Stell dir vor, der Atomausstieg ist geschafft – welche Aufgabe bleibt dann für die Grünen? Die CSU hat am Wochenende als erste Regierungspartei ein Ausstiegsdatum beschlossen. Demnach soll spätestens 2022 das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dies ausdrücklich begrüßt. Und wenn am kommenden Montag die Ethik-Kommission in ihrem Abschluss-Bericht diese Perspektive festschreibt, dann wird die Union als Atom-Ausstiegspartei in die deutsche Geschichte eingehen.
Die Grünen haben immerhin einen Sonderparteitag angekündigt. Sollte die Bundesregierung einen akzeptablen Plan zum Atomausstieg vorlegen, werde die Partei am 25. Juni über ihren Umgang damit beraten, sagt Parteichefin Claudia Roth. Es kann sein, dass die Grünen dann einen Haken hinter eines ihrer wichtigsten Ziele setzen. Danach aber steht der Partei eine politisch ungleich brisantere Aufgabe ins Haus: die Suche nach einem atomaren Endlager.
Erinnern wir uns: Bundesumweltminister Jürgen Trittin hatte mit dem Gorleben-Moratorium Ende der neunziger Jahre die weitere Erkundung des Salzstocks Gorleben gestoppt und ein alternatives Suchverfahren angekündigt, das Deutschland ein weithin akzeptiertes und sicheres Lager bescheren sollte. Dazu wurde der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AK End) gegründet, der eine transparente Vorgehensweise entwickeln sollte.
Im Dezember 2002 war es dann soweit: Der AK End stellte sein Verfahren und die Kriterien für die Suche nach einer ebenso zustimmungsfähigen wie sicheren Atommüllhalde vor. Das 14-köpfige Expertengremium empfahl ein Lager unter Tage in Tiefen zwischen 300 und 1.500 Metern. Das Gestein des Lagers musste ausreichend isolieren und durfte weder durch Erdbewegungen noch von Störungen des Deckgebirges beeinträchtigt werden – die geowissenschaftlichen Kriterien waren nicht wesentlich neu.
Veto der Betroffenen
Neu dagegen klangen einige sozial- und planungswissenschaftliche Kriterien: Beachtet werden sollten vor allem Auswirkungen des Endlagers auf Arbeits- und Wohnungsmarkt, Image und Wirtschaftsentwicklung der Region, die es letztlich trifft. „Wir schlagen einen Fonds vor, der die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung dort langfristig fördert“, sagte der Sozialwissenschaftler Detlef Ipsen. Schließlich sei der Atommüll im ganzen Land produziert worden. Der revolutionärste Vorschlag der Kommission war, dass am Schluss die Betroffenen über das Lager entscheiden sollten: Wenn die Bevölkerung einer Region mehrheitlich Nein zum Endlager sagt, „dann muss das zählen“, so Ipsen.
„Angefangen bei unserer Empfehlung für ein untertägiges Endlager – wenn die Bevölkerung will, kann prinzipiell alles geändert werden“, kündigte Ausschussmitglied Hans-Jörg Haury von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit an. Wichtig sei aber, dass die Politik das Verfahren nach einer öffentlichen Debatte per Gesetz legitimiere. Im Schritt danach sollte die Bundesrepublik in einzelne Gebiete „gerastert“ und die geowissenschaftlichen Gegebenheiten untersucht werden. In Gebieten, die geeignet erschienen, sollten parallel mit Bürgerforen die sozialwissenschaftlichen Kriterien durchgegangen werden und die Kommunalvertreter das Lager für die Region akzeptieren – oder eben nicht.
Bekanntermaßen wurde daraus nichts: Zwar stellte Trittin im Sommer 2005 noch seinen Gesetzesentwurf zur Endlagersuche gemäß dem Vorschlag des AK End vor. Der aber wurde nicht einmal mehr in den Bundestag eingebracht: Trittin wechselte auf die Oppositionsbank.
Die Schweiz als Vorbild
Umsonst war die Arbeit des AK End seinerzeit aber dennoch nicht: 2008 startete die Schweiz ein „ergebnisoffenes“, dreistufiges Auswahlverfahren mit umfangreicher Beteiligung der Öffentlichkeit. Fünf Atomkraftwerke betreiben die Schweizer, gesucht wird ein Endlager für 100.000 Kubikmeter radioaktiven Müll, darunter 7.300 Kubikmeter hochradioaktiv. „Wir haben vom AK End wichtige Impulse bekommen“, sagt Monika Jost, die beim Schweizer Bundesamt für Energie für das Auswahlverfahren zuständig ist. Jene Verfahrensstufen, die die deutschen Experten einst vorschlugen, werden in der Schweiz umgesetzt. Derzeit laufen die Beteiligungsverfahren mit den Gemeinden. Sogar der Greenpeace-Campaigner Urs Wittwer bezeichnete das Auswahlverfahren als „recht vernünftig“, wenngleich er hinzufügte, dass seine Organisation Atomkraft natürlich ablehnt.
Der Müll soll so gelagert werden, dass er in 50 bis 150 Jahren wieder zurückgeholt werden kann, falls neuere Erkenntnisse dies notwendig machen sollten oder nachfolgende Generationen bessere Verfahren zum Umgang mit der Strahlenlast finden. Benken heißt der Ort im Zürcher Weinland, der aktuell als wahrscheinlichster Standort gilt: ein beschauliches Nest nahe der deutschen Grenze, unweit des Rheinfalls gelegen. Und bisher stören dort keine Protestplakate und keine gelben Kreuze die Idylle.
Dabei hatte die Schweizer Atomwirtschaft Mitte der neunziger Jahre mit dem Bund quasi im Alleingang den Wellenberg in der Zentralschweiz als unterirdische Atommüllkippe bestimmt. Doch in der plebiszitär verfassten Schweiz genügten 1995 und 2002 Referenden in zwei Kantonen, um das Projekt zu Fall zu bringen.
Sollten die Grünen nach dem Atomausstieg die Vorschläge des AK End wieder aus der Schublade holen, dann könnte Gorleben der deutsche Wellenberg werden: Zumindest erklärte der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz Wolfram König in dieser Woche, dass dem Standort „ein zweites Deckgebirge über dem Salzstock“ fehle. Damit wäre nicht einmal die geologischen Kriterien für ein Endlager erfüllt.
Dass deutscher Atommüll in Deutschland vergraben werden soll, darüber sind sich alle Parteien einig. Nur die Grünen scheinen aber in der Lage, einen gesellschaftlichen Konsens zu einem Standort zu organisieren. Gerade weil sich die Anti-Atom-Partei in Sachen Ausstieg als visionär erwiesen hat, muss sie nun bei der Endlagersuche eine konstruktive Rolle spielen. Das wird nicht einfach: Bisher ist vor allem der Protest gegen Atomanlagen – inklusive der gegen Atomlager – in ihren Reihen organisiert. Nun wird es darauf ankommen, ob die Partei die Atomgegner zur mehrheitlichen Zustimmung zu einem Standort bewegen kann. Denn eines ist klar: Endgültig besiegelt ist der Ausstieg erst, wenn es ein nationales Endlager gibt.
Nick Reimer ist Umweltjournalist und Chefredakteur von klimaretter.info
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