Jair Bolsonaro kann als Wahlverlierer genauso viel Schaden anrichten wie als Präsident

Meinung Der künftige Staatschef wird sich einem aggressiven rechten Bollwerk des Hasses und der Ignoranz gegenübersehen. Auch wenn er die Wahl gewonnen hat, wird Lula da Silva in den kommenden Jahren in Brasilien kein leichtes Spiel haben
Ausgabe 44/2022

Zwei Tage ließ sich Jair Bolsonaro Zeit, bevor er sich zum ersten Mal nach seiner Wahlniederlage öffentlich äußerte. Umgeben von seinem Sohn und etlichen Beratern hielt der scheidende ultrarechte Präsident eine kurze Rede im mondänen Präsidentenpalast von Brasília. Tenor: Er habe sich immer an die Verfassung gehalten. Dann ließ er seinen Stabschef erklären, die Regierung Bolsonaro werde die Amtsübergabe vorbereiten.

Das lässt hoffen, alles könnte reibungsloser über die Bühne gehen als zunächst befürchtet. Allerdings blieb sich Bolsonaro in vielen Punkten treu. Er gratulierte weder Lula da Silva zum Wahlsieg, noch gestand er seine Niederlage direkt ein. Tatsache ist, am 30. Oktober hat der sozialdemokratische Herausforderer die Stichwahl gegen den rechtsradikalen Amtsinhaber gewonnen, knapp, aber unanfechtbar. Viel war im Vorfeld über einen möglichen institutionellen Bruch spekuliert worden, einige rechneten gar mit einem Staatsstreich.

Ohne Zweifel: Hätte Bolsonaro das Vermögen und den Rückhalt besessen, wäre ein Putsch durchaus denkbar gewesen. Nur dürften ihm für einen offenen Verstoß gegen die Verfassung vorrangig die nötigen Verbündeten gefehlt haben. Es gibt in diesem Land immerhin eine aktive Zivilgesellschaft, kritische Medien und halbwegs stabile demokratische Institutionen. Hinzu kam das Ausland, weder in Lateinamerika noch in den USA finden sich relevante Sympathisanten eines Präsidenten ohne demokratisches Mandat. Joe Biden zählte zu den ersten Gratulanten Lulas.

Dass Bolsonaro auf die diktatorische Selbstermächtigung verzichten muss, heißt freilich nicht, dass alle Gefahren gebannt sind. Seine radikalen Parteigänger werden keine Ruhe geben. Als Staatschef hat es der Wahlverlierer geschafft, eine Massenbewegung hinter sich zu bringen, und das nicht nur in den digitalen Kanälen. In seiner kurzen Rede schickte Bolsonaro denn auch klare Botschaften an seinen Anhang. Unmittelbar nach dem Wahltag gab es Straßenblockaden gegen eine „geraubte Wahl“. In Telegram-Gruppen wurde ungeniert zum Widerstand aufgerufen. Zwar hieß es aus dem Lager des Noch-Präsidenten, man dürfe keine „Methoden der Linken“ anwenden, doch wurde gleichsam darauf bestanden, dass „die populären Bewegungen die Folge von Wut und eines Gefühls von Ungerechtigkeit“ seien, das der Wahlprozess ausgelöst habe.

Bolsonaro hat es stets verstanden, seine Basis mit Zweifeln am demokratischen System und platten Lügen zu mobilisieren. Und das mit fatalen Konsequenzen. Viele Rechte glauben jede noch so absurde Lüge ihres Idols, driften in Parallelwelten ab und radikalisieren sich. Eine künftige Lula-Regierung wird sich einem aggressiven Bollwerk der Obstruktion gegenübersehen. Nicht auszuschließen, dass Bolsonaro in der Opposition genauso viel Schaden anrichten kann wie als Staatschef. Sein Statement vom Dienstag wurde in rechtsradikalen Netzwerken als Aufruf gedeutet, die Blockade des Regierungswechsels auszuweiten.

Für Bolsonaro ging es nie einfach nur darum, Wahlen zu gewinnen. Er wollte die Gesellschaft nachhaltig verändern. Teilweise war er damit erschreckend erfolgreich. Der Bolsonarismus war und ist nicht nur eine Bewegung, sondern eine neue Art von Politik. Überall haben sich Typen festgesetzt, die genauso denken und handeln wie ihre Galionsfigur. Auch ohne Präsidentenamt ist der Geist des Bolsonarismus noch lange nicht aus der brasilianischen Politik vertrieben.

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