Seit 35 Jahren arbeitet sie als Putzfrau, in Vollzeit, gewerkschaftlich organisiert in der IG Bau. Sie hat ihre Kinder großgezogen und ihren Vater gepflegt und ist mittlerweile an Krebs erkrankt. Der Rentenbescheid der 57-Jährigen beläuft sich auf gerade mal 735 Euro. „Ich war nie faul. Ich habe immer malocht. Und das ist ungerecht“: Das ist die Botschaft von Susanne Neumann aus Gelsenkirchen. Die SPD hatte die Frau kürzlich auf ihre sogenannte Gerechtigkeitskonferenz eingeladen, als „Stimme aus dem Volk“ und als Sparringspartnerin für Sigmar Gabriel. Auch bei Anne Will und Markus Lanz saß Neumann jetzt auf den Talksesseln. Ein Mensch, der trotz allen Fleißes nicht über die Runden kommt: So geht es bekanntlich vielen. Susanne Neumann ist eindeutig eine Frau – und dennoch derzeit die ideale Verkörperung des „kleinen Mannes“.
Am Stammtisch, in Leitartikeln, im Bundestag: Überall wird über ihn gesprochen, werden seine realen – oder vermuteten – Wünsche, Nöte und Sorgen diskutiert. Ja, allseits wird versichert, dass er im Mittelpunkt der Politik stehen müsse! Und tatsächlich: Die Scheinwerfer sind dieser Tage voll auf Frau Neumann gerichtet, auf den weiblichen „kleinen Mann“ der Stunde. So wie schon 2012 eine Kollegin von ihr herumgereicht wurde: Auch die hessische Putzfrau Maria Watt saß bei Anne Will, auch sie sprach über ein Leben voller Mühen und über die Minijobs, ohne die sie als Rentnerin nicht durchkäme.
Selbst-Verzwergung und ...
Beide Frauen beeindrucken nicht nur mit ihrer Lebensleistung, sondern auch mit ihrer Ernsthaftigkeit, mit ihrem klar formulierten Einspruch gegen die Verhältnisse. Geändert hat sich seit der Medienrunde von Maria Watt vor vier Jahren aber wenig bis nichts. Und auch Susanne Neumanns Auftritte werden womöglich nicht viel bewirken. Zwar wird inzwischen anerkannt, dass der kleine Mann auch eine „kleine Frau“ sein kann, zwar sprechen manche jetzt lieber geschlechtsneutral im Plural von den „kleinen Leuten“. Ansonsten ist aber alles beim Alten.
Der kleine Mann ist – und bleibt – eine der wirkungsmächtigsten Sozialfiguren, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Ein Vorführmodell und ein Phantom. Eine Phrase, die immer dann Konjunktur hat, wenn es im gesellschaftlichen Gebälk knirscht. Die Rentendebatte, die Diskussionen um TTIP, die sogenannte Flüchtlingskrise: Eifrig wie lange nicht mehr konkurrieren derzeit die selbsternannten Anwälte des kleinen Mannes wieder mal um dessen Mandat. Alexander Gauland konstatierte, dass die AfD sich dort, wo „der kleine Mann ungerecht behandelt wird“, für ihn einsetzen wolle, während Markus Söder von der CSU warnte, dass „die kleinen Leute die Integration (der Flüchtlinge) zahlen“. André Brie, Vordenker der Linkspartei, sagte unlängst im Freitag: „Der kleine Mann soll nicht nur im Programm auftauchen, sondern in unserem Herzen“, und Sigmar Gabriel fordertete, die SPD müsse wieder zur „Schutzmacht der kleinen Leute“ werden.
Angesichts seiner diskursiven Dauerpräsenz stellt sich die Frage: Wer genau ist er wirklich, dieser kleine Mann? Die banale Antwort besteht in der schlichten Erkenntnis, dass er den Sammelbegriff für jene Bevölkerungsteile bildet, die irgendwo zwischen oberer unterer Mittelschicht und unterer oberer Unterschicht zu Hause sind. Oder, wie es das Wörterbuch der deutschen Ideomatik formuliert: Er ist „der wenig einflussreiche, finanziell nicht besonders gut gestellte Durchschnittsmensch“. Eben dieser Durchschnittsmensch, so konnte man in einer ARD-Reportage von Christian Heynen erfahren, trinkt zwei Gläser Bier am Tag, arbeitet 41,9 Stunden pro Woche und vergießt einen halben Liter Tränen im Jahr.
Derlei Statistiken verraten indes wenig über konkrete Menschen wie Susanne Neumann; vor allem sagen sie auch nichts darüber aus, welche Funktion der kleine Mann als mythopoetisches Kollektivsubjekt im politischen Imaginären einnimmt. Warum wir also wie über ihn (oder sie) sprechen.
Dass die Figur des kleinen Mannes eine mythische Funktion übernimmt, zeigt schon ein Blick in die Literaturgeschichte. Hier begegnen einem lauter kleine Männer in großen Geschichten. Kann man ihn schon in Georg Büchners Woyzeck erkennen, so zeigt er sich exemplarisch in den Klassikern des frühen 20. Jahrhunderts, sei es als Josef K. in Franz Kafkas Prozess (1914/1915), Franz Biberkopf in Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929) oder als Herr Pinneberg in Hans Falladas Kleiner Mann – was nun? (1932). Er spielte sich in den Rollen Heinz Rühmanns in die Filmgeschichte und verlieh zuletzt in den nuller Jahren einer Comedy-Serie mit Bjarne Mädel den Namen.
So unterschiedlich seine Darstellungen sein mögen, so vielschichtig die Kontexte: Seine Geschichte ist immer eine der Übervorteilung und des Betrugs. In Falladas Roman erklärt Herr Pinneberg seiner Frau Emma: „Mit uns kleinen Leuten machen sie, was sie wollen ...“ Der kleine Mann strengt sich an, steht immer wieder auf – wird aber klein gehalten, verlacht und ausgebeutet. Das zeigt auch der Metaphernwald, in dem sich er bewegt: Er „zahlt immer die Zeche“, da man’s „mit ihm ja machen kann“, weil er stets die „Arschkarte zieht“. In all seiner Grobkörnigkeit birgt dieser Erzählstrang freilich eine Wahrheit. Man muss sich nur die globale Vermögensverteilung anschauen oder daran erinnern, wer die Folgen der Finanzkrise bezahlt hat.
Doch der kleine Mann steigt nicht auf die Barrikaden. Seine Tragik liegt darin, dass er, hegelianisch gesprochen, immer nur „an sich“, nie „für sich“ ist, also kein kollektives Bewusstsein entwickelt. Er beschwert sich, klagt und raunt, aber er kennt keine Bewegungen, keine Aufstände. Das offenbart sich etwa in Siegfried Kracauers 1930 erschienener Studie Die Angestellten. Hier beschreibt der Soziologe die aufkommende Dienstleistungsgesellschaft und diagnostiziert, dass für deren Vertreter zwar „ähnliche soziale Bedingungen wie für das eigentliche Proletariat“ herrschen, jedoch mit dem Unterschied, dass erstere „geistig obdachlos“ seien und sich fürchteten, „aufzublicken und sich bis zum Ende durchzufragen“. Anders gesagt: Die Rede vom kleinen Mann geht aus der Konkursmasse des Proletariats hervor. Aus stolzen, organisierten und buchstäblich selbst-bewussten Arbeitern – wie auch die Putzfrau Susanne Neumann noch eine ist –, entsteht die symbolische (Selbst-)Verzwergung des postmodernen Prekariats.
Das Narrativ des kleinen Mannes enthält aber noch einen anderen Aspekt: den Willen zur doppelten Distinktion. Einerseits geht es um die Abgrenzung von „denen da oben“, von „der Politik“ und „den Eliten“. Deshalb firmiert der kleine Mann, der Common Man oder Monsieur Tout le Monde, stets als natürlicher Verbündeter der Linken, der zwar (noch) unter „falschem Bewusstsein“ leidet, den man über seine wahren Interessen aber aufklären kann.
Doch das funktioniert oft nur mäßig. Denn so mancher kleine Mann grenzt sich nur zu gern auch von jenen ab, die noch weiter unten oder ganz außerhalb stehen. Die Sehnsucht nach dem Nicht-Betrogen-Werden äußert sich historisch bekanntlich nicht nur in sozialrevolutionären Forderungen – sondern ebenso im völkischen Denken, in einer rassistischen wie mörderischen Reinheitsfantasie des Sozialen. Diese Fantasie vespricht eine „explosionshafte Solidarität“, wie es der Soziologe Heinz Bude formuliert. Nach dem Motto: Sind die Fremden, die Andersgläubigen, die „Schmarotzer“ erst einmal ausgeschlossen, bekommt auch der kleine Mann sein Stück vom Kuchen! Und ist das nicht genau auch der Grund, warum AfD, Front National oder Donald Trump momentan so reüssieren – und FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, so ergab eine Wahltagsbefragung des Sozialforschungsinstituts SORA, bei der österreichischen Präsidentschaftswahlwahl 86 Prozent der Stimmen der Arbeiter geholt hat?
