Are you real?

Technozän Verstreute Gedanken über technische Finten

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In McEwans Welt ist es längst möglich, dass sich biologische und künstliche Lebensformen gemeinsam fortpflanzen und Kohlenstoff-Silizium-Babys in die Welt setzen
In McEwans Welt ist es längst möglich, dass sich biologische und künstliche Lebensformen gemeinsam fortpflanzen und Kohlenstoff-Silizium-Babys in die Welt setzen

Foto: Ming Yeung/Staff/Getty Images

Hybris ist heute unsre ganze Stellung zur Natur, unsre Natur-Vergewaltigung mit Hülfe der Maschinen und der so unbedenklichen Techniker- und Ingenieur-Erfindsamkeit; Hybris ist unsre Stellung zu Gott, will sagen zu irgend einer angeblichen Zweck- und Sittlichkeits-Spinne hinter dem grossen Fangnetz-Gewebe der Ursächlichkeit — wir dürften wie Karl der Kühne im Kampfe mit Ludwig dem Elften sagen »je combats l’universelle araignée« —; Hybris ist unsre Stellung zu uns, — denn wir experimentiren mit uns, wie wir es uns mit keinem Thiere erlauben würden, und schlitzen uns vergnügt und neugierig die Seele bei lebendigem Leibe auf: was liegt uns noch am »Heil« der Seele!

Friedrich Nietzsche

Der britische Schriftsteller Ian McEwan veröffentlichte jüngst in der New York Review of Books eine beeindruckende Kürzestgeschichte mit dem kryptischen Titel »Düssel…«, die in einer unbestimmten Zukunft spielt und im wesentlichen eine Meditation über das Menschliche darstellt, kondensierend in der Frage: »Are you real?« Diese richtet der Ich-Erzähler an seine Geliebte, Jenny, unsicher darüber, ob sie ein Mensch oder ein Androide ist, denn in McEwans Welt ist es längst möglich, daß sich biologische und künstliche Lebensformen gemeinsam fortpflanzen und Kohlenstoff-Silizium-Babys in die Welt setzen. Die Grenze zwischen der alten, ›natürlichen‹ und der neuen, ›technischen‹ Welt ist verschwunden. Menschen treibt nun nicht mehr die Frage (oder sollte man besser sagen: die Sorge?) um, welchen ethnischen, religiösen oder sexuellen Hintergrund ein Individuum hat – nein, man möchte wissen – und zwar insgeheim wissen, denn diese Frage wird als politisch inkorrekt, beleidigend, gar verabscheuungswürdig angesehen –, ob das Gegenüber real, also echt, in diesem Sinne keine künstliche Imitation eines Menschen ist, sondern ein old school human being, wenn man so will.

Am 11. Januar 1844 schrieb Charles Darwin an seinen Freund, den britischen Botaniker Joseph Dalton Hooker: »Endlich hat sich ein Lichtstrahl gezeigt, und ich bin nahezu überzeugt (völlig entgegengesetzt zu meiner anfänglichen Ansicht), daß die Spezies nicht unveränderlich sind (mir ist, als gestände ich einen Mord).« Die Konsequenz seiner weltauflösenden Erkenntnis setzte Darwin mit einem Mord gleich, dem Mord am traditionellen Naturbegriff, der von gleichbleibenden Arten ausgegangen ist. Während Darwin Veränderungen bemerkte, die sich unsichtbar, weil in schier unendlich langsamem Tempo vollzogen haben, sind wir heutzutage mit Fortschritten konfrontiert, bei denen im Jahreswechsel ein Trend dem nächsten folgt, ein ›Mord‹ den anderen überbietet. Die hyperschnellen Veränderungen machen uns nicht weniger blind als es Darwins Zeitgenossen gegenüber der Veränderbarkeit der Spezies gewesen waren. Doch sind die Darwins unserer Zeit, die die technischen Mutationen weniger entdecken als sie vielmehr erschaffen, ebenso erschüttert und sich der Tragweite ihrer Kreationen bewußt, wie es der Evolutionsbiologe vor über anderthalb Jahrhunderten gewesen war?

