Kennzeichen D

Behörde Ein Bericht über einen Behördenbesuch, der eigentlich nicht in einer Behördensatire enden sollte, doch dann blieb ihm nichts Anderes übrig

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Letztes Jahr hatte ich in einer etwas langwierigen, mich nur am Rande angehenden und daher in erster Linie lästigen Amtsgerichtssache zu tun. Dabei schaffte ich es, bei nur zwei direkten Kontakten einmal fürchterlich angeschissen zu werden. In einem Anfall von Wut(unterdrückung) dachte ich: so, jetzt soll die ganze Welt davon erfahren (ist doch Internet), und also machte ich mich-

-nicht ans Werk.

Nein, nicht schon wieder eine Behörden(sprech)Satire, wo einer den Nummerziehautomaten übersieht, ins falsche Zimmer latscht, angeranzt wird und beim Vor-der-Tür-sitzen an Kafka denkt. Meine Vermutung war außerdem, dass jeder halbwegs nach 1970 Geborene durch das Stahlbad von Selbstironie, der spöttischen Durchdeklinierung aller Autoritätszumutungen und „Hamm-Se-überhaupt-gedient“-Abkanzelungen gegangen ist, was prompt zu einer zweiten Fehlannahme führte: ein Mitarbeiter, der sich und den satirisch hinreichend verwursteten „Amtsnießbrauch“ einmal mit der nötigen Selbstdistanz gesehen hat – der lässt es fürderhin. Wenn niemand mehr Behörde(nsprech) denken kann, ohne zugleich von Behörden(sprech)satire im vorgestellten Raum zu schweigen, dann müssen doch auch die an Behördensprechsatire denken, die in einer Behörde arbeiten. Und vor lauter Klischeefurcht freundlich werden. So rückzugsergeben Redensarten vom Schlage „das System von innen verändern“ auch gewesen sein mögen: das haben sie vielleicht geleistet, und meine Amtsgerichtserfahrung (die Keiferin klang deutlich nach ü 50) war nur eine kurz vor der Rente stehende Ausnahme. Um es Max-Planck-paraphrasierend zu sagen: Freundlichkeit „pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass Unfreundliche überzeugt werden, sondern vielmehr dadurch, dass diese allmählich aussterben“. Also ergab ich mich meinem unbedingten Glaube an die Reförmchen-Generation: Vom großen Ganzen aufs Kleine, Gezielte; „stets bemüht“, die Wahrheitsinseln im Meer des großen Falschen zu finden. Irgendwas muss ja dran sein am Drinsein. Wahrscheinlich gibt es die ganzen Behördensatiren nur noch, weil jemand vergessen hatte, das Licht auszumachen.

Die Strafe für meinen weltfernen Optimismus folgte prompt: mir wurden die Autokennzeichen geklaut.

Am nächsten Tag finde ich mich auf der Zulassungsstelle ein. Überraschung: Kein einschüchternder Ehrerbietungserzeugungsbacksteinbau, sondern der Staat-auf-dem-Rückzug ist gerade mal auf der 3. Etage eines eilig abtakelnden, mit viel Leerstand aufwartendem Einkaufszentrums untergebracht. Hälftig zwischengenutzte Verkaufsläden, davor, auf der eigentlich freien Fläche, diverse klappbare Campingtische, auf denen Autozubehör feilgeboten wird. So sieht es also aus, wenn der Staat im Spätkapitalismus Jobs schafft. Irgendwie liegt eine Umbenennung zu „Car-Registration-Center“ in der Luft. Bis hierher, so die nicht unerfreuliche Zwischenbilanz, habe ich vieles richtig gemacht. Sofort die Polizei alarmiert, d.h. nur kurz gezaudert wegen „ist das überhaupt ein Notfall, darf man wegen so was die 110 wählen?“ (ja, man muss), und heute Morgen unverzüglich das Anzeigeprotokoll abgeholt. Und dann ist auch noch Donnerstag. Donnerstag ist ein guter Tag für Behörden, denke ich und stelle, als ich den Aufzug verlasse, unerfreut fest, dass dieser Gedanke mehrheitsfähig ist. Zusätzlich für Unübersichtlichkeit sorgend ist der Umstand, dass hier offenbar mehrere Behörden unter einem Dach untergebracht sind: Bürgeramt, Standesamt, nur durch verschiebbare Trennwände getrennt. Ich gehe zum KFZ-Bereich. Kein Nummerziehautomat. Also noch mal im Kreis. Automat für Bürgeramt, Automat für Standesamt … immer noch kein Automat für Zulassungsstelle. Also noch mal im Kreis? Ich kann ja einfach an jedem Automaten eine Nummer ziehen und später herausfinden, welches der richtige, irgendwie mitzuständige gewesen wäre („wenn das jeder machen würde“). Rettung: Ein freundlicher, Kompetenz ausstrahlender, darum umlagerter Mann. Das hat er nun von seiner Freundlichkeit. Gibt einem Orientierungslosen den kleinen Finger, schon wollen alle den kleinen Finger. Ich erfahre, dass es Termine (samt Nummer) nur im Internet gibt. Und so was will Neuland sein, maule ich. Es gäbe allerdings auch noch die Möglichkeit, in Zimmer 106 vorzusprechen, manchmal kämen Kunden nicht, und das würde dann dort erfasst. Also mache ich mich auf zu Zimmer 106!

