Cancle-Culture-Club

Lisa Eckhart Lisa Eckhart und die Grenzen der Ausgrenzung. Der Paralleldiskurs wird immer fugendichter und emanzipiert sich vom Oeuvre. Warum „schade eigentlich“ nicht die Lösung ist.

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Glaubt man Wolf Wondratschek, dann begann früher jeder Tag mit einer Schusswunde. Heutzutage muss ein Twitter-Gewitter reichen. Ich bin, was Twitter angeht, etwas nachträglich veranlagt, und deswegen hat jede Thread- und Retweet-Nachverfolgung immer noch etwas von „learning by doing“. Ist also auch durchaus gestattet und noch weit davon entfernt, als Ablenkung vom wahren Leben intern abgestraft zu werden.

Vor ein paar Tagen war unter den sog. „Trends für mich“ Lisa Eckhart, die sich in einer Talkshow über ihr Abcancelung beschwerte.

Es ist wohl so, dass ein mein Nutzungsverhalten beobachtender und sorgsam mathematisch kuratierender Algorithmus mir den Thread anbietet, in dem vorzugsweise Nicht-Sympathisanten unterwegs sind. Eine der Mit-Tweetenden wurde sogar dafür abgemahnt, dass sie einen ausführlichen Ausschnitt dieser Talkshow verlinkte; man solle den Unsinn bitte nicht weiterverbreiten. Das alte Unsinnsverbreitungsdilemma, bei dem man zwischen Darstellungspflicht und falschem Großmachen des besser Unterbliebenen unterscheiden soll. Hier musste ich aus purer Not zugunsten des ersteren entscheiden: ich wollte ja wissen, worum es ging.

Also schaute ich mir den Ausschnitt an. Es musste sich um eine der Freitagabendtalkshows handeln, die ich so schlecht auseinanderhalten kann. Gastgeber war Giovanni di Lorenzo, später schaltete sich ein Schriftsteller namens Jan Weiler ein, es waren noch andere Gäste zu sehen, von denen ich Ranga Yogeshwar erkannte. In dem Ausschnitt sprach di Lorenzo mit der „Ausgegrenzten“. Bzw. er versuchte mehrfach, zwischen die atemlos aneinandergereihten Stanzen zu kommen, mit der Lisa Eckhart ihre unliebsame Situation erstaunlich aufgeräumt umriss. Gelegentliche Dazwischenkommversuche à la „aber finden Sie nicht…“ zerschellten an ihrem schier ununterbrechbaren, dabei irgendwie küss-die-Hand-haft-vornehmen Vortrag.

Di Lorenzo kam mir vor wie ein, sagen wir, Spieler von Energie Cottbus, der gegen ein von Pep Guardiola trainiertes Bayern München spielt: Edelpässe vom allerfeinsten und mit einer Geschmeidigkeit zelebriert, die direkt aus dem Fußgelenk zu kommen scheint, ohne ermüdende Konferenzschaltung zwischen Großhirn und Außenrist, sondern Ballannahme und -weiterleitung sind eine einzige Bewegung - und auf der anderen Seite der, der nur beißen, grätschen und grasfressen kann und daher möchte, aber er kommt beim besten Willen nicht dazwischen. Diese Metapher ist doppelt problematisch, weil hier von einem ästhetisch ansprechenden, ebenso handlungs- wie gedankenschnellen, vielleicht perfekten Fußball die Rede ist, derweil es aber doch um Lisa Eckart geht. Außerdem ist es mir in vollem Ernst unangenehm, Giovanni di Lorenzo, den ich nicht nur für seine angenehme Stimme schätze, als „Rumpelfußballer“ und verhinderten Tackler dagegen zu stellen.

