Tertium datur oder Die Linken sind Schuld

Pegida Die Alternative „bedauerlicher Einzelfall“ vs. „das Problem ist systemisch“ ist nicht alternativlos: Die Linken sind wieder schuld. Ein Diskursdrama in 3 Akten.

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I. Schweinepriester

Was macht eigentlich Bischof Mixa? – Und bevor es mir jetzt jemand sagt oder ich das Googeln anfange (und jemanden, um den es erfreulich still geworden ist, hochranke, oder was): Ich lebte in München, magistrierte so vor mich hin, er waltete seines Hochamts von, so weit ich mich erinnere, Eichstätt oder Augsburg aus und war meines Wissens der einzige, der beim leidigen Missbrauchsthema jenseits von Leugnung und Herunterspielen die Flucht in die Offensive suchte und dabei erstaunlich fündig wurde: Die Studenten waren Schuld, sie verhexten und versexten die jungen Vikare, und die konnten dann halt nicht anders. Vielleicht waren es auch die „Herren Studenten“, oder die „Langhaarigen“ waren noch State of the Niedermach-Art; oder es waren die sowieso leicht befehdbaren, universalschuldigen 68er; so genau weiß ich es nicht mehr (außerdem musste ich mich ja um mein Studium kümmern, vulgo rumvögeln); vielleicht aber waren seine Invektiven auch genau so durchmischt und kalkuliert ineinander geschusselt, wie ich sie in Erinnerung behalten habe, weil Vagheit eben nicht Verve-mindernd ist, sondern Bedingung für ihre kräftige Entfaltung: So kann jeder an das anknüpfen, was ihm schon immer gegen den Strich gegangen ist: was dem einen die 68er, sind dem anderen die, die ohne was dafür zu bezahlen, Bildung schnorren; und dem noch anderen sind es die langhaarigen Studenten, die mehr mit Wilhelm Reich als mit Himmelreich im Sinn haben; und wem alles, oder von allem etwas gegen den Strich geht, der hält sich halt an: linkes Gesocks. Und das ist, in Bayern zumal, immer eine Rundumrage wert.

II. Der VW-Skandal: Die Grünen sind schuld.

Und religiös geht es weiter. „Himmelschreiend blöd“ sei der Abgasskandal bei VW, las ich in der „Welt“ vom 28.9.2015. Himmelschreiend? Das Prinzip „Verniedlichung durch Bibelsprech“, bestens eingespielt durch den Steuersünder, der, irgendwo zwischen „illegitimer“ Fleischeslust und dem Tortenstück zu viel halt a bisserl Blödsinn macht, ist offensichtlich nicht totzukriegen. Wo der Verharmlosungsbedarf groß ist, da ist religiöse Semantik nicht weit. Ändert aber nichts daran: Steuerhinterziehung ist kriminell, und die Softwaremanipulierung von VW war Betrug. Kein Blödsinn.

Zugegeben, im selben Satz ist auch von einem „kriminellen Betrugsversuch“ die Rede, doch der Soupcon bleibt gerechtfertigt, wie sich bei der weiteren Lektüre zeigt. Denn mit diesem einem Satz ist das Thema abgehakt, quasi weggewischt. Im Folgenden geht es längst nicht mehr um den Betrug - wie er zustande kam, wie er aufgedeckt wurde, wer davon wusste, welche möglichen Verstrickungen zu vermuten (bzw.: recherchieren) sind -; interessieren tut den Autor ausschließlich die Reaktion der Grünen, die für ihn die Kollateralnutznießer sind. „Wahrheit ist nicht gegen ihre Kommunikation immun“, heißt es bei Adorno, und also auch nicht dagegen, wenn das eigentlich Skandalöse auf einen einzigen Satz eingeschrumpelt wird, derweil der Rest dann Linken- resp. „Zukurzgekommenen“-Bashing as usual ist: Die Grünen mit ihrem ewigen Umweltunfug, mit dem sie immer schon jede Form von (Fahr-)Spaß kontaminiert haben - als hätten sie drauf gelauert. Die Grünen als moralische Warlords. Ohne das ewige Klimageplärre wäre die Legende vom Clean Diesel gar nicht notwendig gewesen, dank derer man sich offensichtlichere politische Einflussnahmen durch die Kanzlerin ersparen konnte. Es waren erst die Grünen, die den armen Konzern verführten…

