Regen zum Ende der vergangenen Woche sorgte für Entspannung.Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hatte zum Ergebnis: Durch die globale Erwärmung wird es wahrscheinlicher, dass Wetterlagen in den Sommermonaten auf der Nordhalbkugel länger anhalten, was dann zu mehr extremen Wetterereignissen führt. So wie in diesem Sommer, in dem über weiten Teilen Europas eine Wetterlage anhält, die seit Monaten warme Luft aus dem Mittelmeerraum zu uns führt. Feuchte Westwinde werden dagegen von einem Hochdruckgebiet über dem Kontinent blockiert. Überhaupt sagen Klimamodelle voraus, dass die mitteleuropäischen Sommer trockener werden und Wetterextreme zunehmen. Und tatsächlich ist der Sommer 2022 so geworden, wie ihn die Wissenschaft vor 20 Jahren prognostiziert hat. Vielleicht ein bisschen zu extrem. Meteorologin Fröhlich: „Die Werte des Junis und Julis bewegen sich im oberen Bereich dessen, was die Klimamodelle für ein typisches Jahr Anfang der 2020er Jahre vorhergesagt haben.“Placeholder authorbio-1
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