... Selbstverachtung
Der nicht unumstrittene Psychoanalytiker Wilhelm Reich (1897 – 1957) hatte in einem Punkt womöglich Recht. Vor den Nazis geflohen, von den Kommunisten verfolgt und auch in seiner Wahlheimat USA unter Druck, verfasste er 1946 seine Rede an den kleinen Mann: „Du hast vor mir geweint, gejammert, deine Sehnsüchte beschrieben.“ Dann sogleich das harte Urteil: „Du lässt Machthaber Macht ,für den kleinen Mann‘ beanspruchen. Doch du selbst bist stumm.“ Was Reich umtrieb: Obschon die Revolutionen in den Metropolen der Welt die Freiheit versprachen, hat der kleine Mann am Ende immer die reaktionäre Karte gezogen: „Dein Paris endet in Pétain und Laval, dein Wien in Hitler, dein Russland in Stalin und dein Amerika könnte im Regime des KKK enden.“ Anstatt sich selbst zu befreien, habe der kleine Mann letztlich also immer andere versklavt. Warum? Weil er, so Reich, den Frust über seine Verzwergung mit der Glorifizierung von Nation, „Rasse“ oder Religion zu kompensieren sucht: „Du verachtest dich selbst im Geheimen, auch dann, und gerade dann, wenn du deine Würde vor dir herträgst“.
Reichs Analyse verdeutlicht, dass die Sozialfigur des kleinen Mannes höchst ambivalent ist. Sie ist letztlich ein „Mythos des Alltags“ (Roland Barthes): Wird vom kleinen Mann gesprochen, scheint damit selbsterklärend eine bestimmte Masse von Menschen beschrieben zu sein, oft auch „schweigende Mehrheit“ genannt. Tatsächlich wird diese aber erst in diesem Moment sprachlich konstituiert – und mit einem imaginären Kollektivwillen ausgestattet.
Genau deshalb funktioniert die Sozialfigur des kleinen Mannes oft als rhetorisches Kostüm, das sich jeder zur Selbstviktimisierung überstreifen kann. Etwa die AfD, die stets beteuert, dass sie als einzige Partei die Sorgen des kleinen Mannes artikuliere, wenngleich eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln jüngst ergab, dass die AfD-Anhänger in weiten Teilen zu den Besserverdienern gehören. Sich selbst als kleiner Mann zu gebärden, verleiht dem eigenen Gefühl des Betrogen-Werdens eine pseudo-authentische Legitimität. So lässt sich vor Flüchtlingsheimen gleich noch besser „Wir sind das Volk“ schreien. Wilhelm Reich schrieb 1946, und es klingt verblüffend heutig: „Du bist nicht ,das Volk‘, kleiner Mann. Du bist der Verächter des Volkes, denn du verwaltest nicht sein Recht, sondern deine Karriere.“
Kommentare 81
Ein in weiten Teilen sehr guter Artikel zu einem Thema, das im Prinzip so omnipräsent ist, dass man erst mal drauf kommen muss, es überhaupt zu thematisieren - und in seiner Tiefe auszuleuchten.
Zu ergänzen gäbe es aber schon noch ein paar Punkte. Zunächst scheint es mir so zu sein, dass der Unwille des kleinen Mannes zur philosophischen Durchdringung der gesellschaftlichen Gegebenheiten und einer daraus folgenden politischen Organisierung nicht einfach zu verurteilen ist, da es mehrere nachvollziehbare Gründe für dieses Verhalten gibt. Da wäre zum einen die allgemeine Welternüchterung zu nennen, dass auch Organisationen, die vorgeben, sich für ihn einzusetzen (KPD, SPD), im Grunde ihr Eigenleben entwickeln und führen und ihn, den kleinen Mann, nur noch als Legitimationsquell missbrauchen und auf seine Meinung nur Wert legen, wenn sie zustimmend, nicht aber wenn sie kritisch ist. Was sich die "Obrigkeit" in den Kopf gesetzt hat, wird durchgesetzt - egal in welchem System. Das ist eine, wie mir scheint, universelle Erfahrung, die der kleine Mann wohl auch noch mit der FPÖ machen wird (die AfD wird es nicht so weit bringen, dass sie irgendjemanden desillusionieren könnte). Die bisher einzige Ausnahme von dieser Regel scheint Wladimir Putin gelungen zu sein, der sich konstant hoher Zustimmungswerte von Iwan Iwanowitsch erfreuen kann. Der zweite Punkt für die Theorie- und Praxisabstinenz des kleinen Mannes dürfte in seiner charakterlichen Veranlagung begründet sein: er will "einfach seine Ruhe" haben. Wir müssen uns den kleinen Mann als bierbäuchigen Typen in einem Campingsessel auf einem Campingplatz oder in einer Laube vorstellen. Er trinkt sein Bierchen, schaut in die Natur (Sternenhimmel, See, Meer etc.), nimmt sie aber nicht richtig, das heißt, nicht gänzlich wahr, weil er von seinem Stress mit den "blöden Vorgesetzten" nicht richtig abschalten kann. Natürlich geht ihm auch die emotionale Kompetenz ab, um das zwischenmenschliche Wechselspiel wirklich zu durchschauen, weswegen er seine Zuflucht am liebsten in ordinärem Schimpfen sucht: "Scheiß-Politik!" Das muss auch gar nicht so verkehrt sein. Besser schimpfen als seine Aggressionen an seinen Untergebenen, das heißt im Falle des kleinen Mannes, an seinen Kindern auszulassen
Genau dafür aber ist der kleine Mann nun leider auch berüchtigt. Er verinnerlicht den Frust der autoritären Verhältnisse, die ihn knechten, und gibt sie ungefiltert an seine Familie weiter. Im Job ein Knecht, in der Familie ein Tyrann. Natürlich nur zum Besten für seine Kinder, damit die lernen, wie´s läuft und später mal "Erfolg" haben. Damit hat er, der kleine Mann, allerdings abgeschlossen. Er peilt keine Karriere mehr an, hat sich arrangiert. Ihm fehlt der Horizont der Entwicklung, sowohl der beruflichen wie der persönlichen. Er blickt wohl in den Himmel, doch sieht er die Sterne nicht.
Das mit dem Bewusstsein ist schon das richtige Thema. Leider wird hierzu keine Phantasie in den Köpfen angeregt, damit andere Gedanken und schönere fiktive Raster als Orientierung bei den Menschen allgemein entstehen können. Ich formatiere und kreiere ein anderes Bewusstsein, wenn ich die Sinneswahrnehmung, wie riechen, sehen, fühlen, reden, dementsprechend anrege und befeuere. Da ist aber die Tradition und die Gewohnheit die oberste Maxime und über rituales im Alltag fest zementiert in unseren Köpfen. Wer das schafft ein anderes Bewusstsein ( keine Religion, Esoterik und ...) als Möglichkeiten für Lösungsansätze zu besehenden und vorherrschenden Lebensgrundsätzen zu kreieren und auch noch anwendbar für die Sinneswahrnehmung in die Gesellschaft zu integrieren, der hat für mich den Nobelpreis für Humanitäre Lebensgestaltung gewonnen. Ist ein schöner Traum. Nur die Macht mit Ihren ausführenden Organen und Ihre gestalterische Fähigkeit will das bestimmt nicht zulassen und sich mit neuen Orientierungsvermögen in der Phantasie und im Denken einen zusätzlichen Konkurrenzkampf auszusetzen. Wer das sagen hat wird alles dafür tun damit diese Zustände in unserem Bewusstseinsvermögen so bleiben wie Sie sind. Jede Partei, jede Politik, jede Firma arbeitet damit. Flüchtlingspolitik ist doch ein gutes Beispiel wie man unliebsames weg schiebt, es an einen anderen Ort platziert, damit es aus unserem Bewusstsein verschwindet. Ich könnte auch noch auf Nachrichten und politische Publikumsdiskussionen und Journalismus ein gehen, doch das überlasse ich jedem selbst seiner Phantasie, wie Rituale auf uns einwirken um Vorurteile liefern zu können, damit das Bewusstseinsvermögen so bleibt wie es ist.
Den Großteil der Menschen - egal ob klein oder groß - eint ein zu geringes Selbstwertgefühl und eine damit verbundene Angst vor allerlei Dingen.
Dies ist das Ergebnis einer landläufigen Erziehung, die es nicht versteht, die Individualität eines Kindes zu erkennen, zu akzeptieren und zu fördern.
Kleine ertrinken in Selbstmitleid oder trampeln auf noch Kleinere herum oder hoffen in ihrer Kriecherei gar darauf, dass vom Glanz der Großen etwas auf sie herabfallen könnte - Große werden arrogant und hartherzig, sie gieren nach immer mehr - von was auch immer - und glauben, so ihren Selbstwert erhöhen zu können.
Die dazwischen machen nur eine Bruchteil der Menschen aus - und das ist das Drama am Ganzen.
hurra, endlich mal wieder ein ausgezeichneter Artikel :-) ja ja, der so genannte kleine Mann -> Ein Vorführmodell und ein Phantom. Eine Phrase, die immer dann Konjunktur hat, wenn es im gesellschaftlichen Gebälk knirscht.
Jeder kennt ihn, die Wenigsten wollen sich mit ihm identifizieren, die Meisten wollen sich von ihm abgrenzen und einige Wenige instrumentalisieren das Phantom für ihre Zwecke.
An Büchner habe ich übrigens auch spontan gedacht, denn er gibt ja nicht nur immer wieder Beschreibungen vom "kleinen Mann, sondern beantwortet auch noch die unbedingt zu stellende Frage wer denn dann eigentlich der "große Mann" ist und was der so treibt:
z.B in diesem Satz:
Das arme Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Fürsten und Liberalen ihre Affenkomödie spielen.
noch besser aber an dieser Stelle:
[Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger] zum fronenden Vieh macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen? …
und auch dieser aus dem Artikel Satz ist richtig:
Doch der kleine Mann steigt nicht auf die Barrikaden.