Vor dem Zimmer sitzt schon jemand. Zweiter Platz ist gut. Man ist nicht Platz 67, aber vor allem auch nicht derjenige, der unaufgefordert eintritt und entsprechend angepampt wird. Die Frage, ob warten oder mal scheu anklopfen, ist also erledigt, da er wartet. Es sei denn, er wartet, weil auch er das Anklopfen scheut, und ich kann warten, bis ich schwarz werde, weil er es auch tut. Kurzer Evaluierungsblick: Typ Eruierer. Glück gehabt. Oder meine Menschenkenntnis macht Mittagspause, was möglicherweise auch die Mitarbeiter von Zimmer 106 tun, wieso musste ich eigentlich ausgerechnet um 12 hier aufkreuzen?

Es erscheinen kurz nach einander drei weitere Männer, und sofort wird es zwischenmenschlich. Wie eintrainiert werden gut abgehangene Sesselfurzerscherze auf den Weg gebracht, das Ganze mit einer Prise Büroschlaf-ist-der-gesündeste-Humor gewürzt - ein bisschen was von der Eingangsbehauptung stimmt also doch: der Spott ist allgemein geworden und hat es bis in die Amtsstuben geschafft. Bzw. immerhin bis vor die Tür. Schnell wird es weltanschaulich. Der Herr zur linken vertritt die Auffassung, dass Beamte sich auch endlich an der Alterssicherung beteiligen sollen, doch da gerät er unverhofft an den falschen, nämlich an den Herrn zu rechten, der entschieden meint, der Herr zur linken sehe das völlig falsch. Das ist blöd. Ausgerechnet jetzt, da der Gott der Zufallskonversation mir ein paar markige Statements quasi umsonst zuspielt, die ich zur Relevanzerhöhung ja einfach mal weiterleiten könnte, werde ich akut müde, mit dem Resultat, dass ich jetzt nicht mehr weiß, wie es weiterging. Ich rutsche mit der Zeit, die halt bei solchen Veranstaltungen auch weiter nichts Besseres zu tun hat als besonders behutsam zu verstreichen, nach unten, die sinnlos langen Beine reichen fast bis zur Wand, dann erscheint, gesenkten Blickes (damit keine falschen Hoffnungen aufkommen, vermutlich), eine Frau, hier werden tatsächlich noch Akten getragen. Ich ziehe mich hoch, die Beine ein; ein Akt der Freundlichkeit. Hätte man nicht wenigstens die Gänge breiter anlegen können, da diese zusätzlich als Wartezimmer zu dienen haben? Oder ist der Beinplatzmangel ein zusätzliches Niederhaltungsinstrument, „hier herrscht Herumlümmmelverbot“ („sitzen Sie gefälligst gerade“, „wo kommen wir denn da hin?“) Diesmal nehme ich es sportlich: es verhält sich genau anders herum (ich sehe das völlig falsch): Erst die Gang-Enge ist es, die mir diese Geste der Höflichkeit ermöglicht. Es ist wie bei Gerhard Polt und dem Verkaufstraining: die Mustermappe immer in der rechten Hand tragen, damit man in dem wahrscheinlicheren Fall, dass es ein Rechtshändler ist, der die Tür öffnet, umgreifen muss, was dann laut Trainingsleiter „spontane Herzlichkeit suggeriert. Kaum dass die Frau im Zimmer der Sehnsucht verschwunden ist, erscheint, ebenfalls gesenkten Blickes, eine Kollegin. Da ich keine Zeit zum Runterrutschen hatte, bleibe ich unhöflich sitzen wie ich sitze und suggerier somit mal eine Weile lang gar nichts. Ich denke an Kafka.

