Tanzende Türme auf See

Energiewende Windparks sind bisher nur in flachen Gewässern möglich – schwimmende Rotoren ändern das
Ausgabe 10/2021

Fukushima ist für Takafumi Shigemura die Zukunft. „Bei der Windkraft hinkt Japan den Europäern hinterher“, sagt der japanische Ingenieur. „Wenn es aber um die Entwicklung von schwimmenden Windrädern geht – da haben wir einen Vorteil.“ 20 Kilometer vor der Küste des vor zehn Jahren havarierten Atomkraftwerks schwimmen nämlich Windräder im Pazifik. Für Takafumi Shigemura, der für den Mischkonzern Marubeni arbeitet, ist klar: Die Windkraft lernt jetzt das Schwimmen.

Windenergie spielte in Japan bislang eine untergeordnete Rolle, gerade einmal 4.000 Megawatt Leistung wurden installiert, in Deutschland sind es 60.000 Megawatt. Im Dezember 2020 hat die Regierung aber ein ehrgeiziges Offshore-Programm beschlossen: Bis 2030 sollen Windräder mit einer Leistung von 10.000 Megawatt im Meer aufgestellt werden, in den folgenden zehn Jahren soll diese Leistung sogar noch verdreifacht werden. Auch Japan hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Ohne einen massiven Ausbau der Windenergie wird das nicht möglich sein.

In Nord- und Ostsee ruhen die Windräder auf Fundamenten, auf sogenannten Tripods, Jackets oder Monopiles: Tripods sind Dreibeine, die in den Meeresboden gerammt werden, Jackets gleichen fachwerkartigen Stahlkonstruktionen, beim Monopile hält ein einziges festes Fundamentrohr die Anlage. Solche Fundamente können allerdings nur in Wassertiefen von 30, maximal 50 Metern aufgebaut werden, was weltweit nur in wenigen Küstengewässern möglich ist.

Mit fast 39.000 Kilometern Küstenlinie hat Japan ein gewaltiges Offshore-Windpotenzial. Allerdings fallen die Küsten in der Regel so schnell in Wassertiefen unter 500 Meter ab, dass herkömmliche Offshore-Technik keine Option ist. Deshalb rief das japanische Wirtschaftsministerium 2012 das „Forward Project“ ins Leben, um Strom mit schwimmenden Windrädern zu produzieren: Seit 2013 speiste die kleinste der drei Versuchsanlagen zwei Megawatt Leistung Strom ins japanische Netz ein, nach einem schwimmenden Sieben-Megawatt-Koloss ging 2017 ein drittes Windrad mit fünf Megawatt Leistung in Betrieb. Lange waren die Kosten für den produzierten Strom sehr hoch. Aber genau darum ging es den Ingenieuren um Takafumi Shigemura: an der Versuchsanlage lernen, wie die Kosten gesenkt werden können.

Kurz vor dem Durchbruch

Die Japaner sind nicht die Einzigen, die schwimmende Windräder erforschen. In Norwegen etwa dreht sich seit 2009 ein Versuchswindrad, vor der bretonischen Küste erzeugt seit 2018 das Windrad „Floatgen“ auf einem Betonschwimmer Strom. In Südeuropa betreibt der spanische Energiekonzern Repsol den schwimmenden Offshore-Windpark „WindFloat“ vor der portugiesischen Küste. Auf drei Spezialpontons sind jeweils 8,4 Megawatt-Rotoren montiert, die 20 Kilometer vor der Küste bei Viana do Castelo in Gewässern mit einer Tiefe von über 100 Metern schwimmen. Die Anlage liefert seit Sommer vergangenen Jahres Strom.

„Die Systeme stehen technologisch kurz vor dem Durchbruch“, urteilt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Und das sei auch dringend notwendig, „denn für den Ausbau der Windenergie wird der Platz knapp“. Für den Klimaschutz sei der Ausbau aber enorm wichtig, besonders für dicht besiedelte Staaten biete die schwimmende Technologie eine gute Alternative. Als Inspiration dienten die Plattformen der Erdöl- und Erdgasindustrie.

