Das Pentagon warnte schon vor Wochen, dass die Ukraine eigentlich keine Zeit mehr zu verlieren habe. Sobald die westlichen Panzer angekommen seien, müsse Kiew in die Offensive gehen, und das so schnell wie möglich. Die zweite Aprilhälfte ergebe ein denkbares Zeitfenster, spätestens am 30. April sollte der Aufmarsch beginnen, sekundierten US-Medien.
Nimmt man es mehr von der symbolpolitischen Seite, käme eher der 9. Mai in Frage. An diesem Tag feiert die Russische Föderation den „Tag des Sieges“ im Großen Vaterländischen Krieg und begeht ihren Nationalfeiertag. Es könnte für Kiew eine Genugtuung sein, ausgerechnet dann massiv zuzuschlagen und den Kreml nicht nur militärisch, sondern auch psychologisch in der Hoffnung zu treff
g zu treffen, dass die russische Kampfmoral Schaden nimmt. Folgerichtig wird in der russischen Kriegsdebatte eindringlich vor ukrainischen Aktionen rund um den 9. Mai gewarnt. Doch kommen auch weitere Faktoren in Betracht, nicht zuletzt das Wetter. Die Böden sind in weiten Teilen der Süd- und Ostukraine weiterhin kaum für eine Offensive geeignet. Durch Tauwetter und Dauerregen können in weiten Gebieten Militärfahrzeuge im Schlamm steckenbleiben. Erst wenn diese Periode vorbei ist, dürften Panzervorstöße, auf die Kiew setzen will, überhaupt wirksam sein. Andernfalls droht eine Frühjahrsoffensive eher zu versinken als voranzukommen.Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist der Vorbereitungsgrad der ukrainischen Armee. Nicht wenige Quellen wiesen zuletzt darauf hin, die Truppen seien eigentlich noch nicht bereit, die „Sturmbrigaden“ nicht vollständig aufgestellt, westliche Kampfpanzer nicht in ausreichendem Maße geliefert und einsatzbereit, deren Crews zu unerfahren. Die Offensive müsse mindestens auf den Sommer verschoben werden. Ob die Regierung in Kiew allerdings bis dahin warten kann, nachdem sie ihren Vorstoß seit Monaten ankündigt, ist keineswegs sicher. Das aufgebaute Narrativ kann die militärische Rationalität dominieren, da der politische Druck unweigerlich steigt. Dass eine „ukrainische Großoffensive“ kommen wird, ja kommen muss, gilt auf allen Seiten der Front als sicher, aus innen- wie außenpolitischen Gründen.Die ukrainische Bevölkerung wird seit Monaten auf erfolgreiche Operationen eingestimmt und soll am Siegesnarrativ festhalten. Andere Szenarien werden gar nicht erst diskutiert. Zahlreiche ukrainische Politiker erklärten zuletzt einmal zurückhaltender, dann wieder offener, dass man schon im Sommer „die Sache klarmachen werde“ – bis hin zur Rückeroberung der Krim. Solcherart Zeitvorgaben bleiben in der gesellschaftlichen Wahrnehmung mehr als alles andere haften. Folglich wird erwartet, was prophezeit ist. Der Druck auf die Regierung dürfte nunmehr von Woche zu Woche steigen.Bliebe, auf die außenpolitische Abhängigkeit von den westlichen Waffengebern zu verweisen. Mehrfach schon warnten ukrainische Autoritäten wie Geheimdienstchef Kyrylo Budanow, dass man dem Westen militärische Erfolge de facto „schuldet“. Der Rüstungstransfer sei so immens, dass ein Ausbleiben der Offensive zu hohem Vertrauensverlust und gedrosselten Hilfen führen könne. Westliche Waffenhilfe ist an den ukrainischen Erfolg gebunden und der wiederum an den westlichen Support, so der Zirkelschluss und das gängige Argumentationsmuster in Kiew. Scheitert oder entfällt die Offensive, würde man eine fast unbegrenzte militärische Unterstützung verlieren und käme um Verhandlungen sowie Kompromisse nicht herum, so die Falken in Kiew.Russland verlegt massenweise T-55-Panzer an die FrontÄhnlich scheint man das in Russland zu sehen. Die eigenen Truppen rüsten sich im Eiltempo für die gegnerische Offensive, die als „entscheidend“ für den weiteren Kriegsverlauf angesehen wird. Verglichen mit dem Spätsommer 2022 ist die Lage diesmal diametral anders. Seinerzeit wurden ukrainische Offensivvorkehrungen im russischen Staats-TV wie auf politischer Ebene heruntergespielt, wenn nicht verspottet. Als die Offensiven bei Charkiw und Cherson dann kamen und russische Verbände zum Teil Hunderte von Kilometern zurückwarfen, hinterließ das einen Schock. Es gab ein hartes Aufschlagen auf dem Boden der Realitäten. Umso intensiver sind die Vorbereitungen jetzt. Die Medien beherrscht das Thema der „näherrückenden Offensive“, flankiert von der Frage: „Sind wir bereit?“. Nahezu die gesamte Frontlinie ist auf russischer Seite von Minenfeldern und Verteidigungslinien durchzogen. Am Dnjepr-Ufer wurden an weiten Abschnitten Sprengfallen angelegt. Für einigen Spott im Ausland sorgen Meldungen, wonach Moskau massenweise alte T-55-Panzer an die Front verlegt. Kriegsreporter warnen davor, diese Maschinen leichtfertig und pauschal zu unterschätzen. Man werde sich mit den T-55 gewiss keine Duelle mit modernen deutschen Leopard-Panzern liefern, aber sie bis zum Turm eingraben und de facto als Artilleriegeschütz benutzen. So vorzugehen, das hieße, einen großen Munitionshunger zu stillen, denn Vorräte für die T-55 sollen noch in großen Mengen aus Sowjetzeiten vorhanden sein. Schließlich hat 2020 der Karabach-Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan gezeigt, dass diese Taktik durchaus ihre Berechtigung hat. Aserbaidschan setzte damals eingegrabene T-55 effektiv als Geschütze ein und erlangte während der Kampfhandlungen eine klare Artillerieüberlegenheit. Ansonsten liegt das besondere Augenmerk beider Seiten bei den Drohnen. Der Krieg in der Ukraine wurde zur Drohnen-Revolution. Die kleinen unbemannten Flugkörper werden für Bombenabwürfe, Kamikaze-Angriffe, Aufklärung und Ramm-Manöver exponentiell eingesetzt. Mit FPV-Drohnen wird zum Teil Jagd auf einzelne Soldaten gemacht. Zivile Modelle werden in privaten Garagen für die Kämpfe umgebaut und an die Front gebracht. Mittlerweile ist die Rede davon, dass beide Kriegsparteien Hunderte, wenn nicht Tausende Drohnen „in Erwartung großer Ereignisse“ angesammelt hätten. Weder in Moskau noch in Kiew gibt es Zweifel daran, dass die tödlichen UAVs eine wichtige Rolle bei kommenden Kämpfen spielen werden. Wolodymyr Selenskyjs Ex-Berater Oleksij Arestowitsch wird für eine Aussage sowohl in der Ukraine als auch in Russland breit zitiert: „In der Nacht vor der Offensive werden viele Drohnen aufsteigen.“