Ausgezeichnetes aus dem Kellerloch

Peter Glaser 10 Jahre Facebook sind zu feiern oder wortreich zu ignorieren. Anlass für mich, einen der hidden champions unter den „Internetnutzerpionieren“ zu rühmen: Peter Glaser.

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Peter Glaser wurde 1957 in Graz geboren, was einen ja schon für ihn einnehmen kann (um nur zu nennen: Robert Musil, Wolf Haas). Im Gegensatz zu anderen denkbaren „Userikonen“ wie Sascha Lobo oder Mario Sixtus vermittelt er einen erdigen, tüfteligen, irgendwie lötkolbigen Eindruck. Wie jemand, der seinen Namen noch aus dem Stehgreif auf Binärsystem buchstabieren kann. Mit der Lizenz zum Gehäuseaufschrauben. Vielleicht – wenn man unerlaubterweise den ehemaligen Chaos-Computer-Club-Vorsitzenden bei der Lektüre seiner Prosa mitdenkt (oder anders herum: wenn man Peter Glaser als Gesamtkunstwerk betrachtet) – der erste, der dem klassischen Bei-Mama-wohn-Nerd eine pro aktive, fast lifestylige Form des Wohnens zugestanden und zugeschrieben hat - und was für eine:

I’m singing in the Souterrain.

Erster Eindruck: Seit Beckett wurde nicht mehr so rüde gehaust. Zweiter Eindruck: Der erste Eindruck zählt nicht, und das Gegenteil ist der Fall: Jeder unverputzt ins Zimmer ragende Mauervorsprung, jede Unebenheit, jede Wölbung im Gewölbe wird nicht nur vom Autor mit großem sprachlichen Zartgefühl beschrieben, sondern auch vom Protagonisten mit großem Zartgefühl bewohnt. Kabel, die offen und z.T. wäscheleineartig den Raum durchhängen, werden liebevoll zweckentfremdet, sind ansonsten Kunstinstallation auf Abruf. Wie auch die unübertünchten, rostroten Stahlträger, an denen man sich den Kopf zu stoßen droht und derentwegen man eine ganz eigene, schiefe, im Glaseruniversum gleichwohl wieder heuristische Art des Gehens entwickelt: Ein Leben in Schräglage und was daraus folgt. Die Geburt des Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst aus der Deformation. Hier ist der Keller nicht einfach Gebäudearsch, sondern Herz, Hirn und Anus in einem – und noch viel mehr: Ort der Begegnung; des Anschlusses, der Urbanität (der Suburbanität genau genommen, und die ist es ja, die den Unterschied macht zwischen Berlin und Castrop Rauxel); ein Ort, zu dem es durch alle möglichen Kanäle und Kabel hinrauscht und wegrauscht; ein Großstadtrelais neben den vielen anderen, und mit diesen kommunizierend, röhrend verbunden. Kellerloch-Poetik reziprok sozusagen – die da unten sind nie allein. So gesehen Glaser-logisch, dass die bis auf Mörtel und Stein skelettierten Wände oftmals ein akustisches Eigenleben führen, das mit einer Empathie abgelauscht wird, als wär‘s ein Beethoven, ja, mehr noch, da hier viel phantasievoller zurechtgehört, mit eigener Phantasie bezuschusst werden muss.

Je unverklinkter, roher, so könnte man kurzschließend auf die Zielgerade kommen, desto genauer, „ehrlicher“ und zugleich sinnlicher das Behausen; und desto unwiderstehlicher der Drang, zu ertasten, erfühlen und von Zeit zu Zeit wohlig zurückzuschauern.

Die Ikeaisierung der Welt: Wer so wohnt, dem bleibt nichts anderes übrig als zu leben, und er tut es mit viel Liebe zum Detail.

