Mit Interesse habe ich Hans-Jürgen Urbans Stellungnahme zu dem Aufruf „Solidarität statt Heimat“ gelesen. Ich finde, Hans-Jürgen Urban bringt wichtige und richtige Argumente vor: es ist großartig, dass binnen kurzer Zeit so viele Menschen mit ihrer Unterschrift unter den Aufruf ein Zeichen gegen den grassierenden Rassismus gesetzt haben. Es ist wichtig, in dieser Zeit unzweifelhafte Solidarität mit den Geflüchteten zum Ausdruck zu bringen. Und Klassen- und Anerkennungsfragen, soziale und Freiheitsrecht sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, nicht in der Gesellschaft und ebenso wenig in der Linken.
Ich habe den Aufruf unterzeichnet, weil er seit langer Zeit das erste Angebot ist, sich gegen die von Ressentiments, Rassismus und offenem Hass gegen Migrantinnen und Migranten durchsetzte Debatte zu positionieren, die in Deutschland und in vielen europäischen Ländern zurzeit Medien und Alltag prägt.
Das Erstarken des Rechtspopulismus und Chauvinismus ist keine spontane Reaktion auf die zunehmende Verunsicherung, die aus Abstiegsängsten und der Enttäuschung am politischen Führungspersonal erwächst. Länder wie Griechenland oder auch Spanien beweisen das Gegenteil, indem dort um die ideologischen Grundlagen von Solidarität gekämpft wird.
Solidarität unter den Unterdrückten und Ausgebeuteten immer wieder herzustellen ist Kernaufgabe der Linken. Dabei geht es um Solidarität im Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung, während die Rechte versucht, Gemeinsamkeit durch Abgrenzung von anderen benachteiligten Gruppen herzustellen. Das ist zentraler Zweck von Gewerkschaften, die Beschäftigte organisieren und Tarifverträge erkämpfen, um die Konkurrenz um den Preis der Arbeit zu mildern, ebenso wie von Hilfsnetzwerken für Geflüchtete oder von Organisationen der Schwulen- und Lesbenbewegung usw. Nicht nur haben diese Gruppen große Schnittmengen – ein knappes Viertel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland hat migrantische Wurzeln, fast die Hälfte ist weiblich, die meisten Schwulen und Lesben sind abhängig beschäftigt etc. –, sondern politische Rechte dienen der Durchsetzung sozialer Ansprüche, und umgekehrt bilden materielle und Einkommensbedingungen oft genug den Ausgangspunkt für und erleichtern den Kampf um bürgerliche und Freiheitsrechte. Die unterschiedlichen emanzipatorischen Kämpfe gehören oft genug unmittelbar zusammen, und wo dies nicht der Fall ist, müssen wir als Linke zeigen und dafür sorgen, dass sie einander befruchten und stärken können.
Linke muss für gleiche Rechte für alle eintreten
Der Kampf um die Rechte von Minderheiten ist immer auch ein Kampf um die Rechte aller. Denn die Beschneidung von Rechten für Minderheiten dient oft genug als Einfallstor für die Einschränkung dieser Rechte für weitere Gruppen. Deshalb muss der Kampf um ein würdiges Existenzminimum und gegen die Schikanen des Asylbewerberleistungsgesetzes weitergeführt werden. Deshalb muss der Kampf um Frauenrechte in der heutigen Arbeitswelt ein zentrales gewerkschaftliches Anliegen sein. Die Linke muss für gleiche Rechte für alle eintreten und sich der Zersplitterung der Arbeiter*innenklasse in mehr oder weniger benachteiligte Gruppen entgegenstellen. Wenn alle diskriminierten Randgruppen zusammenfänden, wären wir die überwältigende Mehrheit.
Mit der Migration wird das Globale konkret lokal, und die globale Situation ist zurzeit geprägt von der verbundenen, aber ungleichen Krise des Kapitalismus, sich ausbreitender, lebensgefährlicher Armut, von Machtkämpfen zwischen militärischen Global Playern und solchen, die es werden wollen, und von Krieg. Vor diesem Elend sind heute mehr Menschen auf der Flucht als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte, 65 Millionen weltweit. Die Linke muss sich einer Reaktion entgegenstellen, die diesen Menschen die Flucht aus Krieg und Elend verunmöglichen will und dabei vorgibt, auf diese Weise würde der Wohlstand der hier Ansässigen geschützt. Deutschland war im Jahr 2014 eine kapitalistische, von Rassismus und sozialer Spaltung durchzogene Gesellschaft und ist es 2018 weiterhin.