Wobei ich meine, dass das auf die Barrikaden steigen eine Frage der Organisation und der Formulierung des Ist-Zustandes und der Ziele ist. Aber zum Einen ist ja nicht nur der "kleine Mann" mangels Indentifikationswillen geistig obdachlos“ und fürchtet sich, „aufzublicken und sich bis zum Ende durchzufragen“
... sondern insbesondere das linke Spektrum zeichnet sich, im Gegensatz zu den Rechten die wie eh und je aufgrund ihrer narzisstischen Persönlichkeitsstörung an einer geistigen Verwahrlosung leiden, durch geistige Obdachlosigkeit und intellektuelle Denkschwächen aus. Weil sie sich einerseits bedingt durch ihre Denk- und Refelketionsschwäche kritiklos an veraltete Klassenkampf - Manifeste und sozialistische Bibeln klammern und andererseits lieber ihre persönliche emotionale und intellektuelle Heimatlosigkeit kompensieren, statt in der komplexen Wirklichkeit anzukommen, auf das Große / Ganze zu schauen und sich für die Allgemeinheit im Hier und Jetzt einzusetzen. Denn Komplexität ist ihnen zu kompliziert, klar kommen sie nur in ihrem anspruchslosen,unterkomplexen dualistischen Weltbild - schwarz-rot, gut - böse, rechts-links.
Und so lässt sich der "Kleine Mann" wie eh und je in der Geschichte zwischen 3 Polen zerreiben:
einer unbedeutenden, verdorbenen Minderzahl, deren hirnbefreite rein archaisch animalischen Grundbedürfnisse er befriedigen soll
rechten Narzissten, die den Kleinen Mann zur Aufrechterhaltung ihres totalitären Faschismus benötigen
und
linken Pseudo-Weltverbesserern mit emotionaler und intellektueller Denkschwäche zur Kompensation ihrer Heimatlosigkeit sprich: ihres nicht vorhanden Selbstbewusstseins und Selbstwerts.
herrje noch mal.
Refelketionsschwäche Reflektionsschwäche
Auch von mir Lob für die pointierte Darstellung, die auf angenehme Weise ohne süffisant-überhebliche Bashing-Begriffe (»Kleinbürger«, »Wahnwichtel« etcetera) auskommt, wie sie in Teilen der Linken schon immer oder aber die letzten Jahre besonders wohlfeil waren.
Leider zeigen die derzeitigen rechtspopulistischen Erfolge auf das Neue, was herauskommt, wenn dieser Sozialtypus (vermeintlichen) politischen Einfluss bekommt. Den Auftritt von Susanne Neumann mit Gabriel fand ich – obwohl ich denke, dass sie sicher nicht zu den »kleinen Leuten« im Sinn der selbstbezogen-opportunistischen Charakterologie des Artikels gehört – peinlich und daneben. Andererseits offenbart gerade diese Peinlichkeit (und die Gnadenlosigkeit, mit der Gabriel den Auftritt ausgenutzt hat) als symptomatisch für die politische Ausweglosigkeit, in der Angehörige der vielgerühmten »Working Class« (oder, vielleicht besser: »Working Poor«) derzeit stecken. Keine wirkliche strategische Option vorhanden – man kann es fast verstehen, dass da eine überlegt und denkt: »Die Partei, die sich traditionell für uns eingesetzt hat, ist am Boden. Warum nicht eintreten und sie wieder auf die Füße bringen?«
Wenn ichs richtig verstanden habe, ist der "kleine Mann" eigentlich ein ähnlicher Mythos wie die "Trümmerfrau".
Die Trümmerfrau wird heraufbeschworen, wenn es gilt, Forderungen, Benachteiligungen, Ungerechtigkeiten deutlicher zumachen und den großen Anteil von Frauen am Aufbauwerk zu begründen.
Forscher haben sich kürzlich drangemacht, nachzuweisen, dass es viel weniger Trümmerfrauen in der Nachkriegszeit gab als behauptet.
Vielleicht ist es mit dem "Kleinen Mann", den "Kleinen Leuten" genau so. Es gibt ihn eigentlich nicht, er ist eine Konstruktion, die - am Ende - gar kein kollektives Bewusstsein entwickeln kann.
Aufrufen kann man dann in der Tat nur eine kollektive Abwehr gegen das Fremde, Andere...wie im Beitrag beschrieben. "Wir sind das Volk" in der gegenwärtigen Protestruferei hat ja diesen Abwehrton, den die Losung zu DDR-Zeiten eben nicht hatte.
Obschon die Revolutionen in den Metropolen der Welt die Freiheit versprachen, hat der kleine Mann am Ende immer die reaktionäre Karte gezogen:
... sagt Wilhelm Reich. Jetzt müsste eigentlich zur Sprache kommen, wer die Karten in der Hand hält. Das wäre aber ein viel weiteres Feld.
nils m., danke für den gelungenen denk-anstoß.
ich möchte ergänzen:
seit dem aufkommen der angestellten-schaft
(beleuchtet von s. kracauer) wissen wir, daß sich kleine leute
mit selbst-optimierungen beschäftigen:
sie pflegen ihre jugendlichkeit, attraktivität,
nehmen die konkurrenz: sportlich.
sie genießen erworbene vor-sprünge
und versuchen sich von ihres-gleichen abzusetzen.
mit der beerdigung des klassen-kampf-gedankens
in der sozial-demokratie zugunsten des modells:
aufstieg durch bildung, verbesserung
der individuellen aufstiegs-chancen,
ist der häßliche kleine mann verbannt:
proletarische attituden werden eher ineins gesetzt
mit dem reaktionären, ressentiment-geladenen: ekel alfred.
diese marginale person markiert den bruch
zum welt-offenen, emanzipations-bereiten,
experimenten eher zugewandten typus der moderne,
dem die vielen optionen der lebens-führung sogar schon zur last werden können.
gibts einen kleinen mann mit: kredit-karte,
flug-urlauben, familien-zweit-wagen?
das ruhe-gehalt noch nicht in sicht,
aber schon ein bißchen besorgt um
den berufs-start der kinder....
Komisch, das ging mir eben so. Und mir ging dabei auch noch diese Leninsche Wendung aus Staat und Revolution durch den Sinn, dass der Staat so eingerichtet sein müsste, dass auch eine Köchin ihn lenken kann. Das waren noch Utopien, aber geworden ist daraus eine Reinigungkraft - nicht als Staatslenkerin - sondern als Stichwortgeberin und Spaßfaktor.
aus einem bruch-teil werden ja doch immer mehr.
schade nur das wissen, selbst-bewußtsein und welt-offenheit wenig zählen in strukturen der kapital-akkumulation.
korr.: , ß
gibts einen kleinen mann mit: kredit-karte,
flug-urlauben, familien-zweit-wagen?
Ich behaupte ja. Der "kleine mann" zeichnet sich ja durch politische Ohnmacht aus, die auch mit erträglichem Einkommen einher gehen kann. Die Verzwergung (oder besser: Verkindlichung) wird auch durch die Verfügbarkeit der jeweils aktuellen Spielzeuge und kleinen "Abenteuer" erreicht. So durchpflügt der "kleine Mann" im neu erstandenen Motorboot die kroatischen Gewässer und sendet via WhatsApp die Bilder vom abendlichen Grillen auf dem Campingplatz an die Tochter, die gerade ihren Work and Travel-Aufenthalt in Australien absolviert.
Ich habe den Text auch gerne gelesen, ebenso die Ergänzungen von Soloto.
Der kleine Mann und die kleine Frau haben, wenn wir sie selbst kennen, eine Vielzahl von Eigenschaften, die uns Respekt abnötigen. Eine manchmal direkte, sympathisch-offene, zuweilen etwas bollerige Art, sie trügen das Herz auf der Zunge, sagt man. Ein oft immenser Fleiß, manchmal vom Team Spirit beseelt, aber oft auch von der Sorge vor Sanktionen (und vermutlich häufig von einer Mischung aus beidem). Dasselbe wäre über die Disziplin zu sagen. Denn, das weiß der kleinen Mann, was der Arbeitgeber offiziell darf und was er kann und macht, das sind zwei Paar Schuhe.
Aber, verklären wir ihn nicht. Das ist nur die eine Seite des kleinen Mannes. Man braucht sie, um sie und ihn zu glorifiizieren. Ist es am Ende immer Selbsthass und gehemmte Aggression, die sich nie an der richtigen Stelle Luft machen kann? Irgendwie bestimmt, aber der kleine Mann und die kleine Frau wissen, dass sie ersetzbar sind. Jeder ist ersetzbar, nur den kleinen Leuten sagt man es und man lässt sie es auch spüren, manchmal Zuckerbrot, oft Peitsche, mit systematischen Einschüchterungsversuchen, die oft auch gelingen. Die andere bekommen mit, wie man mit dem, der aufmuckt, umgeht. Das sitzt und wirkt.
Und ja, die kleinen Leute arbeiten hart, oft körperlich hart. Da hat man nicht mehr die Zeit sich am Abend noch in linke – übrigens revidierte – Theorien vom „falschen Bewusstsein“ einzuarbeiten. Da trinkt man seine zwei Gläser Bier und manchmal vielleicht auch noch ein paar weitere (die kleine Frau trinkt oft gar nicht) und macht den Fernseher an, aber eben nichts Politisches. (Das wäre ja auch noch so'n Thema, wieviel Politisierung eigentlich gut ist.)
