Der Freitag: In Porträts über Sie liest man oft: Hannelore Hoger gleich Bella Block.
Hannelore Hoger: Ja, leider.
Ärgert Sie das?
Ich bin nicht Bella Block. Natürlich habe ich der Rolle viel zu verdanken, aber sie ist nur eine Figur. Und da ich diesen Beruf bereits ziemlich lange mache, habe ich ungefähr 150 davon gespielt. Ich habe eine lange Karriere hinter mir, davon 25 Jahre festes Theaterengagement. Dabei habe ich auch mit vielen großen Regisseuren gearbeitet. Und man kann sich vorstellen, dass die nicht alle Bella Block sehen wollten. Peter Zadek hat mal zu mir gesagt: „Du warst ja mal eine Schauspielerin, jetzt bist du die Ikone Bella Block.“
Sie haben neben Zadek mit Regisseuren wie Alexander Kluge und Augusto Fernandes gearbeitet. Was haben Sie von denen mitgenommen?
Meine spannendste Theaterarbeit hatte ich mit Augusto Fernandes, der auf Einladung von Peter Zadek mit einer freien Theatergruppe nach Deutschland kam. Durch ihn habe ich auch Lee Strasberg kennengelernt, den Vater des Method Acting, der, das darf ich sagen, mich sehr mochte. Strasberg hat mit mir in einem Workshop gearbeitet, und ich war so aufgeregt, dass ich nicht mehr wusste, wie ich heiße. Diese freie, improvisierende Arbeit ist etwas, das mir sehr fehlt. Denn die ist sehr schöpferisch.
Sie sind, das kann man so sagen, die Lieblingsschauspielerin von Alexander Kluge und haben mit ihm „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“, „Die Macht der Gefühle“ oder auch „Deutschland im Herbst“ gedreht. Ich stelle mir die Arbeit mit Kluge ungeheuer spannend vor, aber auch irgendwie anstrengend.
Nein, das täuscht.
Also anstrengend, weil Alexander Kluge einfach alles weiß.
Ja, das stimmt. Alexander Kluge weiß unglaublich viel. Ich bin ja völlig unstudiert. Er kennt mich und meine intellektuellen Grenzen aber sehr gut. Und dafür weiß ich dann wiederum Sachen, die er nicht weiß. Deswegen ergänzen wir uns so gut. Er fragt mich was, ich sag was, und dann spinnt er das weiter. Es gibt bei ihm auch kein Drehbuch, zumindest habe ich noch nie eins bekommen. Er macht das alles aus der Lamäng, wobei er natürlich schon immer genau weiß, was er sagen will. Seine Filme entscheiden sich dann ja auch speziell im Schnitt.
Eigentlich drehen Sie gerade in Lissabon eine neue Folge „Bella Block“, sind nun aber extra für eine Lesung zur Jahrestagung der Robert-Walser-Gesellschaft nach Berlin gekommen.
Ich liebe Robert Walser.
Einerseits hat er ja nur eine überschaubare Leserschaft. Andererseits ist er ein moderner Klassiker und ein großer „Writer’s Writer“: Kafka und Hesse schätzten ihn, Elfriede Jelinek widmete ihm sogar ein Theaterstück.
Alle vernünftigen Leute haben ihn gelesen. Und er ist ja auch einer der bedeutendsten Schriftsteller der Schweiz. Das Problem war jedoch, dass er nach dem Krieg keine Chance mehr bekommen hat. Vorher hatte sein Verleger Bruno Cassirer dafür gesorgt, dass er gedruckt wird. Dann ist Walser schwermütig geworden und hat sich darum nicht mehr gekümmert. Wenn man heute von ihm spricht, muss man deshalb immer dazu sagen, dass man Robert, nicht Martin Walser meint.
Sie haben bereits 1975 in Thomas Koerfers Verfilmung von „Der Gehülfe“ mitgespielt. Wie sah denn Ihre erste literarische Begegnung mit Walser aus?
Das weiß ich gar nicht mehr genau. Aber ich weiß noch, dass ich zuerst die Romane gelesen habe, wahrscheinlich tatsächlich Der Gehülfe. Walser hat mich sofort fasziniert. Denn er hat so eine wunderbar hinterfotzige Art, Gemeinheiten zu sagen. Und das in einer so launigen Sprache.
Beim ersten Lesen erschien mir Walser ja zunächst etwas possierlich und unspektakulär. Erst auf den zweiten Blick habe ich entdeckt, wie großartig er ist.
Ich fand seine Texte nie possierlich, weil die ja bis ins Letzte ziseliert und enorm hintergründig sind. Selbst der Räuber-Roman, der ja seltsam ist, hat mich unglaublich interessiert. Auch die anderen großen Schweizer Autoren, Frisch und Dürenmatt, haben für ihn geschwärmt. Es ist wirklich schade, dass er nicht viel öfter gelesen wird. Aber vielleicht erkennen auch viele seinen Humor und seine Bissigkeit nicht.
Andererseits bestechen seine Texte auch durch eine subtile wie kraftvolle Erotik.
Da ist er ja nun besonders hintergründig! Ich kann da jedem nur eine meiner absoluten Lieblingsgeschichten empfehlen: Kuss II. Zudem hat er ja auch wirklich schöne Tiergeschichten geschrieben, zum Beispiel eine Liebesgeschichte zwischen einem Storch und einem Stachelschwein. Die ist absolut seltsam, aber süß.
