„Natürlich ist es gut, dass es Wahlen gibt!“ Omar Issu Ambul betreibt in Kenias zweitgrößter Stadt Mombasa einen Handel mit Gewürzen. Er will, dass sich etwas ändert und das geht nur, wenn der amtierende Präsident bei diesen Wahlen „in die Wüste geschickt wird“. Einerseits. „Andererseits sind Wahlen in Kenia immer auch ein Pulverfass“, sagt der Mittfünfziger. Nach den Wahlen 2007 kam es landesweit zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen, bei denen mehr als 1.100 Menschen getötet und 600.000 vertrieben wurden. Das eine Lager wollte nicht akzeptieren, dass das andere gewonnen hatte. „Das droht uns dieses Mal wieder, überall gibt es dafür Anzeichen“, sagt der Gewürzhändler.
Zu gleich sechs Urnengängen werden die 48 Millionen Einwohner in der ostafrikanischen Republik am 8. August aufgerufen. Es gilt unter anderem die Gouverneure – ähnlich den Ministerpräsidenten in Deutschland –, ein neues Parlament oder die „Women Representatives“ zu wählen, die Frauenvertreterinnen, die den weiblichen Belangen in der Politik Geltung verschaffen sollen. Mit den Endergebnissen der Superwahl wird frühestens ab dem 10. August gerechnet. Und ab dann wird es spannend: Bleibt es in der wichtigsten Demokratie Ost-Afrikas diesmal friedlich?
Das liegt an der wichtigsten Wahl, die die Kenianer zu treffen haben, an der Präsidentschaftswahl. Auf der einen Seite tritt Uhuru Kenyatta an, ältester Sohn von Kenias erstem Staatspräsidenten Jomo Kenyatta und seit 2013 selbst Präsident des Landes. Kenyatta erreichte damals 50,5 Prozent der Stimmen, was die Opposition um Raila Odinga, der lediglich 43,7 Prozent erzielte, aber anzweifelte. Vor Gericht unterlag Odinga allerdings erneut, abermals kam eszu lokale Unruhen. Bei der Wahl in diesem Jahr ist es erneut Raila Odinga, Sohn des ersten Vize-Präsidenten Kenias, der gegen Kenyatta antritt. Zwei Politikerdynastien, die sich verhasst gegenüber stehen.
Kopf-an-Kopf-Rennen wird zur Gefahr
Gefährlich ist die Wahl, weil die letzten Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorhersagen. Die Meinungsforscher von Infotrak sahen zuletzt Herausforderer Raila mit 49 Prozent im Vorteil, während Präsident Kenyatta nur auf 48 Prozent kam – bei lediglich drei Prozent Unentschlossenen. Das Institut Ipsos sah dagegen den Präsidenten zuletzt bei 47 Prozent, Herausforderer Raila hingegen nur bei 44 Prozent. Beide Kandidaten könnten also bei einer Wahlniederlage versucht sein, das jeweils gegnerische Lager der Wahlmanipulation zu bezichtigen, was nach den Wahlen 2007 die Unruhen auslöste.
„Ich habe meine Frau und die beiden Kinder aufs Land geschickt“, sagt Thomas, ein Taxifahrer aus Mombasa. Wenn es zu Auseinandersetzungen kommt, könne er sich notfalls unter dem Tisch verkriechen oder über das Dach fliehen. „Mit der Familie geht das natürlich nicht“. Auch er wird für Raila stimmen, „wegen der Korruption, die endlich aufhören muss.“ Zwar gibt es in Kenia eine Anti-Korruptionsbehörde. „Wenn die Großen erwischt werden, erklären sie den Beamten dann aber, wer ihnen ihre Gehälter überweist.“ Zu wirklichen Anklagen käme es höchst selten.
Gefährlich ist die Wahl auch wegen des Klimawandels. Die Folge des starken El Niño-Wetterphänomens 2015/2016 war eine verheerende Dürre im vergangenen Jahr, die ganz Ostafrika erfasste. Die folgende Missernte ließ die Preise für Maismehl um das Doppelte steigen. „Ugali ist das Hauptgericht der Kenianer“, erzählt Gewürzhändler Omar Issu Ambul, „jeder hier isst es, ob arm oder reich“. Nur dass sich die Armen die Maisfladen Ugali nicht mehr leisten können. „Als Gewürzverkäufer spürst du genau, wie es im Portemonnaie der Leute aussieht“. Notfalls könne man die Suppe auch ohne Chili essen.
Zwar versuchte Kenyattas Regierung gegenzusteuern, indem sie Mais aus Mexiko importierte. Aber die eingeführte Menge war nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Knappheit von Maismehl sorgte auch dafür, dass andere Grundnahrungsmittel wie Reis oder Weizen in die Höhe schossen.
Maisfladen als Wahlkampfthema
So ist Ugali zum Wahlkampfthema geworden. „In einhundert Tagen werden die Lebensmittelpreise sinken“, verspricht Raila Odinga bei einem Wahlkampfauftritt. „In einhundert Tagen werden die Schulen kostenfrei sein. Lehrer und Ärzte werden besser bezahlt werden. Mit der Wirtschaft wird es bergauf gehen.“ Der Kandidat der Opposition, der sich als Sozialdemokrat bezeichnet, verspricht das Blaue vom Himmel, ohne zu erklären, wie er seine Wohltaten finanzieren will. Aber das nimmt ihm keiner seiner Zuhörer übel, die Leute wollen einfach glauben, was Raila verspricht.
