Trumps Twitter-Nutzung als Ziel von Spott: Parodie der „Daily Show“ auf das Gemälde „Washington crossing the Delaware“ (1851)
Foto: Caroline Brehman/CQ Roll Call/Getty Images
Twitter-Chef Jack Dorsey wusste natürlich, wie politisch heikel es war, dass Donald Trump auf dem Kurznachrichtendienst gesperrt wurde, nachdem dessen Anhänger das Kapitol gestürmt hatten und deshalb „das Risiko weiterer Anstiftung zu Gewalt“ bestand. Wobei das wirklich Heikle nicht einmal die digitale Suspendierung des Ex-US-Präsidenten war, die konnte man gemäß der Nutzungsrichtlinien und angesichts des Ausnahmezustands in Washington konsistent rechtfertigen. Vielmehr war es die damit generell aufgeworfene Frage, wie viel Einfluss ein Unternehmen auf die öffentliche Debatte haben darf.
Diese Frage hat sich freilich schon vorher gestellt. Denn Twitter und andere Social-Media-Plattformen haben durch ihre Nutzungsrichtlinien, ihre algorithmische
rithmische Kuratierung oder ihre weitgehende Toleranz gegenüber Hate Speech seit jeher darüber mitentschieden, was innerhalb der digitalen Öffentlichkeit gesehen und gehört werden kann – und was nicht. So wichtig die Frage nach Rolle und Verantwortung von Plattformen in der öffentlichen Debatte ist, muss man womöglich zunächst einen Schritt zurücktreten, um zu klären, mit was für einer Art von Öffentlichkeit man es hier überhaupt zu tun hat. Bleibt man beim Fall von Twitter, wo Donald Trump bis vor kurzem täglich fast 90 Millionen Follower anheizte, ist die Antwort gar nicht so einfach. Oder genauer gesagt: Die allgemeine Rede von der „öffentlichen Debatte“ verdeckt, dass man es bei dieser tatsächlich ja mit mehreren, bisweilen nach sehr unterschiedlichen Logiken und Regeln funktionierenden Öffentlichkeiten zu tun hat, die in sich ambivalent bis widersprüchlich funktionieren. Sprach Jürgen Habermas bereits 1985 von der „neuen Unübersichtlichkeit“, ist diese über 35 Jahre später noch unübersichtlicher geworden. Twitter ist das beste Beispiel.Der 2006 gegründete Kurznachrichtendienst ist in vielerlei Hinsicht These und Antithese zugleich. Erstens ist Twitter ein Massenmedium ohne Masse. Zumindest relativ gesehen. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie besitzt Twitter hierzulande 1,4 Millionen täglich aktive User, was schon äußerst hoch gegriffen sein dürfte, gegen die neun Millionen User auf Instagram oder 23 Millionen Facebook-User, aber immer noch dürftig wirkt. Gleichzeitig firmiert Twitter als eine der politisch und gesellschaftlich einflussreichsten Plattformen. Nicht nur wegen nachrichtlicher Schnelligkeit, sondern vor allem auch, weil das Netzwerk von vielen Journalist:innen, Politiker:innen, Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und Unternehmen genutzt wird, sodass es oft als eine Art Trickle-Down-Medium funktioniert. Soll heißen: Das, was auf Twitter verlautbart oder propagiert wird, gewinnt in der Breite meist erst deshalb an Bedeutung, weil es von anderen Medien aufgegriffen und weiter verbreitet wird. Wobei genau das bisweilen zu dem Missverständnis führt, Twitter selbst wäre schon irgendwie die Öffentlichkeit – und nicht etwa ein sehr spezifischer Ausschnitt bestimmter Milieus.Covid-19 neben HölderlinEine zweite eigentümliche Paradoxie von Twitter besteht darin, dass die Nutzung einerseits ein hohes Maß an Rollen- und Zurechnungskompetenz erfordert. Treten viele User hier doch de facto eben nicht als ganze, authentische Personen auf, sondern in ihrer spezifischen beruflichen Funktion oder als Lautsprecher spezifischer Themen. Andererseits wird die nötige Sensibilität für solch ein Rollenverhalten aber dadurch erschwert, dass der Großteil der Nutzer de jure „privat hier“ ist – und es tatsächlich ja auch eher zur Regel gehört, dass man als Twitternutzer zumindest Bruchstücke seines Privatlebens einbringt. Dies führt meist zu einer permanenten, kaum aufzulösenden Verschränkung verschiedener Rollen. Das mag letztlich ein Grund dafür gewesen sein, warum Trump Twitter so intensiv nutzte. Hat dieser in seinem korruptionsnahen Habitus doch schon seit jeher Privat- und Amtsperson vermischt, nutzte er für präsidiale Verkündungen in der Regel nicht den offiziellen Account des Präsidenten, sondern jenes privates Konto, das nun gesperrt wurde.Zum dritten zeichnet sich der Kurznachrichtendienst durch die totale