Symbiose mit der Szene

RECHTSROCK Das Skinhead-Konzert-Milieu hat sich zum wichtigsten neonazistischen Rekrutierungslager entwickelt

Sie heißen "Sperrfeuer", "Frontschweine" oder "Donnertyrann". Ihre CD-Cover sind mit Runen, Totenköpfen oder einer Leni Riefenstahl-Ästhetik geziert. Sie besingen den Holocaust, die arische Rasse oder das Heldentum der SA. Und ihre Konzerte sind der Renner - das Geschäft mit Nazi-Rock boomt. Über 100 rechtsextreme Skinhead-Bands haben seit 1991 in der Bundesrepublik knapp 500 verschiedene Tonträger mit einer Auflage von einigen hundert bis 15.000 Exemplaren produziert.

Im vorletzten Jahr registrierten die Behörden bundesweit über 140 rechtsextreme Konzerte, die Hälfte davon in den neuen Bundesländern. Eine Hochburg ist Sachsen, wo allein 20 Konzerte mit insgesamt rund 8.500 Zuschauern stattfanden. 1999 waren es schon 24 Konzerte mit etwa 10.000 Zuschauern, musste Innenminister Klaus Hardraht auf eine Anfrage der PDS berichten. Manfred Püchel (SPD), in Sachsen-Anhalt Innenminister, listete auf eine ähnlichen Anfrage hin neun Konzerte in seinem Land auf - nahezu eine Verdopplung gegenüber 1998. In Thüringen rockten 1999 Neonazis offiziell elf Mal auf einer Bühne. Hinzu kommt eine große Dunkelziffer. "Die Antifa in Sachsen-Anhalt schätzt, dass hier nahezu jedes Wochenende irgendwo ein illegales Neonazi-Konzert stattfindet", sagt PDS-Fraktionsvize Matthias Gärtner.

Soviel ist klar: Es gibt zwar eine große Schnittmenge zwischen rechtsextremen Konzert- und Parteigängern. Die Organisationsstrukturen sind aber - Subkultur hier, Politik da - strikt getrennt. Egal ob in Hamburg, Brandenburg oder Berlin - der überwiegende Teil der Konzerte wird von dem aus Großbritannien importierten Nazi-Skinhead-Netzwerk Blood organisiert. Einen wesentlich kleineren Teil steuern die Hammerskins, ein aus den USA stammender, eher elitärer Haufen und lokale Netzwerke bei. In Chemnitz etwa organisierte bis vor zwei Jahren die Gruppe "CC 88" rechtsextreme Musikveranstaltungen. CC steht für "chemnitz concert", die Zahl 8 für den achten Buchstaben im Alphabet - eine Verklausulierung von "Heil Hitler". Das Zeichen wurde auch an der Wohnungstür des Täters von Dessau gefunden.

Neofaschistische Kameradschaften und Parteien nutzen die Konzerte, um Nachwuchs zu rekrutieren. "Aus den Reihen organisierter Neonazis kamen seit 1996 die meisten Impulse für die Vermengung von neofaschistischer Kultur und rechtsextremer Politik", heißt es beim Antifaschistischen Rechercheteam Dresden (ART). Mittlerweile hat sich eine symbiotische Beziehung zwischen NPD und rechter Musikszene etabliert, und die Partei schafft mit ihren Demonstrationen wie in Berlin, Dresden oder Magdeburg eine Erlebniswelt, in der Skins neonazistische Politik als Happening verkauft wird.

Das war nicht immer so. Mitte der achtziger Jahre legten die rechten Strategen noch allergrößten Wert auf eine gehörige Distanz zu der als organisationsscheuen, saufend und raufend verschrieenen Skinhead-Szene. Bis die braunen Vordenker den Mangel einer kulturellen Verankerung im Milieu erkannten und die Strategie wechselten: Statt Distanz wurde jetzt explizite Nähe gesucht, die rechte Musikszene gar gefördert.

