Die Entsaturierung der Satire

Jan Böhmermann Humor war die letzte subversive Idee des 20. Jh. Und es ging ihr wie allen Ideen des 20. Jh.: schlecht. Sie wurde zersetzt, zerrieben, verpochert und verappelt.

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Eine kleine Diskurs-Interferenz
Eine kleine Diskurs-Interferenz

Bild: btf GmbH (CC) https://goo.gl/dOIdS3

Und dann kam Jan Böhmermann? – Ein Rückblick auf einen gar nicht mal öden Eklat.

Zum Warmwerden, und auch, damit sich das Folgende besser einordnen lässt, in aller gebotenen Kürze die Fragen, die halt so im Raum stehen, weil sie immer jemand dahin stellt: Darf Satire alles?/Tut mir die ins Dilemma getriebene A. Merkel Leid?/Ist es mutig, in Deutschland einen lupenreinen Autokraten zu schmähen?/Muss ein Satiriker mutig sein?/Muss jemand, der austeilt, auch einstecken können?/Gehöre ich auch zu denen, die den „Wert“ des Gedichtes kontextuell beurteilen?/Geht mir das „Muttigequatsche“ bei Merkel eigentlich auch so auf die Nerven? – Ja/nein/nein/nein/nein/unbedingt/oja!

Ja, Satire darf alles (zur Not auch: die immer gleichen Diskussionen darüber auslösen, was Satire darf) - und das ist ihr offensichtlich nicht gut bekommen. Deshalb neue Frage: Was will Satire? Und hat Satire überhaupt noch was zu wollen? Und selbst wenn sie wollen will – kann sie überhaupt? Oder ist sie zur reinen Selbstbefriedigung der irgendwie Helleren geworden? Kann sie wieder wirkungsmächtiger werden? – Oder ist „alles ist erlaubt“ die neue, postmoderne Form von „alles ist sowieso egal“?

„Noch war der Witz eine Waffe der Kritik und nicht Begleitmusik ihres Untergangs“, schrieb Reinhard Mohr in einer Zeit, in der seine Einlassungen noch an der Möglichkeitsbedingung von Kritik interessiert waren und nicht Begleitmusik seines Selbstzufriedengewordenseins, aber der Befund stimmt. Satire ist längst zu einer mehr oder weniger braven, letztlich systemstablisierenden Veranstaltung verkommen. Dem Heute-Journal folgt die Heute-Show, dem Ernst des Lebens der Witz des Tages, erst aufregen, dann ablachen (furchtbares Wort; von meinem Korrekturprogramm völlig zurecht rot unterschlängelt; wird auch nicht hinzugefügt); quasi: Nockherberg-Prinzip: der Narr macht seine Späßchen, Söder und Co. schenkelklopfen pflichtschuldig mit - in der ersten Reihe, da sieht man sie besser. Dem Immer-egaler-Werden von : Comedy, für das immer wieder und immer wieder zurecht der Name Mario Barth in die Arena geworfen wird, aber auch dem ambitionierten Witz Marke Kabarett steht eine Immunisiertheit der smart gewordenen Bespöttelten gegenüber, die sich auch mit guter Satire, wie immer die dann aussehen mag, nicht aufbrechen lässt. Robert Gernhardt, Bernt Eilert und Co. haben die Republik eben auch nicht verändert (bzw. die dann von woanders herkommenden Veränderungen nicht verhindert), sondern nur bereichert.

Das Gedicht ist, kontextuell betrachtet, kommunikative Guerilla im Sinne von Gilles Deleuze.

Man muss es also kontextuell betrachten (nicht im strafrechtlichen Sinne, wie oft genug betont wurde: eine Straftat wird durch ihre bloße Ankündigung nicht aufgehoben). Im Rahmen von Humorkritik liegt der Fall anders, und das ist angesichts des verdächtig oft auch von Böhmermann-Verteidigern in Abrede gestellten Niveaus des Gedichtes, nicht unwichtig: Gerade weil es ein Schmähgedicht ist, sollten antikisierende Feinheiten à la Goethe vermieden werden. Je niveauloser und auch: je ressentimentgeladener, desto mitkonnotierter das in „Schmähgedicht“ steckende „schmählich“. Die dichtgetakteten, sich überschlagenden und an sich selbst berauschenden Verbalinjurien wollen weder verraten, was der Autor „wirklich denkt“, noch ist es ihr Ziel, konkret zu beleidigen; Ziel ist vielmehr, übers Ziel hinausschießen. Das Sprechen ist also, wie man daher sagt, uneigentlich, auch wenn es vermutlich darauf spekuliert, als eigentliches missverstanden und entsprechend attackiert zu werden (nicht vergeblich, wie die letzten Wochen zeigen).

Aber ist der notdürftig zusammengeleimte und zwangsgereimte lyrische Schrott durch die inverse Anmoderation schon automatisch Satire? Ein „ja“ hätte den nicht ungravierenden Nachteil, wieder in den eben beschriebenen Regelkreis aus „ist erlaubt“ und „juckt keine Sau“ hineinzuführen und dort hamsterradgleich weiter leerzulaufen. Wie also kommt man raus? Eine Lösung schien zu sein: Indem man halt einfach rausgeht. Indem man das Was-beliebt-,-ist-auch-erlaubt-Ghetto der Sowieso-Eingeweihten, der Verständnisinnigen und im Takt Mitlachenden und bei jedem Anti-Merkel-Witz wissend Aufprustenden verlässt. Indem man clasht. Auf die Straße geht. Ich weiß nicht, ob es dafür das Wort „Provokationstest-Humor“ schon gibt, wenn nicht, dann eben jetzt. Man setzt ein Gerücht in die Welt und schaut, wer wie reagiert. Beispiel: Der von Titanic-Redakteuren ersonnene Sternmarsch zum Brandenburg Tor, der die DVU als „Dämliche-Volltrottel-Union“ vorführte. Es wurde ein Sternmarsch „mit anschließender Verbrennung linker Schriften“ ausgerufen, die stechenden Schrittes Herbeigeeilten wurden befragt und als Belohnung gab‘s Realsatire vom Allerfeinsten. Natürlich ließ die Verwässerung nicht lange auf sich warten. Auch dieses Verfahren wurde bald entschärft und seines Vorführ-Potentials beraubt. Beispiel: „Samstag Nacht“, wo es zu einer billigen und eigentlich nur noch ärgerlichen Unternehmung ohne Nährwert verkam: Man hält möglichst alten, d.h. leicht verdatterbaren Menschen ein Mikro unter die Nase und erfreut sich an deren vermeintlicher Blödheit, wenn die nicht sofort reagieren. (Ansonsten delektiert man sich ersatzweise daran, dass sie falsch angezogen sind.)