Die Technik ist aktuell noch nicht so weit wie in McEwans libertärem Utopia (um einen Ausdruck zu verwenden, der dem des Physikers Max Tegmark nahekommt), als daß man sie nicht eindeutig als solche identifizieren könnte. Roboter und Künstliche Intelligenz werden als etwas Außerordentliches, also als etwas außerhalb der Ordnung Stehendes und sich Vollziehendes, betrachtet, etwas, das die Ordnung der Welt und den Menschen durcheinanderbringt und in Frage stellt, ihn allerdings nicht ermordet‹ – noch nicht! Damit einher geht ein Orientierungsverlust, gefolgt von einem Zwang zur Neuorientierung, der allzuoft in Panik ausartet, wenn man beispielsweise an all die Jobs denkt, die schon bald von Maschinen übernommen werden könnten. Daß Maschinen ihrer ursprünglichen Wortbedeutung nach als Finten‹ auf dem Gebiet des Theater- und Kriegswesens zum Einsatz kamen, entbehrt vor diesem Hintergrund nicht einer gewissen Ironie.

Es scheint, als stünden wir an einer Epochenschwelle kopernikanisch-darwinschen Ausmaßes: Wir leben in einer Zeit, in der sich einst fundamentale Gegensätze wie Natur und Technik, Mensch und Maschine, fact und fake/alternative facts, Intelligenz und künstliche Intelligenz, Realität und virtuelle/digitale/erweiterte Realität – kurz: real und not real, aufzulösen beginnen. Wenn wir ehrlich sind, ist der beinahe intime Umgang, den wir schon jetzt mit unseren technischen Gadgets tagtäglich pflegen, nicht sonderlich von McEwans Fiktion verschieden. So lockt uns das ständig expandierende Paradies der Technik mit allerlei Annehmlichkeiten und Entlastungen: Wir befragen unsere smarten Assistenten, lassen Algorithmen über unsere Entscheidungen bestimmen und optimieren unsere Körper mit Hilfe von Fitneß-Trackern. Siri ist unsere körperlose Jenny. Doch auch an diesem Defizit wird bereits mit Hochdruck gearbeitet: Sogenannte real dolls (welch schönes Oxymoron!) sollen dank Künstlicher Intelligenz das sexuelle Erlebnis noch echter, symmetrischer und schlicht menschlicher gestalten, als es herkömmliche Sex-Puppen tun könnten. John Danaher gab in einem Beitrag für Aeon zu bedenken: »In the coming decades, people will almost certainly be having relationships with more sophisticated robots, whatever we think about this. There is nothing intrinsically wrong with loving a robot, and some forms of human-robot love could complement and enhance human relationships. At the same time, some could be socially destructive, and it is important that they are anticipated and discouraged. The key question, then, is not whether we can prevent this from happening, but what sort of human-robot relationships we should tolerate and encourage.«

Daß technologische Errungenschaften nicht länger die mysteriöse, angsteinflößende Natur entzaubern und erklären, sondern nunmehr ihrerseits als unheimliche Gegennatur auftreten, drückt einerseits eine gewisse Sehnsucht und Lust des Menschen nach dem Unbegreiflichen aus, andererseits kämpft hier der homo technologicus mit Mutter Natur um den Titel der besten Ingenieursleistung. Dabei zählt der homo technologicus selbst schon zur überholten Gattung, der sich – vor allem dank der evolutionären technischen Meisterleistung der Hand – immer schon von der Natur zu distanzieren versucht hat, sei es durch prototechnische Steinwerkzeuge, sei es durch Feuerbeherrschung, sei es durch mannigfaltige Überlistung der Natur durch den panic room der Kultur. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari verkündete unlängst den Auftritt des homo deus, der Technik gottgleich zum Auslöschen von natürlichen Grenzen einsetzt: »War der Tod traditionell ein Fall für Priester und Theologen«, so Harari, »so übernehmen nun die Ingenieure. Wir können die Krebszellen mittels Chemotherapie und Nano-Robotern abtöten. Wir können die Keime in der Lunge mit Antibiotika bekämpfen. Wenn das Herz zu schlagen aufhört, können wir es mit Medikamenten und Elektroschocks wieder in Gang setzen – und wenn das nicht funktioniert, dann pflanzen wir eben ein neues Herz ein.« Harari präzisiert das Upgrade vom einfachen homo technologicus zum entfesselten homo deus, indem er drei Wege nennt, auf denen sich dieser Sprung vollziehen könne: »durch Biotechnologie, durch Cyborg-Technologie und durch die Erzeugung nicht-organischer Lebewesen.« Drei Finten also, mit denen wir Mutter Natur in Mutter Kreatur transformieren könnten.