Aber glorifizieren wir die beiden nicht, nicht ihn, nicht sie. Oft sind sie nicht sonderlich helle und damit meine ich nicht, dass ihnen Fehler beim Sprechen oder Schreiben unterlaufen, sondern das manifestiert sich oft in der Weltschanschauung der kleinen Leute und im Umgang miteinander. Die Proletarier aller Länder haben sich nie vereinigt und sie werden es nicht tun, weil ihnen oft der solidarische Sinn abgeht. Natürlich kennt jeder seine Gegenbeispiele, ich auch, aber nicht eben selten sind auch eiskaltes Mobbing, achselzuckende Ignoranz und in größeren Fragen manchmal Einstellungen die, würden sie aufgeschrieben, hier im Freitag sofort zur Sperrung führen würden. Im Büro, Wissenschaftsbetrieb und in der Politik kriegt man das bestimmt auch hin, aber eben auch bei den einfacheren Menschen, den kleinen Leuten. Und vielleicht noch in stärkerem Maße. Denn der kleine Mann ist nicht nur zu Hause ein Tyrann, er quält auch manchmal jene Mitmenschen in der Arbeitswelt, die er als schwach ausgemacht hat. In starren Rollen, täglich und immer wieder, oft mit unreflektierter Lust.
Die kleine Frau ist gerne Verkäuferin und geht, wenn sie im Supermarkt arbeitet auch schon mal achselzuckend an der deutlich sichtbar auf dem Boden liegenden, aus dem Regal gefallenen, Chipstüte vorbei. „Ist nicht mein Bereich.“ Als würde „der Kunde“ das auch so sehen, dass die Silke zwar fleißig ist, die Wiebke aber faul. Aber Abstraktion ist die Sache der kleinen Leute auch nicht immer. Manche sind viel intelligenter als man denkt, aber manche sind wirklich dumm. Dafür können sie nichts, aber anstrengend ist es schon. Zum einen korreliert Fairness in einem nicht unerheblichen Ausmaß mit Intelligenz, zum anderen ist es so, dass das Weltbild der kleinen Leute oft in Stein gemeißelt ist. Das ist für sie vielleicht nicht schlecht, weil es sie selbst motiviert und trägt, ihnen die Welt erklärt, aber als Lösungsansatz ist das alles nicht so leicht.
Die Putzfrau Susi Neumann, mag irgendwie sympathisch, authentisch und mutig sein, aber wenn sie in einem Interview sagt, dass Politiker nur rumsitzen und dummes Zeug reden, während andere arbeiten, dann hat das einen gewissen humoristischen Wert, aber müsste, selbst wenn man es ernst nimmt, anders besprochen werden. Aber das isses eben, der kleine Mann hat oft ganz einfache Lösungen. Grenzen zu, Bomben drauf, Rübe runter, Schwanz ab. Und das ist ernst gemeint. Und das kommt, ohne Not, auch von Menschen, die man mögen kann. Die fleißig und sympathisch sind. Die ihr Leben manchmal mit einer Energie angehen und leben, die man bewundern muss. Gerne mal mit zwei Jobs. Und wer kennt nicht den Handwerker, der von Mo bis Fr hart arbeitet und am Wochenende, sagen wir mal: privat, dasselbe tut?
Manche errichten und pflegen, mit viel Energie und Liebe, ihr Stückchen Welt, machen sich selbstständig, mit ihrem Nagelstudio oder halten ihre Obstabteilung im Supermarkt tadellos in Schuss. Manche sind auf rührende Weise ehrlich und engagiert, andere sind verdruckst, klauen, schmieren dem anderen jeden Fehler aufs Brot, freuen sich, wenn sie andere in die Pfanne hauen können. Wenn sie Sprüche raushauen, wie, dass sie im Fall von Kindesmissbrauch die Todesstrafe einführen würden, dann sind das Ansichten und Aussagen, die man irgendwo verstehen kann, die aber nicht zu Ende gedacht sind. Aber das ist zu einem nicht unerheblichen Teil die Welt der kleinen Leute, da ist vieles eben ganz einfach … man müsste nur. Ressentiments gehören in jeder Spielart gerne dazu.
Populisten bedienen diese Ressentiments der kleinen Leute wissentlich und suggerieren, sie würden nur aussprechen, was die schweigende Mehrheit ohnehin denkt. Aber Populismus versucht genau das: Aus der Heterogenität der Gesellschaft die vermeintliche Homogenität des Volkes zu machen und zu verkündet, dass man dessen Anwalt und Sprachrohr. Am ehesten kriegt man das Gefühl eines Volkes hin, wenn die Heterogenität zerbricht und die ansonsten ausdifferenzierte und weit gespannte Moralentwicklung in der Bevölkerung auf die Moral der 10-Jährigen Kinder regrediert. Da gibt es Freund und Feind, dafür und dagegen, sonst nichts. Keine Grau- oder Buntstufen, keine Ambivalenzen, was für Kinder vollkommen angemessen ist, für viele Erwachsene aber eine Regression bedeutet. Leider machen jene, die in jedem Deutschen (mindestens aber in der schweigenden Mehrheit, also den kleinen Leuten) nichts anderes als latente Nazis sehen, das Spiel der Populisten mit. Das muss man nicht nur nicht tun, man sollte es auch nicht.
Wenn man selbst noch anders kann. Im regressiven Strudel heißt es dann, man müsse sich klar positionieren, Flagge zeigen, denn gerade jetzt geht es um die entscheidende Schlacht. Und auf einmal ist alles so einfach, klar und einleuchtend, so Susi Neumann like. Die, da oben gegen uns, hier unten.
Wenn das alles wirklich neu wäre, könnte man es vielleicht lustig finden. Zum Heulen ist, dass diejenigen, die das mal lustig fanden die Kleinen heute weder an, geschweige denn in ihr Ohr lassen...
Es ist schwer zu verstehn, doch es trifft immer den, der am wenigsten Schuld hat am ganzen Geschehn...
die macht,
die der kleine man verwendet, sich und seinesgleichen
klein zu halten,
in die gegen-macht gegen die mächtigen zu wandeln,
ist aus dem stoff, von dem demokraten träumen
und an dem revolutionäre arbeiten. oder?
wenn in diesen Beitrag auch weniger offensichtlich als anderswo gilt auch hier: man schaut auf den kleinen Mann herab, unterstellt ihn niedere beweggründe, jedenfalls nicht die selbe durchschauende und ehrenhafte Motivation, die sich ganz sicher bei einem selbst finden lässt.
ob in der FC oder im real life. Der kleine Mann ist halt nicht sexy. Und wenn man dann selbst objektiv die kriterien des kleinen Mannes erfüllt, ist man es in der Eigenwahrnehmung dann doch nicht: man verfügt doch über eine gute Bildung z.B....
„Du bist nicht ,das Volk‘, kleiner Mann. Du bist der Verächter des Volkes, denn du verwaltest nicht sein Recht, sondern deine Karriere.“
Genau in der Funktion steht die Figur des kleinen Mannes: Als rhetorisches Kostüm, das selbstgerechte Bionade Karrieristen aktuell beschwören um sich zu erheben über die, die sie seit 30 Jahren mal wieder von dem Wohlstand abschneiden, den sie in ihrer revolutionären Selbstgerechtigkeit natürlich komplett für sich, bzw. das System, dem sie ihren Wohlstand verdanken beanspruchen müssen. Wahre Größe darf sich nur in Idealen äußern für die man polemisch auf die Barrikaden geht. Wenn dann von Verteilungsgerechtigkeit die Rede ist und man darauf wartet, dass die Größen der etablierten Gesellschaft endlich mal den Zusammenhang der eigenen Lebensentscheidungen und der Konsequenzen, die diese gesellschaftlich hatten als eine Ursache - Wirkungsbeziehung für die rechtspopulistischen Erscheinungen auch nur einräumt, dann reagiert diese Kaste entweder zynisch oder sie rhetorisch wehrt ab, indem sie natürlich die Schuld an der historischen Entwicklung dem kleinen Mann, den sie als Figur inszeniert in die Schuhe schiebt. Indem sie ihm, uns, und durch diese Polemik noch mehr sich selber sagt: "Selber Schuld! Warum hast Du, habt ihr kleinen Leute unsere große Revolution unsere hehren Absichten nicht mitgetragen? So wie es gelaufen ist, konnten wir ja gar nicht anders als Euch wieder einmal zu verraten..."
Schön dass das in Österreich, gerade nochmal gut gegangen ist. Spielen wir weiter Bionade Biedermeier. Die Brandstifter sind immer die anderen. Und wer wirklich das Volk ist, das werden wir demselben durch unsere Meinungsmacht schon beibringen.
Danke für die Erinnerung an den großartigen Ulrich Roski.
Einerseits ja. Der kleine Mann ist nicht sexy und wo es eben geht, grenzt man sich von ihm ab. Denn es gibt immer andere, denen geht es noch schlimmer.
Andererseits, sollte man den Verkündern objektiver Kriterien nicht immer glauben, dass ihre Kriterien objektiv sind, denn oft sind sie mehr oder minder das Gegenteil: willkürlich gesetzt.
Einkommen, Bildung, Kleidung, Sprache, Ernährungsweise, Moralentwicklung, Intelligenz, Sportart ... was davon charakterisiert denn nun den kleinen Mann, zu welchen Anteilen und warum gerade das?
