Dass US-Präsident George W. Bush verstörende Ansichten hat, ist eigentlich nichts Neues. Liberale, Klimaschützer, Moslems, Pazifisten, sie alle können ein Lied davon singen. Vor zwei Wochen machte er sich weitere Freunde: In einem Gespräch mit Zeitungsreportern sprach er sich dafür aus, im Biologie-Unterricht an amerikanischen Schulen neben der Evolutionstheorie auch gleichranging die Hypothese des so genannten Intelligent Design zu behandeln. "Ich glaube, Teil der Erziehung ist es, den Menschen mit verschiedenen Denkschulen in Kontakt zu bringen", begründete er seine Äußerung.
Kreationismus light?
Der Aufschrei der naturwissenschaftlichen Gemeinde folgte prompt. Denn die Intelligent-Design-Hypothese (ID) ist nicht weniger als ein Frontalangriff auf die Grundlagen der modernen Biologie. Sie behauptet, dass die von Charles Darwin formulierten Grundprinzipien der Evolution, Mutation und Selektion durch die Umweltbedingungen, die Vielfalt des Lebens, wie es sich bis heute entwickelt hat, nicht erklären könnten. Stattdessen walte in der Evolution die Kraft eines intelligenten Designers - anders sei auch die ungeheure Komplexität irdischer Organismen nicht zu begründen.
In mehreren US-Bundesstaaten gibt es Vorstöße, ID im Schulunterricht zu etablieren, und an etlichen amerikanischen Universitäten bieten ID-Anhänger bereits entsprechende Workshops an. Wissenschaftler sehen in ID aber ein besonders perfides Trojanisches Pferd, mit dem die christlichen Fundamentalisten ihren Schöpfungsglauben ein für alle Mal in den Wissenschaftsbetrieb einschmuggeln wollen. Denn bei dem "Designer", so ihre düstere Vermutung, handele es sich nur um eine vernebelnde Umschreibung für Gott, und ID sei nichts als der Versuch eines "Kreationismus light" - also jener Lehre, nach der die Welt vor mehr als 6000 Jahren genauso erschaffen worden sei wie in der Bibel beschrieben.
Hatte man den Kreationismus einfach noch als vorsintflutliches Weltbild abtun können, verhält es sich mit ID etwas komplizierter, denn seine Verfechter argumentieren streng wissenschaftlich. "Im Gegensatz zum Kreationismus stellt Intelligent Design keine Anforderungen an irgendeine Schöpferintelligenz, die für das Fine-Tuning des Kosmos und die biologische Komplexität verantwortlich ist. Die Theorie argumentiert einfach, dass bestimmte endliche Objekte Muster zeigen, die überzeugend auf eine intelligente Ursache deuten", betont William Dembski, einer der führenden Vertreter der Bewegung. Tatsächlich handelt es sich bei den ID-Theoretikern diesmal nicht schlicht um christliche Realitätsverweigerer, sondern auch um Biologen, Mathematiker und andere Forscher, die ihr wissenschaftliches Handwerk an Universitäten gelernt haben. Nehmen wir das Phänomen also für den Augenblick ernst: Was behauptet die Intelligent-Design-Hypothese, und kann sie das Etikett "Wissenschaft" für sich beanspruchen?
Anomalien und Verzerrungen
Der Frontalangriff auf die neodarwinistische Evolutionstheorie richtet sich nicht gegen das Faktum der Evolution selbst. "Die Frage ist nicht, hat es evolutionäre Veränderung gegeben, sondern: Was verursacht die Veränderung?" schreiben William Harris und John Calvert vom ID Network in einem Überblick über die ID-Hypothese. Jedenfalls, so die Behauptung, nicht zufällige Mutationen und die Selektion derer, die sich am besten an eine sich verändernde Umwelt anpassen.
Als "Beweis" werden drei Argumente ins Feld geführt. Erstens fehlten zahlreiche Fossilien, die die Veränderung von Arten lückenlos belegen. Zweitens sei eine Evolution im Darwin´schen Sinne bislang weder beobachtet noch im Experiment demonstriert worden. Und drittens seien Organe wie das Auge oder das Flagellum, ein propellerartiger Schwanz, der Bakterien antreibt, "irreduzibel" komplex. Das bedeutet, dass diese Organe nur dann funktionieren können, wenn gleichzeitig alle Einzelteile vorhanden sind. Eine graduelle Entwicklung, bei der nach und nach Teile hinzukommen, sei unmöglich, weil etwa ein unvollständiges Auge nicht gut genug funktioniere, um einem Lebewesen einen Vorteil im Konkurrenzkampf mit anderen Arten zu bieten.
Solche Erklärungslücken hat der Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn "Anomalien" einer Theorie genannt. Diese Anomalien können im Verlaufe der Forschung so übermächtig werden, dass die vorherrschende Theorie sie nur noch mit zahlreichen Hilfshypothesen erklären kann, die in der Theorie ursprünglich nicht enthalten sind. Gibt es eine Alternative, die die Anomalien aus einem Guss heraus erklären kann, wird sie die alte Theorie - nicht ohne harte Auseinandersetzungen in der wissenschaftlichen Gemeinde - schließlich ablösen.
Die ID-Verfechter behaupten nun, dass nur die schöpferische Kraft eines intelligenten Designers die drei "Anomalien" der neodarwinistischen Evolutionsbiologie beseitigt. Er entfaltete einen Plan in der Evolution, der neue Arten und komplexe Organe jedes Mal quasi auf einen Streich hervorbringt. Dass bislang keine fossilen Zwischenschritte gefunden werden konnten, ist für die Anhänger des ID nur logisch: Es gibt sie nicht.
