Ene Besuch im Schlaflabor

Sclaflabor Ein gesundheitsgebotener Selbstversuch in Zeiten virulent stagnierender Gesundheitsreformen: Wenn gestärkte Eigenverantwortung auf geschwächten Organismus trifft.

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Oooo, sagte ich mir, so eine Schlafapnoe ist aber gar nicht lustig, da gehe ich mal lieber ins Schlaflabor. Gesagt, getan. Bzw. Befund erhalten, vier Monate gewartet.

Dann ist es soweit. Mein erster postnataler Besuch in einem Krankenhaus: Knappschaft steht in großen, irgendwie vertrauenerweckenden Lettern über dem Haupteingang. Klingt gut, irgendwie SPD’ig. Ist dabei zu real und backsteinwuchtig, um das zu sein, was die Konservative so gedankenlos wie möglich als „sozialromantisch“ bezeichnet, sondern eben ein richtiges, im Hier und Jetzt stehendes, solide fundamentiertes Haus. Unkaputtbahr, möchte man satiregipfeln und handelt sich unversehens Kalaueritis ein: Knappschaft. Der Knappe schafft. Zumindest bis das zu Schaffende knapp wurde und der Knappe abgeschafft.

Solche Sachen denkt man also, wenn man ein Krankenhaus betritt, denke ich und schreite zur Anmeldung. „Da sind Sie hier falsch“, erklärt mir die Empfangsdame, die Anmeldung der Notaufnahme wäre richtig, ein Fingerzeig auf meinen halbtentfalteten Zettel, und tatsächlich, da steht es ja. Ein kurzer Groll, der die Tendenz hat, wiederum in Satire zu gipfeln. Ist aber unangebracht. War ja noch nicht mal ein Anschiss, sondern freundliche Hilfe. Außerdem selbst schuld: Wer nicht lesen kann, muss umherirren. Ich soll mich bis zur nächsten Abzweigung geradeaus halten, dann zweimal hintereinander links abbiegen. Notaufnahme finde ich seltsam und schlurfe los. Kurz danach bin ich am richtigen Ort, leider zur falschen Zeit. Eine ältere Dame wird noch „eingegliedert“, ich warte bitte draußen. Dann geht die ältere Dame raus und ich darf rein. Ich gebe meine Daten an, meine Versichertenkarte ab. Röntgenpass?

Ein Unding: Ich habe exakt so viele Röntgenpässe wie ich geröntgt wurde. Bei so wenig Eigenverantwortung kommt glatt die Frage auf, ob meine Krankenkasse solche Dinge nicht NSA-artiger handhaben könnte: Ein Verzeichnis, ein Tastendruck und meine Röntgenhistorie läge vor; Doppelungen könnten vermieden werden, was Kosten und Verstrahlung sparen hülfe. Natürlich gebietet es die Eigenverantwortung, diesen Gedanken gleich mal wieder mit der nötigen Selbstverachtung zu verwerfen und in Zukunft einfach an meinen Röntgenpass zu denken (bleibt nur die Frage, an welchen).

Dann werde ich aufs Zimmer geschickt: einmal den Gang bis zum Ende, von dort in einen anderen Gang abzweigen, der mich ins „Sockelgeschoss“ führt, da dann den linken Fahrstuhl (nicht den rechten, da komme ich ins „TCM“), und mit ihm auf die zweite Etage. Dort immer schön links zum Schwesternzimmer.

Da ich befürchte, dass jedes weitere Indiefalscherichtunggeschicktwerden und Herumgeirre zwischen Unter- und Sockelgeschossen in einem weiteren Anfall von Gebührensatire gipfelt, finde ich meine Station einfach ohne weitere Verzögerungen, bekomme ein Zimmer zugewiesen und harre bettgehbereit der „Verkabelung“.

Ob ich 10 € Eigenbeteiligung löhnen muss, wenn ich die bereitgestellte Mineralwasserflasche öffne? (Muss ich nicht, wie ich später erfahre; die ist sowieso fällig). Unabhängig davon beschließe ich, nichts zu trinken, ein Ausflug zur Toilette (vier Zimmer nebenan) könnte lästig sein, verkabelt wie ich gleich vermutlich sein werde – und eine neue Sorge ist gesät: hoffentlich muss ich während der Nacht nicht Pipi, da geh ich lieber noch mal vorher. Dann kommt die Verkabelungslady, die Prozedur ist lang, immer wieder muss Verknäultes entflechtet, Elektroden müssen verschoben werden. Eine Frage, die wahrscheinlich jeder stellt (aber es muss ja nicht jeder jeder sein, weshalb ich sie weglasse): Wie soll das, was gemessen werden soll, die Qualität des Nachtschlafs, eruiert werden können, wenn einerseits durch jede unwillkürliche Bewegung ein heilloses Strippengeziehe einsetzt, Strangulationsgefahr nicht ausgeschlossen, und wenn andererseits jede willentliche Positionsveränderung eine logistische Meisterleistung bedeutet, die ihrerseits „hellwach“ voraussetzt?