»Wir müssen uns den kleinen Mann als bierbäuchigen Typen in einem Campingsessel auf einem Campingplatz oder in einer Laube vorstellen. Er trinkt sein Bierchen, schaut in die Natur (Sternenhimmel, See, Meer etc.), nimmt sie aber nicht richtig, das heißt, nicht gänzlich wahr, weil er von seinem Stress mit den "blöden Vorgesetzten" nicht richtig abschalten kann. Natürlich geht ihm auch die emotionale Kompetenz ab, um das zwischenmenschliche Wechselspiel wirklich zu durchschauen, weswegen er seine Zuflucht am liebsten in ordinärem Schimpfen sucht: "Scheiß-Politik!"«
Zuerst hab ich gedacht: "Satire, der meint das ironisch. Das mach man heute so" Aber dann wurde mir klar, dass das State of the Art und völlig ernst gemeint ist. Bürgerliche Selbstgefälligkeit kippt ihre Klischees in das sich selbst bestätigende Rudel...
Wenn das die Freiheit von der Verinnerlichung autoritärer Verhältnisse sein soll, dann möchte ich jedenfalls gerne darauf verzichten. Auch auf die Karrieren, die selbstbefreite Größen dieser Art in den Sternenhimmeln ihrer Träume, oder sollte ich schreiben Ignoranz, erblicken mögen.
Hallo Schnasel,
ja, freut mich auch, Ihre Bekanntschaft zu machen ;) Allerdings scheint mir da doch ein wenig viel Spekulation über meinen sozialen Status ("bürgerliche Selbstgefälligkeit") mit im Spiel zu sein, der es mir schwer macht, in einen Austausch zu treten. Nur so viel: "Das mach man heute so" - Ja, mach ich. Und? Hab ich etwa nicht die Freiheit, zu denken, (mich ein) zu fühlen, zu imaginieren, was ich will? Brauche ich für meinen künstlerischen Weltzugang die Legitimation von irgendwem? Wer sind Sie, mir Ignoranz vorzuwerfen?
Einkommen, Bildung, Kleidung, Sprache, Ernährungsweise, Moralentwicklung, Intelligenz, Sportart ... was davon charakterisiert denn nun den kleinen Mann, zu welchen Anteilen und warum gerade das?
Ich empfehle Bourdieu zu lesen, das schützt vor Selbstgefälligkeiten und öffnet den Blick für die "feinen Unterschiede".
Was hat diese fragende Aufzählung mit Selbstgefälligkeiten zu tun, oder anders: Was würde Bourideu mit denn sagen?
Was würde Bourideu mit denn sagen?
Was würde Bourdieu mir denn sagen?
http://www.jetzt.de/was-ist-rechts/warum-waehlen-junge-maenner-so-gerne-rechts
Noch was aus der Gender-Ecke.
Ich habe den Text nicht "gerne gelesen". Soll heißen, ich kann in die Belobigung nicht einstimmen.
Das viele Richtige, was drin steht, ist wie ein Haufen einzelner Bausteine, die i.G. neu zusammengesetzt und um wesentliche andere ergänzt werden müssten. Denn so, wie es da steht, kommt raus, was immer raus kommt, wenn sich mal einer bequemt, den Blick dahin zu richten, wo die sind, die (nach Brecht) nicht im Licht sind: Die da, das sind immer die anderen. Die da benehmen sich komisch. Sie haben einen seltsamen Geschmack. Sie machen Dummheiten. Sie sind anfällig für Populismen. Die da! - Kann es sein, dass solche Artikel mitstricken am konventionellen Bild der "Sozialfigur" des "kleinen Leut", auch die "kleinen Leute" nur exemplarisch vorführen und über sie phrasieren?
Wenn ich den Blick von denen da abwende und mich selbst mal anschaue, stelle ich sehr bald fest, dass es mir gar nicht so viel anders ergeht als Susanne Neumann in Gelsenkirchen. Meine dereinstige Rente wird kaum höher ausfallen. Ich arbeite für Lohn oder Honorar, irgendwelche immobilen oder sonstwie wertigen Vermögensbestände habe ich nicht. Dass meine Arbeitskraft aufgrund langwieriger Ausbildungsgänge (abgesehen mal von den Nachfrageschwankungen) einen höheren Tauschwert am Arbeitsmarkt besitzt, führt dazu, dass mich die meisten Beobachter in eine ganz andere soziale Gruppe sortieren. Das trifft vermutlich (ich betone 'vermutlich') auf Sie, Nils Markwardt, auch zu. Trotzdem: Wir sind die "kleinen Leute"! Daran ändern alle unsere Distinktions-Kapriolen nicht das geringste.
Mal abgesehen von der Selbstbetroffenheit und nüchtern ausgedrückt: Der Artikel, der passagenweise den "kleinen Mann" als manipulative Konstruktion bezeichnet - kann man nur zustimmen - übernimmt die Wendung letztlich aber auch, um soziale Gruppen zu bezeichnen. Bisschen mehr Konsequenz wäre gut gewesen. Die "kleinen Leute" sind zuerst ein pseudo-identitätsstiftendes Ideologem, dass uns angeboten (?) wird. Dass diese Offerte so gern angenommen wird, liegt an ihrer populistischen Griffigkeit. Beides (den "Angebotschrakter" und die populistische Griffigkeit) hat der "kleine Mann" mit der "Nation" gemeinsam. Genau genommen bedingen sich beide ideologischen Instrumente. Dass wir uns als "kleine Leute", sprich handlungsunfähige Erdulder von Demütigung und Ungerechtigkeit, fühlen, soll uns runterziehen, dass wir uns dann aber als geschätzte Angehörige einer großartigen Nation (auch ein imaginäres Konstrukt) fühlen dürfen, zieht uns wieder hoch, bevor wir was Dummes tun, und lenkt uns in die gewünschte Richtung. Zweck der Übung erreicht.
Also, warum nicht darüber schreiben, wo es herkommt? Und dann über treffendere sozialstrukturelle Differenzierungen. Mit dem zitierten "Angestellten" ist ja schon eine Quelle angezapft.
Berichtigung
falsch: dass uns angeboten (?) wird.
richtig: dass uns angeboten (!) wird.
„Dass wir uns als "kleine Leute", sprich handlungsunfähige Erdulder von Demütigung und Ungerechtigkeit, fühlen, soll uns runterziehen, dass wir uns dann aber als geschätzte Angehörige einer großartigen Nation (auch ein imaginäres Konstrukt) fühlen dürfen, zieht uns wieder hoch, bevor wir was Dummes tun, und lenkt uns in die gewünschte Richtung. Zweck der Übung erreicht.“
Dass man diese Selbstzuschreibung dann zurückweist, ist doch gut. Dass man sie anderen in die Schuhe schiebt, vielleicht weniger.
Warum man sie sich lustvoll masochistisch zu eigen macht, habe ich noch nie verstanden. Außer vielleicht, wenn man sagen möchte, dass man selbst am wenigsten für das kann, was mit dem und im eigenen Leben passiert. Kommt vor, öfter als man glauben möchte.
„Also, warum nicht darüber schreiben, wo es herkommt?“
Unter anderem genau da her.
Der „kleine Mann“ ist ein staatsbürgerlicher Ehrentitel der verdient sein will und deswegen auch so unappetitlich wie unausrottbar ist.
Genau da kommt es an, da kommt es nicht her.
Ich werfe Ihnen gar nicht vor. Und weder müssen sich bei mir rechtfertitgen für das was Sie tun, noch kann oder will ich Ihnen eine Antwort auf die Frage geben ob und wie Sie Ihren Zugang zur Welt legitimieren können. Ich habe Sie eigentlich auch nicht persönlich gemeint und vermutlich war der direkte Reply auf Ihren Kommentar in dem Fall ein Fehler. Es ging mir um das Zitat und die Haltung in diesem Kommentar, die m.E. allerdings weder künstlerisch, noch von der gesinnungsethischen und auch nicht was die politische Einstellung angeht, ein Alleinstellungsmerkmal ist. Soweit ich das beurteilen kann und im Rahmen dieser Debatte auch mache. Und die ich ignorant finde, im Sinne einer wirklich verbreiteten Arroganz bürgerlicher Macht. Ohne Ihnen damit zu nahe treten zu wollen. Falls ich Sie persönlich getroffen haben sollte, entschuldige ich mch dafür.
Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass das Selbstbild von A bis Z eigene Konstruktion ist, beileibe nicht, gerade in den frühen Jahren nicht. Aber irgendwann beginnt man (im guten Fall) an dem Bild selbst mitzumalen. Gerade weil man eben kein rein passiver, ohnmächtiger Rezipient ist. Und selbst wenn man meint, das sei nur eine Verdrängung, okay, aber es ist dann das eigene, eigenere Bild. Das darf ruhig ein wenig zu hübsch sein. Versuchen wir doch mal, möglichst viele gute Fälle zu kreieren.
Das ist interessant. Auf facebook gab es dazu auch eine Debatte. Es stimmt, dass der Beitrag in sich ein bisschen inkonsequent daherkommt.
Er wendet sich ironisch gegen den Aufbau einer solchen Konstruktion und bedient sie dann auch wieder.
ja, das ist das schöne am kleinen mann:
wie man´s auch dreht und wendet:
man guckt auf ihn von oben herab.
man hat distanz zu seiner wichtig-keit.
man dünkt sich ihm gegenüber: politischer,aufgeklärter,tabu-loser,moderner,welt-offener,
nicht so klein-kariert am unmittelbaren interesse klebend.
mit seinem irren sicherheits-bedürfnis trägt er züge des alt-hergebrachten spießbürgers, des philisters,
der nur sein nest und seine brut im auge hat.
seine bemühte vor-sorge macht ihn zum besorgten.
sein kleines quantum sex und wildheit hat er verbraucht:
die eroberung seiner gefährtin hat er hinter sich.
größe verschafft er sich durch identifikation mit großem.
ungestörte ruhe ist ihm behaglichkeit.
gleich-gesinnte sind ihm nahe,
freunde polstern seine welt. dagegen:
bei aufdringlichen neuen, fremden nachbarn
ist er im alarm-zustand, seine empfindlichkeit
ist gesteigert, toleranzen schnell am limit.
