Strebergarten

Schrebergarten Unsere Migranten entdecken den Kleingarten. Idyllisierung des Abendlandes? Oder überfälliges Fremdblutdoping für eine übel beleumundete Deutschness?

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Dieser Beitrag, der, was seine Betitelung betrifft, noch so gerade eben um „Summa cum Laube“ (zu kalauerig) und „Deutschland schafft sich an“ (zu prostituell) herumgekommen ist, beginnt im Kindergarten. Dort hole ich von Zeit zu Zeit, als eine Art Teilzeit-Stiefvater, einen impulskontrollgestörten 5jährigen ab. Der hat sich kürzlich mit einem russischen Mädchen namens Alina aus dem schönen Smolensk angefreundet, und so spazierte ich vor ein paar Tagen – die Kinder schubbsten und fang-mich-doch’ten munter vorneweg – mit Alinas Mutter durch eine Reihenhaussiedlung in Altenessen. Alina habe am kommenden Wochenende Geburtstag, informierte sie mich, wenn ich Zeit hätte…

Kindergeburtstag? Ich erschrak, auch wenn ich nicht hätte sagen können, wieso. Ein inneres Selfie tauchte auf: Niklas mit einem albernen Spitzhütchen auf dem Kopf (das wie eine umgekehrte Schultüte aussieht) und sich langsam in die Haut fräsendem Gummiband unterm Kinn; eine Schmalhans-Imaginierung, die an Verleugnung der eigenen Heranwachsphase grenzt: Was ist noch mal gleich ein Kindergeburtstag? Ich weiß nur, was kein Kindergeburtstag ist: Hausarbeit schreiben, Haushalt in Ordnung halten, rechtzeitig die Steuererklärung abgeben, pünktlich und gut gelaunt bei der Arbeit erscheinen … das Leben an sich ist kein Kindergeburtstag. Deshalb ist es auch kein Ponyhof.

Dann, wir standen bereits verabschiedungsbereit vor einer übelst in die Höhe geschossenen 70er-Jahre-Siedlung, sagte sie, „aber nicht hier, sondern im Schrebergarten“.- „Sie haben einen Schrebergarten?“ fragte ich natürlich nicht, meine Impulskontrolle funktioniert ja.

Später, auf dem Nachhauseweg beschäftigte ich mich mit zwei Fragen: 1) Sind Schrebergärten nicht der Inbegriff deutscher Spießigkeit. 2) Was ist noch mal gleich ein Neoplasmus?

Anders nachgefasst: Gibt es eigentlich etwas Deutscheres und Spießigeres als Schrebergärten?

Und wie regeln andere Länder das mit der Spießigkeit, rein sprachlich gesehen? Ist Spießigkeit vielleicht eines der wenigen deutschen Wörter, welches man zu importieren gezwungen ist? Wegen akuten Signifikatenmangels; weil nichts da ist, was Wort werden müsste? Ein Germanizismus, der sich angesichts seiner Kumpels („Blitzkrieg“) sogar noch harmlos ausnimmt, und eher nach Zurückhaltung und der zufriedenen Selbstbeschränkung einer in Ruhe lassenden und in Ruhe gelassen werden wollenden Bonner Republik klingt als nach seinem Vorgänger? Interessanterweise schlägt www.dict.cc fürs Englische „bourgeois“ vor, ein gewisser linguistischer Import-Bedarf scheint also zu bestehen. Zudem gibt es „stuffy“ und „suburban“. Klingen alle irgendwie wie knapp daneben und vor allem aber längst nicht so feldwebelhaft wie eben „spießig“. Und ein Schwein drauf braten kann man auch nicht.

Eine Dreifaltigkeit wie gemalt: Während Englisch angetreten ist, die Sprache des Business zu werden, Französisch für’s O-la-la bleibt, etabliert sich Deutsch als die richtungsweisende Sprache für Rasenzucht und Ordnung. Und so sieht Volker Kauder aus, wenn er sich freut.

Meine eigenen Laubenkolonieerfahrungen sind eher minimal. Auf dem Weg zur Arbeit fahre ich jedes Mal an einer vorbei. Ich sehe viele Deutschlandfahnen, von denen gefühlt jede zweite mit einem schwarzem Alder mittig verziert ist, was in meiner Wahrnehmung eine Art Verschärfung des offensiven Deutschseins ist und den Wunsch nach weiterer Minimalhaltung meiner Laubenkolonieerfahrungen verstärkt.

Zeit andererseits, mal etwas gegen die eigenen Vorurteile zu tun und einstiegshalber beim Stadtverband der Kleingärtnervereine reinzuschauen. Und mich nicht gleich wieder rausgeschmissen zu fühlen, weil statt des Vorurteilsabbau ein „Hab ich’s doch gewusst“-Effekt einsetzt: Maßregelungen gleich auf der Startseite, eine Planschbeckenverordnung; ein bisschen wirkt das alles, als tobe sich das Paragraphen-süchtige Vaterland in seinen Kolonien noch mal so richtig aus. Da ich aber tapfer weiterrecherchiere, lande ich bald auf der Homepage einer konkreten Kolonie, die neben ihren landschaftlichen Vorzügen auch ihr soziales Anliegen preisgibt: Integration. Und zwar die von Arbeitslosen sowie „Immigranten“. Weiter im Text erfahre ich, dass sich deren Anteil in den letzten 10 Jahren verdoppelt hat. Zugleich hat sich das Durchschnittsalter der Neupächter im gleichen Zeitraum um 20% reduziert. (Tatsächlich sind aber genaue Zahlen schwer zu ermitteln, da „meine“ Kolonie nicht Mitglied im „Bundesverband deutscher Kleingartenfreunde e.V.“ ist; dessen Existenz ich somit beiläufig gleich mit-ermittelt habe. Wenn man schon mal gerade dabei ist.)

