Weltgeist im Aufwind

pol. correctness Ein Versuch, die political correctness nicht nur als Erfolg ihres eigenen Operierens, sondern als Teil einer insgesamt waltenden Second-Order-Mentalität zu verorten

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Einer der interessantesten Artikel zur sog. political correctness steht vermutlich hier, genauer gesagt: hier. Da es mir temporal inkorrekt vorkam, ein Jahr später noch einen Kommentar dranzufrickeln, wird nun eben ein eigener, eigenständiger Artikel draus. Macht nix, lautet die Entschuldigung, da das Unbewusste, wie man hört, sowieso der Diskurs der Anderen ist, also Kommentar, unentwegtes Sich Beziehen und Weitertreiben, Teil des Ein-Wort-gibt-das-Andere-Fließtextes, der die Welt durchzieht.

Da kann man auch ruhig aus der Not eine Tugend und also aus einem Kommentar einen Artikel machen.

Apropos Lacan. Ihm verdanken wir ja, nebst anderen, ähnlich imposanten Nebulöseleien, die sog. Spiegeltheorie, die, unzulässig verknappt, so geht: Das bis zu diesem Erkenntnissprung sich selbst unmarkierte, in quasiozeanischer Bewusstlosigkeit durchs Leben treibende Kind schaut in den Spiegel, und irgendwo zwischen Zahnpastaspritzern und ungeschickten Wegwischversuchen sieht es plötzlich: Das bin ja ich! Das hätte ich nicht gedacht (es gab mich ja auch nicht, wie hätte ich also…). Der Rest ist aufopferungsvolle, mit viel Nachholbedarfsfuror ausgestattete Selbstmöblierung: Wenn ich also mein eigenes Selbst bin, und wenn da, wo alles Mögliche war, fortan Ich sein soll, wie wäre es dann mal mit einem Innenleben, einem insistrinen Regelkreis aus Selbstbezüglichkeiten, einem Arsenal aus möglichst unzufälligen Attributen; einem Drinnen, das sich nicht im Reagieren auf äußere Tatbestände erschöpft, sondern auch mit sich selbst zu interagieren weiß?

Kinder sind manchmal gar nicht blöd.

1) Das Petraprinzip

Petra, Anfang 20, war eine irgendwie studierende, irgendwie vor sich hinvögelnde, irgendwie mit allem unzufriedene, zwischen Vamp und Mädchenmauligkeit missgestimmt und etwas selbstzerstörerisch schwankende, dabei auf hohem Getröstetwerdeniveau leidende Mitbewohnerin – dass ihr Dahingeleide nicht zu Deprivation führte, hatte wohl „äußerliche“ Gründe, soweit diese Kategorie nach der Eingangs-Lacaniade noch statthaft ist. Sie ging jeden Abend „noch mal weg“, und es fielen mit vorauseilendem Glucksen untermalte Sätze wie „der Ulf soll auch da sein“; ihre Bereitschaft, emotional in Vorkasse zu gehen, entsprach den Gegebenheiten. Meistens hatte sie Glück, oder was immer es war, was sie damit verwechselte, und der Ulf war auch da. Man sah sich, es wurde geflirtet, und dann ging sie aber doch alleine nach Hause; irgendein ein unscheinbarer Einbruch in der selbst auferlegten Euphorie – keine Ahnung (ich krieg halt auch nicht immer alles mit, weil ich mich auf meine eigenen Nichtigkeiten konzentrieren muss). Grundsätzlich funktionierte die Chronik einer angekündigten Liebe bei ihr wie folgt (so sie es denn tat): Sexuell gerade „tote Hose“, emotional „irgendwie auch“, klar, ohne Basis kein Überbau, dann ein Typ, „ganz süß“, „vielleicht geht ja mehr“, uswf. Das Ganze schaukelte sich so irgendwie dahin, auch ein bisschen hoch, die „Community“ machte ihre Arbeit, d.h. lieferte ihr stabilisierendes Sidekickgemunkel ab; das Thema köchelte und blieb für eine Weile voller Möglichkeiten – in der Regel ja die angenehmste Phase, in der sich Gerüchte durch vielfältig flankierte Gegenseitigkeit stärken: Man entwirft sich und tut alles dafür, an diesen Entwurf zu glauben und findet jemanden, der mittut, im Idealfall jemanden, der an die Ernsthaftigkeit und Charaktergebautheit dieser Spiegelfechterei glaubt. Ein Geben und ein Nehmen setzt ein: Zwei einander abbildende und beglaubigende zweidimensionale Menschen, die die gegenseitigen Projektionen mit der Zeit befestigen und dadurch sowohl füreinander als auch jeweils für sich selbst - als doppeltes Resultat der mutuellen Zuschreibungen - Persönlichkeitstiefe suggerieren (womit sie zugleich aber auch die an sich ja unbewiesene Behauptung von der Leere und, damit verbunden, der Atrributezuschreibungsbedürftigkeit des psychischen System bestätigen). Liebe funktioniert hier als reziproker Münchhausen.