(--->youtube, gerhard polt,toleranz)
Das wäre die Frage, ob der kleine Mann ein Spießer oder Hedonist ist. Und vielleicht ist ja beides Ausdruck des "falschen Bewusstseins", aber wie sähe dann der Lebensentwurf eines richtigen Bewusstseins aus?
Ja, der Kommentar war halt an mich adressiert, weswegen ich mich dann mal angesprochen gefühlt hab. Und in der Tat will ich die Zuschreibung bürgerlicher Arroganz halt nicht stehen lassen, weil ich dafür schon zu lange hartze. Andererseits hab natürlich auch ich meinen Stolz, meinen künstlerischen halt, der mich schreiben lässt, was ich will, egal, wie abgehoben es wirken mag. Aber nichts für ungut. Nehm die Entschuldigung natürlich an, die an sich gar nicht nötig gewesen wäre.
Darauf n Lübzer,
Soloto
Wahrscheinlich habe ich mich unglücklich ausgedrückt.
Die fragende Aufzählung enthält Merkmale, die allen Menschen in unterschiedlicher Weise zukommen. Man könnte jetzt hergehen und dem "kleinen Mann" bestimmte Ausprägungen dieser Merkmale zuordnen. Das würde dem Distinktionsbedürfnis derjenigen entgegenkommen, die in ihrer Selbstwahrnehmung nicht den kleinen Mann verkörpern (bzw. verkörpern wollen, da unsexy). Bourdieu spricht bspw. von den neu geschaffenen Berufen, die zwar schlecht bezahlt sind, aber dafür symbolisches Prestige verschaffen - Therapeuten im Grenzbereich zur Esoterik, Medienschaffende, Kunsthandwerker usw. - und deren Angehörige sich nicht über das erzielte Einkommen definieren (lassen wollen).
Für mich macht es einen Unterschied, ob die Bezeichnung "kleiner Mann" nun eine Selbstbeschreibung darstellt (wäre ok) oder eine Fremdbeschreibung, die andere selbstgefällig auf ihre Plätze verweist.
Vielleicht klingt das jetzt etwas wirr, aber das sind eben einige Gedanken, die mir - sicher etwas unausgegoren - durch den Kopf gehen.
distinktions-kapriolen=*****.
im schaffen von kleinen unterschieden
sind kleine leute hoch-beschäftigt:
mode und andere äußerungen , den persönlichen geschmack
zu manifestieren, werden gern angenommen.
der gefahr, irgendwas, wie jeder andere, zu kaufen,
vielleicht sogar nur zum markt-üblichen preis: ein no-go!
hier zeigt sich die pfiffig-keit der wahrhaft individuellen!
der un-verwechselbarkeit wird einiges gezollt.
im alten glauben waren alle sünder vor gott.
die sterblichkeit, das allen gemeinsame ende:
jeder kirchen-besuch: eine kollektive zerknirschung.
wer wollte, sah die fassadenhaftigkeit selbst hoher ränge.
der wettbewerb um unterschiede:
durch soziale kontrolle gedeckelt.
welche möglichkeiten heute, sich abzusetzen:
mit dingen, spleenigen vor-lieben, horizont-erweiterungen
durch auslands-reisen.: kapriolen und eskapaden,
kleine fluchten , die freiheit simulieren.
wir lassen uns die freiheit nicht zuteilen.
wir nehmen sie, wo es(mit credit-card oder bar) gestattet ist.
Hallo Unwissender.
„Man könnte jetzt hergehen und dem "kleinen Mann" bestimmte Ausprägungen dieser Merkmale zuordnen. Das würde dem Distinktionsbedürfnis derjenigen entgegenkommen, die in ihrer Selbstwahrnehmung nicht den kleinen Mann verkörpern (bzw. verkörpern wollen, da unsexy).“
Ja, kapiert.
„Bourdieu spricht bspw. von den neu geschaffenen Berufen, die zwar schlecht bezahlt sind, aber dafür symbolisches Prestige verschaffen - Therapeuten im Grenzbereich zur Esoterik, Medienschaffende, Kunsthandwerker usw. - und deren Angehörige sich nicht über das erzielte Einkommen definieren (lassen wollen).“
Eben, das ist auch mein Ansatz. Kein Grund, die Leute schlecht zu bezahlen, es gibt Geisteswissenschaftler, die so wenig verdienen, dass Putzfrau Susanne Neumann dafür nicht mal den Lappen auspacken würde. Und das ist kein Witz, den Rekord von dem ich hörte, hält ein Philosophiedozent, der pro Semester 600 Euro bekam. Satte 100 Euro im Monat, der hat nun natürlich das Problem, dass er nicht weiß ob er Ölaktien oder Goldbarren kaufen soll.
So gut wie kein Künstler den ich kenne, kann von seiner Kunst leben, dabei gibt es da tolle Leute, oder eben die genannten Esotherapeuten oder irgendwas mit Medien Leute. Monetär ist das der kleine Mann, Unterschicht, aber vielleicht würden sie sich mit einigem Stolz und Recht selbst nicht so bezeichnen (wollen). Ist man denn unmündig, durchschnittlich und muss die Linke oder AfD wählen, weil man Hartzer ist? Manchmal ist das Selbstbild entscheidender als 500 oder 5000 Euro mehr, selbst wenn man die gut brauchen könnte und mit Kusshand nehmen würde.
„Für mich macht es einen Unterschied, ob die Bezeichnung "kleiner Mann" nun eine Selbstbeschreibung darstellt (wäre ok) oder eine Fremdbeschreibung, die andere selbstgefällig auf ihre Plätze verweist.“
Das ist ja mein Reden und es macht einen Unterschied aus, ist eben nicht nur heiße Luft, wenn man entsprechend empfindet. Und dabei geht es nicht darum, sich die Welt schön zu reden, Unrecht zu verklären oder Leid auszublenden. Aber es wird Land auf und ab gepredigt, man möge sich nicht nur über Besitz und Konsum definieren, sobald das aber jemand tut, sind 200 Euro doch besser. Ist doch ein Trauerspiel.
„Vielleicht klingt das jetzt etwas wirr, aber das sind eben einige Gedanken, die mir - sicher etwas unausgegoren - durch den Kopf gehen.“
Ich wollte und will Dich nicht verunsichern, bin Dir jetzt aber schon zum zweiten Mal, allerdings ohne böse Absicht und Hintergedanken, reingegrätscht. Mindestens könnte es bei Dir so ankommen. Ich freue mich, wenn Menschen ihre „wirren“ Gedanken hinschreiben, denn das ist ja die Rohmasse aus der wir alle dann etwas Vernünftiges und gerne auch mal etwas Unvernünftiges formen können. Also, lass Dich davon meinetwegen gerne irritieren, aber nicht abhalten.
spießer und glück-sucher:
dem verbrieften pursuit of happiness auf der spur und babbitt. ein heroisches kämpfer-insekt um voran-kommen
gegen vor-gesetztes und neidisches.
also: kein falsches bewußtsein, eher ein ein-dimensionales,
das im gegenwärtigen, im atomisierten zustand verstrickt bleibt.
aus der perspektive des ökonomisch-gesellschaftlichen systems:
gut-brauchbare individuen en masse.
Theo Sommer im der Zeit von 1983 über Günter Gaus' Sicht auf das andere Deutschland.
http://www.zeit.de/1983/42/und-wo-liegt-nun-deutschland
Drüben – da erblickt Günter Gaus ein Staatsvolk der kleinen Leute, konservativ in seiner Grundhaltung, spießbürgerlich in seinen Reflexen, gravitätisch in Stil und Auftreten der Führungsfiguren. Der Kommunist ist entdämonisiert; am Arbeitsplatz herrscht Freiheit von Angst; es gibt im Berufsleben kein Schielen nach oben, keine Angeberei mit der Karriere, keine Zweifel am eigenen gesellschaftlichen Stellenwert.
Mir geht das mit der DDR und den kleinen Leuten nicht aus dem Kopf. Die dann von der anderen Seite so herablassend behandelt wurde, als sei man nicht selbst auch kleinbürgerlich und fürchterlich geängstigt - nicht so sehr vor der Obrigkeit als vor der Gefahr des eigenen Abstiegs oder des Aufstiegs der anderen.
Zu den "kleinen Leuten" zu gehören, war damals überhaupt kein Problem, es waren ja fast alle so ähnlich gelagert. Es war nichts, worüber man andauernd nachdenken musste.
Systeme haben die Funktion Individuen zu reduzieren, auf jene Nützlichkeiten, die das jeweilige System – es gibt ja zig – braucht und am Leben erhält. Das ist aber nicht weiter schlimm, weil das Individuum dem System zwar etwas gibt – und seine zwischenzeitliche Reduktion in kauf nimmt – aber von ihm, dafür auch etwas bekommt. Zwar benutzt das System die Individuen, in dem es sie reduziert, aber auf die Individuen können die Systeme benutzen, habe alles Recht der Welt dazu und sollte kreativ daran arbeiten.
Vorturner, die man für 3% mehr das eigene Elend verwalten lässt, halten die Individuen nicht selten in der Unmündigkeit und reduzieren sie in dem Fall ein weiteres mal, in dem sie ihnen suggerieren, dass sie allein buchstäblich nichts wären. Die, da oben, machen ja sowieso was sie wollen. Wir helfen Dir wenigstens ein wenig zu bekommen. Wenn man das 1000x gehört hat, glaubt man es irgendwann.
