Im Schatten des Ukraine-Kriegs

Aserbaidschan/Armenien Der Konflikt in Karabach eskaliert wieder – das kommt der Türkei gelegen
Ausgabe 14/2022
Am 5. April fanden sich in der armenischen Hauptstadt Jerewan Tausende zusammen, um gegen die derzeitige Handhabung des Konflikts in Karabach zu demonstrieren
Am 5. April fanden sich in der armenischen Hauptstadt Jerewan Tausende zusammen, um gegen die derzeitige Handhabung des Konflikts in Karabach zu demonstrieren

Foto: Karen Minasyan/AFP/Getty Images

Als der 44-Tage-Krieg vom November 2020 mit einem trilateralen Abkommen beigelegt wurde, keimte Hoffnung auf eine belastbare Friedensordnung. Die Regierungen in Baku und Jerewan schienen mit dem gefundenen Kompromiss einverstanden zu sein. Armenien behielt faktisch die Kontrolle über die selbst erklärte Republik Bergkarabach (auch als „Arzach“ bekannt), obwohl sich Aserbaidschan Gebiete davon zurückholen konnte. Ein russisches Friedenskorps wurde in der Region, vor allem im strategisch wichtigen Latschin-Korridor, stationiert, um die Waffenruhe zu überwachen, die mehr sein sollte als eine Feuerpause. Mit Ausnahme von kleineren Provokationen und sporadischen Gefechten hielt das Agreement gut anderthalb Jahre.

Doch nun, im Schatten des Ukraine-Krieges, droht eine weitere Konfrontation, nachdem am 21. März Aserbaidschan nach armenischen Angaben die Gasversorgung der Republik Bergkarabach gekappt hat. Vier Tage später setzte die aserbaidschanische Armee Angriffsdrohnen ein und nahm Positionen der Bergkarabach-Einheiten unter Beschuss. Danach rückte sie kilometerweit in die Kontrollzone der russischen Friedenstruppen ein und besetzte Stellungen bei der Ortschaft Parukh. Russische Militärs vermittelten, sodass die Aserbaidschaner bald darauf wieder abzogen, was keinen Spannungsabbruch zur Folge hatte. Baku scheint bewusst „rote Linien“ auszutesten, die gegenwärtig andere sind als noch zu Jahresbeginn. Die armenische Regierung erhebt den Vorwurf, die andere Seite missbrauche die geopolitische Lage, man versuche die Gelegenheit auszuschlachten, dass Russland auf den Ukraine-Krieg fokussiert sei und daher kaum auf mögliche Eskalationen im Kaukasus reagieren könne.

Die russischen Verbände rekrutieren etwa 2.000 Mann und könnten aus eigener Kraft einen massiven Angriff kaum stoppen. In Armenien kursierte zeitweise das Gerücht, die Russen würden die Region komplett verlassen, um an die „ukrainische Front“ verlegt zu werden. Bestätigt hat sich diese Annahme bisher nicht, zumal sie in Moskau dementiert wird.

Hinter Aserbaidschan steht das NATO-Land Türkei, dessen Assistenz beim „Karabach-Krieg“ im Herbst 2020 für die aserbaidschanischen Streitkräfte geradezu allgegenwärtig war. Ankara schickte modernes Equipment, Söldner und Militärberater, türkische Bayraktar-TB2-Drohnen waren über dem Schlachtfeld im Dauereinsatz. Welche Interessen von Belang sind, wird nicht verheimlicht. Aserbaidschan ist als Brückenkopf am Kaspischen Meer auserkoren, um mehr Einfluss auf die postsowjetischen zentralasiatischen Staaten nehmen zu können. Länger schon schwärmen türkische Falken davon, alle Turkvölker Zentralasiens durch eine Militärallianz zu binden und damit ins asiatische Kernland vorzudringen. Eine Landbrücke zwischen der Türkei und Aserbaidschan, die armenisches Territorium durchquert, gilt als langfristiges Ziel, das durch den trilateralen Waffenstillstandsvertrag vom 10. November in Teilen erreicht wurde.

Landkorridor Ankara/Baku

Immerhin sah sich Armenien verpflichtet, einen Korridor zwischen Aserbaidschan und der Exklave Nachitschewan zu gewährleisten, sodass türkische Transporte nun über Land bis ans Kaspische Meer durchfahren können. Derzeit ist der Transit nur für Zivil- und Passagiertransporte erlaubt. Auf Dauer jedoch könnten Ankara und Baku zu erzwingen versuchen, dass dieser Korridor für Militärgüter geöffnet wird, auch wenn dafür ein neuer Krieg mit Armenien geführt werden müsste. Weil es schon in Kürze so weit sein könnte, telefonierte der armenische Premierminister Nikol Paschinjan am 31. März mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, um vor dem steigenden Risiko neuer militärischer Provokationen durch Aserbaidschan zu warnen. Er bat Moskau, konsequenter einzuschreiten. Tatsächlich ist der Waffenstillstand im Südkaukasus verwundbarer denn je, seit Ankara und Baku die Chance wittern – gedeckt durch den Ukraine-Krieg –, vollendete Tatsachen zu schaffen.

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