Die Intrige ist seit alters ein fester Bestandteil der Politik. Machiavelli hat dies auf die prägnante Formel gebracht, dass der Herrscher, will er erfolgreich sein, mindestens genau so viel Fuchs wie Löwe sein müsse. An diesen Rat hält sich das politische Personal bis heute – dank des zivilisatorischen Fortschritts zwar nicht mehr im Modus des Meuchel-, aber dafür des Rufmords. Dabei ist vielen dieser Intrigen gemein, dass ihr bevorzugter Gegenstand der Körper ist, genauer gesagt der sexuelle Körper. Diese Beobachtung ließ sich zuletzt an der Causa Lafontaine eindrucksvoll bestätigen. Zur Rekapitulation: Der Spiegel hatte in seiner Ausgabe vom 16. November versucht, Oskar Lafontaine des Wahlbetruges anhand einer Liaison mit Sarah Wagenknecht zu überführen.
Die tatsächliche oder bloß erfundene Beziehung zu seiner Parteikollegin sei der eigentliche Grund für dessen Rückzug vom Fraktionsvorsitz der Linken gewesen. Aus Rücksicht auf seine Frau habe Lafontaine bereits zu Beginn des Jahres beschlossen seine Termine in Berlin zu reduzieren, war aber zur Bundestagswahl trotzdem als Spitzenkandidat seiner Partei angetreten. Betrug, Wählertäuschung schallte es da. Da der Spiegel sich dezidiert auf „Führungskreise“ der Linken berief, scheint offensichtlich, dass auch einige Genossen ein vitales Interesse hatten, Lafontaines Macht mit dieser Affäre lieber früher als später zurechtzustutzen. Dass die „These“ des Spiegel schon deswegen falsch scheint, weil Lafontaine einen Tag später sein Krebsleiden öffentlich machte und eine Operation ankündigte, wurde zwar zur Kenntnis genommen, die pikante Story von Oskar und Sarah blieb indessen in der Welt und wurde einstweilen mit weiteren Details versehen.
Horst Seehofer
Bemerkenswert, wie sich diese Episode fast nahtlos in eine Reihe ähnlicher Fälle fügt: In seiner Absurdität schon fast literarisch mutet ein Fall an, der sich im Herbst letzen Jahres in Tschechien erreignete. Der ehemalige Finanzminister und notorische Rebell innerhalb der bürgerlichen ODS, Vladimir Tlustý, wollte dubiose Methoden innerhalb der eigenen Reihen entlarven, dafür ließ er in Zusammenarbeit mit einem privaten Fernsehsender fingierte Fotos von sich und einer angeblichen Gespielin in verfänglichen Posen anfertigen. Nachdem die als Detektivbüro getarnten Mitarbeiter des Fernsehkanals die Bilder bereits verschiedenen Parteikollegen und Lobbyisten angeboten hatten, fiel schließlich der Abgeordnete Jan Morava, ebenfalls Mitglied der ODS, auf die Finte herein, kaufte das „interessante Material“ vor laufenden Kameras und löste den provozierten, landesweiten Skandal aus.
Vergleichbares ließ sich im April dieses Jahres schließlich in Großbritannien verfolgen. Die so genannte Smeargate-Affäre, die Politik und Öffentlichkeit gleichermaßen in Atem hielt, dokumentierte den besonders dreisten Versuch, den politischen Gegner mit komplett erfundenen Vorwürfen zu kompromittieren. Angesichts sinkender Umfragewerte der regierenden Labour-Partei hatte Kevin McBride, damals strategischer Berater Gordon Browns, den Plan gefasst Oppositionsführer David Cameron eine Geschlechtskrankheit anzudichten und über dessen Parteikollegen David Osborne verbreiten zu lassen, es existiere ein Video, das diesen beim Intimverkehr mit einer Prostituierten zeige. Der Plan flog auf und kostete nicht Cameron oder Osborne, sondern McBride das Amt.