Gefährlich ist die Wahl auch, weil sich die meisten Kenianer seit Jahrzehnten von der jeweiligen Regierung im Stich gelassen fühlen. Mehr als die Hälfte der Stadtbewohner leben immer noch in Slums, einem Drittel der Bevölkerung steht nicht mehr als 1,60 Euro pro Tag zur Verfügung. Kenyatta wiederum ist einer der reichsten Männer Afrikas. „Wir sind schon bereit, friedlich zu bleiben“, erklärt ein Slumbewohner in Kenias Hauptstadt Nairobi, „aber nur wenn auch die Wahlen friedlich bleiben und das Ergebnis fair und korrekt ist“. Er jedenfalls wolle unter dieser Regierung nicht weiter leben. Raila ist sein Kandidat.
In Nairobi und anderen Großstädten Kenias haben sich die Preise für die Bustickets verdoppelt. Wer kann, der flieht aufs Land. Zwar erklärte Joseph Boinnet, der General-Inspekteur der Polizei, seine Beamten würden alle Kenianer schützen, „wir werden notfalls robust vorgehen, allerdings strikt nach den Maßstäben des Gesetzes“. Allerdings glauben das die wenigsten. Hamsterkäufe sind an der Tagesordnung, wer nicht weg kann, der versucht sich so mit Lebensmitteln einzudecken, dass er in den Tagen nach der Wahl nicht auf die Straße muss.
Es geht auch um die Macht über Ressourcen
Tatsächlich ist das Bruttoinlandsprodukt Kenias 2016 um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr angestiegen. Es gab massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und einen wachsenden Mittelstand. Mit dem Madaraka Express konnte Kenyatta den ersten neuen Eisenbahnbau seit 100 Jahren einweihen. Das 2,7 Milliarden Euro teure Projekt, finanziert und gebaut von chinesischen Investoren, verkürzt die Fahrzeit von Mombasa nach Nairobi von 14 auf viereinhalb Stunden.
Für die Unternehmerin spiegeln die befürchteten Unruhen den ethnischen Konflikt wider, der in Kenia immer noch schwelt. „Kenyatta ist Kikuyu, Raila ist ein Luo, es geht bei den Wahlen auch darum, welche Etnie die Macht über entscheidende Ressorts und damit Ressourcen erhält“, erklärt Christin.
Gefährlich wird die Wahl auch, weil sie der vierte und sicherlich letzte Versuch Railas ist, doch noch Präsident Kenias zu werden. Der 72-Jährige, der in der DDR studierte, saß fast ein Jahrzehnt im Gefängnis, weil er sich an einem Staatsstreich beteiligt hatte und die Demokratiebewegung unterstützt haben soll. Uhuru Kenyatta dagegen wurde 2010 wegen Anstiftung zum Mord, Vertreibung und Raub während der Wahlen im Jahr 2007 vom Internationalen Strafgerichtshof in den Haag angeklagt. Allerdings wurde die Anklage Ende 2014 aus Mangel an Beweisen zurückgezogen.
Vorwurf der Wahlfäschung
„Dabei ist es mittlerweile erwiesen, dass Raila 2007 um den Wahlsieg betrogen wurde“, sagt die Unternehmerin Christin. Beispielsweise habe die Wahlbeteiligung in manchem Wahlkreis der Zentralprovinz bei über 100 Prozent gelegen. „Das schürt natürlich die Ressentiments des Raila-Lagers“. Und der Kandidat der Opposition schüttet kräftig Öl ins Feuer, seit Wochen wirft Raila der Regierung die strategische Fälschung der Wahlen vor.
Und dann wurde eine Woche vor dem Wahltermin auch noch Chris Musando ermordet, der stellvertretende Vorsitzende der Wahlkommission. Er gehörte zu den wenigen Mitarbeitern, die Zugang zu den Wahlcomputern hatten und wussten, wie das System funktioniert. Medien berichteten, Musandos Leiche sei die Hand abgehackt worden, mithilfe der Fingerabdrücke des Opfers könne man die biometrisch gesicherten Wahlsysteme hacken. Eine Bestätigung dafür gab es zwar nicht, die Offiziellen erklärten allerdings Musando sei vor seinem Tod gefoltert worden.
Es gibt natürlich Versuche, die Lage erst gar nicht eskalieren zu lassen. Kenia ist im afrikanischen Osten eine Regionalmacht, von deren Stabilität das Wohl ganz Ostafrikas abhängt. Der frühere US-Außenminister John Kerry ist als Wahlbeobachter gekommen, mit einer 67-köpfigen US-Delegation. Die Afrikanische Union schickt den früheren Präsidenten Südafrikas Thabo Mbeki mit 90 Beobachtern. Zehn der 72 Wahlbeobachter der EU sind schon seit April in Kenia, um auch beurteilen zu können, ob der Wahlkampf fair und gerecht abläuft. Insgesamt 5.000 Wahlbeobachter sollen garantieren, dass diesmal alles mit rechten Dingen zugeht.
„Wenn es am kommenden Wochenende immer noch ruhig ist, dann haben wir es überstanden“, mutmaßt Thomas, der Taxifahrer. Für den Gewürzhändler Omar Issu Ambul gibt es dieser Tage auch gute Nachrichten: „Es regnet! Die Krise um das Maismehl geht also vorüber“. Und Christin, die Unternehmerin aus Nairobi sagt: „Wenn wir bis zum kommenden Wochenende ohne Eskalation durchkommen, dann ist Kenia ein Stück reifer geworden.
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