Niemand thut Geschenk verachten, sondern alle thun darnach trachten". Diese Spruchweisheit ist 300 Jahre alt und ihr Verfasser, Christoph Lehmann, ist längst vergessen. Und das, obwohl er noch andere Sprüchlein übers Schenken gereimt hat, wie etwa dieses: "Schencken und Gaben sind Zeugen der Lieb." Christoph Lehmann hielt viel vom Schenken, und auch wenn es nicht verbürgt ist, so dürfte er doch davon überzeugt gewesen sein, dass kleine Geschenke die Freundschaft erhalten. Sein Zeitgenosse Julius Wilhelm Zinkgreff war auch voll des Lobes darüber, was Geschenke zu bewirken vermögen - und dichtete im Jahre 1626: "Es ist kein thür so hart, die nicht durch geschencke kündte geöffnet werden." Was bei Zinkgreff noch sittsam-verhalten klingt, übersetzt ein Volksmund in eine unzweideutige Sprache: "Geschenke machen Weiber williger, Pfarrer frumm und die Gesetze krumm".
Zwischenmenschlicher Kitt
In seinem Handwörterbuch des Aberglaubens beschreibt Historiker Paul Sartori, in welch hohem Maß das Schenken mit der Idee der Gesundheit und des Glücks verknüpft war. So glaubte man in früheren Tagen, eine geschenkte Zwiebel helfe dabei, das Kopfweh zu vertreiben; und sicher war man sich früher, durch ein in Aussicht gestelltes Geschenk den Schluckauf beenden zu können. Zwar existieren heute solche abergläubischen Vorstellungen nicht mehr, das Schenken wird aber nach wie vor als erfreulich empfunden, wobei das Glück heutzutage eher darin zu bestehen scheint, einen Anderen zu beschenken, als selbst beschenkt zu werden. Zumindest behaupten das Meinungsforscher wie Elisabeth Noelle-Neumann.
Flüchtig betrachtet, ist Schenken tatsächlich etwas ebenso Harmloses wie Erfreuliches. Man sehe sich nur einmal das klassisch gewordene "Handgeschenk" an: Eine Person X überreicht einer Person Y einen Gegenstand. Dadurch wird der Eine zum Schenkenden und der Andere zum Beschenkten. Durch den Akt des Schenkens "überschreibt" der Geber einen - zumeist winzigen - Teil seines Vermögens an einen Nehmer. Da er das aus freien Stücken tut, ohne hierzu genötigt worden zu sein, gilt es, ihm hierfür Respekt zu zollen. Und so zeigt sich der Beschenkte denn auch in der Regel erkenntlich, indem er lächelt, sich überschwänglich bedankt und wahlweise betont, dass dies alles doch gar nicht nötig gewesen wäre oder dass er ein so großes und von Herzen kommendes Geschenk nun wirklich nicht verdiene.
Edler Geber oder gemeiner Erpresser?
Nichts liefe der Idee des Schenkens stärker zuwider als der Versuch, den realen Wert eines Geschenks bestimmen zu wollen. Nicht das Geschenk als solches, sondern die Handlung des Schenkens macht den eigentlichen Wert des Schenkens aus. Wenngleich ein in seinem Wert auf Heller und Pfennig bestimmbares Gut überreicht wird, so ist doch für jeden Beschenkten unschwer erkennbar, dass dieses Gut nichts wert ist im Vergleich zu dem symbolisch gemeinten Akt des Schenkens, der Freundschaft, Vertrauen, Anteilnahme oder sogar Liebe anzeigen soll. Aus diesem Grund wird der geschenkte Gegenstand von seinem Preisschild befreit und in Papier verpackt. Erst durch die Verpackung wird aus einem Gebrauchsgegenstand ein Geschenk.
Der Wissenschaftler William B. Waits hat nachgezeichnet, wie sich die "Technik der Verpackung" im Laufe der Geschichte immer weiter verfeinert hat. Noch im 19. Jahrhundert war es eher unüblich, Geschenke zu verpacken. Später dann steckte man kleinere Geschenke in Strümpfe, größere Geschenke blieben unverhüllt. Und erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es üblich, Geschenke zu verpacken, um so die Neugier auf den geschenkten Gegenstand zu steigern. In China hingegen hat das Verpacken eine längere Tradition. Dort werden Geschenke schon seit vielen Jahrhunderten in rotes Papier eingewickelt. Erst die rote Farbe des Papiers weist ein Geschenk als solches aus.
Keinem ökonomischen Prinzip folgend, ist das Schenken eine der wenigen sozialen Handlungen, die nicht aus der Absicht heraus vollzogen werden, jemandes Vorteil zu mehren. Wer dennoch glaubt, man könne die Idee des Schenkens mit Nützlichkeitserwägungen in Einklang bringen, der verwandelt sich in den Augen seines Umfelds flugs vom edlen Geber zum gemeinen Erpresser. Schenken aus taktischen - sprich: niederen - Motiven ist kein Schenken mehr. So wie Raub oder Tausch ist zwar auch das Schenken unmittelbar an die Besitzfrage geknüpft, doch liegt dem Schenken ein Motiv zu Grunde, das bei Raub und Tausch auf keinen Fall unterstellt werden darf: Altruismus. Ist aber das Schenken tatsächlich so selbstlos gemeint, wie es auf den ersten Blick erscheint? Und hat das Schenken nicht auch eine dunkle Seite?