Damit will ich die Legitimation von Anwälten, Gewerkschaften, NGOs etc. nicht per se in Abrede stellen, sondern nur schüchtern dran erinnern, dass es diese ganz andere Seite auch noch gibt.
wenn engels (lage der arbeitenden klassen) den ökonomisch/sozialen status des englischen proletariats
als prekär bezeichnet, sollten fast alle, sich nicht zu weit davon ver-orten.
wem nach einer scheidung, kaum geschmälert,
die welt offen-steht, gehört zu denen,
die sich im drachenblut des geldes
un-empfindlich machen konnten. glückwunsch!
prekäre berufs-anfänge, umstrukturierungen in der firma,
markt-abhängigkeit: manche welle kann einen vom brett holen.
sicherheit meinen viele durch kinder-losigkeit zu erlangen:
verzicht auf zu hoch-hängende trauben:
schafft wohl nur dem buddha-folger: zufriedenheit. oder?
"Zu den "kleinen Leuten" zu gehören, war damals überhaupt kein Problem, es waren ja fast alle so ähnlich gelagert. Es war nichts, worüber man andauernd nachdenken musste."
Das war ja auch die Staatsideologie.
Hallo denkone8.
„wenn engels (lage der arbeitenden klassen) den ökonomisch/sozialen status des englischen proletariats
als prekär bezeichnet, sollten fast alle, sich nicht zu weit davon ver-orten.“
Kommt halt wieder auf die Kriterien an, die man anlegt.
„wem nach einer scheidung, kaum geschmälert,
die welt offen-steht, gehört zu denen,
die sich im drachenblut des geldes
un-empfindlich machen konnten. Glückwunsch!“
Okay.
„prekäre berufs-anfänge, umstrukturierungen in der firma,
markt-abhängigkeit: manche welle kann einen vom brett holen.“
Ja, klar. Ist ja immer wieder die Rede davon, dass wir eine Unkultur des Scheiterns haben. Bei den Amis gelten 3 – 5 Fehlversuche als Auszeichnung, bei uns muss der erste Treffer sitzen und man muss sich aml überlegen, was es über ein Land aussagt, in dem arbeitslos gewordene Menschen über Wochen bis Monate (manchmal Jahre) so tun, als würden sie weiter arbeiten. Das ist mit skurril noch milde beschrieben. Was für ein Selbstbild muss man haben um, an so einer „Niederlage“ zu zerbrechen? Aber klar, wenn Kohle und Status 80 – 99% der Attraktivität ausmachen, kann so was sein.
„sicherheit meinen viele durch kinder-losigkeit zu erlangen:
verzicht auf zu hoch-hängende trauben:
schafft wohl nur dem buddha-folger: zufriedenheit. Oder?“
Wo Kinderlosigkeit ein Marktmodell ist, ist das sicher übel, wo die Familienplanung von fehlender Absicherung behindert wird nicht weniger. Ansonsten kann man das heute selbst entscheiden, was ja gut ist. Dass das gesellschaftspolitisch prekär wird, ist dann wieder eine andere, wahre Geschichte.
Nee, das war sie nicht. Die Staatsideologie war vom Gedanken der Gleichheit bestimmt, die offizielle Idee war, zur revolutionären Avantgarde zu gehören, auf der Seite des Fortschritts zu sein. usw. Kleinbürgerlich zu sein galt in der DDR als ein Verdikt - vor allem gegenüber der Kunst und Literatur. Und dies, obwohl vieles im Lande kleinbürgerlich daherkam. Andererseits herrschte in vielem eine Großzügigkeit, die nur Leute verstehen, die in der DDR lange lebten. Einer der vielen interessanten Widersprüche.
Der Soziologe Wolfgang Engler nannte die DDR "die arbeiterliche Gesellschaft". Die "Diktatur des Proletariats" war die entsprechend so bezeichnete Herrschaftsform. Etwas, das natürlich überhaupt nicht eingelöst wurde.
Daran musste ich die Tage auch denken. Dieses Milieu einer arbeiterlichen Gesellschaft findet sich vielleicht heute noch in Nordrhein-Westfalen z. B. Im Osten ist sie fast verschwunden oder findet keinen Ausdruck mehr.
Nach außen kam allerdings heraus, was Günter Gaus schon ganz gut beschreibt. Und eines muss ich - aus eigener Erfahrung - noch ergänzen: Es war in der DDR wesentlich einfacher ohne Wurzeln zu leben. Es ging nicht andauernd um Herkunft, sondern darum, was man jetzt tat und konnte, wie man Traditionen überwand. Allerdings wurden die natürlich am Ende dann doch gepflegt. Es war halt alles ein bisschen ekklektistisch in der DDR. Und die Hochnäsigkeit mancher Funktionäre konnte man frohen Herzens auch belächeln.
Wandlitz - eine Siedlung der absolut kleinen Leute.
ja, anwendende systeme
lassen meist das motto des individuums zu:
eigentlich bin ich ganz anders, komme nur zu selten dazu.
immer bleibt neben dem erwartungs-imperativ des systems:
raum für ich-management. selbst in geschlossenen institutionen.
dazu:
goffman,stigma.über techniken der bewältigung beschädigter identität.
ders. asyle. über die soziale situation psychatrischer patienten...
Hallo Magda.
„Andererseits herrschte in vielem eine Großzügigkeit, die nur Leute verstehen, die in der DDR lange lebten. Einer der vielen interessanten Widersprüche.“
Großzügigkeit von und gegenüber wem?
„Daran musste ich die Tage auch denken. Dieses Milieu einer arbeiterlichen Gesellschaft findet sich vielleicht heute noch in Nordrhein-Westfalen z. B. Im Osten ist sie fast verschwunden oder findet keinen Ausdruck mehr.“
Was ich festgestellt habe, oder besser, mir erklären lassen musste, war, dass in der DDR das Handwerk viel weniger entwertet war, als bei uns im Westen. Die Angrenzung der Schichten gegeneinander war wohl immer schon etwas stärker als im Osten.
„Es war in der DDR wesentlich einfacher ohne Wurzeln zu leben. Es ging nicht andauernd um Herkunft, sondern darum, was man jetzt tat und konnte, wie man Traditionen überwand.“
Kann gut sein. Im Westen war ja schon die verrückte Mischehe zwischen Katholiken und Protestanten ein höheres Wagnis, doch als der Bann gebrochen war, ging eigentlich alles relativ schnell, Gleichberechtigung der Geschlechter und Homosexuellen war dann schon nicht mehr so absonderlich. Und dann gab es eine Zeit in der in der Mittelschicht die Herkunft auch egal war. Es ging allen vergleichsweise gut, die Welt stand offen, bis dann irgendwann die fast schon chronisch schlechte Stimmung einsetzte.
„Wandlitz - eine Siedlung der absolut kleinen Leute.“
Ach, davon gibt es im Westen auch mehr als genug, manchmal Stadtteile, manchmal ganze Städte und Regionen.
Ja, ist auch mein Gesang. Ist dann etwas anspruchsvoller, aber seit seit Viktor Frankl wissen wir, was hier alles geht.
ddr.
scheint ja auch ein sehr liberales kloster(claustrum, verschlossener ort) gewesen zu sein.
ein ort kommuner frömmigkeit,
im wissen der schuldhaftigkeit aller bewohner.
und im rücken dem abt eine nase gedreht.
ein ort, die leichtig-keit des seins zu genießen.
wer sich empört über verschwendete mühsal,
direktiven, die ins nirwana weisen,
willkür nicht ertragen kann:
dem ist nicht genug präsent,
welche scheußliche vergangenheit überwunden,
welche herausforderungen ihm erspart,
welche un-beschwerte zukunft sich ihm bietet.
viele anders-sehende sind ja schon fort,
die freie aussicht auf die welt: begrenzt (auch lektüren).
als teil eines experiments: experimenten ablehnend gegenüber.
klaustrophobischen winkt der frei-kauf.
Sehr schöner Artikel. Wunderbar auch Hegel rezipiert indem man den kleinen Mann dialektisch outet, dass er nur "an sich" und nicht "für sich" denkt. Ganz in Wilhelm Reichs Analyse gesprochen.
Das muss man wissen und entsprechend so muss man auch als Linker dann denken und handeln. Leider glaubt die Linke heute immer noch an den Weihnachtsmann.
Jeder Linker wird gross mit der Hoffnung Bewusstsein schaffen zu können. Das glaubte Marx, das glaubte Rudi Dutschke, das glaubt wohl fast jeder Linker.
Das Bewusstsein wurde schon lange verführt und korrumpiert.
Es fing an mit dem Behaviorismus und Taylerismus und hat heute seit 30 Jahren des Neoliberalismus den Höhepunkt erlangt. Linke müssen es langsam einsehen und verstehen, dass dieses Bewusstsein des kleinen Mannes letztlich nie aufgeklärt werden kann.
Daher muss man andere Wege gehen.
dein gesang - mein geheul. m.e. ist bei der an-erkennung persönlicher ansprüche gegen private gewinn-erzeugungs-absichten und staatliche fügsamkeit noch luft nach oben. oder?
Klar, Arbeit hat Vorfahrt inn Deutschland, überall. Das kostet Arbeitsplätze ist ja auch das erste und letzte Argument bei uns und wir definieren uns über Arbeit.