Wie oft Sexualität im politischen Kampf als Waffe eingesetzt wird, offenbart sich noch deutlicher, wenn man jene Fälle in Betracht zieht, die zwar keine Intrigen im engeren Sinne darstellen, jedoch unter dem Schlagwort „Affäre“ die Medienlandschaft bevölkern. Man denke an den französischen Kulturminister Frédéric Mitterand, den ehemaligen New Yorker Gouverneur Eliot Spitzer oder den früheren demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Edwards; die Namen stehen ebenso für Affären aus der jüngsten Zeit wie, natürlich ist man versucht zu sagen, der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, aber auch der ranghohe Oppositionspolitiker Piero Marrazzo, nicht zu vergessen Horst Seehofer.
Die Fiktionsmaschine
Aber warum drehen sich politische Intrigen und Affären so oft um die Sexualität? Oder umgekehrt gefragt: Warum ist sie für den betreffenden Politiker so höchst problematisch und kostet ihn nicht selten die Karriere? Zum einen natürlich, weil seine moralische Integrität verletzt wurde. Wer als Mandatsträger einen Ehebruch gestehen muss, dem mag der eine oder andere Wähler auch in politischen Fragen nicht mehr trauen, frei nach dem Motto: Wer sein eigenen Triebhaushalt nicht im Griff hat, kann auch keinen Staat im Griff haben.
Zweifellos ist dieses Motiv heute nicht mehr so stark. Die Entrüstung über außereheliche Beziehungen hält sich in Grenzen, und es bewerten die meisten Bürger politische Kompetenz relativ unabhängig vom Privatleben des Politikers – das haben die Reaktionen auf den Fall Lafontaine gezeigt. Also muss es einen weiteren Grund geben. Man findet ihn im Körper in seiner politischen Funktion, sprich: dem Körper als Medium der Macht. Die Vorstellung, moderne Politik vollziehe sich im bloßen rationalkommunikativen Prozess, im Wechsel von Diskussion und Dezision, und habe damit das vermeintlich vormoderne Herrschaftsinstrument des Körpers aus der politischen Arena verbannt, scheint zu kurz gegriffen. Body matters, könnte man sagen. Nach wie vor entfalten sich am Körper politische Fiktionen und Mythologien. Erscheint er jedoch zu deutlich in seiner Sexualität, geht diese Fähigkeit zur (Re-)Produktion von Fiktionen verloren. Er vermag nicht mehr das zu repräsentieren, was man als die „Würde des Amtes“ bezeichnet.
Akt der Entzauberung
Um diese Gefahr zu verstehen, muss man kurz das Wesen der Macht vergegenwärtigen. Macht, so ließe sich verkürzt formulieren, ist in ihrem Kern stets fiktional. Insbesondere die säkulare Demokratie beruht letztinstanzlich auf Anerkennung, also auf dem Glauben der Beherrschten an die Legitimation der Herrschenden. Macht ist demnach nichts Festes, an sich bestehendes, sondern etwas symbolisch verfasstes, das sich diskursiv, in Zeichen oder Sprechakten äußert. Wenngleich sie selbstverständlich auch real ist, indem sie durch Bürokratie, Justiz oder Polizei konkret erfahrbar wird, bleibt sie doch immer auf ihre imaginäre Quelle angewiesen.
Eindrucksvoll hat dies Franz Kafka in seinem Roman Der Prozess" target="_blank">Der Prozeß veranschaulicht. Obwohl der unbescholtene Prokurist Josef K. nie erfährt, warum er eines Morgens angeklagt wird und auch das urteilende Gericht nie zu sehen bekommt, muss er sich am Ende seiner Hinrichtung fügen. Das Zentrum der Macht bleibt bei Kafka gewissermaßen eine stete Simulation, etwas das sich nur aus Erzählungen über dieses Zentrum speist. Josef K. muss bis zum Ende zweifeln, ob es überhaupt existiert. Gleichzeitig ist die Macht in ihren Peripherien, also in Form der Gerichtsdienern und „Türhüter“, konkret und leibhaftig, da diese es verstehen, den Glauben an sie erfolgreich zu vermitteln. Kafka greift damit im Prinzip eine Idee auf, die bereits Thomas Hobbes in seinem Leviathan formuliert hat, wenn dieser sagt, dass die Macht dem Gerücht ähnele; beides nimmt mit der Verbreitung zu.
