Dritte Säule der Macht

Internet-Vordenker Mit einer Vielzahl von Projekten in Berlin vergrößert der Weltkonzern Google seinen Einflussbereich weiter
Ausgabe 26/2014
Dritte Säule der Macht

Illustration: der Freitag

Er rief zu den digitalen Waffen und forderte den Tyrannensturz: In der seit Monaten laufenden Google-Debatte des FAZ-Feuilletons zündete Gabor Steingart, Herausgeber des Handelsblatts, Anfang dieser Woche die nächste rhetorische Eskalationsstufe. Aber auch vielen seiner Vorredner mangelte es nicht an markigen Worten. Während Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff Google Absolutismus attestierte und der aktuelle Friedenspreisträger Jaron Lanier vor der gesellschaftlichen Destabilisierungskraft des Quasimonopolisten warnte, brachte Sigmar Gabriel sogar eine Zerschlagung des Konzerns ins Spiel. Google, bemerkte kürzlich selbst Kartellamtspräsident Andreas Mundt, ist ein marktbeherrschendes Unternehmen.

Kann man so sagen. Im Suchmaschinenbereich verfügt der Konzern, der Apple laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens Millward Brown gerade als weltweit wertvollste Marke ablöste, hierzulande über einen Marktanteil von 90 Prozent. Mit Youtube betreibt er zudem die größte Videoplattform, mit Chrome den meist verwendeten Browser, mit Gmail den populärsten E-Mail-Dienst und mit Android das meistgenutzte mobile Betriebssystem. Und man will weiter wachsen. Verwaltungsratschef Eric Schmidt hat dies in einer viel zitierten Passage seines 2013 erschienenen Buchs Die Vernetzung der Welt selbst überdeutlich formuliert: „Wir sind überzeugt, dass Portale wie Google, Facebook, Amazon und Apple weitaus mächtiger sind, als die meisten Menschen ahnen. Ihre Macht beruht auf der Fähigkeit, exponentiell zu wachsen. Mit Ausnahme von biologischen Viren gibt es nichts, was sich mit derartiger Geschwindigkeit, Effizienz und Aggressivität ausbreitet wie diese Technologieplattformen, und dies verleiht auch ihren Machern, Eigentümern und Nutzern neue Macht.“

Diesen Machtzuwachs erreicht Google einerseits durch schiere Finanzkraft. Der Konzern, der 2013 einen Gewinn von 14 Milliarden Dollar erwirtschaftete, hortet allein für Firmenzukäufe rund 30 Milliarden Dollar. Zum anderen sind es wir selbst, die Google mit jedem Klick mächtiger machen und dessen Datenschatz tagtäglich anwachsen lassen. Das Unternehmen verfügt aber noch über eine weitere Machtsäule: die sanfte Einflussnahme. Über Förderprogramme, allen voran Google for Entrepreneurs und Google Ventures, betreibt der Konzern eine geschickte Investitionspolitik, indem er eine Vielzahl unterschiedlicher Projekte finanziert, deren Querverbindungen bisweilen nicht allzu augenfällig scheinen. So kolonisiert Google sozioökonomische Strukturen, die für sich genommen sogar einen gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen mögen, in ihrem wechselseitigen Zusammenspiel aber sukzessiv zu einem System sich selbst verstärkender Einflussnahme anwachsen. Es ist eine Kombination aus vermeintlich philanthropischer Umarmung, raffiniertem Networking und gezieltem Kapitaleinsatz. Das lässt sich gerade auch in Berlin beobachten.

We are family

Zum einen ist da die Factory, ein nach dem Vorbild des kalifornischen Googleplex konzipierter Campus für Start-up-Unternehmen in Berlin-Mitte. Auf den 16.000 Quadratmetern Bürofläche der ehemaligen Oswald-Brauerei, die der Unternehmer Simon Schäfer aufwendig hat umbauen lassen, soll künftig das Herz der hiesigen Digitalwirtschaft schlagen. Neben vielen Berliner Start-ups haben bereits Twitter, Soundcloud oder Mozilla hier ihre Dependancen bezogen. Im Rahmen einer strategischen Partnerschaft hat Google das Projekt beratend begleitet und eine Million Euro investiert. Im Zuge der feierlichen Eröffnung am 11. Juni, bei der nicht nur Klaus Wowereit eifrig Komplimente verteilte, sondern zu der auch Eric Schmidt eingeflogen kam, wurde Google denn auch als starker Partner rauf- und runtergelobt. Der Konzern revanchierte sich mit einem Einspieler, in dem die Factory als Teil der family begrüßt wurde. Darüber hinaus investiert Google jedoch nicht nur in den Tech-Campus, sondern auch in eine Reihe von Start-ups. Darunter die Mitfahr-App Uber, das Open-Knowledge-Programm Codefor oder die Expertenplattform Colab. Alle drei präsentierten sich auch im Rahmen der Factory-Eröffnung.