Gabe und Gegengabe
Dank der Wissenschaft vom Schenken wissen wir heute: Schenken ist alles andere als eine unproblematische Handlung. Wie jede andere soziale Handlung birgt auch das Schenken mannigfaltige Gefahren. So haben sich Psychologen mit "pathologischen" Formen des Schenkens und dem Phänomen des "boshaft gemeinten Geschenks" beschäftigt. Historiker konnten nachweisen, dass der Schenkakt erst seit dem 18. Jahrhundert Konjunktur hat und sich somit - aller idealistischen Verklärung zum Trotz - aus den Bedingungen eines freien Marktes heraus entwickelte; Sozialforscher dagegen entzauberten den Mythos des selbstlosen Schenkens, indem sie minutiös Dorfgemeinschaften beobachteten, und Soziologen konnten empirisch belegen, dass die Annahme eines Geschenkes den Beschenkten zu einer Gegengabe verpflichtet. Das Schenken unterliegt gesellschaftlichen Normen und findet sogar im Recht seinen Niederschlag, etwa in der Rechtsfigur des "groben Undanks", die es Schenkenden erlaubt, ein Geschenk zurückzufordern.
Der amerikanische Soziologe Theodore Caplow ist einer der Pioniere auf dem Gebiet der Schenkforschung. Bereits in den siebziger Jahren hat er das Schenkverhalten in der amerikanischen Stadt Middletown untersucht und dabei festgestellt, dass vier von fünf Geschenken an die engsten Verwandten überreicht werden. Schenken ist demnach kein selbstloses Verhalten, da die allermeisten Geschenke in der Familie verbleiben. "Schenken", so der Soziologe Helmuth Berking von der University of Evanston (Illinois), "folgt strikt den Regeln einer verwandtschaftsbezogenen Nahmoral".
Und nicht nur das: Studien von Theodore Caplow und anderen haben gezeigt, dass sich der Verwandtschaftsgrad zweier Personen aus dem realen ökonomischen Wert eines Geschenkes vorher sagen lässt. Je näher sich zwei Personen stehen, desto höher ist der reale Wert des geschenkten Gegenstandes. Auch wenn die meisten Personen in Befragungen angeben, es gehe ihnen beim Schenken um "die symbolische Geste", so lässt sich das Verhältnis, das zwei Personen zueinander haben, dennoch ganz profan am Geldwert des Geschenks ablesen. Das macht den "Doppelcharakter" des Schenkens deutlich: Nach außen wird Schenken als Geste des guten Willens und der wechselseitigen Sympathiebezeugung ausgegeben, gleichzeitig wird durch das Schenken indirekt ein Beziehungsverhältnis "ökonomisiert". Der Sozialforscher Thorstein Veblen hat herausgefunden, dass sich an einem Geschenk indessen nicht ablesen lässt, ob jemand reich ist oder nicht.
Verhaltenswissenschaftler sind lange Zeit von der Annahme ausgegangen, dass Schenken den Regeln des fairen Austauschs folgt. Doch anders als man annehmen würde, halten sich Gabe und Gegengabe, Geschenk und "Gegen-Geschenk" keinesfalls die Waage: Frauen schenken häufiger als Männer; Kinder werden weit häufiger beschenkt von ihren Eltern als umgekehrt. Diese Schieflage zwischen Eltern und Kindern ist auch dann noch zu beobachten, wenn die finanziellen Mittel der Kinder größer sind als die der Eltern. Die Ursache hierfür aus Sicht der Wissenschaft: Je gesicherter eine Beziehung, desto geringer ist das Bestreben, gerecht zu schenken. Geschenk und "Gegen-Geschenk" müssen vor allem dann gleichwertig sein, wenn zwei Personen nur lose miteinander verbunden sind oder wenn ihre Beziehung ungesichert oder krisenhaft ist.
So verwundert es nicht, dass Geschenke in Paarbeziehungen eingesetzt werden, um die Beziehung zu stabilisieren. So lange die Beziehung intakt ist, wird das Schenken symbolisch verstanden; gerät sie aus dem Gleichgewicht, neigen die betroffenen Personen dazu, genau aufzurechnen. Schenken wird als das angesehen, was es faktisch auch ist: Ein Transfer von Gütern.