Disparität der Themen und die Gleichzeitigkeit verschiedener Rezeptionshaltungen aus. Man kann in seiner Timeline die Aufregung über das neue Debakel von Verkehrsminister Andreas Scheuer direkt neben lustigen Tiervideos haben, oder eine 28-teilige Analyse zu Genomsequenzierungen der SARS-CoV-2-Mutationen steht neben Hölderlin-Gedichten (Folgen Sie für Hölderlin-bezogenen Qualitätscontent @RichterHedwig und @davidhug). Ebenso findet sich ein heiliger Empörungsernst, bei dem wenig unter „menschenfeindlich“ geht und im Prinzip „alles zum Kotzen“ ist, neben einer meta-ironischen Heiterkeit, bei der kritische Kommentierung und fröhliche Indifferenz bisweilen in eins fallen.Stellt man in Rechnung, dass es dafür subjektiv gute Gründe gibt, sei es, weil menschenfeindlicher Hass gerade auf Twitter ja real und weitverbreitet ist oder fröhliche Indifferenz bisweilen notwendigen Schutz für das eigene Seelenheil darstellt, offenbart sich die, wie man heute sagt, User-Experience auf Twitter oft als Mischung aus Kafkas Prozeß auf Speed, sodass man sich in einem Anflug labyrinthischer Orientierungslosigkeit fragt, was jetzt schon wieder los ist, sowie einem permanenten Schnupperpraktikum in Ambiguitätstoleranz, das einem in guten Momenten den Sinn für die Probleme und Argumente der anderen schärft.So kakofonisch und speziell Twitter wirken mag, zeigt sich dort nur auf besonders intensive Weise ein Phänomen, das letztlich für alle Formen der Kommunikation gilt. Denn letztere, so bemerkte der Soziologe Niklas Luhmann, ist zunächst vor allem erst einmal eines: unwahrscheinlich. Obwohl Kommunikation so massenhaft stattfindet, ist sie im Grundsatz deshalb unwahrscheinlich, weil man erstens überhaupt jemanden erreichen muss, was etwa die Überwindung von Raum und Zeit impliziert, der andere einen dann noch verstehen muss, es also einen geteilten Kontextbezug braucht, und die Kommunikation schließlich noch in dem Sinn erfolgreich sein muss, dass das Gegenüber die Information auch verarbeitet, also zum Ausgangspunkt weiterführender Kommunikation macht. DienenMedien, so Luhmann, deshalb als gesellschaftliche Maschinen zur „Umformung unwahrscheinlicher in wahrscheinliche Kommunikation“, haben diese aber den entscheidenden Haken, „dass die Problemlösungen sich wechselseitig belasten und immer neue Folgeprobleme auslösen.“ Sprich: Gerade dadurch, dass Medien die Kommunikationschancen erhöhen, ziehen sie wieder neue „Schwellen der Entmutigung“ ein. Luhmann verdeutlicht das am Beispiel des Buchdrucks. Nicht nur schließt die literarische Kommunikation all jene aus, die das Alphabet, die entsprechende Sprache oder bestimmte Wörter nicht beherrschen, sondern sie erzeugte historisch mitunter auch massive Formen des gesellschaftlichen Nicht-Verstehens. „Viel von der religiösen Radikalisierung, die schließlich zu den konfessionellen Spaltungen geführt hat, geht aufs Konto des Buchdrucks, weil er Positionen öffentlich verfestigt, die man schwer wieder zurücknehmen kann, wenn man mit ihnen identifiziert ist.“Diskussion mit Friedrich MerzDa fühlt man sich freilich an Twitter erinnert. Einerseits macht der Kurznachrichtendienst Kommunikation wahrscheinlicher, direkt nach der Anmeldung kann man sich in eine Diskussion mit Saskia Esken einmischen oder Friedrich Merz antwittern. Andererseits kann man durch das Ausbleiben einer Antwort, ideologische Blasenbildung oder Troll-Attacken aber auch schnell wieder entmutigt werden. Womöglich besteht die Pointe von Twitter darin, dass es als Ort der öffentlichen Debatte nach spezifischen Logiken und ungeschriebenen Regeln funktioniert, was ein wesentlicher Grund dafür ist, warum hiesige Diskussionen nicht mit der Öffentlichkeit zu verwechseln sind, die Plattform im Grundsatz aber Mechanismen offenbart, die für jede Kommunikation gelten, sodass man das Netzwerk auch nicht ausschließlich als obskure Profilierungsmaschine von Öffentlichkeitsarbeiter:innen oder sozialen Polarisierungsverstärkern verbuchen kann. Oder anders gesagt: Vielleicht zeigt sich auf Twitter „nur“ besonders deutlich, was die generelle Herausforderung öffentlicher Debatten herstellt: Sie machen einen oft klüger, manchmal dümmer, bringen Freude oder treiben einen halb in den Wahnsinn. Mit oder ohne Donald Trump.Placeholder authorbio-1
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