»Wake me in a thousand years / When computers can shed tears« – Ob dieser Auftrag, den Sean Lennon und Charlotte Kemp Muhl im Jahre 2010 einem unbekannten Adressaten gaben, schon vor Ablauf einer Tausendjahrfrist erfüllt werden kann, würde Max Tegmark wohl verneinen. Der Mitgründer des Future of Life Institute macht in Leben 3.0, seinem wichtigen Beitrag zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz, voller Überzeugung den folgenden Vorschlag: »Wir Menschen haben unsere Identität darauf gebaut, Homo sapiens zu sein, die schlauesten Wesen ringsum. Während wir uns darauf vorbereiten, von noch schlaueren Maschinen gedemütigt zu werden, schlage ich vor, uns als Homo sentiens ein neues Image zu verpassen!« Nun, Jenny, die unmenschlich-menschliche Geliebte aus McEwans short story, mag ein künstliches Herz besitzen – der romantische Supergau schlechthin! –, doch scheinen ihre Gefühle real zu sein (sie ist durchaus fähig, zu lügen), und dasselbe gilt für den Ich-Erzähler, der Jenny »liebt und sie immer lieben wird«. Somit sind im Zukunftsszenario des Schriftstellers selbst Gefühle nicht mehr im Besitz der biologischen Lebensform homo sentiens, sie stellen kein Alleinstellungs- und Unterscheidungsmerkmal mehr dar, was die Frage »Are you real?« letztlich überflüssig werden läßt. McEwan fragt weiter: »What it meant to be human was being interestingly, or tragically, extended. If the consensus of the scientific elites was that our newly devised friends felt pain and joy and remorse, how could we prove it? We had been asking the same question about other humans since the dawn of philosophical reflection. Should we be troubled or delighted that they were, on the whole, cleverer, kinder, more beautiful than we were? Were the religious among us wrong to refuse to grant them souls?«

Trotz ihrer Gleichstellung mit dem Menschen, trotz ihrer Integration in sämtliche Bereiche der Gesellschaft bleibt die Andersartigkeit dieser fiktiven Androiden als mahnendes Stigma erhalten. Sie sind in gewisser Weise fiktiven Zombies, den lebenden Toten, nicht unähnlich. Zombies haben ihr Menschsein hinter sich gelassen; sie haben die Krone der Schöpfung abgelegt und sich diejenige der Zerstörung aufgesetzt. Dabei verkörpern sie ein Paradoxon: Die Angst vor dem Tod wird durch ihre Existenz sowohl aufgehoben als auch verstärkt. Ja, es gibt ein Leben nach dem Tod, aber es gestaltet sich keineswegs als ein paradiesisches, seliges, erstrebenswertes. Zombies sind zwischen den Welten Gefangene, sie sind (mit Michel Foucault gesprochen) Heterotopos-Bewohner, ewig-wandelnde Heterocorpora mit Dämmer- und Freßexistenz. Zombies üben Druck auf die von ihnen verlassene Spezies aus; ihretwegen muß sich der Mensch seiner Menschlichkeit bewußt sein und ihr gemäß handeln. Im 200. Jahr von Mary Shelleys Frankenstein; or, The Modern Prometheus beweisen uns Wissenschaft und Technik, daß uns der Roman aus düster-romantischer Ferne nunmehr als mögliche, vermeintlich positive Realität in unserer Gegenwart begegnet: wir sind umgeben von creatures und daemons, von Unbelebtem, das lebendig scheint. Der Anglist Elmar Schenkel weist in seiner lesenswerten Studie über die Interaktionen und Interdependenzen von Literatur und Wissenschaft darauf hin, daß »man den Roman immer wieder als Kritik an der Arroganz der Wissenschaft gelesen [hat], so dass Frankenstein zu einem kulturkritischen Begriff wurde wie der Golem, als Bild einer unkontrollierbaren Technik, der der Mensch, der sie erschuf, psychologisch und moralisch nicht mehr gewachsen ist.« Es bleibt festzuhalten, daß am Beginn jeder unkontrollierbaren Technik immer auch der unkontrollierbare Erfinder- und Entdeckergeist eines Menschen steht.

