Ein Stadtteil kommt nicht zur Ruhe

Leipzig Wieder Schüsse, diesmal ein Toter. Die Eisenbahnstraße gilt bei vielen Leipzigern als Brennpunkt. Doch stimmt dieses Klischee?

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Die Leipziger Eisenbahnstraße gilt bei vielen als Problemzone. Wenn sie in den Medien auffällt, dann doch meist durch Schießereien, Messerstechereien und Gruppen, die sich Massenschlägereien liefern. Dabei geht schon fast unter, dass diese Gegend in Leipzig als Hauptumschlagplatz von harten Drogen und der damit verbundenen Probleme gilt. Dabei macht dieser Stadtteil einen rasanten Wandel durch.

Samstag Nachmittag in der Eisenbahnstraße. Etwa 20 Mitglieder der Hells Angels sollen sich an einem Eisladen rumtreiben und dort erfrischen. Sofort fällt die Männergruppe hier auf. Passanten rufen offenbar die Polizei. Diese rast zur Szenerie und versucht laut offiziellen Angaben eine Gefährderansprache zu halten. Schließlich gilt diese Gegend Szenekennern als Gebiet der aufsteigenden migrantischen Streetgang "United Tribunes". Sie erheben in diesem Teil von Leipzig einen Anspruch und lassen auch nicht lange auf sich warten. Als sie auftauchen fallen Schüsse. Wer geschossen hat ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar, aber fest steht, einer von ihnen ist nun tot. Laut Medienangaben wird ein Prospect der United Tribunes vor Ort wiederbelebt, verstirbt aber kurze Zeit später im Krankenhaus. Offenbar soll der Vizepräsident der United Tribunes Leipzig ebenfalls verletzt worden sein. Das Krankenhaus wird seitdem von Polizeikräften bewacht.

Schon zwei Wochen zuvor kam es hier zu einem Großeinsatz der Leipziger Polizei. Dabei fuhren sie groß auf: Schwer bewaffnete Einheiten, vermummt, ein Polizeihubschrauber brummte über den Dächern. Mehrere Gruppen waren offensichtlich aneinandergeraten. Für das Viertel mal wieder ein Spektakel. Sofort versammelten sich unzählige Anwohner an den Polizeiabsperrungen.

Neben den Polizeieinsätzen befindet sich das Stadtviertel in einem rasanten Wandel. Die Drogenszene scheint sich weiter stadtauswärts zu verlagern. Bereits jetzt ist das Rabet, ein Stadtpark, direkt angrenzend an die Eisenbahnstraße, beliebter Platz für Studenten und Alternative. Sie tummeln sich auch gerne am Wochenende vor den inzwischen aus dem Boden sprießenden Galerien und Szenebars.

Es scheint, als sei die Gentrifizierung im Leipziger Osten mit großer Fahrt angekommen. Die ersten Billigläden tauschen sich bereits gegen schickere Bars und Cafés aus. Aber auch in den Nebenstraßen ist von einem Problemkiez wenig zu sprüren. Fast schon spießige Straßenzüge bilden sich heraus. Die Schluchten von unrenovierten Häusern aus den Neunziger Jahren sind nun ausgewechselt durch komplettsanierte Häuser. In den Sommermonaten finden auf Plätzen der Umgebung Strassenfeste und Konzerte statt.

Das ist die eine Seite der Medallie. Die andere ist ein größtenteils von prekären Menschen geprägter Stadtteil. Billig Discounter wie "Im Angebot" boomen. Hier gibt es nur noch kurz haltbare Lebensmittel zu Kampfpreisen. Dieser Discounter macht sogar dem Aldi-Markt um die Ecke Konkurrenz. Spielhallen und Eckkneipen prägen das restliche Bild. Wer sich das nicht mehr leisten kann, besorgt sich ein dutzend Bier und Billigschnaps und säuft in den umliegenden Parkanlagen. Wer jünger ist, hängt am Crystal Meth und streunert aggresiv durch die Gegend auf der Suche nach Altmetall und Gelegenheiten zum Fahrradklau. Beschaffungskriminalität, eher ein soziales Problem. Hier sind es eindeutig die abgehangenen Deutschen die das Bild prägen. Auch wenn Legida und Anhänger in der Eisenbahnstraße hauptsächlich die sogenannte Ausländerkriminalität bestätigt sehen, Stress machen hier meist Deutsche. Es scheint, hier ist der sogenannte Wutbürger zuhause. Fühlt sich abgehangen, ist mies drauf, an allem sind die anderen Schuld.

Die Migranten die den Stadtteil prägen sind meist mit sich beschäftigt, betreiben Kleingewerbe und wer nicht arbeiten darf hängt auf der Straße rum. Das ist hier nicht anders als in Berlin, Köln oder Hamburg. Konflikte werden meist untereinander gelöst. Wenn es zur Sache geht, dann allerdings auch nicht zimperlich.

Den Leipzigern gilt die Ecke weiterhin als Schmuddelecke. Wärend die Jugendlichen der Stadt hier bereits zum Party machen vorbeikommen, trauen sich die meisten bestenfalls beim durchfahren mit dem Auto oder Strassenbahn durch die Strasse. Dem entgegenwirken sollte ein Polizeiposten der Leipziger Polizei, untergebracht im örtlichen Quartiersmanagement. Dieser wird allerdings vor Ort eher belächelt, da er bereits um 16 Uhr zu macht und bei Insidern eher als PR Maßnahme gilt.

Die erneute Schießerei mit Todesfolge wird sicher nicht unbeantwortet bleiben. Weder bei den Beteiligten, noch bei den Behörden. Letztere versuchen seit Monaten mit Razzien und Großkontrollen Unruhe und Ermittlungserfolge zu generieren. Die Leipziger Polizei spielt in diesem Stadtteil präventiv allerdings eher eine untergeordnete Rolle. Leipzig gibt sich gerne den Anstrich einer Großstadt. In der Eisenbahnstraße ist sie es vielleicht sogar.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niels Singer

freelance photographer & journalist

Niels Singer

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