Sie haben in vielen Literaturverfilmungen mitgespielt: „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, „Bauern, Bonzen und Bomben“ oder zuletzt auch „Henri 4“. Ist die Arbeitet mit einem literarischen Stoff speziell? Oder gilt: Drehbuch gleich Drehbuch?
Henri 4 sollte ja eher eine Anlehnung an Heinrich Mann sein. Und die Anlehnung ist dann auch noch weggefallen (lacht). Aber grundsätzlich ist das schon anders. Man kann das bei Anna Karenina sehen, das Buch wurde ja oft verfilmt. Da gibt es diese berühmte Szene, wo sie am Fenster steht und Wronskij hereinkommt und denkt: „Ich habe ihr das Rückgrat gebrochen.“ Das können Sie nicht ausdrücken, egal wie viel Mühe Sie sich geben. Ob die das hellgrün oder dunkel beleuchten, den Gedanken können Sie so nicht kommunizieren. Jedenfalls nicht direkt. Man kann höchstens versuchen, das mit dem filmischen Konzept auszudrücken.
Gibt es eigentlich die Gefahr, eine Rolle zu sehr an sich ranzulassen, sodass man beispielsweise schlecht schläft, wenn man wochenlang die Penthesilea spielt?
Es gab mal einen extremen Fall, einen Stummfilm über Jeanne d‘Arc mit einer fantastischen Laienschauspielerin. Die ist dann später ins Kloster gegangen. Aber abgesehen davon, dass ich nicht ins Kloster gehen würde, muss man als professionelle Schauspielerin seine Rolle natürlich irgendwann vergessen. Wobei man sich bei der Theaterarbeit tatsächlich immer sehr hineinkniet.
Am Theater soll es mitunter ziemlich ruppig zugehen.
Mich hat man auch umbesetzt oder entlassen. Aber das habe ich alles überstanden. Es hat mich nicht umgebracht. Ich habe am Theater auch nie viel Geld verdient, musste aber arbeiten wie ein Pferd.
Aber irgendwann muss man sich die Frage nach dem Geld ja schon stellen. Robert Walser wollte auch Schauspieler werden, musste es aber irgendwann sein lassen.
Ich bin nicht des Geldes wegen zum Theater gegangen, sondern weil es mir Spaß gemacht hat. Und man darf ja auch nicht vergessen, dass Schauspieler im Rest von Europa oft zwei oder sogar drei Jobs haben, weil es im Gegensatz zu Deutschland die subventionierten Staatstheater nicht gibt.
Sie sprechen auch Hörbücher ein. Muss man Dostojewski eigentlich anders als Flaubert einlesen?
Nein, anders nicht. Aber es ist halt ein anderer Text. Wobei Dostojewski wirklich schwer zu lesen ist. Unglaublich schwer ist auch Gertrude Stein. Die baut Sätze über eine halbe Seite, wenn Sie da nicht genau wissen, was drinsteht, kommen Sie nie mehr an. Einer der schönsten Texte, die ich eingelesen habe, ist Die Analphabetin von Ágota Kristóf, die hierzulande leider kaum einer kennt. Eine Ungarin, die mit Mann und Kind vor dem Stalinismus in die Schweiz geflohen ist und beschreibt, was es bedeutet, in ein anderes Land zu kommen, dort fremd zu sein und die Sprache nicht zu beherrschen.
Durch die Feuilletons geistert seit Längerem die These, dass die großen Gesellschaftsromane unserer Zeit nicht mehr als Literatur, sondern als Fernsehserie daherkommen: „Mad Men“, „Breaking Bad“, „The Wire“ oder auch „Borgen“.
In den USA haben die natürlich ganz andere Mittel. Aber in Schweden und Dänemark werden ebenfalls gute Sachen gemacht. Das könnten wir hier auch haben. Die Fernsehanstalten sind ja nicht arm, die haben was zu verteilen. Die jungen Leute müssen das einfordern. Sie müssen fordern, nicht betteln. Das sind ja keine Privat-, sondern Gebührengelder.
Um den Nachwuchs machen Sie sich also keine Sorgen?
Ich glaube, es gibt sehr gute junge Filmemacher. Das Problem ist nur, dass in Deutschland oft die Produzenten fehlen. Deshalb müssen die Fernsehanstalten dazu gezwungen werden, die jungen Leute zu unterstützen. Wir brauchen die Künstler. Und zwar nicht nur die Stars. Innovative Leute müssen sich entwickeln können. Dafür ist übrigens auch die Künstlersozialkasse ungemein entscheidend. Deshalb darf die nicht insolvent gehen. Wenn das eine Partei zulässt, dann geh ich auf die Barrikaden.
Das Gespräch führte Nils Markwardt. Hannelore Hoger stand das erste Mal mit Fünf auf der Bühne. Sie spielte an allen großen Theatern und in unzähligen Kino- und Fernsehfilmen. Seit 1993 verkörpert sie Bella Block, die dienstälteste Kommissarin im deutschen Fernsehen. Am 2. November läuft im ZDF die neue Folge "Angeklagt"
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