Es schien in diesem verhinderten Zwiegespräch schon längst nicht mehr um ihre sog. Kleinkunst zu gehen, und die üblicherweise verknüpften Fragen, was Satire darf, wie man Klischees benutzen soll, um nicht in der geistigen Beschränkung zu verbleiben, der sie ihre Beliebtheit verdanken, uswf.. Daher blieb für mich vor allem die Frage offen, ob es sein kann, dass sie - jenseits der von ihr so performativ ertragreich behaupteten Ausgrenzung - gutes Kabarett macht. (Könnte ja sein, dass das alles sehr annehmbar ist und vielleicht so lustig wie bei Dieter Nuhr, na, jetzt bin ich aber offenbar selber etwas lustig.)

Im Zuge ihrer Verkanntheitssuada fiel schließlich der Name Gerhard Polt, im Rahmen des sog. Zyklus-Arguments, wonach der zeitgenössische Künstler nichts gilt. Bzw. erst dann, wenn sich seine Edgyness Jahrzehnte später abgeschliffen und in ein nachtragskluges „Ja, der Polt, ja, das waren noch Zeiten“ verwandelt hat. So wie ihr der Gerhard um die Ohren gehauen wird, wird es dieser Logik zufolge dem dereinst aufstrebenden Satiriker gehen, der gesagt bekommt, „ja, damals, als es noch die Lisa Eckhart gab, das war noch großartige Kleinkunst, wie die die ewigen Antisemitismus-Witterer vorgeführt und ihre Empörungssucht mit Fleischhaueresker Filigranität als rein milieumasturbative Selbstbefriedigung entlarvt hat…“

Exkurs: Gerhard Polt oder: die vollständige Ausräumung eines Verklärungsverdachts

Gerhard Polt ist der Humorheld meiner späten Kindheit, weswegen ich aus der puren „ich werde gecancelt, also bin ich unbequem“-Logik kurz ausscheren möchte, zugunsten einer kritisch nachbetrachtenden Selbstbefragung. Hält das hier wie überhaupt gerne im Zuge der Auseinandersetzungen um Rollenprosa erwähnte Mai Ling im Rahmen meiner Weiterentwicklung noch stand? Und habe ich mich überhaupt weiterentwickelt? War Gerhard Polt vielleicht nur ein früher Schritt in eine Humorwelt, mein erster Koitus komikos, dem die eigentlichen Vertreter der Hochkomik aber erst folgten (oder wenigstens hätten folgen können)? War er quasi nur ein Türöffner? Und mein Festhalten an der vielleicht ersten Liebe ist nur nostalgischer Art?

Zunächst einmal – und abgesehen von allem anderen, was hier noch zwingend lobzuhudeln wäre -, gehört Gerhard Polt zu denen, die ihre Glanzzeit hatten und wussten, wann sie aufhören mussten. (Jaja, ich weiß: „Germanikus“, aber das war‘s dann auch mit der regelbestätigenden Ausnahme). Bzw. er hat einen Umgang gefunden, den ich hier mal als „angemessenes Surfen auf dem eigenen Ruhm“ bezeichnen möchte. Er produziert nicht endlose Variationen der immerselben Sketche, sondern die : „diskrete Selbstvermarktung“ beschränkt sich darauf, die in der Tat alten Sketche live in Theatern und anderen Bühnen der Republik aufzuführen. Was freilich nicht heißen muss, dass es sich bei denen, die hingehen, um die Humor-Avantgarde handelt; es könnte auch sein, dass sich Gleichgesinnte und Gleichgealterte treffen, die sich an ihr 1. Mal „Mai Ling“ erinnern und nur deshalb einander beim Wiedererkennen so erfreut zuwiehern. Und dass der jetzt wie ein Rollenprosapapst über allem thronende Polt in seinen TV-aktiven Zeit auch nur der kleine Tropf war, der vergeblich versuchte, einen auf Karl Valentin zu machen. Der, um es in der Lisa-Logik zu sagen, „in der heutigen Zeit vermutlich auch gecancelt würde“. Und Ei der Daus, oder wie das heißt - da ist sogar was dran. Bei der Satire-Sendung „Scheibenwischer“ (wo er des Öfteren mitwirkte) konnte es passieren, dass sich der BR für eine halbe Stunde aus der ARD ausklinkte, und diese halbe Stunde mit – I’m not kidding - Volksmusik anfüllte.