Trojas Tragödie und Gretchens Unglück
War nicht auch das Trojanische Pferd ein Geschenk? Und fing nicht auch das Unglück Gretchens mit einem Geschenk Fausts an, weshalb Mephisto ausrief: "Gleich schenken? Das ist brav, da wird er reüssieren!"? Schenken ist nicht immer aufrichtig gemeint. Und selbst wenn es so gemeint ist, kann es eine Beziehung verschlechtern oder beim Beschenkten Scham und Enttäuschung auslösen. Schenken ist eine risikoreiche Handlung, ganz gleich welchem Motiv sie entspringt. Welche Gefahren mit dem Schenken verbunden sind, illustriert eine von dem Anthropologen John Davis zu Papier gebrachte Anekdote: Der britische Historiker Thomas Carlyle und seine Frau waren zum Weihnachtsfest 1855 bei dem Bankier Baron Ashburton eingeladen. Als die Bescherung begann, überreichte der Gastgeber Carlyles Frau ein schwarzes Seidenkleid. Daraufhin brach Frau Carlyle in Tränen aus, ging aus dem Zimmer und wollte nicht mehr zurück kommen. Der Grund: Ein schwarzes Seidenkleid war zur damaligen Zeit ein typisches Geschenk für Hausangestellte. Der Gastgeber Baron Ashburton hatte mit seinem Geschenk unfreiwillig zum Ausdruck gebracht, wie er die Gattin des Historikers einschätzte.
Darüber hinaus lassen sich Geschenke auch dazu einsetzen, sich am andern zu rächen oder ihn auf seine Fehler hinzuweisen. Vielleicht erfreuen sich deshalb Scherz- und Juxgeschenke einer so großen Beliebtheit. "Ein Deodorant", so der Sozialforscher Frank Armbruster, "weist unmissverständlich auf fehlende Körperpflege hin, der Knigge auf schlechte Umgangsformen, das Repetitorium Grundwissen Geschichte, einem Historiker überreicht, auf die Geringschätzung seiner Kenntnisse". Jemandem ein "böse gemeintes Geschenk" zu überreichen, ist insofern eine perfide Methode als dass sich der Beschenkte im Regelfall genötigt sieht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. In einem Gedicht beschreibt Wilhelm Busch, wie drei Tanten ihrer Nichte Sophie bewusst ein hässliches Kleid aussuchen. Am Ende des Gedichtes heißt es: "Der dritten Tante war das recht: Ja sprach sie, mit gelben Ranken! Ich weiß, das ärgert sie nicht schlecht und muss sich auch noch bedanken."
Nullsummenspiel zu Weihnachten
Ein Geschenk verpflichtet vor allem denjenigen, der beschenkt wird. In dem Augenblick, in dem man ein Geschenk annimmt, fällt einem die Aufgabe zu, sich seinerseits zu gegebener Zeit erkenntlich zu zeigen. "Die Erstgabe", so der Kultursoziologe Georg Simmel, "besitzt durch die Freiwilligkeit eine Qualität, die den nachfolgenden Geschenken abgeht." Am deutlichsten wird das zu Weihnachten: Zu diesem Anlass folgt die Gegengabe unmittelbar auf die Gabe. Darin unterscheidet sich Weihnachten grundsätzlich von allen anderen Geschenkanlässen. Der Soziologe David Cheal hat in seinem Buch The Gift Economy überzeugend dargelegt, wie peinlich genau Personen zu Weihnachten darauf bedacht sind, "schuldfrei" aus der Situation hervor zu gehen.
Insofern sei es, so der Soziologe Pierre Bourdieu, eine "Illusion" zu glauben, dass Schenken auf einer "freiwilligen Entscheidung" beruhe. Für diese Annahme spricht auch ein empirischer Befund: Wenn sich Personen wechselseitig beschenken und mehrfach auf ein Geschenk ein Gegen-Geschenk folgt, so lässt sich beobachten, dass von einer Schenkhandlung zur nächsten der Wert des Geschenks anwächst. Ein klares Indiz dafür, dass sich Personen durch ein Geschenk verpflichtet fühlen. Es scheint also ein ungeschriebenes Gesetz zu geben, nach dem eine Gegen-Gabe immer etwas wertvoller ausfallen muss als die ursprüngliche Gabe.
Ist diese Tendenz zum "Wertzuwachs" bei uns noch verhältnismäßig moderat, so gibt es Gesellschaften, in denen sich dieser Mechanismus zu einem wahrhaft destruktiven Spiel entwickelt. Bei den Potlatsches in Nordwestamerika ist es üblich, ein erhaltenes Geschenk mit einem großzügigeren Geschenk zu erwidern. Dieser Wechsel von Gabe und Gegen-Gabe wird so lange fortgesetzt, bis einer der beiden daran beteiligten Clans vollkommen verarmt ist. "Das Spiel", stellt der Schenkforscher Friedrich Rost klar, "ist nur mit völligem Gesichtsverlust zu unterbrechen. Für die Potlatsches bedeutet Schenken Wettbewerb, ein archaisches Kräftemessen. Dort dankt man für Geschenke auch nicht artig, sondern sie werden vor den Augen des Schenkenden zertrümmert. Hierzulande würde man dies wohl als "groben Undank" empfinden.
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