Nicht kleckern, sondern klöcknern

Bullshit Bullshit. Gegeißelter und negativbepreister denn je, zugleich 1 Bullshitstorm nach dem anderen. Warum passt das so gut zusammen?

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Was Dieter Nuhr und andere, die dem immer mehr Volk werdenden Volk aufs Maul schauen, seit Jahren nicht zustande bringen - Julia Klöckner gelang es mit wenigen (nämlich drei) mittlerweile legendären Worten: sie brachte mich zum Lachen. Angesichts der nun auch für Scheuklappenbehaftete offenbar gewordenen Zustände in der Fleischverarbeitungsindustrie („Tönnies“) meinte sie, dass eine „gemeinsame Plattform für eine Kommunikationsallianz für Lebensmittelwertschätzung“ die dringend erforderliche Maßnahme sei. Too pig to fail, satirewortspielt es sich da quasi von selbst. Nicht von selbst beantwortet sich allerdings die Frage, wie es im 21. Jahrhundert, oder meinetwegen im Zeitalter von Awareness und Mindfulness - oder eben auch 34 Jahre nach „On Bullshit“ - sein kann, dass es zu diesem Ausfall oder vielmehr Auswurf von, man muss ja leider im Bild bleiben: Bull-diarrhea kommen kann.

On Bullshit: Am Anfang war das Wort

Oder auch nicht. Vielleicht gab es auch bereits vorher einen Bedarf. Oder, systemtheoretisch gemutmaßt: eine Funktion, für die es nur noch kein Wort gab. Bis es dann eben doch eins gab. Möglicherweise ist eine Wortkarriere wie die vorliegende auch dem Schwarmverhalten nachgebildet. Wo dann bis auf weiteres nicht zu entscheiden ist, was zuerst war, und wer als erster die Richtung geändert hat. Oder: Woher der Impuls kommt, der die Richtungsänderung so homogen erscheinen lässt als wäre sie eine von oben angeordnete. Denn offensichtlich passte das Wort nicht nur zu dem, was es meinte, sondern vor allem traf es auf eine gesellschaftliche Stimmung, die dem Anschein nach genau auf dieses Wort gewartet hatte. Ein Distinktionstool war geboren, vielleicht sogar eine neue Problembewusstseinsstufe erreicht. Mit dem glücklichen Begriffsimport ließ sich nicht nur viel bis dahin sprachlos gebliebenes Unbehagen fassen, sondern überhaupt eignete es sich für eine Vielzahl von Anwendungen. „Bullshit“ hatte das Zeug, in allen Lebenslagen richtig von vage zu unterscheiden. Zugleich ging ein Ruck der organisierten Belustigung durch Deutschland. Ein kleines Buch eines Soziologen - ein kleiner epistemischer Schritt für die Menschheit.

Eine einseitige Betrachtung erhärtet den optimistischen Befund. Es entstanden Dummdeutsch-Preise, Unwörter des Jahres wurden prämiert, Foodwatch vergab „goldene Windbeutel“. Auf www.blablameter.de konnte und kann man Texte einpasten, um deren Humbugdichte zu ermitteln. LobbyControl erklärte Julia Klöckner zum Nestléhäkchen des Jahres (schön wär’s zumindest gewesen). - Dummheit, so die naheliegende Fehldeutung, musste immer cleverer erarbeitet werden, und dazu war sie kraft ihrer definitorischen Selbstbeschränkung (oder vielmehr -beschränktheit) nicht in der Lage.

Als wäre in der 68er-Nachfolge - als Kompromiss zwischen Visionenrückbau und der einhergehenden kritischen Selbstbeobachtung; vielleicht als Nebenprodukt – ein zwar verwässertes, aber dafür auf größere Bevölkerungsschichten übergreifen könnendes satirisches Bewusstsein entstanden; eine geringfügig klügere Öffentlichkeit, die das Dummdeutsche zu verachten gelernt und einen guten Radar für „Geht-gar-nicht-Vokabular“ entwickelt hat. Und entsprechend schwarze Listen für finsteres Formulieren bereithält. Sogar der oft behäbige Büroalltag bekam mit Bullshitbingo ein fröhliches Update.

Doch dann kam La Klöckner und plötzlich weiß ich nicht mehr, was PR ist und was „aufrichtige“ Satire (der Klöckner-Satz könnte auch von einem ironisch sich hochbegeisternden Eckhard Henscheid stammen). Bzw. ich verstehe mein eigenes Gelächter nicht mehr - wo hört das absichtskonforme Amüsement auf und wo beginnt die Konträrfaszination? Und, gravierender gefragt: Wen will Julia Klöckner mit ihrem Stuss eigentlich noch hinter Licht führen?

