Von Nord nach Süd - von Ägypten über den Sudan, Äthiopien, Kenia und Sansibar bis nach Malawi und Südafrika führte der Trip durch den Schwarzen Kontinent, der während der vergangenen Wochen in unserer Serie nachgezeichnet wurde. Mit diesem Text beenden wir den Reportage-Zyklus von Niels Boeing, der nicht nur unterwegs sein wollte - wie er rückblickend schreibt - um den authentischen Kulturen eines fremden Kontinents näher zu kommen. Für ihn war diese Tour auch eine Chance, "weiter zu sich selbst vorzudringen".
Die sechs Mädchen der Xhosa-Tanzgruppe haben gerade ihre routinierte Vorstellung beendet und die Spenden der Traveller eingesammelt, als zwei Küchenjungen hinten in der Ecke zu trommeln beginnen. Einfach so. Mit ernsten Gesi
Mit ernsten Gesichtern schlagen sie einen schnellen, harten Beat. Sie lächeln nicht, noch schauen sie nach rechts oder links. Und während die Afrika-Reisenden sich ringsum einmal mehr Auskunft über ihren mentalen Belagerungszustand geben, dringen die Trommelschläge langsam ins Bewusstsein vor. "This is Africa", tönen die Trommeln, und es klingt plötzlich ganz anders als diese Generalentschuldigung, die immer dann zu hören ist, wenn auf diesem Kontinent nichts klappt.Der Beat verwandelt sich in ein Statement, und ich glaube es plötzlich zu verstehen: ein trostloses Leben ohne Möglichkeiten ist das hier in der südafrikanischen Provinz an der Wild Coast, durch das euphorische und verständnislose Touristen aus Übersee stolpern. Ein Leben, in dem das Erbe von Kolonialismus und Apartheid wie eine schwere graue Wolkendecke auf die Stimmung drückt, in dem die Moderne nur im Fernsehen existiert, ein Tsunami der Normalfall ist und AIDS eine dumpfe Plage, über die man nicht sprechen kann. Es ist, als ob der Rhythmus einen Film in meinem Kopf auslöst. Die Jungen trommeln alles raus, wischen sich mit dem Jackenzipfel den Schweiß von der Stirn. Ihr Südafrika hat nichts mit dem gemein, um dessentwillen Europäer seit Jahren in Scharen anreisen.Die beiden sind nicht allein mit ihrem Frust. Auch Matthew, gebürtiger Kapstädter und Anfang 30, den wir mit dem Auto von den Bergen an die Küste mitgenommen haben, scheint mit seinem Leben hier unten über Kreuz zu sein. "Ich beneide euch Europäer", sagt er langsam, in seiner verwirrten Art, und man fürchtet fast, er könnte in der nächsten Minute seinen Namen vergessen. "Ihr fahrt einfach ein paar hundert Kilometer, dann seid ihr in einer anderen Kultur mit einer anderen Sprache." Ein schwarzer Südafrikaner würde darüber nur den Kopf schütteln, denn genau das treffe ja auf Südafrika mit all seinen Kulturen und Sprachen zu.Vielleicht liegt es daran, dass Matthew weiß ist, Muttersprache Englisch. Vielleicht daran, dass er dem Punk nachtrauert, den er hier nicht erlebt hat. Er stellt ihn sich wohl wild und aufregend vor, weit weg vom Mief des weißen Südafrika. Noch jemand, der sich von der Apartheid betrogen fühlt. Die erste Ankunft hoch oben im Norden hat ihn damals überwältigt. "Ich kannte Europa nur aus Filmen, ich habe all die Bilder im Kopf gehabt, lange vorher. Aber dann wirklich da zu sein, war unglaublich." Worte, mit denen sonst Europäer ihren ersten Trip in die USA beschreiben.Die wiederum sehen im Südafrika nach dem Ende der Apartheid nur ein aufregendes Spiegelbild von Europa südlich des Äquators. Aber ursprünglicher: mit schrofferen Bergen, leereren Stränden, lieblicheren Tälern, mit Wüsten, Savannen und wilden Tieren. Das neue Paradies für Geschäftemacher und Sonnenanbeter. Die Schwarzen Südafrikas tauchen hier nur als dienstbare Geister oder als diffuse Masse im Hintergrund auf, die Tag für Tag Schlagzeilen überbordender Kriminalität in den Tageszeitungen produziert.Doch es gibt