Ein Anruf bei der Mutter meines Teilzeitstiefsohns belehrt mich, dass ihre (größtenteils immigrierten) Nachbarn ganz scharf auf ihre Parzellen und ihr „kleines Stück vom Glück“ seien und es lange Wartezeiten gebe, und dass ich mal in Erwägung ziehen soll, meine „vorschnell präjudizierenden Tiraden“ zu überprüfen.

Na gut, dann überprüfe ich. Vorher maule ich noch etwas: „Kleingarten, das ist doch piefig, spießig, protodeutsch, Ruhezeiteneinforderung im großen Stil…“

„Und vor allem ist es: Gesund, frische Luft, Geselligkeit…“

„Geselligkeit“, fische ich mir gleich den Begriff mit dem größten Häme-Faktor raus, und präjudiziere fleißig weiter: „Geselligkeit - das ist Musikantenstadl. Und Musikantenstadl, das ist Fernsehgarten. Und Fernsehgarten, das ist…“

Und das Gespräch, das ist irgendwann zu Ende.

Davon abgesehen: Klar. Dass es neben den Gründen, die jeweiligen Heimatländer zu verlassen, auch das gab: die – vielleicht kompensatorische - Vorstellung eines irgendwie fachwerkhausigen, blitzblanksauberen Dinkelsbühl-Deutschland. Getragen von der Sehnsucht nach einem Idyll, nach Ruhe, nach Naturnähe, womöglich sogar nach Geselligkeit, für die man im eigenen Idiom ein unversehrteres Wort bereithält, das nicht Fernsehgarten-vorbelastet ist. Ein Idyll, das es hier in dieser massiv ersehnten Form vielleicht nie gegeben hat und das seine unverdrossene Existenz eher den hämischen Negativzuschreibungen und böswilligen Unterschiebungen irgendwelcher No-go-Fanatiker wie mir verdankt; die ein leicht zu verwaltendes Feindbild brauchten; ein Inbild für protodeutsche, Nazismus-anfällige Gemütlichkeit. Und daran dann unter zunehmender Realitätsabkehr einfach immer weiter festhielten: Was einmal Kacke war, muss immer Kacke bleiben, und die Vorstellung des am Abend noch mit Taschenlampe patrouillierendem Hauswarts, bzw. dann wohl Laubenwarts, war einfach nicht aus dem Kopf zu kriegen.

„Nun sind die verbreiteten Ideen vom Deutschsein jedoch so altbacken, dass selbst die Einheimischen ihre Lebensweise nicht mehr darin unterbringen können“, heißt es bei Mark Terkessidis. Und daher die Herkunftsdeutschen diesem Re-Import gegenüber nicht abgeneigt? Frei nach dem Starbucks-Prinzip, wie Holm Friebe es gerne beschreibt; wonach die Kaffeehauskultur „kurioserweise nach Europa reimportiert wird, wo … sie als amerikanische Neuverpackung eines europäischen Lebensgefühls funktioniert“.

Zeit eine PEFIDA zu gründen?: „Patriierte Europäer für die Idyllisierung des Abendlandes“? Weil längst nicht mehr nur die Harten in den Garten kommen?

Und hatten nicht sowieso schon seit einigen Jahren die „Grünkonservativen“ die Kleingarten-Nazis ersetzt, indem sie ihre Häusle, falls das der Plural ist, mit Solardächern bauen und ihre Idylle nicht zwischen Bahngleise platzieren, sondern gleich ganze Städte wie Tübingen zu Märklin-Paradiesen umgestalten? Und jetzt, den Migranten sie Dank, folgt der nächste Schritt: das überfällige, nachhaltige Image-Update für deutsches Brauchtum?

Wenn demnach unsere Migranten diese letzte unangetastete Spießerbastion entdecken, „sich einbringen“, sie mit ihren eigenen Sehnsüchten aufladen und so unaufdringlich umgestalten; sie sanft entdeutschen und entspießern – geht dann wieder was? Wird der Besuch eines Kleingartens eine ernsthafte, gleichberechtigte Samstagnachmittagsoption, die sich vor ihrer Konkurrenz (Fußball, rumgammeln) nicht mehr verstecken muss? Oder handelt es sich doch um Überassimilierung, bei der der eingliederungswütige Nicht-Herkunftsdeutsche sich deutscher präsentiert als der Blockwart erlaubt? Weil es der Kleingartenverordnung wurscht ist, ob bei Zuwiderhandlungen von Helmut oder Halil in aller Konsequenz agiert wird? Döner statt Bratwurst zwar, aber Bettruhe ist trotzdem um 22 Uhr?

Nun, man wird sehen. Nächsten Samstag. Kindergeburtstag und Kleingarten – wann kann man schon mal zwei Vorurteile auf einmal loswerden. Vorher kaufe ich mir noch ein albernes Hütchen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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