Eine unscheinbare Abstimmung im Europaparlament wird an diesem Donnerstag die Weichen für die digitale Ökonomie Europas stellen. Sie markiert den vorläufigen Höhepunkt eines erbitterten Streits um die digitale Zukunft des Kontinents. Die Parlamentarier werden weitreichende Regeln zur Regulierung digitaler Plattformen beschließen – getarnt als bürokratische Feinheiten des Urheberrechts.
Die geringe Beachtung durch die Öffentlichkeit hängt mit dem intransparenten Verfahren zusammen, nach welchem die Entscheidung fallen soll. Auch wenige Tage vor der Plenarsitzung sucht man in den offiziellen Dokumenten vergeblich nach Hinweisen auf die folgenschwere Abstimmung am Donnerstag. Ohnehin hat der Rechtsausschuss des Europaparlaments vor zwei Wochen festgelegt, dass sich das Plenum des Parlaments nicht mit den einzelnen Aspekten des Gesetzes beschäftigen soll. Stattdessen wird das sogenannte Trilog-Verfahren vorgeschlagen, nach welchem sich Vertreter der drei europäischen Institutionen — Kommission, Parlament und Rat — zusammensetzen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit Kompromisse erarbeiten. Die Intention hinter dem Trilog, langwierige Abstimmungsprozesse zu verkürzen, ist löblich und trägt dazu bei, die Union politisch handlungsfähig zu halten. Allerdings führen die Verhandlungen hinter geschlossenen Türen immer häufiger dazu, dass die Öffentlichkeit von der Debatte ausgeschlossen wird.
Im vorliegenden Fall ist dies folgenschwer: Die Richtlinie enthält ein explosives Erbe des einstigen Digitalkommissars Günther Oettinger. Unter dessen Leitung hatte die Behörde 2016 ein Rechtsinstrument in das Dokument eingespeist, welches bei Internetexperten blankes Entsetzen hervorruft. Plattformen wie Facebook, Wordpress oder Medium.com sollen gezwungen werden, sogenannte "Upload-Filter" einzurichten. Diese würden jeden Beitrag und jeden Kommentar eines Nutzers danach untersuchen, ob der Text einem älteren Beitrag gleicht, um so gegebenenfalls dessen Veröffentlichung zu unterbinden. So soll verhindert werden, dass urheberrechtlich geschützte Texte und Bilder unkontrolliert Verbreitung finden.
Ein richtiger Gedanke
Dahinter verbirgt sich ein richtiger Gedanke: Digitale Plattformen, wie Facebook, Google und Co. erwirtschaften Milliarden, während Journalisten, deren Beiträge auf den Plattformen geteilt werden, kaum davon profitieren. Auch Musiker, Filmemacher und Fotografen fühlen sich von den Digitalkonzernen um ihren Anteil an der Wertschöpfung betrogen. Während die Kreativbranche knapst und Verlage immer verzweifelter nach Finanzierungsmodellen suchen, feiern die Tech-Giganten Jahr für Jahr unglaubliche Gewinnsprünge. Es liegt nahe, eine Umverteilung der digitalen Gewinndividende anzustreben.
Im Glauben den Kreativen etwas Gutes zu tun, bemühen daher Oettinger und viele andere den Hebel des Urheberrechts. Doch dieser erweist sich als zweischneidiges Schwert. Denn das Urheberrecht, einst erdacht um kreative Schöpfer zu stärken, hat sich längst zu einem Spielball der Medienkonzerne und ihrer Großkanzleien entwickelt.
Im Grunde stützt sich die Monopolstellung der Internetgiganten einzig und allein auf die Fiktion eines "geistigen Eigentums". Es sind Urheber- und Patentrechte, die die Funktionsmechanismen ihrer Plattformen vor Wettbewerbern schützen. Ökonomische Plattformen, die unterschiedliche Marktteilnehmer zusammenbringen, hatten schon immer eine Tendenz zur Monopolisierung. Aus diesem Grund gab es bereits vor Jahrhunderten in den meisten Städten nur einen Fischmarkt oder eine Börse. Doch im digitalen Raum sollte es eigentlich einfacher sein, konkurrierende Plattformen zu errichten. Während der Platz für einen Fischmarkt rein physisch beschränkt ist, können problemlos mehrere Suchmaschinen oder Social-Media-Plattformen nebeneinander existieren.
Nur ein einziger Fischmarkt
Doch das Urheberrecht auf Algorithmen garantiert den Platzhirschen, dass ihre Konkurrenten nicht einmal die grundlegende Funktionsweise einer Plattform übernehmen können. Dies entspräche einer Situation, in der sich beispielsweise der Hamburger Fischmarkt das alleinige Recht zum Verkauf von Fischen in großen Hallen sichern könnte. Es dürfte dann keinen Fischmark in Bremen geben, keinen in Frankfurt und natürlich auch keinen solchen Markt in Barcelona. Können wir uns das vorstellen? Was uns in der analogen Welt absurd erscheint, ist in der digitalen Ökonomie aber längst Realität. Sogenanntes "geistiges Eigentum" hindert Wettbewerber daran, die Funktionsweise einer digitalen Plattform zu kopieren und diese zu erweitern — oder schlicht, den Verbrauchen eine Alternative anzubieten.
Doch wie lassen sich einerseits digitale Monopole aufbrechen und andererseits eine faire Vergütung von Musikern, Journalisten und Fotografen erreichen? Der Ökonom Rufus Pollock skizziert in seinem neuen Buch The Open Revolution eine "Open Economy" auf der Basis neuartiger Vergütungsrechte. Solche "remuneration rights" würden Kreative angemessen vergüten und gleichzeitig sicherstellen, dass der Zugang zu Wissen und Informationen frei ist. Mehr Konkurrenz unter den Plattformen würde zudem die Kreativen und Kulturschaffenden in eine ganz andere Verhandlungsposition bringen. Sie wären es, die Google und Facebook die Konditionen diktieren, zu denen diese ihre Inhalte nutzen können.
Noch könnten die Europaabgeordneten das Blatt wenden, das intransparente Trilog-Verfahren aussetzen und die Debatte zurück in das Plenum holen. Doch es sieht so aus als würden sie stattdessen am Donnerstag den Vorschlag des Rechtsausschusses ungesehen durchwinken. Wenn die Bürger Europas nicht noch laut protestieren, werden sich am Ende wieder einmal die Digital-Monopole freuen.
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