Line the border

Lanz Das Leben wird immer osmotischer. Skandaleverpassen war gestern. TV to go sowie andere Formen von Postview erschweren zunehmend die Vita contemplativa.

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Der Dreiklang von harmlosen, weichgespülten, „bloß unterhaltenden wollenden“ Veranstaltungen wie „Lanz“ auf der einen, pauschalsatirischer Beglossung durch den Qualitätsjournalismus auf der anderen Seite und denen, die Boulevard „nicht mal ignorieren“, wird misstönig.


Das müssen „ordentliche Zeiten“ gewesen sein, in denen ein Weckruf wie „Cross the border – close the gap“ noch mobilisieren half – und für sein creative placement gerühmt wurde: Leslie Fiedler veröffentlichte seinen „Klassiker der Pop-Moderne“ bekanntlich nicht in der angesehen Zeit (bzw. einem englischen oder amerikanischen Pendant), sondern im unangesehenen (und dafür, so will es die Unterstellungsroutine, umso angeseheneren) Playboy. Seitdem wurde Pop salon- d.h. feuilletonfähig, und wer Gattungen per se für unwürdig hält, Boulevard ablehnt oder zwar Krimis liest, „aber nicht darüber spricht“, heißt schnell mal Ulrich Greiner.


Wurde seitdem alles besser? Oder wurde, wie das dann eben so geht, die neue Grenzenlosigkeit nur raffinierter unterlaufen - bzw. wurde schlagbaumtechnisch entsprechend aufgeforstet? Manches spricht für das letztere: Auch die welscheste Auslegung von Postmoderne konnte das Aufkommen neuer Denkkasten nicht verhindern: Boulevard wird zwar in den Beilagen der relevanten Presse nicht mehr ausgespart, allerdings in einem dauerironischen Feuilleton-Ton serviert, der nichts von seiner Höhe und snobesk verschleierten Angepisstheit eingebüßt hat. Eine routiniertes Veralberungssatirchen gehört demnach zum Junktalk wie das Weihwasser zum Teufel, was eine doppelte Abkehr nach sich zieht: Man schaut es sich nicht an und erspart sich die Kritikerlektüre.

So weit, so gut und richtig, fürs erste.


Und dann kam das Internet, welches durch fröhliche Borderlinerei auch Fiedlers Visionen scheinbar übererfüllte und jetzt wieder einmal durch in die Höhe schießende Niedrigschwelligkeiten ins Gerede gekommen ist. Und auch, wenn das Internet keine völlig neuen Gegebenheiten schafft, sondern nur Tendenzen verstärkt und vermixt, die bereits im prädigitalen Zeitalter virulent waren - man ver(-)linkt sich schneller mal und landet im Müll, als dass einem im Kiosk aus Versehen die Worte „ich hätte gerne eine BILD-Zeitung“ über die Lippen gehen. Und so mancher „erledigter Fall“ (Eckhard Henscheid) wird unverhofft wieder Debatte: Man redet über Markus Lanz.

So weit, so ambivalent und verstörend, fürs zweite.


Und so muss ich also (müssen ist vielleicht zu viel gesagt), weil alle darüber sprechen, schnellstens nach Youtube browsen und „Lanz“ schauen. Offenbar nicht der erste Eklat, und ich lass mich gleich mal ablenken. Ganz lustig: Gertrud Höhler hat ein Buch über die Kanzlerin geschrieben, in dem sie diese kritisiert, was aber – aus Versehen? – in eine sozusagen missbilligende Mystifizierung umschlägt. „Die Patin“, das klingt weniger nach „Erfolg durch gezielte Unterlassungen“, wie man es ja als Merkeltypisch zu betrachten gewohnt ist, sondern nach Consigliere-haftem Tatentun und guter alter Zeit, in der die ehrenwerte Gesellschaft noch ganz mit Morricone-Musik unterlegte Cosa Nostra war und umgekehrt. (Trotzdem, man ahnte es kommen, ein Leseangebot, das ich ablehnen kann). Frau Höhler entpuppt sich im weiteren Sendungsverlauf als Politikberaterin, von der keiner beraten worden sein will, das hat was, und man nimmt auch die Rahmenbedingungen in Kauf: dass Edmund Stoiber als Nichtstotterer enttarnt und insgesamt einen Ticken zu menschlich wird – Los und sicherlich auch Sinn und Zweck des Boulevard: der Politiker als Mensch, als Wesen aus Fleisch und Blut, beim Kacken nicht more equal als andere animals, am Arsch die Räuber.

(Entlarvt sich so der wahre Grund für ihr Buch? Als literarisches Pendant zur letzten Umarmung und zum rauhkehlig-bekümmerten „Ich habe dich wie eine Tochter geliebt“-Arrividerci, bevor’s an Kehleaufschlitzen geht? Weil Angela Merkel sich nicht von ihr beraten lassen wollte?)


Lanz: A Rote!


Spaß beiseite.