Während Zombies mit ihrer dumpfen, triebgesteuerten, vegetativen Existenz am einen Ende der Skala für Verwirrung sorgen, versetzt am anderen Ende Künstliche Intelligenz mit ihren atemberaubenden Fortschritten beim Gospielen, Chorälekomponieren oder in der Krebsdiagnostik die Menschheit in Angst und Schrecken. Marketing und Werbung sind bereits jetzt ein äußerst lukratives KI-Terrain, und schon bald wird es schlaue Roboter geben, die selbst lernen und sich somit selbst verbessern, sich also bilden können. Die verständliche und dringliche Forderung dieser Entwicklung, die von überall her und immer lauter tönt, heißt: Kindern so früh wie möglich das Programmieren beizubringen, damit sie als Schöpfer ihren Schöpfungen immer noch einen Tick voraus sein mögen. Dennoch: Das Neue bedeutet stets auch einen Zuwachs an Beunruhigendem. So ist etwa Honoré de Balzacs Medienparanoia berühmt: Er hatte Angst vor dem neuartigen Daguerre-Prozeß, da er glaubte, jede Photographie, die von ihm gemacht werden würde, löste eine Spektralschicht seines Körpers ab und bannte diese unwiederbringlich auf die Platte. Gustave Flaubert hingegen machte eine andere technische Erfindung nervös: Er berichtete im August 1864 seinem Freund Charles-Edmont Chojecki in einem Brief von seiner »kleine[n] Reise nach Villeneuve«, genauer: von seiner Fahrt dorthin: »Ich finde Eisenbahnfahrten so gräßlich, daß ich nach fünf Minuten vor Langeweile und Verdruß anfange zu brüllen. Die Leute glauben dann, daß es ein Hund sei, den jemand im Waggon vergessen hat; durchaus nicht, es ist Herr Flaubert, der stöhnt!« Und Pierre-Auguste Renoir war, laut eines Eintrages in Julie Manets Journal vom 28. September 1897, schlicht »gegen alle technischen Neuheiten, [...], wir lebten«, so der damals 56jährige Impressionist, »in einer Zeit des Kulturverfalls, in der man an nichts anderes mehr denke als daran, eine Menge Kilometer in der Stunde zurückzulegen; daß dies zu nichts nütze sei, daß das Automobil etwas Blödsinniges sei, daß kein Bedarf bestehe, sich so schnell fortzubewegen, daß dies alles nur der Ablenkung diene, daß für die Arbeit und den Handel die Konzentration in einer Richtung notwendig sei.«

Technik darf nie überwältigend sein. Sie muß zumindest immer den Anschein erwecken, sie wäre kontrollierbar. Was hätte Renoir wohl zum autonomen Fahren gesagt, bei dem Körper und Geist überflüssig sind? Im KI-gesteuerten Automobil ist der Mensch eine persona non grata; er wird zwar nicht der Fahrgastzelle verwiesen, jedoch seines Amtes als Lenker und Denker enthoben. Die Bezeichnung der neuen Technik ist dabei unglücklich, wenn nicht gar zweifelhaft. Daß das ›selbstfahrende Auto‹ inzwischen gemeinhin als Tautologie demaskiert und eliminiert zu sein scheint, öffnet den Raum für das ›autonome Fahren‹, das sich zwar weniger redundant, bei genauerem Blick allerdings umso brisanter erweist. »Autonomie« bedeutet im streng Kantischen Sinne »nicht anders zu wählen als so, daß die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien.« Aber was ist das (sittliche) Wollen des Fahrens, was seine ›Selbstgesetzgebung‹? Und können wir einem Automobil derartige Reflexionen überhaupt zutrauen? Kein Wunder, daß wir skeptisch sind, in ein Fahrzeug zu steigen, das sich autonom fortbewegen soll! Können wir ihm wirklich vertrauen? Is it real?