2) Callcenter.

Wer hat es nicht schon mal gesehen?: Zehn Uhr in Deutschland, für fünf (natürlich der Pause zugerechnete) Minuten wird das Fenster geöffnet, die Mitarbeiterschaft erhebt sich unaufgefordet, der Administrator zugleich die Stimme und von der Seite wie für einen Applaus aufeinander zu beide Hände: „Es gibt keine Probleme“. Die Gemeinde antwortet: „Es gibt nur Lösungen.“ Der Administrator neigt demonstrativ sein rechtes Ohr und hört nichts. „Es gibt nur Lösungen“, antwortet erneut und diesmal etwas stimmkräftiger die Gemeinde. (Warum schallt es eigentlich nicht: challenges?)

Ja, lautet die Antwort: Hat jeder schon mal gesehen, in einem plump-satirischen Filmchen ZDF’iger Provenienz. Stimmt, lautet daraufhin darauf die kleinlaute Antwortantwort, da hab ich es ja auch her.

Aber schlecht gemeint ist manchmal trotzdem gut erfunden – die Wirklichkeit des Business, die ihrerseits ja auch durch die Schule unterkomplexer Verballhornung gegangen ist, ist eben auch deshalb, weil sie sich beim Aneignungsprozess vor keiner Banalität scheut, raffinierter, im Aushebeln von Kritik schlauer geworden.

Außerdem gibt es noch andere Beispiele, die dem vorangegangenen in puncto Durchgenudeltheit nicht nachstehen:

Der Mitarbeiter des 21. Jahrhunderts wird nicht gefeuert, rausgeschmissen, sondern freigestellt (noch nicht mal freigesetzt, sondern –gestellt, er findet sich also genau in der Position vor, aus der heraus er unverstimmt und federnden Schrittes der nächsten beruflichen Challenge entgegenschreiten kann).

Und so weiter: Der Code fürs Absondern abgedroschener Statements, lautet, sofern dies hemdsärmelig und mit viel Crescendo geschieht, „Tacheles reden“, „Lebensleistungsrente“ ist der Code für – was eigentlich? Das Gegenteil? Als Gegenteil bräuchte es von sich selbst ein Gegenteil, also ein Für-Teil; ein wie immer geartetes Verhältnis zur Wirklichkeit. Und wahrscheinlich klingt „Lebensleistungsrente“ deshalb so plausibel und unbekümmert, weil auf diesen Bezug kein Wert gelegt wird und es von keiner wie auch immer gearteten Realität beschwert ist: neoliberale Hirnwichspoesie. Signifikante brauchen keine Signifikate, um nach ihnen zu klingen.

Ach ja, und dann gibt es noch den „Kleinwüchsigen“ (an sich ja schon the next step of PC; schließlich kann man auch „Zwerg“, sagen, oder „Gnom“, oder „Winzling“, oder „komm mal raus aus deinem Loch“), der als „vertikal Herausgeforderter“ anzureden ist. (Lachen ist schätzungsweise erlaubt, aber natürlich nur, wenn es politisch korrekt „im Hals stecken bleibt“.)

3) political correctness.