Bei Leuten, die nicht ungewollt und überfallartig in die Öffentlichkeit gezogen werden, sondern bereits in der Öffentlichkeit stehen, gelten andere Maßstäbe. Und weil das bekannt ist, wurden längst Vorkehrungen getroffen. Spin-Doktoren und PR-Berater sorgen nicht mehr nur für die übliche mediale Aufhübschung, sondern zunehmend auch für die Satiretauglichkeit ihrer Klientel. Noch der drögeste Volker Kauder wird so zu einem Volker Kauder, „der über sich selbst lachen kann“, zumindest selbstaussagehalber. Auch das macht der Satire das Leben schwer, lässt ihr Irritationspotential gen 0 gehen.

Satire nun, die bewegen, bewirken, jedenfalls nicht ausschließlich bedudeln will, muss also weiter nomadieren. Nicht in einem kulturimperialistischen Sinne („wir machen uns über alles lustig, also müsst Ihr das auch“), sondern durchaus in einem selbstbezüglichen, sich über den „Umweg Erdogan“ dann wieder den eigenen, hierzulande üblichen Scheinheiligkeiten widmenden. Wenn man mit einer Regierung bestraft ist, die sich ihre immer beteuerte Meinungs- und Satirefreiheit auch auf dem Rücken derer erwirtschaftet, denen sowohl das eine als auch das andere am Arsch vorbeigeht; die die hehren Prinzipien der Demokratie hoch und das Grundgesetz für kostbar hält, derweil sie die Kosten auslagert und sämtliche Unappetitlichkeiten outsourct; die sich in der Elfenbeinfestung namens Europa für alles Mögliche auf die Brust schlägt, während die anderen die Drecksarbeit erledigen - dann folgt Satire eben genau diesen Spuren. Und geht anschließend retour!

Und genau da trifft die vermeintliche Erdogan-Attacke m.E. ins Schwarze: Merkels Reaktion kam so schnell und vorauseilend und eilfertig, als hätte sie zwar keine Wahl (wie das in ihrem politischen Selbstverständnis ja auch durchaus angelegt ist) - aber die ergreift sie gerne. Dass sie so agiert, ist nicht wirklich überraschend, und insofern kommen die üblichen Standartlobhudelsätze à la „der Satiriker legt den Finger auf die Wunde“ eigentlich auch nicht in Betracht. „Entlarvt“ wird auch nichts, was nicht sowieso schon bekannt war. Auch Erdogans Umgang mit Meinungs- und Pressefreiheit überrascht nicht, er ist nur übergriffiger. Und neu ist wie gesagt auch nicht die Einsicht, dass sich Europa seinen Humanismus auch auf der Basis antihumaner Akteure verschafft, aber dieses Prinzip wird mit den Mitteln der Satire am Thema „Satire“ vorgeführt. Also in einem Bereich, der noch nicht so durchgenudelt ist.

So entstand eine Debatten-Verschiebung; eine kleine Diskurs-Interferenz im zwar umtriebigen, aber überraschungsfrei gewordenen Meinungsgestöber; ein winziger explosionsartiger Moment, in dem mal alle Beteiligten für einen Moment die Contenance verloren; die Motive für ihr Handeln blank lagen. Und deswegen stimmt auch nur bedingt, dass wichtigere Themen zurückstehen mussten (und im Schutz ihrer Undiskutiertheit verborgen weiterblühen konnten – „während wir uns noch über die Qualität eines Schmähgedichtes streiten, haben wir TTIP an der Backe, und keiner hat’s gemerkt; waren ja alle zu beschäftigt“) - sondern es wurden viele Sachen gesagt, die ins Themenfeld „Flüchtlinge, Türkei, Erdogan, in Deutschland lebende Türken, Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit“ fallen, was ja schon mal eine große Bandbreite ist. Aber nicht die üblichen. Es wurden mal andere in Talkshows eingeladen. Und die wurden dadurch ein wenig weniger vorhersehbar. Überhaupt scheint ein Effekt einzutreten zu sein, den man als „Politisierung durch die Hintertür“ beschreiben könnten; so mancher, der seine Interessen irgendwo zwischen Frauke Ludowig und Karen Webb ansiedelt, weiß plötzlich, wer Erdogan ist. Dadurch entsteht eine Aufregung, eine Unübersichtlichkeit, die sich von anderen, eingespielten Aufregungen abhebt; auch, weil sich mal andere beteiligen und selbst Politikverdrossene unverdrossen mitmachen.

Bevor dann natürlich trotzdem alles so weiter geht wie vorher.

Womit wir wieder bei Mohr wären: Die Waffen des Witzes sind stumpf geworden, Komik ist längst Teil der Berieselung, aber manchmal doch auch: etwas Sand im Getriebe. Mehr darf man bis auf Weiteres wohl nicht wollen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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