Wen?

Wenn einem zu einer Frage keine Antwort einfällt (allenfalls eine einsilbige Wiederholung der Frage), dann empfiehlt Gilbert Keith Chesterton, der Erfinder von u.a. Pater Brown, eine Umkehrung der Frage, die dann ungefähr so gehen könnte: Will Julia Klöckner überhaupt noch jemanden hinter Licht führen? Bzw. glaubt sie, dass es noch Leute gibt, die sich hinter Licht führen lassen? Oder glaubt sie wenigstens, dass es noch jemanden gibt, der glaubt, dass sie selbst noch „an ihren Bullshit glaubt“? Bzw. an die Wirkmächtigkeit von Bullshit an sich, will sagen: an die Möglichkeit einer gezielten Vernebelung durch hochgestochenen Hohl-Sprech? Oder werden Bullshit und das, was „verschleiert werden soll“, nicht sowieso immer echtzeitiger zusammengedacht und der Bullshit von den Beshitteten quasi simultan entdecodiert - als das, was er ist und nicht als das, was er meint (bzw. dann ja: zu meinen vorgibt)?

Many Shades of Grey: Vom Arschkriecher-Bullshit zum Scheißegal-Bullshit

Harry Frankfurt unterschied „absichtliche Täuschungen“ von Bullshit, da erstere eine „Orientierung an der Wahrheit“ erfordern. Wohingegen sich „der Bullshitter nicht dafür interessiert, ob er die Realität korrekt wiedergibt oder nicht. Er stellt Behauptungen auf, um seine Ziele zu erreichen, egal, ob diese Behauptungen wahr oder falsch sind.“ Wie muss man sich das vorstellen? Man erstellt proaktiv ein nachhaltiges Set von Imponier-Vokabeln, und bringt sich also in die Lage, mit ihnen proaktiv bzw. noch besser: gegreenlightet am Wording zu drehen? Kann man also drauflossabbeln, solange es nur imposant klingt – oder gibt es Regeln, vielleicht sogar eine zu beherzigende Kunst der Einschränkung, des Maßhaltens?

Aber vielleicht ist das schon wieder die falsche Frage; wozu sich Regularien ausdenken, wenn es bereits einen virtuosen Anwender derselben gibt: Ronald Pofalla. Vor allem seine legendäre, komplett verworrene Rede zum NSA-Skandal ist ein Meilenstein der zwar realitätsungebundenen, aber umso behauptungsstärkeren und also zielführenden Polit-Prosa. Während sich selbst seine Kanzlerin ganz unmerkelig entrüstete („Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“), lief alles in seiner hastig dahingehechelten, obertonlosen Beteuerungskaskade einvernehmlich und brachialversöhnlich darauf hinaus; dass alles in Ordnung sei, weil die Verantwortlichen ihm persönlich versichert hätten, dass alles in Ordnung sei, und da waren sie dann ja schon mal zu zweit. Und obwohl wie gesagt nur in alle ruhig zu stellenden Richtungen wild drauflosbehauptet wurde und alle zur – d.h. vor allem: in – der Debatte stehenden Wichtigwörter gut verwurstet wurden, gab es noch eine klare Verneblungsabsicht. Einen Glauben an die Macht der Verwirrung; zumindest an die Macht der Ermüdung derer, die beim Zuhören den Faselfaden verlieren. Der Bullshit wollte, im gewissen Sinne, noch ernstgenommen werden. Natürlich ist das kein Grund ist zum Nostalgischwerden, dennoch könnte man rückblickend von einer ersten Phase des „aufrichtigen Bullshits“ reden.

Die Evolution schläft nicht

Die „gemeinsame Plattform für eine Kommunikationsallianz für Lebensmittelwertschätzung“ ist da weiter. Eine neue Stufe von Bullshit ist erreicht. Es klingt, als wüssten die Gagschreiber von Julia Klöckner, dass sie nur noch Belustigung freisetzen. Und wenn das stimmt, ist die Einkalkulierung dieser Häme (bzw. die durchaus ja gekonnte Vorweg-Übertrumpfung aller satirischer Bearbeitungsmöglichkeiten) Teil eines ganz anderen Ziels.