Wird wohl mit eingerechnet sein, im Post-Heisenberg-Universum bleibt keine Untersuchungsbedingte Unschärfe unberücksichtigt, beruhige ich mich, wenn auch anscheinend nicht vollständig, denn ich muss schon wieder Pipi. Ich erhalte eine Urinflasche, dann wird ein Beobachtungsgerät eingeschaltet und ich erfahre, dass ich um fünf entkabelt werde, dann aber noch bis 7 weiterschlafen darf. Um halb acht möchte ich bitte bei der Anmeldung im Schlaflabor im Untergeschoss I vorsprechen. Dort erhalte ich u.a. auch einen Frühstücksgutschein, der mich zu einem Frühstück in der Cafeteria in Untergeschoss II berechtigt.

Was ist eigentlich aus der guten alten Visite geworden? Und dem Frühstück im Bett? Und wer weckt mich? Die Nachtschwester ist nur für die Überwachung meiner Schlafdaten und eben für die Entkabelung verantwortlich und weiß nicht, wann die Frühschicht ihren Dienst antritt. Funktionale Differenzierung ist eigentlich was für Gesunde, zwischenbilanziere ich etwas unlustig. Zum Glück Handy dabei mit Weckerfunktion. Trotzdem bin ich nervös. Könnte gut sein, dass ich nach der folgenden, mutmaßlich „Seattle-verdächtigen“, also mehr durchwachten als durchschlafenen Nacht nicht in der Lage bin, all die Anmeldungen zu finden. Ein Gedanke, der mich Pipi müssen macht. Dann wird das Licht ausgemacht, ich zerre so lange an meinen bestimmt 20 Kabeln, bis sich der Anschein von Bewegungsfreiheit einstellt (wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht, brainstorme ich gehorsam), und es folgt die Nacht.

Der Nacht folgt der Morgen und ich spaziere, unausgeschlafen, weil, zumindest „gefühlt“, uneingeschlafen, aber immerhin frisch geduscht, zum Aufzug, der mich ins Untergeschoss I bringt. Ein „das hier ist nicht die Schlaflaboranmeldung, sondern die für TCM“ später lande ich in einem mir noch unbekannten Untergeschoss.

Während ich noch einen langen, etwas zugigen Gang entlang gehe und sorgfältig sämtliche Beschilderungen ablese, treffe ich einen „Leidensgenossen“ bzw. werde von diesem gleich mal korrekt identifiziert. Mit einer einbezieherischen Schwungingangbringgeste winkt er mich zu sich und geht, mit gekrümmtem Zeigefinger vorwärts tippend, voran. Kurze Zeit später landen wir in einem Wartezimmer, wo bereits acht Männer sitzen, die sich allesamt kennen und in einem heiteren Erfahrungsaustausch begriffen sind. Ich überrasche mich mit einer These, wonach man weniger im 3. Lebensjahrzehnt mit seinen halbkonkreten Zukunftsplanungen und Größenwahneinlagen die Freundschaften fürs Leben schließt, sondern erst viel später, wenn einen das Leben auf das Untergeschoss der Tatsachen zurückgebracht hat. Wenn es die gemeinsamen Handycaps sind, die einen zusammenschweißen, um es mal Knappschaft-haft zu sagen. Hier wird nun gesessen und gewartet, eine junge, freundliche Polin verteilt Klemmbretter und ich bin so durchnächtigt, dass mich die Bevorzugung der altgedienten Apnoe-Recken nicht weiter stört. Dann bin ich dran. Ich gebe die ausgefüllten Zettel ab, es folgen Puls- und Blutdruckmessung, dann ein Breefing für den Rest des Morgens. Ich bekomme wie angekündigt meinen Frühstückcoupon ausgehändigt, soll aber erst im „Wartezimmer II“ auf die Ärztin warten, die eine weitere Untersuchung vornehmen will. Das Wartezimmer II ist einmal den Gang lang, dann folgt rechts ein weiterer Gang, der vom Untergeschoss ins benachbarte Sockelgeschoss führt…