Zur Sache selbst ist vermutlich alles gesagt und einsortiert; einig scheinen sich alle Parteien dabei nur in einem zu sein: Markus Lanz ist ein leicht zu überfordernder Simpel auf der einen Seite und Hans-Ulrich Jörges, seines Zeichens Vorstandmitglied und Zwischenrufer beim „Stern“ ein leicht zu überfordernder Simpel auf der anderen Seite. Beide nehmen die quasi eingeklemmte Sahra Wagenknecht in die Zange, als wäre es eingeübt: jeder Redeversuch wird vom Moderator mit einer stupiden Beharrlichkeit, die an das Bodenbestampfen eines Dreijährigen erinnert, immer wieder abgewürgt; „ja“ oder „nein“, töricht es aus allen Rohren. Neue Anlaufnehmversuche der beidseitig Bombardierten scheitern, da H. U. Jörges lieber seine „Paraphrasierungen“ dessen, was er vom Gast zu wissen glaubt, in die Arena wirft statt zuzuhören – plumpe Entstellungen sind eh besser zu attackieren. Gipfel der Synergie: H. U. Jörges schimpft, als S. Wagenknecht ihre Rede wiederaufzunehmen versucht, sie solle ihn ausreden lassen, er habe sie doch auch ausreden lassen. (In Wirklichkeit hat er Markus Lanz ausreden lassen, nachdem der Frau Wagenknecht unterbrochen hatte; weshalb sie nur Lanzens Unterbrechung bzw. Jörges‘ Fortsetzung derselben unterbricht, de facto also gestohlenes Redeterrain zurückzuerobern versucht.)


Und nun? Jeder hat mal einen schlechten Tag? Umschalten? Lanz weg? „Der Internethype ist übertrieben und das Petitionsrecht wird so entwertet und missbraucht?“ Austreten aus dem Verein der Gebührenfernsehenbefürworter? Nimmermüde werden, auf den sog. Kulturauftrag zu verweisen? Beanstanden, dass da einem Menschen die Boulevardwürdigkeit abgesprochen wird, womit man sich allerdings das Dilemma einhandelt, für eine Sache wie „sauberen Boulevard“ oder „die Boulevardwürdigkeit des Menschen ist unantastbar“ eintreten zu müssen, und so viel Borderline muss es dann auch nicht sein? Oder wird hier jemand durch diese Die-Schöne-und-das-Biest-Einlage überhaupt erst hoffähig, d.h. durch die Hintertüre boulevardtauglich gemacht? Eben durch die Art, wie dieser Jemand um seine Boulevardwürdigkeit betrogen wird: Der Politiker als Opfermensch?

Allgemeiner gefragt: Hat der Boulevard im Schatten des Sowieso-Kacke-gefunden-Werdens und aufgrund der Ausgrenzung, die sich gerade auch durch dauerironisches Besprochenwerden befestigt, gemacht, was er will? Und ist derweil aus dem sog. Kulturauftrag des Gebührenfernsehens unbemerkt ein Gesinnungsauftrag geworden? „Im Schutz der Ironie betreiben sie ihr Handwerk“, Joseph von Westphalen? Und lautet dieser Auftrag: Die EU in ihrer bestehenden Form ist alternativlos, ein suprapatriot act? Wer nicht dafür ist, ist dagegen? Und jeder, der nicht mitjubelt, verwirkt das Recht, in lockerer Runde über Oskar plaudern zu dürfen?


Wehe, wenn sie alternativlos gelassen


Und aufgefallen ist das nur deshalb, weil 1) mit Markus Lanz ein besonders plumper Moderatorendarsteller installiert wurde, der mangels eigener Hirninitiative nicht resistent war gegen die allgemeine Immobilisierung, die er ebenso unverarbeitet, wie er sie empfing, ans Publikum weiterleitet. Und weil es 2) seit kurzem eine Instanz gibt, die jenseits von „Realsatire“ und der sie wie ein Trabant humorig-kritisch begleitenden Journaille wirksam wird: das Internet.

Einer opfert sich, kürzt den Quatsch um die gut drauf seiende DSDS-Kandidatin und andere telegene Nichtse, lädt das Ganze (bzw. Übriggebliebene) hoch, und man kann sich, richtiges Tagging vorausgesetzt, binnen 10 Minuten ins Bild setzen. Und die Parallelen – hier die professionelle Einschlafhilfe, dort die pauschale Negativkritik – schneiden sich endlich wieder: in der Unendlichkeit des World Wide Web.

Der Vorwurf, hier werde unter Niveau petitioniert, lässt sich also umkehren. Die zu „Slacktivism“ verkofferwortete und verspottete Instanterregung mag zwar, was seine Wirksamkeit angeht, ein Monosaccharid sein – heftig, aber kaum da, schon wieder weg –, jedoch hält sich der Zeitverlust für den Einzelnen eben auch in Grenzen. Linke Hand am Lümmel, rechte auf ENTER - nie konnte der Bürger effizienter initiativ sein.


Na ja. Kommen wir zum abschließenden Halb-lang. Sowieso müsste jetzt das große Recherchieren anfangen: Lanz gucken (von 500 Folgen ist allerdings die Rede); herausfinden, ob das schon lange so geht. Ob im Too-unbedeutend-to-fail-Ghetto des ZDF schon immer so eifrig und „frech“ Staatsraison betrieben wurde.


Und es gibt Grenzen, die ich derzeit nicht überschreiten möchte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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