Nein, so steht natürlich nicht da. Expressis verbis geht anders. Und zwar so:

III. Pegida/AfD/CSU: Die Linken sind schuld

Dabei lese ich Ijoma Mangold gelegentlich recht gern. Als Im-Zweifel-nicht-Konservativer ist mein Interesse für Fragen, wie es ist, homosexuell und in der CDU zu sein, und ob das zusammenpasst: schwul und unschrill, eher begrenzt. Was ich auch nie wissen wollte und daher nie zu fragen wagte: Warum verarmte Adlige Gardinen nicht mögen. Trotzdem ganz nett, es mal beiläufig mitzunehmen, überhaupt ist es angenehm, dass seine Artikel immer genau so lange dauern, wie ich mich einlassen möchte. Fragen wie „brauchen wir heutzutage noch Adel?“, ausgelöst durch den seinerzeitigen Guttenberg-Hype, werden in einer Mischung aus angenehm fragender Theoriebildung und konkretem Nachfragen abgehandelt. Der Hype ist dabei nur Anlass, nicht alles. Weswegen das „vorläufige Scheitern“, anders als bei seinen plumperen Stern- oder Bild-Kollegen, auch nicht auf ihn zurückschlägt. Insofern ist „das Wegbrechen der bürgerlichen Mitte“, das er im gleichnamigen Aufsatz vom 7.2.2016 beklagt, nicht nur Anmoderierung; nicht Katapult, um anschließend die Lieblingsgegner abzuwatschen, sondern dem Autor ernstes Anliegen.

Ich bin schwul, und das ist so

Fragen ließe sich natürlich trotzdem, ob es aber nicht gerade die Debattenlosigkeit war, die politische Aphonie, die den Erfolg der Konservative begünstigte. Während die Linke praktisch jeden Lebensbereich thematisierte, auskundschaftete; während sie jede Behaglichkeit unter Repressionsverdacht und alles in Frage stellte, was schließlich auch aufs eigene Wirken zurückwirkte – erhielt sich die Konservative ihre Selbstverständlichkeiten durch Rituale-Erhalt sowie eben kommunikative Verschonung. Weswegen sie auch nicht auf diskursive Pyrrhussiege angewiesen ist (höchstens offenbar darauf, diese Siege immer wieder und immer ungenierter zu behaupten).

So gesehen ist Angela Merkel vielleicht doch nicht die Werte- und Kernkompetenz-Veruntreuerin, die man um ihrer Beliebtheit willen (oder weil sie alternativlos ist), in den ihr nahestehenden Kreisen toleriert, sondern konsequente Weiterentwicklung dieser Kommunikationsverweigerungsstrategie. Und von daher gutes „Sprach“rohr einer bürgerlichen Mitte, die noch nie viel zu sagen hatte und eben daraus ihre Stärke bezog. „Ich bin schwul und das ist so“, könnte man sagen. Und in der Tat - warum soll man auch aus einem „unterhaltsamen Defekt“ (Max Goldt) immer gleich eine Weltanschauung machen.

Muss natürlich nicht stimmen. Bzw. kann auch sein, dass die merkelsche Perfektionierung dieser kommunikativen Verzichtstrategie dann irgendwann zu erfolgreich war; dass es gewissermaßen der Diskursvermeidungsrechten so ging wie der dauerdebattierenden Linken: zu viel Siegen auf ganzer Linie ist nicht gut. Jedenfalls ist, folgt man den weiteren Ausführungen Mangolds, nun ein Diskursvakuum entstanden, das – und jetzt wird’s eklig -: nicht nur der „linken Diskurshegemonie“ den weiteren Weg ebnet, sondern - dadurch begünstigt bzw. offenbar sogar automatisch - den des rechten Hasses.

