Parada

Der Publikumserfolg der diesjährigen Berlinale kommt, nach Österreich und der Schweiz, nun auch in die deutschen Kinos: ´Parada´.

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Über den Balkan haben wir viel in den vergangenen 20 Jahren erfahren, viel Leidvolles & Tragisches, doch über die Kultur, abgesehen von den Filmen von Emir Kusturica, wissen wir nicht viel. Doch es gibt sie, so auch die Ausnahme der überregionalen Wirkung.

Der jüngste Film des Belgrader Regisseurs Srđan Dragojević widmet sich dem Thema LGBT im homophoben Ex-Jugoslawien. Erzählt wird die Geschichte einer Gruppe serbischer Lesben und Schwulen, die in Belgrad eine Gay-Pride-Parade durchführen möchten. Die Polizei verwehrt ihnen Begleitschutz, darüber hinaus die Demo ohne eigene Security zu genehmigen, da eine Truppe nationalistischer und homophober Hooligans Krawalle angekündigt hat. Nun kommt Limun ins Spiel: ein Alpha-Mann wie aus dem Bilderbuch, ehemaliger serbischer Veteran der vergangenen YU-Kriege, jetziger Inhaber einer suspekten Security-Firma und Judoschule. Seine kapriziöse Verlobte Biserka (die ´Perle´), deren Hochzeitsplaner der schwule Mirko ist – Hauptorganisator der Parade -, setzt ihm ein Ultimatum: Entweder er beschützt diese feinen Menschen oder - die Hochzeit fällt aus!
Limun gerät unter Druck: Seine serbischen Kumpanen verweigern ihm die Unterstützung für diesen ungeliebten Job. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als zusammen mit dem schwulen Tierarzt Radmilo durch das einstige Jugoslawien zu fahren und seine ehemaligen Kriegsgegner in Kroatien, Bosnien und Kosovo für das Engagement zu gewinnen.

Zugegeben, das hört sich vorab nach Nonsens² an, und ehrlich gesagt: Erst die Berlinale-Pressekonferenz mit der Filmcrew hat mich überzeugt, diesen Film sehen zu müssen. Srđan Dragojević verpackt diese Geschichte in eine skurrile Komödie, nebenbei schafft er den Spagat, die vergangenen Kriege zwischen den Ethnien und Glaubens-richtungen, bzw. die betroffenen Protagonisten, in die Handlung einzubinden. Herausgekommen ist nicht nur ein sozialkritisches Plädoyer, sondern auch eine politische Interaktion. Dabei bedient er sich aller Vorurteile, Klischees und Stereotypen, die landläufig als auch hierzulande vorherrschen, und die dennoch für manch einen Zuschauer und Kritiker nördlich der Alpen als überzogen angesehen werden können. Das Verrückte ist nur, dass einzelne Charaktere in der Realität tatsächlich genau so vorzufinden sind: auf den 1. Blick unangenehme, ungebildete, nervige und überspannte Zeitgenossen, die sich bei näherem Einlassen, mit einem Herzen am richtigen Fleck erweisen und ein instinktives Gefühl für Gerechtigkeit empfinden, auch wenn sie dabei verlieren können. Nicht zuletzt ist der Film auch ein Appel für Menschlichkeit und Mut und natürlich für die Liebe …

Der Regisseur versteht sein Handwerk und wie seine Mitmenschen ticken, dazu dient ihm nicht zuletzt seine Ausbildung als Psychotherapeut. Indem er für seine intelligent gemachte Message die Komödie und nicht das Drama als Ausdrucksform wählte, schafft er es mit dem umwerfenden, typisch balkanesischen Humor, effektiver Vorurteile und Vorbehalte zu verdeutlichen und wie mit einem Fingerschnipp dabei abzubauen. Der Erfolg bestätigt sein Gespür und Talent: Sein Film avancierte in nahezu allen jugoslawischen Nachfolgestaaten zum fulminanten Kinoerfolg des Jahres, in Serbien wurden alle Zuschauerrekorde gebrochen, zuletzt gewann er beim irischen Galway Film Fleadh den 1. Preis als ´Best International Feature´. Auf der Berlinale gab es 3 Preise: den Panorama Publikumspreis, den Teddy-Award als auch die besondere Erwähnung der Berlinale-Jury. Da blieb Dieter Kosslick wohl nichts anderes übrig als einzugestehen, dass er sich anfangs überlegt hatte, den Film im Wettbewerb laufen zu lassen, sich aber nicht getraut hat… Warum eigentlich?

Es bleibt zu hoffen, dass Dragojević´s Wunsch und Antrieb, dass Filme die Welt verändern können, in Erfüllung gehen, mit einer nachhaltigen Wirkung, zumindest bei Zuschauern, denen die Empathie im Laufe ihres Lebens nicht vollends abhanden gekommen ist. Die nächste Parade kommt bestimmt, der nächste Krieg hoffentlich nicht.

Zum Abschluss müssen unbedingt die Darsteller erwähnt werden -eine ethnische Mischung so bunt wie das einstige Jugoslawien. Sie haben alle maßgeblich zum Gelingen des Films beigetragen _ insbesondere Nikola Kojo als Limun, Hristina Popović als Alpha-Frau Biserka und Miloš Samolov als Radmilo. Was offenbar auf kultureller Ebene möglich ist, wäre den Menschen auf dem Balkan insgesamt von Herzen wieder zu wünschen: dem Irrsinn und der Ausweglosigkeit des Hasses zu entkommen, ein neues Verständnis für- und miteinander zu finden…

Filmstart 13. September 2012

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Geschrieben von

Niko

Unsere Träume können wir erst dann verwirklichen, wenn wir uns entschließen, einmal daraus zu erwachen...Josephine Baker

Niko

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