ein anderes Südafrika, jenseits von Naturspektakel und Hilflosigkeit. Eine Ahnung davon erhaschen wir eines Abends in einer ungeteerten Gasse im Walmer Township in Port Elizabeth. Msolisi Quza, der Guide, hat uns vor einer Wellblechkneipe - einer "Shebeen" - abgesetzt. "Just relax and have a beer", sagt er und fährt davon, um den geliehenen Minibus zurückzugeben. Für einen eigenen Wagen fehlt ihm das Geld.Ein paar Männer empfangen uns gut gelaunt und bieten uns die beiden Ehrenplätze vor einer rohen Hauswand an: zwei alte Gartenklappstühle. Hunde schnüffeln und springen an uns hoch, wildes Händeschütteln ist angesagt. Dreimal, wie in Afrika üblich: für "peace, rain, prosperity".Topla, ein Rastamann mit Musketierbart und Schlapphut, und seine Freunde sind so erfreut über die ungewöhnlichen Gäste, dass sie uns gleich eine riesige Flasche Castle Lager in die Hand drücken. Jeder, der vorbeikommt, bleibt mit einem strahlenden Lächeln stehen und begrüßt uns. Einer ist Winston, ein junger Typ ohne Schneidezähne. In seinem weißen Fußballtrikot hebt er zu einem Vortrag über Gott an und steigert sich in ein wüstes Pathos hinein. Dass Gott nun einfach in allem sei. Er ist kaum noch zu bremsen. "Auch in Autounfällen?" sticheln wir, denn inzwischen müssen alle über diese Predigt grinsen. Und während die Sonne hinter den Bäumen am Rande des Townships untergeht, reden wir über Südafrika, Europa und die neue Zeit. "Wir sind alle Menschen, all das Gerede über Hautfarben ist nur Ideologie", sagt Topla und bietet uns Zigaretten an.Was anderswo wie eine Floskel klingt, hier ist es der Geist des Augenblicks in einem Township, das als einziges in Port Elizabeth zwischen weißen Vororten den Bulldozern des Apartheid-Regimes standhielt und heute 60.000 Einwohner unter den Flutlichtmasten zählt. Straßenlaternen waren den bürgerlichen Wohngegenden vorbehalten. Das Ghetto hingegen sollte gut ausgeleuchtet sein, wenn Unruhen niedergeschlagen wurden.In vielen Straßen sind die Wellblechhütten bereits den einfachen Wohnhäusern des "Reconstruction and Development Programme" gewichen. 28.000 Rand pro Haus (etwa 3.500 Euro) lässt sich die Regierung die Modernisierung der Townships kosten. Die neuen Häuser würden den Bewohnern innerhalb von zwei Wochen auf ihren Grundstücken errichtet, ohne dass die irgendetwas zurückzahlen müssten, meint Msolisi Quza. In einem Abschnitt werden gerade 300 zweigeschossige Häuser für schwarze Universitätsabsolventen gebaut, die darin mietfrei wohnen können, bis sie ihren ersten Job gefunden haben. Ob nicht die Gefahr bestehe, dass die Häuser dann verwohnt würden, wenn niemand dafür zahlen muss, fragen wir Msolisi. Er runzelt nur die Stirn und wundert sich über unser geringes Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein der Leute aus den Townships. Diese Frage stellt sich für ihn nicht. Hier wollen sie endlich etwas aus ihrem Leben machen.Bis 2010 will die südafrikanische Regierung sämtliche Hüttendörfer an den Rändern der Großstädte in ordentliche Stadtteile verwandeln. Selbst wenn es erst bis 2015 dauern sollte, dieser Kraftakt ist beeindruckend. Wir fragen uns, warum die Regierungen in anderen afrikanischen Staaten nicht auch so energisch sind. Warum passiert dergleichen nicht in Nairobi? - denken wir laut nach. Darüber wundert sich auch Msolisi: "Die anderen Länder sind lange vor uns unabhängig geworden."Als er hört, dass ich Journalist bin, wird Topla neugierig. Ob ich wüsste, dass es in Afrika eine uralte Wissenschaft gebe, die von der Welt bisher ignoriert worden sei. Ich kann ihm nicht ganz folgen, als er mich fragt: "Kennst du das Dreieck des Todes?" Dort hindurch würden wir alle irgendwann in die andere Welt hinübergehen, über