Verlustigung

Rechtspopulismus Wer Querfront sagt, darf nicht davon schweigen, dass auch Scherz, Satire und Ironie die Seite wechseln und so an Hämetauglichkeit verlieren. Eine Kritik der Trashophilie.

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Am Anfang war das Wort: Verlustigung. Es vereinigt mit Heidegger’scher Jargonpräzision „Einbuße“ mit „wir amüsieren uns zu Tode“ und sollte endlich viral werden.

Anno 2016. Ich hatte mich wieder mal an irgendeinem Beatrix-von-Storch-Stuss gestoßen (fragen Sie mich nicht, an welchem; gestusst wird halt doch zu reichlich) und irgendwas vermutlich Bissiges in die Tasten gehauen, doch dann kam was dazwischen. Nicht weiter schade, beruhigte ich mich, ich hatte mich sowieso „verfahren“; mich vor lauter Konträrfaszination in Ausfälligkeiten ergangen und dabei irgendwann das Ziel aus den Augen verloren, und überhaupt: Dass Beatrix von Storch gerne auch mal Dinge raushaut, die für den durchschnittsempathischen Menschen eher unerträglich sind, ist eh bekannt, und dass Einen-raushauen und anschließendes Nicht-so-gemeint-Herunterwiegeln zu den vulgär-erfolgreichen kommunikativen Strategien des Rechtspopulismus gehört, ebenso: Frau von Storch sagt etwas, wird daraufhin in eine Talkshow eingeladen, wo sie es dann doch nicht gesagt hat, oder nicht so, und wenn es faktenchecktechnisch gesehen eng wird: falscher Zusammenhang, Lügenpresse. Die, die agitiert werden sollen, haben eh kapiert, der „unbelehrbare“ Rest ist dagegen der einende Feind, den es braucht, um die Eingeschworenen und -geborenen weiter zu stärken. Und wenn man wider Erwarten doch in keine Talkshow eingeladen wird, dann zementiert dies ersatzhalber den Opferstatus, aus dem heraus sich gut Täter sein lässt. So weit, so man-kann-es-allmählich-nicht-mehr-hören, und da fällt dann ein ungeschriebener Artikel nicht weiter ins Gewicht.

Gestockt hatte die Arbeit an einer Stelle, wo ich mich etwas hatte gehen lassen und den Brechreiz, den Beatrix von Storch bei mir auslöst, mit dem Brechreiz verglichen hatte, den Frauke Petry bei mir auslöst. Während der Stimulus vomitus bei Beatrix von Storch eher ein Brechreiz im eigentlichen, physiologisch-reflexiven Sinne ist, so schrieb ich sinngemäß und ungewohnt drastisch, stellt er sich bei Frauke Petry erst nach politischer Reflektion ein. Unser aller Augstein findet sie ja sogar hübsch, nun, ein Fall von Degustibus, würde ich sagen, schön ist anders, aber als Kollegin, mit der man mal in der Kaffeeküche einen sog. „Plausch“ einschiebt, oder als Nachbarin, bei der man nicht sofort in einen eiligkeitvorgaukelnden Schritt verfällt, wenn man sie sieht, wäre sie zweifelsohne in den Banlieues meines Lebens integrierbar. Und weil mir das mit dem Brechreiz nicht Netiquette-haft genug schien, flüchtete ich mich, bevor ich dann doch abbrach, zunächst in einen irgendwie kabarettistisch sein sollenden, satirisch-hämisch hinterherschiebenden An-die-Tastatur-gekommen-Gag, wie er allerdings auch schon zum Zeitpunkt meiner Abfassung zu sehr in Mode war.

Kurzgeschichte des Trash: Vom Traps Tobsucht zu Trixis Tastengate

Und der italienische Trainer rastete nach einem nicht bayernwürdig absolvierten Fußballspiel aus und fragte sich, was sein Spieler Strunz „erlaube“. In den darauffolgenden Wochen „hatten“ alle fertig, und nicht nur das: In den angeschlossenen Funkhäusern wurde fortan jede kleine Stimmerhöhung zum Skandal hochgehypt, was im nächsten Fernsehzeittotschlagschritt zu diversen Kultausbruch-Rankings führte; traurige Torheiten, hochverschmunzelt von Platz fünf bis eins hochgecountet, wobei natürlich, so spannend war‘s dann doch nicht, Platz 1 für Trapattoni reserviert blieb, den Godfather aller Ausraster, der somit bis in alle Ewigkeit resteverwertet werden dürfte. Untersuchenswert wäre in diesem Zusammenhang (nicht wirklich), ob etwa die postfußballerische Karriere von Thomas Strunz ohne diese Pressekonferenz wie die von Kollege Häßler im Dschungelcamp geendet wäre bzw. ihren monosacchariden Schub hätte bekommen müssen, denn als Manager durchstarten war ja auch nicht so.