Und dann ist da noch das 2011 aus der Taufe gehobene Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), das nicht Google-Institut genannt werden will. Die über 40 Mitarbeiter starke Forschungseinrichtung am Bebelplatz, die von der Humboldt-Universität, der Universität der Künste sowie dem Wissenschaftszentrum für Sozialforschung gegründet wurde und sich der transdisziplinären Erforschung des Netzes widmet, wurde für die ersten drei Jahre mit 4,5 Millionen Euro von Google gesponsert. Eine Anschlussfinanzierung bis 2019 ist bereits vereinbart. Die Berliner Regierungspolitiker freuten sich über die spendable Geste.

Knut Nevermann, Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, ließ seinerzeit verlauten, dass Google hier „gelebte unternehmerische Verantwortung“ beweise und das HIIG, das als An-Institut der Humboldt-Universität firmiert und seinen Sitz in der dortigen Juristischen Fakultät hat, sicher „nicht der intellektuelle Wurmfortsatz einer Suchmaschine“ werde. Dieser Eindruck blieb nicht unwidersprochen. Der Literaturwissenschaftler Roland Reuß polterte, dass es beim „Google-Institut“ natürlich „primär um Lobbyarbeit im Umkreis des Berliner Parlaments“ gehe. Man kann allerdings sagen, dass Google dabei von schweren Versäumnissen profitiert: Der Podcaster Philip Banse bemerkte, dass die Finanzierung durch Google ein „Armutszeugnis für die deutsche Forschungsgemeinde“ sei, die es nicht schaffe, bei solch einem wichtigen Thema selbst aktiv zu werden.

Mit Daten zahlen

Natürlich ist strategisches Sponsoring kein Alleinstellungsmerkmal von Google, es gehört mittlerweile zum Alltag auch des deutschen Wissenschaftsbetriebs. Das HIIG betont zudem immer wieder seine Unabhängigkeit. Es werde keinerlei inhaltlicher Einfluss ausgeübt. Darüber hinaus seien alle Forschungsergebnisse frei zugänglich, ebenso gebe es keinen exklusiven Zugang zu Google-Daten. Und da das HIIG mit dem Wirtschaftswissenschaftler Thomas Schildhauer oder der Politologin Jeanette Hofmann über akademisch hochprofilierte Direktoren verfügt, ist nicht zu befürchten, dass nur publiziert wird, was Google hören will.

Aber wird auch publiziert, was Google ganz sicher nicht hören will? Auf die Frage, ob sich das HIIG in seiner Forschungsarbeit überhaupt schon einmal mit Google selbst beschäftigt habe, sagt Thomas Schildhauer im Gespräch mit dem Freitag: „Die Antwort lautet: Nein.“ Und fügt hinzu: „Entscheidend für ein Forschungsprojekt ist das Erkenntnisinteresse unserer Wissenschaftler, nicht einer unserer Sponsoren. Die gesamte Forschungsagenda wird regelmäßig von unserem wissenschaftlichen Beirat diskutiert.“

Dass Google nicht zum Erkenntnisinteresse von Wissenschaftlern gehört, die den Einfluss des Internets auf die Gesellschaft untersuchen wollen, kann allerdings nur schwerlich behauptet werden. Und es stärkt auch nicht gerade den Eindruck der Unabhängigkeit vom Geldgeber, dass das HIIG als Partner der von Google kofinanzierten Factory fungiert, indem es dort die „Start-up-Clinics“ anbietet. Meint: Angehende Unternehmen, die etwa Fragen zum Thema Recht oder Finanzen haben, können Doktoranden des HIIG konsultieren, die die Unternehmen dann wiederum an Mentoren, vor allem Akteure aus der Digitalwirtschaft, vermitteln. Bezahlt wird seitens der Start-ups nicht mit Geld – sondern einmal mehr mit Daten. Als Gegenleistung nehmen die Start-ups nämlich an einer Erhebung, einer sogenannten survey teil, die dann in die Forschung einfließe.

Welches Ziel wird damit verfolgt? „Im Idealfall geht es darum, dass die Start-ups zu uns zurückkommen“, sagt Schildhauer. „Denn bis jetzt gab es immer nur Ex-Post-Betrachtungen. Wir wollen die Unternehmen hingegen begleiten. Man kann auch sagen: Wir forschen nicht über die Start-ups, sondern für die Start-ups.“

Bleibt die Frage, wie es auf die Gesellschaft wirkt, wenn ein von Google finanziertes Forschungsinstitut an einem von Google mitfinanzierten Tech-Campus Expertise für Start-ups vermittelt, die womöglich selbst von Google mitfinanziert wurden. „Das ist eine berechtigte Frage“, antwortet Schildhauer. „Es wird jedoch keinerlei Einfluss auf uns genommen. Wir freuen uns, dass wir dort unsere Sprechstunden anbieten können und dadurch dicht am Ökosystem der Start-up-Szene dran sind.“ Wer Ökosysteme beobachten will, sollte allerdings auch Abstand halten können. Bei Google, so scheint es, setzt man nämlich langfristig auf Monokulturen.

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