Das Einquartiertsein bestimmt das Bewusstsein

Meine „Lektüremethode“ von „Geschichten vom Nichts“ war die einer Wanderbaustelle. Kaum beendet, ging alles wieder von vorne los. Was vermutlich nicht sehr standesgemäß ist. Aber dafür Glaser-angemessen? Natürlich bekommen durch so eine Lesform weder die Geschichten, noch die beteiligten Protagonisten so etwas wie Kohärenz oder Kontur (zusätzliche Erschwernis: dass die Pausen nicht, wie es sich gehört, zwischen den Geschichten eingelegt wurden, sondern immer dann, wenn mir das Restleben keine andere Wahl ließ). Und übrig bleibt ein diffuses Gefühl von Skurrilität, von verwaberten Menschen mit seltsamen Ideen und Wünschen; alles ist irgendwie zerfahren, zerlumpt, zerlatscht – aber was ist eigentlich genau in den 5 sauber voneinander getrennten Erzählungen passiert? Ein Werkzeugkoffertheater wird konstruiert, ein Diebstahl wird durchgeführt, Bill Gates wird sabotiert, es wird viel gereist, Menschen finden einander, verlieben sich und werden verlassen.

Wie bspw. in der Geschichte „Das Dreikörperproblem“. Ein Mann trifft einen Mann, freundet sich mit ihm an und verliert seine Freundin an ihn. Und am Ende hat der Verlassene nichts Besseres zu tun, als sich wie ein „langer, nachtblauer Joghurtlöffel“ fühlen zu wollen. Zu gesucht mag einem dieser gedrechselte Wunsch vorkommen, bei dem „der Autor auch nicht dadurch entschuldigt ist“, dass er seiner Hauptfigur, da dieser vom Leben so übel mitgespielt wurde, extra eine besonders schiefe Metapher unterjubeln musste, weil diese die Erniedrigten-und-Beleidigten-Logik auf besonders literarisch-indirekte Weise zum Ausdruck bringt. - Disparates Ersehnen samt seiner Teilerfüllung, die eben genau in der ausführlichen und manchmal geradezu akrobatischen Ausgestaltung dieser ungeratenen, verschrobenen Wunscherzeugungen liegt, sind vielmehr das Eigentliche im Glaser-Oeuvre und brauchen so gesehen kein konkretes Herzeleid, sondern nur die im Prinzip jederzeit verfügbare Fähigkeit, Mikrobewegungen im Gemüt selbst herzustellen. Anders gesagt: Verlassenwerden ist zwar nicht schön (und gedoppelt schon gleich gar nicht; denn es ist ja auch der beste Freund, der mit der Freundin durchbrennt), dennoch sind die wahren Affekte hausgemacht. Die üblichen Tragödien finden also statt, werden aber so verbeiläufigt, dass sie randständiger wirken als die von Haus aus randständigen Figuren. So etwas nennt man dann wohl „Kunst der Auslassung“. Die immer gleichen Wechselfälle des Lebens werden ausgelassen, müssen vom Leser selbst via Rückschluss ermittelt werden - über das, was währenddessen beobachtet wird, lassen die Figuren sich aus. „In seiner Brust entstand das Vorgefühl eines Behagens, dann war es vorbei, kein Glück war ihm gefolgt.“ Na dann viel Glück beim nächsten Mal.

Ein misreading der erhellenden Art also, wenn mir die Storylines ein wenig flöten ging. Und wenn es die Wegesrandbeobachtungen sind, die als Lektüreeindruck übrigbleiben und nicht der Weg. Denn sie sind das Ziel.


Angesichts dieser dispersen Werkanlage ist Peter Glaser schwer in den Dienst zu nehmen für den in die nächste Runde gegangenen Kampf „Internet – Fluch oder Segen“. Was auf seine Art natürlich auch ein Segen ist. Literatur tritt eben nicht mit Argumenten oder Verlautbarungen auf, sondern als Leisetreter-Gattung. In diesem Fall leistet sie die stille, unaufgeregte Schilderung von Menschen, die allesamt abseitig und sonderbar daherkommen und dadurch aber - was in unseren datenerfassungswütigen Zeiten besonders angenehm ist: - unschablonisierbar sind.

Und vielleicht ist Ulkigkeit ja noch der beste, metadatenresistenteste Schutz vor Big Data.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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