Die sanfte Rechte

Reportage Das neue „Hambacher Fest“ ist nicht der erste Versuch, Extremisten salonfähig zu machen. Der Hass versteckt sich hier gut zwischen lauter netten Rednern
Ausgabe 24/2019

Zuweilen wäre es nur allzu interessant, sich in den Kopf eines anderen Menschen zu begeben. Etwa in den des Mannes, der am frühen Abend des 7. Juni unweit des Hambacher Schlosses frisch verheiratet am Wegesrand steht. Neben ihm lächelt seine Frau, in Weiß. Sie sieht, auf den ersten Blick, biodeutsch aus, er nicht. Über ihnen zieht der Himmel zu, dramatisch Schwarzblau, als hätte er zeitnah was vor.

Dann kommt Deutschland. Deutschlandfahnen, Deutschlandhüte, Deutschlandbegeisterung. Schwarzrotgold überall. Mehrere hundert Menschen ziehen vorbei, Frauen und Männer, von denen einer wenige Minuten zuvor einem anderen ohne jede Ironie in seiner Stimme erzählt hat, dass Muslime die Leichname ihrer Gattinnen penetrieren würden, „bis fünf Jahre nach deren Tod machen die das!“

So schaut der Bräutigam auf diese Prozession wie ein Mann, der zum ersten Mal länger als fünf Minuten in seinem neuen Haus verbringt und merkt, dass die nahe Bahnstrecke entgegen anders lautender Versprechen noch in Betrieb ist. Alles wackelt, ruckelt, scheppert. Worauf habe ich mich da eingelassen?

Im zweiten Jahr hintereinander steigt an diesem Tag das „Neue Hambacher Fest“. Neben der „Patriotenwanderung“ zum Schloss besteht es aus dem „Kongress für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, der tags darauf stattfindet. Initiator der Veranstaltung ist Max Otte. Fondsmanager, CDU-Mitglied und AfD-Sympathisant, der auch die AfD-nahe Erasmus-Stiftung leitet. „Wenn das, was wir hier machen, Rechtspopulismus ist, dann ist es das eben!“, ruft Otte seinen Mitstreitern dieser Tage einmal zu. Stürmischer Applaus.

Es ist eine schwierige Frage, was genau Otte und seine Leute in der Pfalz treiben. Sicher ist, dass sie sich ständig auf das historische Hambacher Fest 1832, Höhepunkt des bürgerlichen Widerstands gegen die Restauration, beziehen, es kapern. Sicher ist ebenfalls, dass viele eine innige Beziehung zu ihrem Vaterland pflegen, vorzugsweise als Flagge mit sich geführt. Kaum 20 Meter kann Patriot oder Reporter laufen, ohne Deutschland in die Fresse zu kriegen.

Die Mitläufer selbst erklären während der Wanderung, dass sie die Freiheit verteidigen wollen, vor allem die Redefreiheit. Die sei akut bedroht, nämlich von links. Hin und wieder nutzen sie ihre Redefreiheit dann eben zu solchen Beiträgen wie dem über nekrophile Muslime, aber die meisten wirken insgesamt doch zurechnungsfähig.

Einer der Polizisten, die die Wanderung absichern, lässt sich allerdings von all der Freiheit einmal mitreißen, erzählt gut hörbar und gelaunt: „Also wenn ich Wahl-O-Mat machen würde, also die Partei, die ich wählen müsste, die ist seit 40 Jahren verboten!“ Der Polizist lacht, sein Gesprächspartner im schwarzrotgoldenen Anglerhut lacht.

Jetzt könnte man einwenden, dass sowohl die sehr linke KPD als auch die sehr rechte SRP, Nachfolgerin der NSDAP, bereits in den 50‘er-Jahren verboten worden sind. Und sowieso könnte man sagen, dass der Wunsch nach heimeliger Nation so aus der Zeit gefallen ist wie Tennissocken in Sandalen. Man könnte diese Deutschtümmler also alle für Witzfiguren halten. Aber so einfach ist es eben nicht.

AfD unter falscher Flagge?

