Das Wüste unter dem Himmel

Kino In „Timbuktu“ erzählt Abderrahmane Sissako von den Verheerungen, die der Dschihad im subsaharischen Afrika anrichtet
Ausgabe 50/2014

Der Film Timbuktu ist, nach Heremakono (2002) und Bamako (2005), der dritte nach einer malischen Stadt benannte des Regisseurs Abderrahmane Sissako. Der konkrete Ort ist auch diesmal Ausgangspunkt für allegorische Verallgemeinerungen – schließlich wehen die schwarzen Fahnen der Dschihadisten, die Timbuktu in ihre Gewalt gebracht haben, zurzeit auch andernorts.

Obwohl die Gotteskrieger gleich in der ersten, aus einem Geländewagen gefilmten Einstellung mit Maschinengewehren Jagd auf eine unschuldige Gazelle machen, zeigt Sissako sie nicht als Barbaren. Bornierte, törichte Männer sind das, die Widersprüche – auch die eigenen, inneren – schlecht bis gar nicht aushalten. Wenn die Bevölkerung der besetzten Stadt sich gegen die Anweisungen und Verbote der selbsternannten „islamischen Polizei“ sträubt, haben die Dschihadisten dem zunächst nichts entgegenzusetzen als Achselzucken und frömmelnde Ermahnungen.

Eine leise Ironie geht von diesen ersten Amtshandlungen der Möchtegernpolizisten aus, ein sanfter, aber nicht zu übersehender Zug ins Absurde. Dieselben jungen Männer, die eben noch leidenschaftlich gestritten hatten, ob Zidane oder Messi der bessere Spieler sei, mühen sich im nächsten Moment ab, einen scheinbar herrenlosen Ball dingfest zu machen, der widerrechtlich zwischen den roten Lehmbauten der Stadt umherkullert. Denn Fußball gilt als haram, als sündhaft, wie auch Musik, Zigaretten und lange Hosen.

Bei der Herstellung eines Propagandavideos, in dem ein frisch Bekehrter seine Beweggründe erläutern soll, läuft alles schief, was schieflaufen kann. Nicht nur fällt, als Zeichen mangelnder Aufklärung, ständig die Beleuchtung aus. Dem eingeschüchterten jungen Mann vor der Digitalkamera, der im früheren Leben ausgerechnet Rapper war, hat es zu allem Überfluss die Sprache verschlagen.

Komisch, fast harmlos muten die islamistischen Besatzer in Timbuktu manchmal an, leicht ulkig Sissakos ausgestellte Symbolismen. Aber da ist Berechnung im Spiel – umso härter und unversöhnlicher nämlich trifft einen nachher die Eskalation der Gewalt. Der Gesetzesverstöße müde, wenden sich die Ordnungshüter ans flugs eingesetzte Scharia-Gericht, das gegen den anhaltenden Widerstandsgeist Peitschenhiebe und Steinigungen verschreibt. Sissako schaut nicht weg, fährt seine Autorenhandschrift in diesen Momenten aber auf ein Minimum zurück. In der direkten, von aller Metaphorik befreiten Gewalt verknoten sich die anekdotischen Stränge von Timbuktu: als Endpunkt der Erzählung.

Davor verweilt Sissakos Blick auf kleinen und großen Widerstandsgesten, die sich immer nur für einen Augenblick zu Filmfiguren verdichten: eine Frau, die keine Handschuhe tragen will; eine Gruppe Jugendlicher, die einen imaginären Ball über den Platz kickt; eine Mutter, die Beschwerde führt gegen die Zwangsverheiratung ihrer Tochter. Das moralische Zentrum des Films liegt außerhalb der Stadt, in einem Zelt an der Grenze zur Wüste Sahara, wo der Hirte Kidane mit Frau, Tochter und Ziehsohn ein beschauliches Leben führt. In der Nacht spielt er Gitarre und seine Frau singt dazu; die Jurisdiktion der Dschihadisten reicht also nur theoretisch bis an diese randständige Existenzweise heran. Praktisch sind Kidane und die Seinen bisher weitgehend unbehelligt geblieben – bis sich, im Handgemenge mit einem Nachbarn, der Kidanes Lieblingskuh namens GPS auf dem Gewissen hat, ein Schuss aus der angestaubten Pistole des Hirten löst.

Der Film macht hier einen Schritt zurück, wechselt in eine Totale, die den umgebenden Landstrich miteinbezieht und die Figuren zu Punkten verkleinert. Als wollte das Bild sagen, dass die Tötung eines Menschen den Horizont dieses Films übersteige. Die dem Weltlichen enthobene Perspektive währt eine mehrminütige, unbewegte Einstellung lang, geht dem Film dann aber wieder verloren. Aus gutem Grund: Unmittelbare Konsequenz der Tat ist für Kidane, dass er eingeholt wird von islamistischer Gerichtsbarkeit. Nicht die städtische Erfahrung, sondern das Schicksal der dörflich und nomadisch geprägten Peripherie ist bei Sissako das Maß für die Verheerungen des Dschihad im subsaharischen Afrika. Das letzte Bild von Timbuktu, wieder auf der Jagd, ist Grund genug, sich den Film im Kino anzusehen. Es endet atemlos, mitten im Lauf. Und lässt nicht nach, wenn längst die Credits rollen.

Timbuktu Abderrahmane Sissako Frankreich/Mauretanien/Mali 2014, 96 Minuten

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