Schon am ersten Tag des NSU-Prozesses hatte Nicole Schneiders das Magazin Compact, genauer gesagt die Sonderausgabe „Operation Nationalsozialistischer Untergrund“, auf ihrem Tisch liegen. Am dritten Verhandlungstag kam das Heft dann auch zum Einsatz. Denn die Anwältin des mutmaßlichen Terrorhelfers Ralf Wohlleben hatte es nicht etwa zur Pausenlektüre, sondern als vermeintliches Beweismittel mitgebracht.
Schneiders, die zeitweise dem gleichen NPD-Kreisverband wie ihr Mandant angehörte, argumentierte gegenüber dem Richter Manfred Götzl, dass das Magazin entscheidende Belege für „geheimdienstliche Verwicklungen“ in die NSU-Morde liefere. Da die juristische Wahrheitsfindung deshalb unmöglich sei, müsse das Verfahren eingestellt werden. Das Gericht lehnte diesen Antrag natürlich ab.
Auch am rechten Rand wird also über den NSU-Prozess berichtet. Obschon Jürgen Elsässer, der Kopf hinter dem 2010 gegründeten Compact, das Rubrum „rechts“ zurückweist, kann das über die tatsächliche Haltung des Magazins nicht hinwegtäuschen. Der 56-jährige Publizist war lange Vordenker der „antideutschen“ Linken und schrieb für Konkret, Neues Deutschland und auch den Freitag. Nachdem ihn vor ein paar Jahren jedoch ein nationales Erweckungserlebnis überkam, kämpft er mittlerweile nicht nur gegen „Multikulti-Globalisten“, „Sexualrevoluzzer“ und die „Verschwulung der Familienpolitik“, sondern predigt auch eine Art Synkretismus aus Antikapitalismus und Ethnopluralismus.
Letzteres hört sich zwar nach Multikulti an, meint aber das Gegenteil. In seinem Blog erklärt Elsässer das zum Beispiel so: „Kein Volk ist schlechter als das andere. Aber absolut TÖDLICH ist das Vermischen.“ Da Elsässer das Münchner Oberlandesgericht für einen „Hexenkessel des hysterischen Antifaschismus“ hält, von dem wirkliche Aufklärung nicht zu erwarten sei, haben er und ein Ko-Autor die Wahrheit kurzerhand selbst herausgefunden.
Überall Geheimdienste
Was steht also in besagter Sondernummer des Magazins? Bereits im Vorwort erfährt man, dass es mit dem 11. September bekanntlich ganz anders war und weiß schon, wohin die Reise geht. Dann 80 Seiten lang eine hanebüchene Ansammlung von Verschwörungstheorien. Nun muss man im Fall des NSU-Prozesses mit diesem Vorwurf ja etwas vorsichtig sein. Was man inzwischen über die Zustände beim Verfassungsschutz weiß, hätte bis vor Kurzem kaum jemand für möglich gehalten. Doch was man in Compact zu lesen bekommt, ist schlicht eine haarsträubende, durchsichtige Entlastungstheorie für das Trio.
Das Fazit: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hätten zwar womöglich ein, zwei Morde begangen, aber ansonsten sei der „Nationalsozialistische Untergrund“ eine Erfindung von Geheimdiensten. Die drei fungierten demnach als Marionetten eines „größeren Untergrundnetzwerkes“ aus CIA, NATO, Kriminellen und türkischen Extremisten.
Um der Öffentlichkeit das „Phantom NSU“ zu präsentieren, habe man Böhnhardt und Mundlos schließlich liquidiert und ihnen Bekennervideo und Mordwaffe untergeschoben. Angesichts der Ungerechtigkeit, die Beate Zschäpe gerade widerfahre, wird Elsässer richtig gefühlig. Einen offenen Brief an die Angeklagte, in dem er sie nicht nur auffordert über ihre Hintermänner auszupacken, sondern auch davon schwärmt, wie viel Nettes ihre ehemaligen Nachbarn über sie berichten, schließt er mit dem Satz: „Irgendwie will mir nicht in den Kopf, dass ein Mensch, der den Eindruck eines Engels hinterlassen hat, ein Teufel gewesen sein soll. Oder bin ich naiv?“
Jürgen Elsässer steht mit dieser Meinung nicht allein. Gerhard Wisnewski bedient eine ganz ähnliche Verschwörungstheorie. Auf dem Webportal des Kopp-Verlags, wo er publiziert, findet sich ein bunter Mix aus Ufologie, Alternativmedizin und rechter Esoterik. Bundesweit wurde die Seite bekannt, als er die aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen verbannte Eva Herman für seine Online-Nachrichten engagierte. Nun schreibt er, dass die jahrelangen Ermittlungen der deutschen Behörden „nicht etwa grottenschlecht“, sondern „verboten gut“ gewesen seien. Wisnewski, der den Begriff „Döner-Morde“ ohne Anführungsstriche gebraucht und den 2004 ermordeten Mehmet T. als „Döner-Brater“ bezeichnet, weiß nämlich, dass die Ermordeten keine „armen, unschuldigen Opfer“ waren, sondern allesamt tiefe Verstrickungen in „Glücksspiel, Schulden, Drogenhandel“ aufwiesen, sodass „in Wirklichkeit die meisten Spuren nach wie vor zu ausländischen Tätern führen“.