So entpuppen sich sehr viele Teilnehmer als AfDler – ohne, dass die Veranstaltung offiziell der AfD zugerechnet wird. Wenn aber selbst die Nachbarin beim Abendessen zufällig eine AfD-Landtagsabgeordnete ist, die gegen „Gender-Tussis“ wettert und begeistert berichtet, wie „die meisten Polizisten im Osten schon lange auf unserer Seite stehen!“, und wenn neben Otte der rheinland-pfälzische Fraktionsvorsitzende Uwe Junge zum Schloss marschiert, dann muss man sagen, dass es der AfD offenbar gelungen ist, eine False-Flag-Operation zu starten – und das tief im Westen, im zweiten Jahr in Folge. Verstörend ist es allemal, hinter zwei AfDlern eine enge Waldschneise vom Hambacher Schloss hinab zu wandern und zu hören, wie sie über all die „bezahlten linken Demonstranten“ gegen ihre Partei palavern, hörbar beleidigt über politischen Gegenwind, beinahe trotzig. „Die werden schon sehen. Bald ist Schluss mit lustig“, sagt einer von ihnen später, bei einem trockenen Pfälzer Wein.

Otte selbst fällt vor allem damit auf, wie gerne er singt – auch auf der Bühne, mit Gitarre – und wie sanft er spricht. Er erklärt, dass Deutschland bald „Zensur, Repression und Ausgrenzung“ drohe, aber er macht das mit seiner weichen Stimme, die auch nach zwei langen Tagen nie garstig oder gehässig wird. Inhaltlich sind Ottes Positionen für alle, die sich etwas verbindlicher mit Rechten auseinandergesetzt haben, kaum interessant, er changiert zwischenden Polen patriotisch-konservativ bis national-völkisch, das typische neurechte Tam-Tam. Aber er kommt dabei ohne unterschwelligen Groll oder offensichtlichen Eifer aus. So manche Teilnehmer erzählen vor der Wanderung, sie wollten „nur mal so gucken, was hier passiert“. Klassischer Fall: enttäuschte Christdemokraten. Am Ende nicken sie zu Ottes Worten. Und der sanfte Anführer ruft: „Wir sind viele!“

Einmal kommt doch eine ungestüme Pegida-Stimmung auf. Da ruft Otte von der Bühne: „Ich bin in der CDU. Und auch ich sage: Merkel muss weg!“ Da skandiert die Meute: „Merkel muss weg! Merkel muss weg!“ Aber Otte fängt sie und sich schnell wieder ein, singt die Nationalhymne, bedankt sich bei der Polizei, zart bis artig. Das macht er sowieso am liebsten – vier Lobreden auf die Polizei hält Otte in zwei Tagen. Man muss es mögen, um es zu lieben.

Am zweiten Tag, beim Kongress im schmucken Saalbau in Neustadt, hängt eine riesige Deutschlandfahne auf dem Podium, darauf steht: „Deutschlands Wiedergeburt.“ Als wichtigster Geburtshelfer erweist sich ein Schweizer, der Historiker Daniele Ganser. Zunächst betont Ganser in seinem einstündigen Auftritt seinen Fortschrittsglauben, in dem er die Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz seit den 1970er-Jahren lobt. Der halbe Saal lacht, manche aus voller Kehle, was für ein lustiger Schweizer! Aber nein, Ganser meint das ernst, die Rentner in den hinteren Reihen beruhigen sich, etwas peinlich berührt. „Na, dann wählen se‘ eben...“

Nach dieser Ouvertüre kommt Ganser zu seinem Lieblingsthema: dem Gewaltverbot zwischen einzelnen Staaten, das in der UN-Charta verankert ist. Er erzählt die Weltgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg als eine einzige Kette westlicher Gräueltaten. Von Churchill bis Obama, alles Kriegsverbrecher. Ganser merkt süffisant an: „Wenn ich diesen Vortrag in England halte, kommt dieser Teil meistens nicht so gut an.“

Um seiner Rede irgendeine Pseudobalance zu geben, erwähnt Ganser kurz Saddam Hussein und Breschnew. Wobei Saddam seinen Worten nach von der CIA in die Eroberung Kuweits gelockt worden sei und Breschnew ja technisch gesehen auf Bitten der afghanischen Regierung seine Panzer geschickt habe, aber astrein sei das nicht gelaufen, ja.