Ein anderes Beispiel ist Stefan Raab (möge er in Frieden mich in Ruhe lassen): Als Max Goldt das „kultische Fernsehen“ erfand bzw. als WG-Trend diagnostizierte, folgte zügig die Erfindung von So-doof-dass-es-schon-wieder-gut-ist. Das ironische Weggucken von allem Möglichen und Unmöglichen unter dem Deckmantel der Belustigung wurde für viele Intellektuelle schönste Nebenbeschäftigung der Welt, aber, wie das mit der Ironie halt so ist: Dem Ironischen Weggucken folgt schnell das unironische. Weil Belustigung kein Dauerzustand ist, bloß weil er einmal feierlich ausgerufen wurde. So wurde auch der Weg für bspw. „TV Total“ geebnet, wo unter dem Vorwand von Häme und Entlarvung eine zeitlich kaum abgespeckte Zweitverwertung des zumeist im selben Sender zuvor Ausgestrahlten betrieben wurde. Dass man sich anschießend mit den zuvor Bespöttelten gemeinsam auf der Couch vor Lachen ausschüttet, ist daher weder ein Widerspruch noch muss es einen für die „über sich selbst lachen könnenden“ Protagonisten einnehmen – es ist der völlig egale Aufguss derselben Suppe, und die Dauerfröhlichkeit der Mitlachenden und „Vorgeführten“ ist wie das Meer, in das alle Flüsse und Abwässer geflossen sind: alles dieselbe trübe Sauce.

Wollte man den vielen, nach Trump noch zahlreicher aus dem Boden schießenden linken Selbstzerfleischungsattacken also noch eine weitere hinzufügen, dann wäre zu nennen: die Verkultung, die für eine kurze, preiswerte Belustigung den Preis der Verlustigung bezahlt. Und wieder einmal wäre das, was sich aufmachte, kaputt zu lachen, was einen kaputt macht, nur der linkskritische Beitrag, der zusätzlich stabilisieren hilft; Ironie wäre nur die linkshumorige, lachsalvenlustige; letztlich affirmative Begleitung des ansonsten eben unhumorig sich Vollziehenden.

Und Beatrix von Storch hat das alles gewusst? Und ich hätte an der eh schon durchstartenden, weil gerade auch satirefleißig immer wieder flankierten Karriere des Tastatur-Gags mitgewirkt? Und wäre damit Gefahr gelaufen, unter der Kalkulation von Frau von Storch zu bleiben, die eben die Wirkung ihres Handelns durchaus weiträumig vorab zu berechnen in der Lage war? Was nicht nur sehr clever wäre, sondern auch von einem dialektischen Empfinden zeugen würde, da das Einkalkulieren insbesondere auch von gegenläufigen Reflexen geradezu differenzbewusst wäre?

Nun, ob Diskursglück oder hohe Instinkt-Intelligenz, ich muss das nicht entscheiden. Fakt bleibt aber leider, dass der Scheißegalismus, der gerade auch von linkshumoriger Seite mitstabilisiert wurde, einen Prozess ein- und weiterleiten geholfen hat, der nun so weit fortgeschritten ist, dass es vielleicht doch nicht so viel Versiertheit braucht, weil eh schon wurscht ist, was man sagt, weil Häme, Satire und simpel speech immer identitärer werden und vielleicht zwar nicht dasselbe meinen, aber dasselbe sagen. Und daran knüpfen sich die jeweiligen Verständnisinnigkeiten. Die einen „sagen direkt, was sie denken“ und finden sich urwüchsig und ehrlich und unversnobt, die andern ironisieren das diskursive Geschehen und die eigene Verwickeltheit darin mindestens achtfach verschraubt und finden sich très judicieux. Dem Tastatur-Gag kann’s recht sein, solange er von allen Seiten bedient wird. Auch deshalb fällt die Bekämpfung so schwer (und es lässt die Verwendung satirischer Mittel so ungeeignet erscheinen), was freilich keine besonders abgefeimte Strategie der AfD ist, sondern nur die Anwendung einer urkapitalistischen Technik: Entwertung. Der Kapitalismus progrediert, indem er zerhackstückt und alles Widerständige durch Um- und vor allem Abwertung eliminiert und sich einverleibt. Und die AfD hätte, indem sie das Prinzip beherzigt, einmal mehr gezeigt, dass sie keine Alternative darstellt (was sie sozialpolitisch sowieso nicht tut und auch nicht tun will), sondern nur, in fröhlichem Rösler-Misreading, Kapitalismus mit unmenschlichem Antlitz bietet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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