Hier nun kommt wieder der Herrscherkörper ins Spiel. Er ist der Ort, an dem sich die Fiktionen entfalten und sich Macht symbolisch drapiert. An ihm wird deutlich, dass nicht nur die Literatur phantastische Geschichten zu erzählen vermag, sondern dass dies zuweilen auch in der Politik geschieht. Der Historiker Ernst Kantorowicz hat in seiner berühmten Studie Die zwei Körper des Königs: Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters" target="_blank">Die zwei Körper des Königs dargelegt, wie im Mittelalter die juristische Fiktion entsteht, wonach der König neben seinem natürlichen, physischen und endlichen auch über einen zweiten unsterblichen und politischen Körper verfüge. Der Souverän besitzt also nicht nur einen body natural, sondern auch einen body politic, der als kollektive Projektionsfläche, als Verkörperung des Staates dient.
Im Anschluss an Kantorowicz hat der in Heidelberg lehrende Politikwissenschaftler Philip Manow in dem eindrucksvollen Buch Im Schatten des Königs – Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation aufgezeigt, dass diese zwei-Körper-Fiktion bis in die Gegenwart subtil nachwirkt. Auch heute noch ist die körperliche Repräsentation des politischen Führungspersonals dem Schein einer Übernatürlichkeit verpflichtet. In seiner symbolischen, massenmedial vermittelten Dopplung existiert der demokratische Politiker ebenfalls als Projektionsfläche im Zeichen transzendenter Erhabenheit.
Übermäßige Hinweise auf die Alltäglichkeit seines Körpers werden ihm deswegen allzu oft zum Verhängnis. Man rufe sich lediglich in Erinnerung, dass in der sonst eher nüchternen politischen Kultur Deutschlands die Fragen nach Gerhard Schröders möglicher Haarfärbung oder Angela Merkels Schweißflecken erstaunlichen Diskussionsbedarf erzeugt haben. Wie erst gilt dies für die blanke Sexualität. Anzeichen darauf können bereits in ihrer eigentlich unspektakulären Form Aufsehen erregen. Man denke an Merkels tief dekolletierte Garderobe beim Osloer Opernbesuch oder Vera Lengsfelds offenherziges Plakat zur Bundestagswahl. Freilich bedeutet dies nicht, dass Abgeordnete, Minister oder Kanzler einem priesterlich-asketischen Ethos anhängen müssen.
Neue Kleider
Zuweilen können sie sich, wenngleich meistens nur Männer, durchaus in der Pose heroischer Erotik üben. Bilder von einem badenden Barack Obama, vom rudernden Nicolas Sarkozy oder dem zu Pferde sitzenden Wladimir Putin – wohlgemerkt jeweils mit freiem Oberkörper – können heute sogar imagefördernd sein. Problematisch wird es nur dann, wenn das Sublime zum Profanen wird. Das polit-ikonographische Inventar der Demokratie mag zwar über den erotischen, aber nicht über den sexuellen Körper verfügen. Denn letzterer bezeugt stets ein Zuviel an Alltäglichkeit. Er kappt die symbolische Verbindung zwischen dem natürlichen und übernatürlichen Körper, zwischen der Person und der Idee des Staates. Offenbart sich der Leib in seiner sexuell codierten Form, konterkariert er die Dignität des Amtes.
Es trifft dann ein, was Hans Christian Andersen in seinem berühmten Märchen Des Kaisers neue Kleider / Mini-Märchen" target="_blank">Des Kaisers neue Kleider geschildert hat. Die Erzählung vom erhabenen Herrscherkörper fällt in sich zusammen und das Volk erschrickt vor dem nackten Regenten. Politische Intrigen und Skandale beziehen sich also auch deswegen so oft auf den sexuellen, triebhaften Leib, weil dieser eine Akt der Entzauberung auslöst.
Was kann ein Politiker in solch einer Situation noch tun? Am ehesten scheint eine Kombination aus Zähigkeit und Zeit das politische Überleben zu sichern. Dank dieser Beharrlichkeit ist Horst Seehofer mittlerweile wieder als Ministerpräsident und Vorsitzender der CSU im Geschäft und Bill Clinton trifft als Pensionär die Mächtigen der Welt. Es sind die abschließenden Worte von Andersens Kaiser, die auf diese Chance verweisen: „Nun muss ich aushalten.“
Philip Manow, Frankfurt am Main, Suhrkamp 2008, 169 S., 10 Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation
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