Hier allerdings muss daran erinnert werden, dass sich wirkliches, weil von oben angeordnetes Canceln unterscheidet vom bloßen Hausrechtsgebrauch, wie geschehen beim „Hamburger Literaturfestival Harbour Front“, wo Lisa Eckhart ausgeladen wurde, weil die Betreiber Scherereien befürchteten, für die sie, wie immer man diese Scherereien (oder die Wahrscheinlichkeit ihres Auftauchens) nun beurteilt, persönlich hätten geradestehen müssen, und dann ist es eben ihre eigene, durchaus auch von Pragmatik getragen sein dürfende Entscheidung, wie sie damit umgehen.

Bleibt, in aller Exkurs-Kürze, die Frage zu beantworten, warum Gerhard Polt großartig ist und Lisa Eckhart (sowie der bereits erwähnte Dieter Nuhr) eher so egal. Dazu zwei Punkte:

1) Das „Fehlen von Vernunft“

Bei Gerhard Polt gibt es keine dem „man wird ja wohl noch fragen/sagen dürfen“ verwandte Vorab-Anbiederung ans Publikum; keine vorangestellte, skelettierte, und darum gut andocken könnende, im Kantlosesten Sinne reine Vernunft; keine vor- und übergreifende Verständnisinnigkeit, die sich im weiteren Verlauf als wir-hier-drinnen gegen die-da-draußen aus- und aufspielt. Bei ihm gibt es keine Vernunft, die im Wesentlichen davon lebt, dass sie sich nicht weiter ausdefiniert, um so ohne viel geistigen Aufwand anschlussfähig und quasi für jede Füllung offen zu sein.

2) Die Verstricktheit.

Gerhard Polt ist also nicht die von der Bühne herabsprechende (und die unten Sitzenden zu sich hochziehende) „Stimme der Vernunft“, sondern ihr pures Gegenteil. Seine Kunstfiguren sind nicht durch eine entsprechende Publikumserhebung dem angeblich cancelnden Rot-grün-Siff gegenübergestellt, sondern sie stehen selbst knietief mitten im Siff. (Hierzu wäre seine hohe Kunst des Räusperns, Äh‘ens, Nasehochziehens, Schnaufens; sein reichlicher, quasi-musikalischer Interjektionengebrauch weiter zu untersuchen und argumentativ in den Dienst zu nehmen, was ich jedoch an anderer Stelle mal genauer tun möchte.) Vernunft und das Wissen um ihre Grenzen bei der „Alltagsumsetzung“ werden existentiell-exemplarisch durchgearbeitet, am lebenden Subjekt vorgeführt – und nicht ex cathedra vorgepredigt.

Exkurs beendet.

Es blieb nicht beim Zyklus-Argument, wonach nur also nur als satirisch, scharf und köstlich gegen den Strich gebürstet gilt, was gut abgehangen und zum Klassiker geworden ist. Jan Weiler meldete sich zu Wort. Sein Vorwurf an die Eckhart-Kritiker lautete: Absichtliches Missverstehen und Dummstellen in Tateinheit mit Kontextausblendung.

Auch hier: ein Argument, das man sofort wiedererkennt und das so sehr aus sich selbst leuchtet, dass es prompt einleuchtet. Man denkt bspw. an Carolin Emcke, die einen Vergleich übers Vergleichen anstellte und gleich mal von dieser Metaebene, auf der sie unstatthafte NS-Vergleiche zum Thema machte, von Harald Martenstein eins tiefer gesetzt wurde, damit er über sie und die sie eingeladen habenden Grünen und ihre vermeintliche moralische Bigotterie in unterkomplexe Entrüstung verfallen konnte. Was dann auch Julia Klöckner gut vernehmbar einleuchtete. Oder, frisch reingekommen, der Skandal, dass Jan Böhmermann Ratten mit Kindern vergleicht (sofern ich das jetzt nicht dumm gestellt habe), usw. und so er-nun-wieder.