die leider keiner berichten könne, weil noch niemand zurückgekommen sei. "Und weißt du, dass unter den Ozeanen und Flüssen andere Seelen leben?" meint er mit geheimnisvollem Blick.Juice, an diesem Abend der Bedächtigste in der Gruppe, war einmal sieben Wochen in Norddeutschland. Was ihn dort am meisten verblüffte, waren die Fußgängerzonen. "Mitten in der Stadt fahren keine Autos, alle gehen oder sind mit dem Fahrrad unterwegs." Das sei ziemlich verrückt für ihn gewesen, meint er. Dann sagt Juice plötzlich auf Deutsch "auf geht´s", das Essen bei Msolisi sei fertig, und wir brechen auf. Ein älterer Mann bittet um eine der noch nicht geleerten Bierflaschen. Ich will sie ihm in die Hand drücken, doch Topla winkt ab. Der Mann sei schon zu betrunken und zu gierig. "Ich bin in einer chaotischen Situation geboren worden, ich kläre das", sagt er und redet ernst auf den Älteren in einer Sprache mit vielen Klicklauten, vielleicht Xhosa, ein.Die Apartheid-Ghettos als "chaotische Situation" zu umschreiben, fordert schon viel Selbstironie und Stärke. Alle, die wir an diesem Abend treffen, bekräftigen, die Apartheid-Zeit sei hart, sehr hart gewesen. Aber sie sagen es ohne Bitterkeit, weil sie merken, dass es vorwärts geht. Auch für sie. Was hier und jetzt zählt, ist der Aufbruch.Wie anders sieht das Südafrika der Prospekte am Kap der Guten Hoffnungen aus. Im Schatten des Tafelbergs geht es zuerst um Spaß, neudeutsch "Fun". An den Stränden tummeln sich Surfer, Gutbetuchte und Wellness-Fanatiker aus aller Welt, und nachts zieht die Meute in die Long Street im Zentrum. Eine Partymeile, auf 300 Meter komprimiert. Die Bars und Lounges unterscheiden sich nicht von denen in Berlin, London, New York. Auf diesem Game Drive der Nacht heißt es trinken und feiern bis zum Umfallen. Nichts für nachdenkliche Gemüter."Kapstadt ist vor allem schön", sagt Neo Muyanga, ein Jazz-Musiker, mit einem Augenzwinkern, als wir ihn abends auf ein Glas Wein treffen. "Aber es hat keine Ecken und Kanten wie Johannesburg." Zu Apartheid-Zeiten habe man hier den Ruf gehabt, eine Stadt für wohlhabende - und das heißt: weiße - Ruheständler zu sein. Aber langsam befreie es sich von dem alten Geld. Neo, der aus Soweto stammt, gehört zu einer neuen Generation von Intellektuellen, die gerade aus dem rauen Johannesburg ans Kap ziehen und die Stadt verändern wollen. Er wohnt einen Steinwurf von der Long Street entfernt in einer umgebauten Büroetage. Auf dem Boden, an die Wand gelehnt, stehen Bilder von Freunden, die er hier ausstellt. Nebenan hat er sein eigenes Tonstudio. Und plötzlich ist sie wieder da, diese positive Energie.Aber sie ist nicht nur ein schwarzes Ding. Auch viele Weiße, vor allem jüngere, hat sie angesteckt. Sal, eine junge Südafrikanerin mit irischen Vorfahren, ist eine von ihnen. Keine Spur von der latenten Depression, die Matthew plagte. "Mir ist Europa zu geordnet, zu aufgeräumt", sagt sie. Ihr fehlten dort all die verschiedenen Kulturen, die hier in den Städten auf engstem Raum zusammen leben. "Ich liebe dieses Durcheinander in Südafrika, alles ist bunter. Es gibt kein Land, in dem ich lieber leben möchte."Der komplette Reisebericht unter www.nosleeptillkapstadt.deDer Reportage-Zyklus Afrika-Reise im "Freitag""Archen der Traurigkeit und der Technologie" Kein Haus, kein Baum, kein Tempel - von Assuan nach Addis Abeba Freitag 32/05 vom 12. 8. 2005"Warten ist ein falsches Wort" Unterwegs in die Zukunft des globalen Kapitalismus - von Arba Minch nach Nairobi Freitag 34/05 vom 26. 8. 2005"Bei Doktor Viwanda lacht das Glück" Malawi oder die Balance zwischen Chemie und Magie - von Pangani nach Nkhata Bay Freitag 35/05 vom 2. 9. 2005
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