Der Selbstmord eines nach Afghanistan abgeschobenen jungen Mannes hat erst dieser Tage wieder verdeutlicht, was eine Politik der geschlossenen Grenzen für schreckliche Folgen hat. Im Land des Exportriesen, der mit einem Leistungsbilanzüberschuss von 250 Milliarden Euro andere Volkswirtschaften in Schutt und Asche konkurriert, klingt die Besinnung auf nationale Grenzen darüber hinaus besonders schräg. Wir müssen stattdessen darum kämpfen, dass dieser enorme Reichtum so verteilt wird, dass alle ein Leben in Würde führen können, und, wie Hans-Jürgen Urban richtig schreibt, darum, „die Geflüchteten mit ihren Interessen und Bedürfnissen in eine entsprechende Politik einzubeziehen.“ Dazu müssen wir uns ihnen öffnen, wie das die Gewerkschaftsbewegung und linke Parteien in früheren Einwanderungszeiten getan haben.
Wir brauchen eine vereinte Linke
Aktuell ist der Rassismus gegen Geflüchtete und gegen Menschen muslimischen Glaubens das große ideologische Einfallstor für die Neue Rechte. Wir wissen aufgrund der historischen, aber auch der aktuellen Erfahrungen klar, wer ihre nächsten Ziele sind: Gewerkschaften, Linke, Wohnungslose, Frauenrechte, sexuelle Minderheiten. Aber im Moment tobt die Debatte um den Umgang mit Geflüchteten, und deshalb muss sich die Linke jetzt dieser Debatte stellen und sich klar und unmissverständlich positionieren.
Der Aufruf „Solidarität statt Heimat“ hat dies getan, wenn auch, wie ich finde, in einer Sprache, die sich an ein recht eng umgrenztes Milieu richtet und eher einer Selbstverständigung innerhalb der Linken dient, als dass er wirklich ausgreifen und die breiten Bevölkerungsschichten ansprechen könnte, die sowohl vom grassierenden Rassismus als auch vom Aufstieg einer Neuen Rechten, die offen Anleihen beim Faschismus macht, abgestoßen und schockiert sind. Ich würde mir wünschen, dass wir im Zuge der Debatte, die er angestoßen hat, dazu kommen, eine Positionierung zu formulieren, die wirklich breit anschlussfähig ist und in der sich auch die unzähligen Menschen wiederfinden können, die in Betrieb und Gewerkschaft, in der Geflüchtetenhilfe, in Mieteninitiativen oder in ihrem Alltag das Zusammenleben von Kulturen täglich praktizieren. Viele dieser Menschen fühlen sich in zunehmendem Maße politisch heimatlos. Die deutsche Arbeiter*innenklasse ist heute multi-kulturell und ethnisch wie sexuell vielfältig. Sie trinkt Bier ebenso wie Latte Macchiato, isst vegan oder helal, aber auch Curry Wurst oder Leberkäse. Und sie ist weiterhin von unterschiedlichen Erfahrungen der Sozialisierung und Diskriminierung in Ost und West geprägt.
Diese Unterschiedlichkeit muss die Linke ansprechen und fruchtbar machen und dabei Heimat als einen Ort definieren, an dem Menschen Rechte genießen: das Recht, sich hier aufzuhalten, das Recht auf eine planbare Zukunft in Würde und Sicherheit, das Recht auf Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe und viele mehr, die es immer wieder zu erkämpfen und zu verteidigen gilt.
Die Zersplitterung der Linken schwächt uns, wie Hans-Jürgen Urban zu Recht schreibt. Gerade in dieser Zeit des Aufstiegs der Neuen Rechten brauchen wir eine vereinte Linke, aber diese muss auf der Grundlage des gemeinsamen Verständnisses arbeiten, dass wir die Geschlossenheit und Solidarität all jener brauchen, die in dieser Gesellschaft ausgegrenzt, ausgebeutet und bevormundet werden. So viel Klarheit muss bei allem Streben um Einheit sein. Als eine solche Bewegung der Vielen verstehe ich die Vereinigung der Proletarier*innen aller Länder.
Nicole Gohlke ist Bundestagsabgeordnete der Linkspartei aus München und hochschul- und wissenschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Sie ist Mitinitiatorin des Aufrufs "Solidarität ist unteilbar"
Foto: Katja-Julia Fischer
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