Dabei blendet die scheinbar bestechende Einfachheit - vorab ein Zeichen für eine gute Theorie - gegenüber der "komplizierten" neodarwinistischen Evolutionstheorie allerdings bedeutende Entdeckungen der letzten Jahre einfach aus. So gibt es sehr wohl Belege für neodarwinistische Evolution in Aktion. Als Beispiel nennt der Konstanzer Evolutionsbiologe Axel Meyer den Viktoriasee in Ostafrika, der vor 14.000 Jahren fast ausgetrocknet war. "Seitdem sind dort rund 500 Fischarten entstanden, die sich in 14.000 Generationen entwickelt haben und nur dort vorkommen." Meyer verweist außerdem auf das junge Forschungsgebiet der experimentellen Evolutionsbiologie. In Bakterienkulturen könnten inzwischen Veränderungen über eine Spanne von bis zu 50.000 Generationen beobachtet werden.
Die jüngsten Erkenntnisse der Genomik werfen ebenfalls ein neues Licht auf den Fortgang der Evolution. Schon in den siebziger Jahren fand man heraus, dass von Zeit zu Zeit in manchen Arten eine so genannte Verdoppelung des Genoms auftritt. Die Gene der Kopie haben zunächst die gleiche Funktion, bilden gelegentlich aber neue Proteine, die ganz neue Körperfunktionen hervorbringen, mit denen sich eine mutierte Art besser an neue Umweltbedingungen anpassen kann. "Einige Evolutionsbiologen glauben, dass die großen Sprünge in der Evolution durch diese Genomduplikation ermöglicht worden sind", sagt Axel Meyer. Das würde erklären, warum es keine lückenlose Kette gibt, die sich allmählich verändert.
Veränderungen müssen allerdings nicht unbedingt durch ein komplexes Genmuster ausgelöst werden. Mitunter könne, so Meyer, schon der Funktionswandel eines einzigen Gens eine entscheidende Anpassung bewirken. So hat man bei Fischen im antarktischen Ozean ein Gen entdeckt, das eine Art Frostschutzprotein erzeugt, das den Fischen in wärmeren Meeren fehlt. Computersimulationen wiederum haben gezeigt, dass selbst ein komplexes Organ wie das Auge durch einen evolutionären Prozess über sehr viele Generationen entstehen kann.
Herrschaft der weißen Mäuse
Was also leistet die Intelligent-Design-Hypothese? Eine neue wissenschaftliche Theorie muss, folgt man dem Philosophen Imre Lakatos, ein konkretes Forschungsprogramm mit experimentellen Tests vorlegen, mit dem sie nicht nur die vermeintlichen Anomalien der älteren Theorie erklären kann, sondern auch die gut verstandenen Fakten. In beiden Fällen hat ID nichts zu bieten. "Intelligent Design kann nicht erklären, warum 99,9 Prozent aller Arten, die es in der Erdgeschichte gegeben hat, wieder ausgestorben sind", kritisiert Meyer. "Dies ist nicht nur kein Problem für die darwinistische Evolutionstheorie, sie sagt das sogar voraus."
Auch kann ID bislang keine Experimente nachweisen, in denen sich ein Designer offenbarte. Zwar hat etwa William Dembski den Entwurf eines Forschungsprogramms vorgelegt. Doch darin finden sich nur Aufforderungen, analog zu den Ingenieurwissenschaften Simulationsverfahren zu entwickeln, mit denen das Wirken eines Designs am Computer demonstriert werden könnte.
Analogien bemühen die ID-Forscher auch in anderer Hinsicht. So verweisen sie auf verschiedene Forschungsgebiete, die sich explizit mit dem Aufspüren eines "Designs" befassen. Die forensischen Wissenschaften beispielsweise, die Archäologie, die Steganographie (die Lehre von der verborgenen Übermittlung von Informationen/Red.) suchten nach Spuren menschlichen Wirkens. Doch auch dieser Vergleich hinkt, denn bei den untersuchten Artefakten ist von vorneherein bekannt, dass sie von Menschen stammen, wohingegen ID ja erst zeigen muss, dass die Evolution ein Artefakt ist - sie setzt es aber immer schon voraus.
Als vermeintliche Komplizen müssen auch Physiker wie Paul Davies herhalten: "Es scheint, als habe jemand die Zahlen der Natur feinjustiert, um das Universum zu erzeugen", zitiert Dembski den Briten zu Unrecht. Denn in der Physikerzunft herrscht Einigkeit darüber, dass die Spekulation über den Ursprung dieser Werte reine Metaphysik ist und in einem Forschungsantrag nichts zu suchen hat, so intellektuell anregend sie auch sein mag.
Bleibt noch das logische Wissenschaftlichkeitskriterium. Eine Theorie muss nach Karl Popper eine entscheidende Beobachtung angeben können, die sie "falsifiziert", also widerlegt. Auf die Frage, wie ID zu falsifizieren wäre, antwortet Dembski: "Es würde reichen, wenn Wissenschaftler ein detailliertes nachprüfbares Modell anbieten, wie mittels des Darwin´schen Mechanismus von Selektion und Mutation irreduzibel komplexe Systeme wie das Bakterienflagellum geschaffen werden können."
Das aber bedeutet: ID ist dann widerlegt, wenn die Darwin´sche Evolutionstheorie bewiesen ist - nach Popper eine logische Unmöglichkeit. Wie es aussieht, ist ID keine Wissenschaft, sondern bestenfalls Metaphysik, die nicht plausibler, dafür aber lange nicht so originell ist wie die Idee des britischen Schriftstellers Douglas Adams. In seinem legendären Buch Per Anhalter durch die Galaxis entpuppt sich die Erde als riesiger kosmischer Computer, über den der intelligente "Designer" höchstpersönlich wacht - in Gestalt weißer Mäuse.
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