Schwimmende Windräder werden nämlich nicht in den Meeresboden gerammt, sondern treiben auf Schwimmkörpern und sind auf dem Meeresgrund nur vertäut. Ein entscheidender Vorteil: Noch an Land werden die Anlagen mit der Windturbine zusammengebaut. Schlepper ziehen sie dann raus aufs Meer, dorthin, wo sie Strom erzeugen sollen. Weil das einfacher ist als eine Installation bei Wind und Wellen, hoffen Ingenieure, dass die Methode Zeit und Geld sparen wird.

Zudem sind schwimmende Systeme umweltfreundlicher: Die Rammarbeiten für das Setzen der Fundamente an bisherigen Offshore-Standorten fallen weg. Bei einem Rückbau kann die Schwimmvariante ohne Rückstände abgezogen werden. Und noch einen Vorteil hätten die schwimmenden Kraftwerke: Auch Länder, die keine Küste für fest installierte Offshore-Parks haben, könnten sie betreiben.

Allerdings sind die Anforderungen an die Technik gigantisch: Die Gondel eines Windrades wiegt um die 450 Tonnen, dazu kommt das Gewicht der Rotorblätter. Die Ingenieure müssen schwimmende Plattformen entwickeln, die ein solches Gewicht in 150 Meter Höhe stabil halten, obwohl es sich – je nach Windrichtung – um die eigene Achse dreht. Und als wäre diese Ingenieursleistung nicht schon anspruchsvoll genug: Die Kraftwerke im Meer müssen ihren Dienst auch bei 19 Meter hohen Wellen, wie sie zum Beispiel an der norwegischen Versuchsplattform Hywind vorkommen, sicher erfüllen.

Im Wesentlichen gibt es drei konkurrierende Konzepte. Das Spar-Buoy-System wird auch als „tanzender Turm“ bezeichnet. Es besteht aus einem Stahlzylinder, der als Schwimmer und Turm für die Windkraftanlage dient. Zudem gibt es das tauchende Konzept, bei dem die Plattform meist von senkrecht stehenden Tauchzylindern gehalten wird. Die Dresdner Firma Gicon nutzt einen zylindrischen Auftriebskörper, der von straff gespannten Ketten leicht unter Wasser gezogen und so in Position gehalten wird. Gemeinsam mit Forschern der Bergakademie Freiburg entwickelte Gicon das sogenannte Tension-Leg-System.

19 Meter hohe Wellen

Der Energiekonzern EnBW aus Baden-Württemberg hat mit „Nezzy“ eine schwimmende Plattform entwickelt, auf der sich gleich zwei Windräder drehen. Nezzy, als Modellanlage zeitweise im Meeresboden der Ostsee verankert, soll bis zum kommenden Jahr in China ihre Eignung unter Beweis zu stellen. Welche Technologie sich durchsetzen wird, ist derzeit schwer zu sagen. „Führend ist aktuell Schottland“, urteilt Nico Fiedler von Gicon. Im Meeresgebiet Buchan Deep, rund 25 Kilometer vor der schottischen Küste auf der Höhe von Aberdeen, ist im vergangenen Jahr der größte schwimmende Windpark ans Netz gegangen: Die fünf Anlagen liefern Strom für den Jahresbedarf von rund 20.000 Menschen. „Weitere große Flächen mit mehr als 60 Metern Wassertiefe wurden in Schottland ausgeschrieben, um Windparkentwicklungen voranzutreiben“, sagt Nico Fiedler.

Auch in norwegischen, griechischen, französischen und spanischen Gewässern sollen Schwimmwindparks entstehen, längst sind auch große Konzerne wie Siemens, Equinor oder Statoil ins Geschäft eingestiegen. Ein gutes Dutzend Windparks mit jeweils Hunderten Schwimmanlagen ist derzeit in Planung, etwa in der Keltischen See zwischen Irland und Wales, in Südkorea und in den USA, wo allein vor Kalifornien Windräder mit 10.000 Megawatt Leistung schwimmen sollen.

Und da ist noch Japan, auch dort läuft gerade eine Offshore-Ausschreibung für vier Standorte. Bis Ende Mai können Investoren ihre Angebote abgeben. Ingenieur Takafumi Shigemura dürfte gespannt sein, wie stark die Kosten gesunken sind. Oder anders: wie steil die Lernkurve am Modellprojekt vor Fukushima gewesen ist.

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