Die Ausbootung der Ausbooter

Vorsondierung Schreckeinfall lass nach: Was, wenn CDU und SPD ihrerseits vorsondieren? Die Königsmacher ergehen sich in Selfie-Befriedigung, doch ist die Krönungsmesse längst gelesen?

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„Für Deutschland“ – darauf könnte man sich einigen. Und irgendwann ruft die Genossen sicher auch wieder die Verantwortung für eben jenes, erst still und leise, dann immer lauter
„Für Deutschland“ – darauf könnte man sich einigen. Und irgendwann ruft die Genossen sicher auch wieder die Verantwortung für eben jenes, erst still und leise, dann immer lauter

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Normalerweise beschränken sich meine Schreckeinfälle aufs Naheliegende und Übliche: Herd abgedreht? Schlüssel dabei? Und noch während der hochkochenden Hitzewallung: Abpatschen der Pobacken (rechts Schlüssel, links Portemonnaie, wen’s interessiert: Alles gut, die Kostenfalle „Schlüsseldienst“ ist fürs erste noch mal abgewendet).

Diesmal erschrak ich weiträumiger. Vor meinem geistigen Auge saßen, von meinem Unterbewusstsein gleichsam hochgerotzt, in einem imaginären Splitscreen Olaf Scholz und Armin Laschet, allein in ihren Willy-Brandt- bzw. Konrad-Adenauer-Kemenaten. Warum der Regisseur meiner Alptraumsequenz die Räumlichkeiten so groß ausgelegt hatte, zugleich aber zu faul war, sie zu möblieren, das bleibt vermutlich sein Geheimnis bzw. es wird wohl so sein, dass die innenarchitektonische Sparsamkeit die Fokussierung auf die Figuren befördern soll. Wie vermutlich auch der penetrante Fluchtpunkt, der das an für sich parallel sein müssende Wand- und Bodenensemble hin zu einem winzigen Endquadratsfenster verschrägt. Eine Überdeutlichkeit, wie das Unbewusste sie ja bekanntlich mag: Olaf und Armin allein zu Haus, starren unerlöst nach vorne, auf den einzigen Gegenstand des Raumes: ein Telefon, das links im Vordergrund platziert ist, auf einem kleinen, unscheinbaren Tischchen. Das Nichtklingeln ist in dieser Konstellation geradezu aufdringlich. Und je augenfälliger das Warten der zwei Herren in Szene gesetzt ist, desto klarer wird: Mit dem Teil kann man nicht nur angerufen werden, sondern auch selbst anrufen. Wozu warten, lieber starten, denkt sich Scholz. (Oder Laschet? Hier darf offen bleiben, wem die Erstkontaktierung vorbehalten ist.) Jedenfalls, irgendwann ist es passiert: Die Vertreter der zwei stärksten demokratischen Parteien sprechen miteinander.

Olaf Scholz, denkt sich der Laschet, ist immerhin keine Saskia Esken. (Das ist die Frau, die meistens neben dem steht, dessen Name man so schön absichtsvoll nicht parat haben kann.)

Armin Laschet, denkt sich der Scholz, ist immerhin kein Friedrich Merz, außerdem ist er kein Jens Spahn, kein Andreas Scheuer, kein Philipp Amthor, kein Georg Nüßlein, kein Eduard Lintner, keine Julia Klöckner, und – oje, hört das noch mal auf? Und mit der Neigung zur Unendlichkeit dieser Liste krabbelt sich langsam eine Sympathie für den herbei, der nicht auf ihr steht.

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft entsteht vor meinem geistigen Auge – hätte ich doch mal den Schlüssel vergessen.

Und wenn man schon durch seinen eigenen Unfug verunsichert ist, kommen Fragen wie: Und wenn? Was wäre schlimm? Wenn der derzeit zweitbeste mit dem ebenfalls stets bemühten Merkelismusdarsteller die Ausbooter ausbootet?

Wo bleibt da der „Wählerwille“?

Nun ja, der Wählerwille bleibt da, wo er hingehört: mir gestohlen. Es gibt bekanntlich keinen Wählerwillen. Der Kollektivsingular ist die Pforte zur Klischeebildung, die illegitime Summe von Einzelvoten, die nur zur anschließenden Differenzermittlung addiert werden dürfen. Es gibt keinen einheitlichen, nur einen vereinheitlichten Volkswunsch. Oder ist die Negierung eines solchen die Pforte zum Dann-ist-eigentlich-gar-nichts-ausgeschlossen? Das Wort „Ausschließeritis“ liegt ja vor und wird gerne benutzt, und wo es einen regen Gebrauch gibt, ist es auch nicht weit zum Missbrauch? Und ist somit auch eine Schrumpf-GroKo aller immer wieder behaupteten GroKo-Müdigkeit zum Trotz wieder Option?

Zumal ein Teil der Wähler auf eine gewisse uneingestandene und daher schimpfende Weise nicht abgeneigt sein könnte. Schimpfen ist eh gesund, und wer schimpft, findet schnell Mitschimpfer, und das verbindet. Außerdem garantiert Schimpfen auf seine deutschverschrobene Art auch eine Form von Stabilität. Und eine Krise, angesichts derer sich „Große Zeiten brauchen große Verbindungen, gerade auch der gegenläufigen Kräfte“ behaupten lässt, findet sich bestimmt auch. Bzw. sie ist da. Auch wenn es diesmal noch mehr Kraft kostet, die Widerwilligkeit zu kommunizieren, da ja die Unmutsbekundungen von 2017 zu übertreffen sind. Aber das transitive Regieren (bei dem nicht mit der Bevölkerung, sondern der Bevölkerung etwas kommuniziert wird) ist ja seit Gerhard Schröder eingeübt.

Natürlich müssten beide „ihre Hausaufgaben“ machen.

Die SPD müsste den nächsten internopponierenden Kevin mit einem Pöstchen ruhigstellen.

Für die CDU wär’s schwieriger. Sie müsste „Den Feind, den man nicht besiegen kann, soll man umarmen“ in guter Merkeltradition übersetzen in: „Einen Parteifreund, den man nicht leiden kann, macht man zum Minister“. Könnte dann aber an der zu geringen Anzahl der Ministerien scheitern. Und an der nicht mehr ministrabel zu machenden Unleidlichkeit dieser Parteifreunde. Es gibt Probleme, die sich auch durch Filz nicht lösen lassen.

Oder doch? Wenn die Union eins bewiesen hat, dann …

Vielleicht sollte ich diese Überlegungen doch lieber nicht hochladen, um keine schlafwagenfahrenden Hunde zu wecken.

Zu spät. Denn die Sorge, dass meine Privatapokalyptik von der Realität, die sie satirisch übersteigern soll, überholt wird, macht mich rastlos und also googeln. Und wer googelt, der findet.

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Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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