Je klüger die Linke, desto Beatrix von Storch

Im angesprochenen Aufsatz stehen Sätze wie: „Die kulturalistische Linke, wie wir sie der Einfachheit halber nennen wollen“, und schon muss ich ihm kurz ins Wort fallen: Wir wollen? Diese Form von über mich verhängtem Wünschen erinnert mich an die Besuche bei meiner Urgroßmutter im Seniorenheim, wo joviale Gruppenzwangfröhlichkeit nicht selten mit den Worten „jetzt wollen wir mal alle ‘ne Runde singen“ eingeleitet wird, aber, okay, um der Einfachheit willen, und weil ich sowieso lieber über „kulturalistisch“ stolpern wollte: Worin liegt eigentlich der Mehrwert von „Kulturalismus“ gegenüber „Kultur“? Oder geht es um den Wenigerwert? Darum, dass Kultur von Kulturalisten nur als Niederhaltungs- und Ausschlusskriterium quasi-rassistisch verwendet wird („wir verfügen über Kultur und Ihr nicht“) – und das eben von links, also just von der Seite, die sich immerwährend für die bessere hält? Der Satz geht weiter: Sie „ist vor allem auf dem Feld der Identitätspolitik zugange. Jede ethnische, kulturelle oder sexuelle Differenz soll unter staatlichen Schutz gestellt werden – als Kompensation für die Vergehen einer heteronormativen, eurozentrischen Vergangenheit.“ Um hier nicht Sarrazin trapsen zu hören, muss man schon Schweinsohren (Klaus Nüchtern) haben: Die Europaseligkeit der Deutschen. Statt endlich das Ende der Schandebewusstheit mit Walser’schem Mut zum Schlussstrich herbeizuführen, treibt uns unser schlechtes Gewissen immer noch an, gegen deutsche Interessen zu handeln und jeden noch so unbedeutenden Unterschied großzureden (by the way: alles Gute zum Geburtstag, Judith Butler!). „Die kulturalistische Linke … hat diskursstrategisch auf ganzer Linie gesiegt. Wer da nicht mitmachen will … muss heute politisch mindestens bis zur AfD auswandern, um mit seinem Unbehagen kommunikativ wieder anschlussfähig zu werden.“ - Muss er? (Ich werd‘ ja wohl mal fragen dürfen.) Kann er sich nicht anderweitig um Anschluss bemühen? Oder eine friedliche Strategie für Phasen der eigenen Anschlusslosigkeit entwickeln? Nett sein? Ein Nettmensch sein? Einfach mal still? Offenbar nicht, wenn man nur entsprechend Automatismus-gläubig ist: „Wo die Linke die fremde Identität, das Andere, die Abweichung vergötzt, berauscht sich die Rechte an der Norm des Eigenen ... Es ist deshalb auch kein Zufall, dass die neue Rechte auf demselben Feld, nur unter entgegengesetzten Vorzeichen, unterwegs ist.“ - Sondern offenbar direkte Folge, denn: „Man … sollte nicht zu viele Leute in die Gosse treiben.“

Fazit demnach: Je klüger, differenzierter die Kritik, desto ohnmächtiger werden die, die dadurch noch weniger wissen, wie sie mit ihrer heiklen Mixtur aus Angst, Hass, Unbehagen, Frust umgehen sollen und desto verheerender demnach die Wirkung. Je cleverer, fundierter die linke Analyse, desto Beatrix von Storch.

Wenn aber jeder humanitäre Vorstoß von links Grundlage zum Hassverbrechen von rechts wird; wenn alles, was gemeinwohlorientiert, weltoffen, am Menschen interessiert ist; also links, nach dem hydrostatischen Prinzip wirkt und automatisch das kommunikative Röhren der Rechten bedingt, dann hebelt das nicht nur jede Form von Kritik aus, sondern es verbietet sich auch jede gute, hilfreiche Tat, weil sie die direkte Vorbedingung für die Füllstanderhöhung des rechten Scheißestandes ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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