So unerträglich sich das insbesondere für die Angehörigen der Opfer anhören mag: Die Theorie vom „NSU-Phantom“ ist in rechten Medien durchaus populär. Ausdrücklich ausformuliert wird sie zwar vor allem von Elsässer und Wisnewski, latent schwingt sie aber auch andernorts mit. Die Deutsche Stimme, Presseorgan der NPD, spricht beispielsweise nur von der „ominösen NSU-Bande“, während die nationalkonservative Wochenzeitung Junge Freiheit beklagt, dass die deutsche Öffentlichkeit mit „Neonazi-Phantomen“ erpresst werde und im „politisch-medialen Komplex“ Begriffe wie „Rechtsterrorismus“ und „Terrorzelle“ kursierten, „als handele es sich um feststehende Tatsachen.“
Ein Schauprozess
Neben der expliziten Behauptung oder impliziten Unterstellung, dass es überhaupt keine rechtsextreme Mordserie gab, offenbart sich das zweite große Thema der Berichterstattung in der Sorge um den deutschen Rechtsstaat.
Es ist die Sorge, dass die Angeklagte durch eine „nicht einmal mehr unterschwellig angedeutete Vorverurteilung“, wie Zschäpe es selbst in einem öffentlich gewordenen Brief an einen Mithäftling formuliert, keinen fairen Prozess bekommen könne. Exemplarisch heißt es beispielsweise im islamfeindlichen Blog Politically Incorrect, dass der „NSU-Schauprozess“, der „wie kein zweiter in den letzten 25 Jahren den derzeitigen Zustand des bundesrepublikanischen Rechtsstaats, die linksversiffte Presse und die rote BRD-Politik beleuchtet“, Ausdruck einer politischen Willkürjustiz in der Tradition von NS-Staat und DDR sei. Das zeige sich allein daran, dass, ginge es nicht um Beate Zschäpe, sondern um eine Muslima, die Bundesanwaltschaft ja wohl kaum eine Anklage erhoben hätte, „die hauptsächlich auf Mutmaßungen und Spekulationen basiert“.
Der dritte Aspekt in der Berichterstattung ist der wohl perfideste: die Klage über den „Schuldkult“. Mit einer ungeheuren Infamie sieht man nicht etwa die Ermordeten und deren Angehörige, sondern das nationale Milieu als das eigentliche Opfer. Dieses müsse sich jetzt nämlich einer antideutschen Kampagne erwehren. Während man bei Politically Incorrect also „spürt, dass die Morde der NSU dazu instrumentalisiert werden, um ,Multi-Kulti‘ noch stärker zu forcieren“, sorgt man sich beim rechtsextremen Monatsmagazin Zuerst! darum, dass „Einwanderungslobbyisten“ nun endgültig Oberwasser bekämen.
Die Deutsche Stimme reklamiert des Weiteren, dass die „antideutschen Eliten“ den „Neonazi-Popanz“ wie die „Luft zum Atmen“ bräuchten, um „ein ganzes Volk mit nationalen Schuldkomplexen und Selbsthass zu infizieren“ und „die Kritik der Deutschen an der rasanten Verausländerung zu ersticken“. Auf der rechten Meinungsplattform BLU-News, die dem Selbstverständnis nach „klassisch bürgerlich-liberale Positionen“ vertritt, sieht man im NSU-Prozess schließlich eine „neuzeitliche Inquisition“, bei der „das deutsche Volk vor Gericht steht, das in Sippenhaft für die Taten seiner Ahnen genommen werden soll“. Die Tragik des NSU-Prozesses liege also darin, dass die politische Agenda der Bundesrepublik nur noch einen Imperativ kenne: „Brennen soll sie, die rechte Hexe! Und brennen soll mit ihr das deutsche Volk.“
Dass die größte rechtsradikale Mordserie in der deutschen Nachkriegsgeschichte am rechten Rand also vor allem perfide Verschwörungstheorien und infame Täter-Opfer-Umkehr, aber nicht kritische Selbstreflexion produziert, mag nur wenig überraschen. Denn das würde ja bedeuten, dass man das Zwickauer Trio als das begreifen würde, was es ist: das Produkt eines Milieus, das aus der Propaganda des Wortes die der Tat gemacht hat.
Nils Markwardt schrieb im Freitag zuletzt über den Kongress „Marx is muss“
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