Die Intelligentwerdung der Welt scheint zunehmend in die Hände nichtbiologischer Regenten gelegt zu werden; diese arbeiten und rechnen schneller, präziser, doch vor allem fehlerresistenter und kostengünstiger als es ihre Kontrahenten vom Schlage homo sapiens tun könnten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Zahl der Unfälle und der Verkehrstoten dank smarter Fahrzeuge drastisch reduziert und auch den letzten Skeptiker vom Nutzen dieser wunderbaren Fortbewegungsart überzeugt haben wird. »The miracles worked by previous generations—they’re as ordinary as life itself«, heißt es in Ian McEwans »Düssel...«. Ja, wir leben wahrlich in wundervollen Zeiten, umgeben von technischer Magie, digitalen Kuriositäten und virtuellen Prothesen, die allerdings in Rekordzeit mit einer Patina des Gewöhnlichen und Veralteten überzogen werden; die Halbwertszeit des Neuen schrumpft mit jedem Upgrade. Wer will heute noch das iPhone des vorvergangenen Jahres? Als Goethe im August 1805 dem 75jährigen Gottfried Christoph Beireis und dessen berühmter Sammlung in Helmstedt einen Besuch abstattet, berichtet er das Folgende: »Gar manches von seinen früheren Besitzungen, das sich dem Namen und dem Ruhme nach noch lebendig erhalten hatte, war in den jämmerlichsten Umständen; die Vaucansonischen Automaten fanden wir durchaus paralysiert. In einem alten Gartenhause saß der Flötenspieler in sehr unscheinbaren Kleidern; aber er flötete nicht mehr, und Beireis zeigte die ursprüngliche Walze vor, deren erste einfache Stückchen ihm nicht genügt hatten. Dagegen ließ er eine zweite Walze sehen, die er von jahrelang im Hause unterhaltenen Orgelkünstlern unternehmen lassen, welche aber, da jene zu früh geschieden, nicht vollendet noch an die Stelle gesetzt werden können, weshalb denn der Flötenspieler gleich anfangs verstummte. Die Ente, unbefiedert, stand als Gerippe da, fraß den Haber noch ganz munter, verdaute jedoch nicht mehr: an allem dem ward er aber keineswegs irre, sondern sprach von diesen veralteten, halbzerstörten Dingen mit solchem Behagen und so wichtigem Ausdruck, als wenn seit jener Zeit die höhere Mechanik nichts frisches Bedeutenderes hervorgebracht hätte.« Hans Blumenberg kommentierte Goethes Bestandsaufnahme mit den Worten: »Die Wunder waren, an diesem Anfang des 19. Jahrhunderts, zum Plunder geworden.«

Aus der Plunderasche erheben sich phönixhaft neue Wunder, und die Differenz zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit wird bei diesem rasenden Produktionsprozeß immer geringer. Letztendlich kommt es darauf an, mit der so beunruhigenden neuen Technik vernünftig umzugehen in der Hoffnung, daß diese auch mit uns, dem biologischen Plunder, vernünftig umgehen wird. Nicht über das, was kommen wird, müssen wir uns Sorgen machen; wir müssen uns Gedanken darüber machen, was kommen sollte, und dieses Neue dann als real akzeptieren.

Verwendete Literatur

»AlphaGo versus Lee Sedol.« Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/AlphaGo_versus_Lee_Sedol.

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Geschrieben von

Nico Schulte-Ebbert

{πάθει μάθος.} Voyaging through strange seas of Thought, alone. (op. cit.)

Nico Schulte-Ebbert

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