Ich lande auf Anhieb richtig, was ich an meinen neuen Freunden erkenne, die mich, etwas verhalten noch, aber doch schon deutlich auf dem Weg zum Versehrten-Kumpel, begrüßen. Das Wartezimmer zeigt nun doch schon sehr deutliche Zeichen von Gesundheitsreform: eigentlich eine Abstellkammer, ausrangierte Überwachungsmonitore, viel Kabelsalat, dazu ineinandergeschobene Rollstühle und ausklappbare Liegen, bei denen zum Teil die Polsterung herausquillt. Wie zwei meiner Mitstreiter ziehe ich mir eine dieser Liegen auseinander, lege mich drauf, und ich muss sagen, ziemlich bequem. Hoffentlich bin ich wieder als letztes dran, denke ich, als auch schon die Ärztin erscheint: „Herr Buhmann, bitte“ (wieso eigentlich Buhmann?). Ich folge ihr in ein kleines Sockelgeschosskabuff mit ausschließlich elektrischer Beleuchtung, und es folgt mein erster Anschiss. Ein ohne Vorwarnung in Mund und Rachen eingeführter Schlauch, ich gerate in Panik und versuche ihn wieder rauszuziehen. „Sie können doch nicht einfach an dem Schlauch ziehen“, faucht die Ärztin – „entschuldigen Sie, ich dachte, ich muss … vomitieren“, rutscht es mir, für ein Rausrutschen deutlich zu überformuliert, heraus; wem rausrutscht, der sollte „kotzen“ sagen, rufe ich mich zur Ordnung, als es längst zu spät ist - aber wer in einer Emesis Begriffene ist schon so geistesgegenwärtig?

Anschließend zurück ins Wartezimmer I, von wo aus ich zum Frühstück geschickt werde, stimmt, war mir entfallen, erst nach dem Frühstück die weiteren Untersuchungen, als da wären: EKG und Lungenfunktionsüberprüfung. Aber wenn ich schon mal da bin, kann ich auch den Konzentrationstest vorziehen, der gleich neben der Notaufnahme durchgeführt wird.

Kurz darauf sitze ich in einem wiederum kleinen, diesmal mit Absicht verdunkelten Zimmer, wo ich eine Art Taucherbrille aufgesetzt bekomme, durch die ich auf einen Monitor mit einem roten Punkt starren soll, möglichst ohne zu blinzeln. Die Schwester verlässt den Raum und ich starre. Fünf Minuten, oder sind es schon zehn? Immer wieder dehnt sich der rote Punkt faserig aus, ich muss mich zur Ordnung rufen, den Punkt auf seine Null-Dimensionalität zurückkommandieren. Warum hat sie nicht gesagt, wie lange sie wegbleibt? Weil das eben Teil des Testes ist, beantworte ich mir die Frage selbst, weil ich das Ganze nicht wie einen Guckmarathon angehen soll, sondern wie einen Sprint. Volle Konzentration also, und das solange wie möglich.

Es folgt ein Ausflug in die Cafeteria, wo ich mir dank meines Gutscheins sogar einen zweiten Kaffee gönnen darf.

Dann wieder zurück zum Wartezimmer I, wo die freundliche Polin mich in den 1. Stock schickt. Lungenfunktionsstation. Auf Anhieb gefunden! Wo denn mein EKG ist? Ach, hätte ich den vorher? … Dann hatte ich das wohl falsch verstanden … Ich bin schon weg, finde mich einen Stock höher ein, betrete schon beim zweiten Versuch das richtige Labor und komme sofort dran, drei Kabel, da bin ich ganz andere Sachen gewohnt, dann erhalte ich einen mit Zickzackkurven versehen Zettel und düse zurück.

Die Lungenfunktionstestärztin muss sehr lachen, als ich wieder da bin. Was gibt es denn da falsch zu verstehen? Hm, streng genommen das, was ich verstanden habe, sie lacht, auf ihrem kleinen, zwischen Fensterluke und der wie eine Nasszelle aussehenden Lungenfunktionskabine eingezwängten Computertisch stehen 4 Katzenfotos, sie kriegt sich gar nicht mehr ein, ein unnötig in die Länge gezogenes, irgendwie zwischen „ich werd‘ nicht mehr“ und „so was ist mir ja noch nie passiert“ pendelndes Gemecker. Angenehmer wird es erst, als sie fortan alles von mir Gesagte, einfältige Kolloquialscherze inbegriffen, ebenfalls fröhlich belacht, na gut, ein Lachmensch eben, die lustige Rita aus der Lungenfunktionsabteilung; eine Frau, mit der man Pferde stehlen kann, bilanziere ich, weil ich immer schon mal mit diesem Satz bilanzieren wollte, und jedenfalls habe ich ihr einen schönen Start in den Tag bereitet.

Nach einem weiteren Zwischenaufenthalt im Wartezimmer des Schlaflabors erhalte einen Mittagessengutschein und einen Termin fürs Abschlussgespräch.

Fazit: Ich habe mich nur fünf Mal verlaufen, bin dabei einmal der Rechts-links-Vertauschung einer freundlichen, aber etwas überarbeiteten Krankenschwester aufgesessen. Außerdem bin ich Opfer der Seien-Sie-einfach-entspannt-Paradoxie geworden, habe also im Bemühen um inneren Buddhismus erstrechtverkrampft. Und ich habe vergessen, herauszufinden, was „TCM“ ist. Alles in allem: So eine Nacht im Schlaflabor ist ja mal ganz nett, aber ernsthaft krank möchte ich erst wieder werden, wenn sich im Gesundheitswesen alles zum besseren geändert hat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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