Ganser spricht und spricht, und ihm zu lauschen ist wie RT schauen: Das meiste ist nicht komplett falsch, die einzelnen Fakten scheinen gar richtig. Es ist ihre tendenziöse Zusammenstellung, die den nachdenkenden Menschen beleidigen muss, wenn er nicht vollständig aus antiwestlichen Ressentiments und der eigenen Verbitterung besteht. Doch seinen Erfolg macht aus, dass Ganser es versteht, zu unterhalten. „Diskutieren sie mit ihren politischen Gegnern. Aber bleiben sie immer gelassen! Auch grüne und linke sind Menschen!“, gibt Ganser seinen Zuhörern mit auf den Weg. In der zumeist völlig humorfreien Szene verbissenen rechter Demagogen und Verschwörungstheoretiker fällt er damit auf. Als Ganser über 9/11 spricht, ja, „inside job“, ja, „Building Nr. 7.“, wird das inhaltliche Fundament seiner Worte so porös, dass sie einstürzen wie die Wolkenkratzer 2001 in New York.

Trotzdem ist das die wichtigste Erkenntnis dieser Tage: Es formiert sich eine sanfte Rechte, und sie wirkt auf viele Menschen anziehend. Natürlich ist das „Neue Hambacher Fest“ nicht der erste Versuch, Inhalte von Rechtsaußen salonfähig zu machen, im Grunde kann die gesamte AfD als ein solcher Versuch gewertet werden. Als politische Partei stößt sie aber an Grenzen, die für zivilgesellschaftliche Initiativen nicht gelten. Andere Strömungen wie Pegida oder die Identitären wirken auf gewöhnliche Konservative aus verschiedenen Gründen abstoßend, bei Pegida sind es etwa die Galgen für Merkel und andere Spitzenpolitiker. Bei den Identitären sind es deren Kader.

Wer mit Identitären spricht, die früher häufig gewalttätige Nazis waren, spürt den Hass, etwa bei Mario Müller, dem Chef der wichtigsten deutschen Zelle, der Kontrakultur aus Halle. Du kannst einen rechtsradikalen Gewalttäter in einen Anzug stecken, aber wer einmal Menschen durch Straßen gejagt hat, behält etwas zurück. Die Mitglieder der sanften Rechten von Otte über Ganser aber schütteln einem die Hand wie Männer, die in ihrem Leben höchstens mal einen Stift heben mussten. Sie verbreiten keine Angst. Und eben das ist bei genauer Betrachtung zum Fürchten.

Zum Schloss, zum Schloss

Im Saalbau spricht noch Markus Krall, wie Otte im seinem Hauptberuf Finanzexperte, der gerne der Wirtschaft den „Mega-Crash“ voraussagt. „Gesunder Menschenverstand ist nicht rechts, aber die Unfreiheit ist links!“, sagt Krall. „Es gibt keinen demokratischen Sozialismus!“ Die Zuschauer johlen. Dann geht es mit Krall etwas durch: „Dieser Stahl der Freiheitsliebe wurde nicht im Lotterbett des Konsums geschmiedet!“ Wenn ein Finanzjongleur gegen Konsum wettert, könnte vielleicht jemand stutzig werden, aber alle jubeln. Bei einer Veranstaltung, deren Redner im größten Saal einer Stadt einen Mangel an Redefreiheit beklagen, ist das nicht weiter verwunderlich.

Vor dem Saalbau findet während des Kongresses eine Gegenveranstaltung statt, ein Demokratiefest. Grüne, Linke und die SPD sind da, auch Attac und andere. „Hinauf, Patrioten, zum Schloss, zum Schloss“, hallt es dort von der Bühne. Es sind die gleichen Worte, wie sie auch Otte in diesen Tagen gesungen hat, Worte von Philipp Jakob Siebepfeiffer, der das historische Hambacher Fest organisiert hat. Der Versuch, dieses Ereignis, Siebenpfeiffer und das Schloss nicht den Rechten zu überlassen, ist mäßig erfolgreich. Die Linken anno 2019 fremdeln sichtbar mit all dem Pathos des Vormärz. Es sind auch höchstens 100 Menschen da.

Nik Afanasjew schrieb im Freitag zuletzt über die Präsidentenwahl in der Ukraine (16/2019)

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