Bewahrt euch die Freiheit

Helmrecht! Jeder Mensch sollte die Möglichkeit zum Schutz des Kopfes haben, keiner die Pflicht
Ausgabe 05/2021

Jede Debatte ist ein Kind ihrer Zeit, und so überrascht es wenig, dass der Verkehrsgerichtstag im Januar 2021 über eine Helmpflicht für Radfahrende diskutiert. Dabei ist es nicht so, dass neue Studien oder der technische Fortschritt die Ausgangslage verändert hätten. Ja, moderne Räder erlauben eine schnellere Fahrt. Elektrische Autos sind leiser unterwegs und damit bisweilen gefährlicher. Andererseits gibt es in Städten immer mehr und schärfere Tempolimits und bessere Radwege. Bald werden Abbiegeassistenten für Lastwagen Gott sei Dank zur Pflicht. Eine Pattsituation.

Zugleich gibt es keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, dass Helme die Folgen schwerer Unfälle reduzieren können. Das war so, ist so und wird so bleiben. Diese Debatte ist auf der praktischen Ebene nicht zu lösen.

Corona hat viele unschöne Phänomene verstärkt. Politiker behandeln Erwachsene wie schwer erziehbare Kinder – dieser Eindruck entsteht nicht, weil sie notwendige Maßnahmen verkünden, sondern wegen des Tonfalls, in dem sie dies tun. Die Popularität des kommenden Kanzlers in spe Markus Söder beruht nicht zuletzt auf seiner Väterlichkeit, seinem Hang, offensichtliche Dinge besonders langsam und belehrend vorzutragen. Viele Menschen scheinen das zu mögen. Aber ein Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger entmündigt, wird diesen so wenig einen Gefallen tun wie Helikoptereltern ihren Kindern.

Dabei ist es nur zu deutlich, dass mit dem staatlichen Vordringen in immer weitere Lebensbereiche etwas viel Gravierenderes kaschiert werden soll. Die großen, entscheidenden Fragen unserer Zeit, also die Globalisierung, die soziale Frage sowie der Klimawandel, werden von den Regierenden entweder gar nicht angegangen oder es geht nur in Tippelschritten vorwärts. Dafür reguliert der Staat immer weiter ins Private hinein. Wer schon arbeitslos durch städtischen Smog zum Amt radelt, soll dabei doch bitte einen Helm tragen. Man muss nicht erst polemisch fragen, wann die Helmpflicht für Fußgänger kommt, um eine immer weiter reichende Entmündigung abzulehnen.

„Wir mäßigen uns maßlos“, lautet ein Aphorismus des Philosophen Robert Pfaller. Eine treffende Beschreibung der Gegenwart. Allein der Gedanke, jemandem, der nicht man selbst ist, seine Selbstgefährdung zu verbieten, entstammt einer zutiefst undemokratischen Tradition. Natürlich existieren bereits zahlreiche solche in Gesetze gegossene Ideen, etwa die Gurtpflicht im Auto, aber das macht es nicht besser. Es gibt schließlich auch keinen vernünftigen Grund, warum Menschen Motorradfahren oder die Glühbirne zu Hause im Bad selbst wechseln dürfen. Schwere Unfälle im eigenen Haushalt sind für fünfstellige Todeszahlen verantwortlich – dagegen sterben auf dem Rad weniger als 500 Menschen pro Jahr. Jeder Mensch sollte das Recht auf einen Helm haben. Aber niemand die Pflicht.

Es gibt in Deutschland zahlreiche Freiheiten, die anderswo nicht existieren. Auf der Autobahn so schnell zu rasen wie man will, draußen mit einem offenen Bier herumzulaufen oder sich ohne größere Konsequenzen mit einem Joint erwischen zu lassen – all das geht in den allermeisten Ländern der Welt nicht. Dafür werden die vergleichsweise laschen Regeln hierzulande recht rigide durchgesetzt. Wer schon mal längere Zeit in einem Land verbracht hat, in dem der Staat rigide Regeln kaum durchsetzt und die Menschen sich eine asoziale Version persönlicher Freiheit einfach nehmen, wird dieses Modell kaum für das bessere halten.

Befragungen zeigen, dass die meisten Menschen eine Helmpflicht ablehnen. Die Debatte ist, wie gesagt, ein Kind ihrer Zeit. Man sollte sie nicht allzu hoch hängen. Kinder können Gefahren schließlich schlecht einschätzen.

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Lesen Sie hier das Pro-Argument von Sebastian Puschner zu diesem Artikel

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