Dann öffnet sich die Tür, zwei dürfen eintreten, darunter ich. Ich soll Platz nehmen und still sein, ein kurzer Handklapp meiner Sachbearbeiterin, der anzeigt, dass sie sowieso weiß, was ich will. Es wird gescrollt. Dann kopfgeschüttelt. „Mir wurden die Kennzeichen geklaut“, sage ich doch was Ungefragtes, mit meinem Protokoll wedelnd, als gäbe es eine Art Vordrängellizenz für Straftatsopfer. Die an meinem Gefuchtel desinteressierte Frau erklärt, den nächsten regulären Termin gebe es erst Freitag in einer Woche. Sie rate mir daher, am Montagmorgen, pünktlich zur Öffnung zu erscheinen, das sei um 7:35, da gehe es dann komplett ohne Voranmeldung. Weil ich nicht schon wieder ungefragt was fragen möchte, unterdrücke ich ein „echt jetzt?“. Außerdem soll ich ja nicht fragen, sondern antworten. „Ä ja“, räuspere ich mich der kurzfristig verloren gegangenen Stimme entgegen, „ich kann ja den nächsten freien Termin nehmen und mir trotzdem die Option offenhalten, mir das am Montag anzutun…“ Nein, kann ich nicht. Die Leute vergessen dann, ihren Termin abzusagen, auch wenn sie jetzt behaupten, sie täten es auf jeden Fall. Ich unterdrücke ein „aber ist dieses Fehlverhalten nicht die Arbeitsgrundlage für einen Zimmer-106-Sachbearbeiter?“ und entscheide mich falsch (gegen den Termin), und dann bin auch schon wieder draußen.

Vom Staat alter Schule zur Gratislektion in: Jeder gegen jeden

Wieder draußen kann ich mich meiner eigentlichen Frage widmen: Echt jetzt? Wie hab ich mir das denn jetzt vorzustellen? Um 7:35 öffnet das Amt, und ein Pulk von frühausgeschlafenen (oder vor der Tür campiert habenden?) Kennzeichenrambos drängelt sich vor der Eingangstür? Ready to rumble? Und ein stämmiger Einmal-pro-Woche-wichtiger Schlüsselklimperer genießt seine Beschwichtigungsgesten, „meine Herrschaften, ich bitte Sie“? Erteilt der Staat hier Gratislektionen im Verdrängungswettbewerb? Vom Disziplinierungsstaat zum Rücksichtslosigkeitseinforderer? Drängeln muss sich wieder lohnen? Macht sich der Staat deshalb einen schlanken Fuß, damit er einen – jetzt kommt’s -: im Auftrag des Kapitals besser in den Asch treten kann? Ja, sind die ganzen beißend-spöttischen Der-Büroschlaf-ist-immer-noch-der-gesündeste-Attacken nur noch dazu da, uns darüber hinwegzutäuschen, dass der beihilfeberechtigte Bräsigkeitsbeamte längst ein Relikt aus der Vergangenheit – bzw. eben der Satiregipfelgegenwart – ist und der Staat mittlerweile neue Techniken der Marktkonform-Machung seiner Bewohner gefunden hat?

Was mich betrifft, klingt das alles entschieden nach doppelter Benachteiligung: Ich bin unausgeschlafen und dann auch noch zu zartfühlend, der älteren Dame vor mir in die Kniekehlen zu treten (Survival oft the trittfest), und so versitze ich den halben Tag auf einer unbequemen Sitzschale, wo ich verdrießlich auf den Bildschirm und auf die sich langsam hochklappenden Nummern starre.

Konsterniert von meinen drastischen Vorstellungen entscheide ich mich doch für den Termin, der wahrscheinlich, da mir eine längeren Straßenbahnfahrt nach Hause bevorsteht, wo ich frühestens in einer Stunde wieder online sein kann, ein noch späterer sein wird.

Also eine Woche mit Pappschild hinter der Windschutzscheibe fahren. Vielleicht zur Abwechslung mal geschwindigkeitsübertretend. Dann muss ich mir nur noch ein schnelleres Auto kaufen. Wie man nicht an ein Nummernschild kommt, weiß ich ja jetzt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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