Der Kontext wäre ein wichtiges Argument. Doch es gab weder konkrete Beispiele oder Ausschnitte, die das eine oder das andere hätten belegen können, noch den Versuch einer Einordnung. Es genügte den Pro-Eckhart-Diskutanten, einen irgendwie ja vorhanden sein müssenden Kontext anzunehmen bzw. das Kunstwerk, wie es ja auch gute Sitte ist, für sich selbst sprechen zu lassen. Und schon hat man ein weiteres, aus dem Zusammenhang herauslösbares Argument, das man sich, entsprechend präpariert, andichten kann: Kunst darf nicht erklärt werden. (Und also ist, was nicht erklärt wird: Kunst.)

Das Profitieren vom „falschen“ Vorwurf ist wichtiger als die ultimative Klarstellung

Allgemeine Kontextbehauptung, absichtliches Missverstehen, Sich-dumm-stellen; all das sind bestens etablierte Desavouierungstechniken, sozusagen frei fluktuierende Missbilligungsmodule, die sich jeder, der aus seinem Nichtverstandenwerden eine Karriere basteln will, nehmen und zur Geringschätzung der Geringschätzer nach Gusto zusammenpuzzeln kann. Der Parallelweltdiskurs „Cancle Culture“ funktioniert durch dieses gut eintrainierte Argumentationen-Kidnapping mittlerweile lücken- und kontextlos - gerade wenn und weil er ohne Konkret-Beispiele (aka Kontext) auskommt. Der Tag scheint nicht fern, wo es nicht mehr nötig ist, sich von Skandal zu Skandal zu hoppeln, um dann irgendwann mit Dieter Nuhr zusammen bei 3Sat auftreten und hochalimentiert seine Unverstandenheit aufführen zu dürfen, weil der Diskurs so fugenfest eingespielt ist, dass es die jeweiligen Aufreger zu seiner Ingangsetzung gar nicht mehr braucht; weil die Diskursbausteine so gut verfugt sind, dass es auch ohne Empörung geht – bzw. eben nur insofern doch nicht, als man die „Dauerempörten“ natürlich weiterhin als Verunglimpfungsfolie benötigt.

Zwischen all diesen gewissermaßen zeitlosen Wahrheiten von Eckhart und Weiler wurde es (in diesem Fall für di Lorenzo) immer schwerer, dazwischen zu tacklen. Die aus anderen, im Zweifelsfall zurückliegenden und irgendwann wahrscheinlich mal im Rahmen ernsthafter Satirediskussionen Sinn ergebenden und dann entwendeten Diskursbausteine lassen sich auch jenseits ihrer ehrwürdigen Entstehungs- und Anwendungsgeschichte problemlos aufeinanderschichten und zur Viel-Feind-viel-Ehr-Selbst-Stigmatisierung verputzen.

Was auch sein Gutes hat: ich muss mir jetzt nicht das Werk von Lisa Eckhart draufschaufeln, um mir „meine Meinung zu bilden“, weil eine Kenntnis ihre Oeuvres für diese abgehobene und offenbar gut geölt von selbst laufende, quasi auf Autoplay gestellte Debatte gar nicht die Gesprächsgrundlage ist.

Es sei denn, das ist doch nur ein Pyrrhus-Trost, weil der Talkshowauftritt gar nicht so verschieden ist von ihren Kabarett-Auftritten – deshalb vielleicht auch ihre wie einstudierte Monologizität. Und Giovanni di Lorenzo konnte deshalb nicht seinen Interview- und Dazwischengätsch-Pflichten nachkommen, und ihm blieb nur die Rolle des in der in allererster Reihe sitzenden ARD-und-ZDF-Zuschauers.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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