Das lenkt kurz den Blick aufs Satirehandwerk. Wenn Satire nur noch aufdeckt, was bereits wie ein Null Ouvert auf dem Tisch liegt - wie kann sie sich dann noch schlauer wähnen als das, was sie pflichtschuldig bespöttelt? Wenn beide Seiten – Politsprech und Satire – alles voneinander wissen, dann wissen sie auch, dass sie nur noch komplementäre Teile eines antagonistischen Spiels sind, bei dem sie sich letzten Endes, d.h. unter der Oberflächen-Abneigung, in Ruhe lassen. Zwei buchstäblich kommunizierende Röhren, bei denen der eine Ausstoß den anderen nach sich zieht, weswegen beide in Frieden bzw. vorgetäuschtem Streit gut leben. Miteinander und voneinander.

Dieses gegenseitige Wissen bleibt also nicht folgenlos, weder für die Satire, die nichts mehr zu entlarven, bloßzustellen, nachhaltig zu bewitzeln hat – noch für eine „Kommunizierung von Politik“, die weiß, dass sie sowieso nicht mehr ernstgenommen wird und somit das Pofalla-Stadium der Beschiss-Gläubigkeit verlassen hat. Sie ist im Mitteilungssinne vollkommen „sinnfrei“. Und „sinnfrei“ meint hier nicht die gängig-ironische Formulierung, die irgendwann mal das altbackene „sinnlos“ ersetzt hat, sondern diese noch nicht einmal auf Täuschung angelegte Symbolpolitik-Simulation ist komplett frei. Frei von Sinn, weil auch: von Hintersinn. Sie sucht nicht mehr Deckung unter den gängigen Buzzwords; es findet keine Verundeutlichung durch uneigentliches Sprechen statt, weil Uneigentlich längst das neue Eigentlich ist. Wozu also noch Nebelkerzen werfen, wenn nur noch mehr oder weniger helle (oder zumindest über die eigene Kompromittierung gut unterrichtete) Köpfe beteiligt sind; wenn der Bürger unbetrügbar geworden ist?

The next step of Bullshit

Weil wir es mit einem neuen Stadium zu tun haben: dem Scheißegal-Bullshit. Und der bringt neue Decodierungserfordernisse mit sich. Mein Vorschlag: „Ihr könnt mich mal!“ Aus Arschkriech wird Kackfrech. „Gemeinsame Plattform für eine Kommunikationsallianz für Lebensmittelwertschätzung“ heißt übersetzt: „Ihr seid mir so was von scheißegal, euch beschwindle ich noch nicht mal mehr. Ich knall euch eine Bullshitorgie vor den Latz, die Ihr noch nicht mal mehr als durchschaubaren Bullshitversuch ernstnehmen sollt. Ihr nehmt mich nicht ernst und ich nehme euer Mich-nicht-ernst-Nehmen nicht ernst und weiß, dass Ihr mein Euch-nicht-ernst-Nehmen nicht ernst nehmt. Daher weiß ich auch, dass ich nicht das letzte Wort haben werde. Frei nach Mercedes Bunz: Ihr habt die Diskurshoheit, wir die Macht. Denn wer zuletzt lacht, der lacht zwar am besten, aber wenn der Spaß dann vorbei ist, gibt es mich immer noch. Also kommt euch von mir aus weiterhin überlegen vor, weil ihr herausgefunden habt, was für eine substanzlose Werbetafel ich bin, und beömmelt euch tüchtig, während ich unter dem Schutz eurer Ironie an meiner Litfassäulenallianz arbeite, damit ich künftig noch großzügiger von der Kauflandwertschätzung profitieren kann (auch für den Fall, dass ich eines Tages doch noch abgesetzt werden sollte; aber ich schätze mal: da ist Andreas Scheuer vor), denn auf meiner Kommunikationsplattform, aka Leib, ist noch viel (viel) Platz.“

In diesem Sinne auch die sog. Übergangsfrist, die mit 8 Jahren so reich bemessen ist, dass auch sie nicht mehr als Verschleierungsversuch taugt. Gut möglich, dass ein paar Spaßvögel ihr dafür dereinst den Orden wider das tierische Wohl antragen, den sie dann „herrlich selbstironisch“ annimmt. Und damit das Ineinanderspiel von Dreistarschigkeit und „kritischer Kalauerei“ weitergehen kann, beantragt sie gleich als nächstes bei der Heute-Show den Vollpfosten des Jahres, der auch bewilligt wird (wg, akuter Beömmelungsgarantie), und so weiter und so the show must go on.

Schwer zu sagen abschießend, was die nächste Stufe sein wird. Vielleicht wird das Zeitalter von Bullshit als das der sanften Täuschung zu Ende gehen, und es ist dem aggressiven Bullshit der Klöcknerschen Art bestimmt, zur handfesten Unwahrheit hinzuleiten bzw. rückzuleiten. Will sagen: Wer über Klöckner-Bullshit lacht, der wird über Fake News viel zu weinen haben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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