Und dieses wunderbare Beispiel führt uns geradewegs zurück zum vorgenannten Artikel, aus dem es auch stammt. PC funktioniert, lesen wir sinngemäß, als „freitragendes Gerücht seiner selbst“, wie Peter Sloterdijk es nennen würde. Als unheilvolles wechselseitiges Aufeinanderreduzieren schnappatmig denkender Gegner, die doch ungewollt an einem arbeiten: dass sich der Fehldiskurs in Gang hält. Die Linke hat ihr Rückzugsgefecht, die Konservative einen Begriff, den sie lustvoll unterschieben (und auch ihrerseits als Rückzugsgefecht kritisieren kann: was Ihr wolltet, war Kacke, und wie Ihr mit eurem Misserfolg umgeht, ist auch Kacke). Den Rest für die Crossing-over-Karriere von political correctness erledigt wie gehabt die Binnendifferenzierung: Sich etwas schlauer fühlende Linke verübeln denen, die PC einfordern, dass sie es so preiswert machen - denn die gibt es auch: die, die eine Luftgeburt dazu hernehmen, „sich selbst“ zu erfinden und mit einem weltanschaulichen Ziel zu versehen; die, die das von wem auch immer ausgerufene Scheinziel nach seiner Ex-negativo-Inbetriebnahme ins „Positive“ wenden; die, für die PC ein veritabler Ersatzbattle im ewigen Kampf für die Verbesserung der Verhältnisse wird -, und die Metaklugen lehnen gleich den Begriff per se und die daraus hervorquellenden falschen Diskurse ab, womit sie ihn - da sie ihn ja, um ihn kraftvoll negieren zu können, spezifizieren müssen -, ebenfalls weiter treiben (da geht es ihnen wie mir).

Der Rest ist Autopoiesis as usual. Wenn etwas so universal befehdet wird und wenn Dagegensein so vielfältig anschlussfähig ist, dann ist Weiterexistieren unvermeidlich. „Der Weltgeist-Demiurg hat sich mal wieder selbst übertroffen“, sagen die einen und meinen: So einen Diskurswirrwarr muss man erst mal in Gang bringen können: niemand kann sich entziehen, also trägt jeder was bei und also hört die Scheiße niemals auf – „dem Weltgeist-Demiurg blieb gar nichts anderes übrig als PC zu erfinden“, sagen die anderen und meinen ungefähr dasselbe: Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie glatt erfinden.

Gleichwohl bleibt der Verdacht, besagter Weltgeist sei über das übliche Maß hinaus gleich mal so clever gewesen, mit der PC nicht nur ein Diskursspiel eröffnet zu haben, das vollständig aus sich selbst heraus funktioniert und entsprechend immanent beschreibbar ist (und insofern kann der Dell-Artikel für sich selbst (be)stehen und ihm ist nichts hinzuzufügen – alles Gesagte ist wahr und darüber hinaus sogar hinreichend), sondern: Das ist ja gerade der Trick! Die PC erfüllt ihre selbstgesteckte Aufgabe so fulminant und überreichlich, dass sich die Frage, ob da nicht noch was ganz Anderes im Spiel ist, zu erübrigen scheint.

Der Euphemismus, bei dem jeder mit muss

Es kommt, wie es kommen muss, zum Fazit: Die political correctness ist kein trendabholdes, Horx-los vor sich hinwurschtelndes Gutmenschgequatsche (trotz der ertragreichen Erfindung desselben, die auf ähnlichen Prinzipien beruhen dürfte), sondern sie erweist sich - aufzeigbar an ihrer Strukturähnlichkeit zur Selbstanheizung affektarmer Freundschaft-plus-Praktiziererinnen einerseits sowie zum Optimismus- und Optimierungsjargon einer Selfmade-Economy andererseits -, als Spielart eines insgesamt waltenden Münchhausenismus, eines buchstäblich freischaffenden, sich freischaffenden (und auf dieser Nullbasis dann wieder erschaffenden) Self-engineerings. Den Rest besorgt Nina Ruge: Alles wird gut. Der Zwang kommt wie immer in diesen Tagen durch die Hintertür: Wenn alle frei sind, dann ist es schwer, „ich bin mal so frei, es nicht zu sein“ zu sagen. Der Optimismus- und Euphemismusterror ist so perfekt, dass er es nicht nötig hat, restriktiv zu werden und auf Disziplinarmaßnahmen zurückzugreifen.

Insofern ist davon auszugehen, dass wir in Kürze darüber unterrichtet werden, dass unter jedem Gefühl von Terrorisiertwerden immer eine unempfundene, lediglich noch nicht bewusst gewordene Glücksempfindung steckt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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