Zum Erfolg verdammt

Klimagipfel Kann man die drohende Katastrophe noch mit demokratischen Mitteln abwenden? Die Alternativen wären fatal
Ausgabe 48/2015
Hoffentlich sind die Lösungsansätze der Diplomaten so gut wie das Marketing
Hoffentlich sind die Lösungsansätze der Diplomaten so gut wie das Marketing

Foto: Jean-Christophe Verhaegen/AFP/Getty Images

Auch zwei Wochen nach den Anschlägen von Paris dominiert das Thema die Medien. Und so wird ein Ereignis, das ebenfalls globale Aufmerksamkeit verdient hätte, etwas an den Rand gedrängt. Am kommenden Montag startet in Paris die wichtigste Weltklimakonferenz seit 20 Jahren – und es geht dabei um wesentlich mehr als nur um die Stabilisierung des Weltklimas.

Zweifelsfrei ist der Terror des IS eine große Bedrohung. Aber die größte Gefahr für das Zusammenleben der Spezies Mensch droht von woanders: von der Erderwärmung. Ohne radikalen Klimaschutz – das hat Ex-Weltbanker Nicholas Stern bereits 2006 berechnet – werden die Schäden bis Ende des Jahrhunderts größer sein als die beider Weltkriege zusammen. Die Frage ist: Sind wir in der Lage, die Verheerung unseres Planeten zu stoppen?

Die Pariser Klimakonferenz wird aber auch darüber entscheiden, ob die Demokratie überhaupt in der Lage ist, das größte Menschheitsproblem des 21. Jahrhunderts zu lösen. Denn das System der Klimadiplomatie ist Demokratie in Reinform. Kein anderer multilateraler Prozess hat sich jemals demokratische Prinzipien so zu eigen gemacht. Jeder Staat hat eine Stimme, egal,ob sein Volk 1,38 Milliarden Menschen zählt, wie China, oder 1.611 Menschen, wie der Pazifikstaat Niue. Beschlossen werden kann nur, was alle Staaten befürworten. Jede Interessengruppe hat Zugang zu den Verhandlungen. Kein anderer Prozess in der internationalen Politik ist transparenter als die Klimadiplomatie unter dem Dach der Vereinten Nationen. Kein anderer Prozess beinhaltet so weitreichende Einflussmöglichkeiten der Zivilgesellschaft auf die Regierungen dieser Welt. Die Klimadiplomatie ist die höchste Form demokratischer Prinzipien eines internationalen Zusammenlebens.

Ein Scheitern der Klimadiplomaten in Paris würde zeigen, dass die Rivalität der Staaten um den Deponieplatz in der Atmosphäre zu groß ist, um die Konflikte gemeinschaftlich und nach basisdemokratischen Prinzipien zu lösen. Die UNO wäre als Anlaufort für Menschheitsfragen schwer angeschlagen. Und nicht nur das: Die Europäer drängen ja gerade deshalb auf einen Erfolg der Klimadiplomatie, weil ein Misserfolg ihr klassisches Gesellschaftsmodell in Frage stellen würde – das Vermehren von Wohlstand mit Zukunftssicherung zu verbinden, und zwar nach demokratischen Prinzipien.

Der Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber hatte bereits vor dem gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen 2009 gewarnt, wenn die Treibhausgasemissionen nicht schnell verringert würden, sei Klimaschutz nur noch „im Rahmen einer Kriegswirtschaft zu leisten“. Die Klimadiplomaten verhandeln also darüber, ob so eine drastische Entwicklung noch zu vermeiden ist.

Vier Prozent in vier Jahren

Um das weltweite Klima auf heutigem Niveau zu stabilisieren, müssen die Emissionen weltweit ab 2020 jährlich um mindestens zwei Prozent sinken. Derzeit steigen sie pro Jahr um zwei Prozent. Binnen der nächsten vier Jahre ist also ein Cut um vier Prozent notwendig. Eine kleine Zahl, hinter der sich eine gewaltige Anstrengung verbirgt. Gelingen kann die nur, wenn erstmals alle Staaten mit einem neuen Weltklimavertrag zu eigenen Reduktionen der klimaschädlichen Abgase verpflichtet werden können.

Aber für einen solchen Vertrag ist die Zeit sehr knapp: Sollten die Klimadiplomaten ein neues Weltklimaregime beschließen, muss der Vertrag von den Staaten noch in nationales Recht überführt werden. Beim Kyoto-Protokoll dauerte das acht Jahre, vor allem weil viele Details des 1997 beschlossenen Vertrags erst im Nachgang ausgehandelt wurden. Diesmal bleibt den Diplomaten bei ungleich komplexerer Gemengelage nur die Hälfte der Zeit.

Klar ist zwar jetzt schon, dass ein in Paris beschlossener Vertrag nicht ausreichen wird, um die Erderwärmung ganz zu stoppen. Selbst wenn die Staaten ihre bisher schon freiwillig gemeldeten Reduktionsverpflichtungen umsetzen: Sie reichen nicht aus, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Es muss also noch einiges geschehen in den zwölf Konferenztagen von Paris. Denn wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, sind schmelzende Pole, tauende Permafrostböden oder ein austrocknender Amazonas die unausweichliche Folge. Langfristig könnte dann die Oberflächentemperatur um sechs Grad steigen.

Viele verweisen auf das „Montreal-Abkommen zum Schutz der Ozonschicht“ von 1987. Das war damals auch so löchrig wie ein Schweizer Käse. Aber dann gab es den Druck der demokratischen Zivilgesellschaft und schließlich so viele Nachverhandlungen, bis das Abkommen solide war. Christiana Figueres, die Chefin des UN-Klimasekretariats, setzt auf genau diesen „graduellen Prozess“: Erst im Verlauf der auf Paris folgenden Klimakonferenzen würden die Länder ihre Klimaziele anheben, weil sie zur „Einsicht gelangen, dass dies in ihrem langfristigen Interesse liegt“. Deshalb muss die Klimakonferenz ein Erfolg werden. Scheitern die Delegierten, kommt das, was am Ende einer jeden Epoche auf die Spezies zukam: Verteilungskämpfe, Überlebenskämpfe, kriegerische Auseinandersetzungen, ein Angriff auf die Zivilisation.

Nick Reimer ist Chefredakteur des Online-Magazins klimaretter.info

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