Anfang der neunziger Jahre erarbeiteten Strategen des Nationaldemokratischen Hochschulbundes - laut Eigenwerbung "Speerspitze der NPD an den Universitäten" - das Konzept der so genannten "national befreiten Zone": Mit rechten Buchläden, Jugendclubs, Tattoo-Studios, Reiseagenturen und ähnlichem soll in einem Gebiet die kulturelle Hegemonie erlangt werden. Der Nationalsozialismus solle als "ein spannendes Erlebnis oder gar Abenteuer" verkauft werden, forderte 1999 Jürgen Schwab in der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme. Steffen Hupka, gerade geschasster NPD-Führer in Sachsen-Anhalt, verteidigte die Strategie zuletzt so: Wenn es in bestimmten Gebieten neben der rechtsextremen Subkultur keine Alternative mehr gebe, würden die Jugendlichen quasi automatisch rechtsradikal.

PDS-Fraktionsvize Gärtner bestreitet zwar die Existenz "national befreite Zonen" in Ostdeutschland, in Sachsen-Anhalt gebe es aber sehr wohl so genannte "No-go-areas", in denen die Rechten der kulturellen Hegemonie sehr nahe kämen, in Magdeburg Nord etwa, in Olvenstedt oder in Teilen der Altmark. Im ART Dresden wird diese Einschätzung geteilt. Auch in Sachsen gebe es - beispielsweise in der Sächsischen Schweiz und im Niederschlesischen Oberlausitzkreis - "No-go-areas". Komplett umgesetzt sei das Zonen-Konzept nirgendwo. Man brauche aber nicht unbedingt kulturelle Nazi-Hegemonie, um ausländerfeindliche oder extremistische Lebenshaltung zu verwirklichen.

Vielleicht ist damit auch der wachsende kommerzielle Erfolg des Rechts-Rock zu begründen. Der braune Krach ist längst nicht mehr nur auf die Neonazi-Szene beschränkt, auch in der Black-Metal- oder Dark-Wave-Szene werden rechte Combos inzwischen gern gehört. Deswegen setzte der MDR auch seine Werbung für das Wave-Gothic-Treffen - das größte seiner Art in Europa - an Pfingsten in Leipzig ab. Die Autoren des gerade erschienenen Buches White Noise, Rechtsrock, Skinhead-Musik, Blood (rat Verlag, Hamburg) haben errechnet, dass seit 1991 rund 1,5 Millionen CDs in der Bundesrepublik publiziert wurden, die meist per Versand vertrieben werden.

Deutsche Händler verkaufen nahezu ausschließlich nicht-indizierte Ware. Ihr Sortiment richtet sich vor allem an die unpolitischen Skins, die der Parole "Gewalt is geil" gehorchen. Zu den größten Versandhändlern gehört die Zeitschrift Rocknord (Düsseldorf) und Pühses Liste, hinter der NPD-Bundesvorständler Jens Pühse steht. Harte, nationalsozialistische Scheiben hingegen werden aus dem Ausland bezogen. Bei einem faschistoiden Label in Schweden beschlagnahmte die Polizei bei einer Razzia mehr als 8.000 Kundenadressen - 5.000 von ihnen aus Deutschland. Der Versand "NS88" des Brandenburgers Marcel Schilf zog seine Geschäfte im für die liberale Gesetzgebung bekannten Dänemark auf. Aber auch über Ungarn, Polen oder Tschechien vermarkten inzwischen Skinhead-Combos die braunen Rhythmen.

Ost- wie westdeutsche Länder versuchen mit Verboten und Drangsalieren der Skins der faschistoiden Krachflut Herr zu werden. "Die Szene soll systematisch verunsichert werden", erklärte etwa Thüringens Innenminister Christian Köckert (CDU) im März das neue Konzept seiner Polizei. Vorbild ist die SOKO Rex in Sachsen, die seit Jahren unbequeme Dauerpräsenz zeigt. Allerdings führte dies auch zu einer ausgefeilten Vernetzung. "Mit den Verboten", konstatierte Thüringens ehemaliger Verfassungsschutzchef Helmut Roewer, "haben wir von Staats wegen die Vereinigung der Szenen befördert."

Ausgerechnet die sächsische Sektion des Blood-Netzwerkes wird deshalb auch von Verfassungsschützern als die größte und gefährlichste eingeschätzt. Dass es den Skins um etwas anderes als ein Konzerterlebnis geht, macht eine der Blood-Leitlinien klar: "Rechte Musik zu hören, ist okay. Rechte Musik zu hören, ohne daraus Aktionen abzuleiten, aber nicht."

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