Ich muss wohl ausländische Wurzeln haben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Projektive_Identifikation
https://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/wissen/aufklaerung/quellen/kant.htm
https://en.wikipedia.org/wiki/Escape_from_Freedom
http://www.zpub.com/notes/idle.html
http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN631222839&PHYSID=PHYS_0012
http://www.wilhelm-reich-gesellschaft.de/sites/default/files/Peglau_2097.pdf
http://gutenberg.spiegel.de/buch/geschichte-des-materialismus-und-kritik-seiner-bedeutung-in-der-gegenwart-8179/24
http://www.nachdenkseiten.de/?p=25005
rotieren. Die sog. "projektive Identifikation" mit dem "Helden der Arbeit", dem protestantischen Arbeitsethos, dem heroischen Selbstaufopferer für ideologische Chimären
china, usa? außer lampukistan: alle nicht-feudalen gegenden sind vom erwerbs-streben gezeichnet.
"Darauf n Lübzer"
Das kannte ich nicht. Aber dass dort, und nicht in Entenhausen Duckstein Bier gebraut wird, stimmt mich versöhnlich... Nichts für ungut auch von meiner Seite.
Aber gehen die so darin auf? Ich weiß es gar nicht. Die Südkoreaner, sind glaube ich ähnlich, aber sonst?
Großzügigkeit von und gegenüber wem?
Gegenüber Alleinerziehenden.
Viele Frauen in der DDR hatten z. b. ein Kind oder auch zwei, aber sie waren nicht verheiratet. Sie wollten es auch nicht sein. Männer waren nie im Leben nach einer Scheidung so unglaublich finanziell in Anspruch genommen wie heute im geeinten Deutschland.
Geld war nichtso rasend wichtig, die Leute konnten mit sehr wenig Geld leben.
Überhaupt wurde viel Geld verpumpt und nicht viel drüber geredet.
Der Schwangerschaftsabbruch war nicht - wie noch immer bis auf den heutigen Tag - illegal, sondern per Gesetz erlaubt. Dennoch gab es darüber auch immer wieder Debatten, die durchaus o.k. waren
Kleinlich war es immer dann wenn es um Macht ging oder Leute Macht infrage stellten. Das ist die andere Seite der Medaille.
Jaja, so kann man das alles auch betrachten. Aber - es entsteht immer mehr der Verdacht, dass sich manche Kritiker der beengten Verhältnisse auch nur - im Stil des kleinen Mannes - auf Kosten dieser DDR innerlich entlasten oder vergrößern.
Ich habe keine Lust, mich jetzt für die DDR generell in die Bresche zu schmeißen und die gängigen Glaubensbekennnisse aufzusagen. Ich habe über eine Passage in Günter Gaus' Buch über die DDR ein bisschen meditiert. Dafür kriegt man hier mal wieder - die gängige DDR-Sicht um die Ohren gehaun wie einen nassen Lappen . Es ist - wie früher- man wird auf die gängige Linie gebracht. Da wird mir auch auch klaustrophobisch zumute angesichts dieser Enge und Unfähigkeit, außerhalb der hier alle verwursteten Klischees zu denken.
Danke, für die Infos aus erster Hand. Das Ost/West-Thema ist schwierig, auch heute noch. Ich glaube, was viele Westler nicht kapieren, ist, dass sie über vermeintliche Systemkritik auch das selbst Erlebte und die Biographien der Ossis hinterfragen, entwerten und zerstören. Die erste Liebe ist halt auch im Osten schön gewesen und Gründe für Freude und Zufriedenheit wird es auch gegeben haben. Diese Unterstellung, man müsse sich da was eingeredet haben oder bei der Stasi gewesen sein, ist da schon ziemlich nervtötend. „Wir“ haben vermutlich immer die Dankbarkeit vermisst, aber davon auch zuviel verlangt und die mit deutlich zu viel Herablassung eingefordert. Dass „die Ossis“ den aufrechten Gang schon drauf hatten, war vielen nicht bewusst.
Dazu kommt, dass es im Westen ungefähr um die Zeit der Wende dann bergab ging, was meiner Einschätzung nach mit der Grenzöffnung so gut wie nichts zu tun hatte, aber dennoch so empfunden wurde, wegen des zeitlichen Zusammentreffens.
Ich habe mal um die Wendezeit, als es noch Ostmark gab, mehrfach. Aber nur kurz den Osten besucht und gesehen, wie das inzwischen schöne Weimar damals aussah oder Jena-Lobeda. Ein Träumchen. Die Ossis selbst waren oder wirkten damals noch sehr schüchtern, was aber auch verständlich war, schließlich waren wir die Außerirdischen aus dem Westen und im Rahmen einer Messe da. Lustige Anekdoten gab es einige... naja, wer kennt die nicht.
Also - nicht mal ich will diel DDR zurück, um auch mal ein Glaubensbekenntnis aufzusagen. Was ich aber wichtig finde, ist , die DDR im Kontext der Historie zu sehen. Der Streit darum war und ist noch immer in vollem Gange und ist voll mit Ideologie.
Ich habe dazu immer mal was geschrieben. https://www.freitag.de/autoren/magda/stiftung-ossitest
Das ist mehr zum Amüsement.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/deutsch-deutsche-damonen
Hier ist noch ein sehr profunder Schorlemmer Beitrag. Dann höre ich auf damit, weil der Beitrag ja eigentlich ein bisschen ein anderes Thema hat.
Dazu kommt, dass es im Westen ungefähr um die Zeit der Wende dann bergab ging, was meiner Einschätzung nach mit der Grenzöffnung so gut wie nichts zu tun hatte, aber dennoch so empfunden wurde, wegen des zeitlichen Zusammentreffens.
Das muss ein kollektives westdeutsches Empfinden sein. Hier doch noch ein Link zu einem Text, der ganz gut ist.
http://www.zeit.de/kultur/2014-10/brd-ende-mauerfall
"Das muss ein kollektives westdeutsches Empfinden sein."
Und vermutlich ein richtiges, nur eben falsch korrelierend. Aber wir werden OT, demnächst vielleicht noch mal, danke, für die links, hab sie alle gelesen.
kein grund zur bitternis:
ich schrieb: ddr. scheint ja auch...
also nur eine mögliche darstellung, die von ihrer angestoßen wurde. es gibt mehrere narrative zur ddr.
das erlebte ist vor-herrschend und wird erinnernd rekonstruiert.
die sicht der toten ist schwieriger zu rekonstruieren.
der historiograf muß geltungs-ansprüche auf wahrheit gewichten.
andere sollten ihre sichten erweitern.
aber es muß erlaubt sein, ganz subjektive(naive oder reflektierte)zur sprache zu bringen.
in somalia heißt es: arbeite nicht,wenn das gras grün ist.
aber in schweden ist das gras immer grün(sagt ein schwedischer
ethno-radikaler).
Das es mit den Wirtschaft durch die Überproduktion abwärts ging ist richtig. es brauchte neue Märkte für die Wirtschaft. Da war die Zeit für den Mauerfall da. Ost-CDU und West-CDU machten PLäne und gaben das Zeichen. So war es doch? Kein wir sind das VOlk, kam natürlich gut an, war aber alles nur Politik und Kirche. Lasst das Volk bestimmen dass es darf. Bei soviel kondizionierung uber zig Jahre klappte das natürlich wunderbar. Der kleine Mann ist immer der Täter, das wusste und schrieb es auch Wilhelm Reich. Es war so, es ist so und es wirds weiter so sein. Angst macht gefügig, das weiß jeder Erpresser.
Ah, woher ist das noch mal? Habe ich auch gesehen.
Hallo Rita.
„Der kleine Mann ist immer der Täter, das wusste und schrieb es auch Wilhelm Reich. Es war so, es ist so und es wirds weiter so sein. Angst macht gefügig, das weiß jeder Erpresser.“
Entweder man solidarisiert sich, was aber eher nicht den Anschein hat und mit ängstlichen Leute, die gefühlt oder real ums eigene Überleben kämpfen, ohnehin so eine Sache ist, oder man weist zurück, dass man dazu gehört und entwickelt eine Alternative zur Opfer-, Verlierer- oder Hilflosidentität.
Im Sprachspiel des kleinen Mannes, und daher auch in der Selbstzuschreibung, steckt immer schon drin, dass er chancenlos ist, man mit ihm eh nach Belieben umspringt und dass er bestenfalls durch wohlfälliges und gefügiges Verhalten sein Elend in Grenzen halten kann. Mehr ist in Selbst- und Fremdzuschreibung für den kleinen Mann und die kleine Frau nicht drin.
Und wer ernsthaft denkt, das seien doch nur Worte und diese seien Schall und Rauch, den kann man mit sozialpsychologischen Studien und Experimenten zuschütten, die immer und immer wieder belegen, was für eine erstaunliche Macht Zuschreibungen und Einstellungen haben.
O.k. ok..
das erlebte ist vor-herrschend und wird erinnernd rekonstruiert.
Freundlich, dass Sie so geantwortet haben. Die DDR ist inzwischen für viele Leute durchaus eine fruchtbare Lebenserfahrung, eben weil sie so viele Seiten hatte.
Vor allem ist auch das Erlebte nicht eindimensional. Da mischen sich ja Bitternis und Freundlichkeit. Repression und Hoffnung. Alles ist in so einem Leben. Es ist einfach noch nicht "historisiert", wie es so schön heißt. Und es fuhrwerken zuviele andere - sehr gegenwärtige - Interessen drin rum.
>>Aus stolzen, organisierten und buchstäblich selbst-bewussten Arbeitern – wie auch die Putzfrau Susanne Neumann noch eine ist –, entsteht die symbolische (Selbst-)Verzwergung des postmodernen Prekariats.<<
Und es wird nicht gefragt, wie es wohl kommt, dass Arbeiter einst trotz mühevollen 12-Stunden-Arbeitstagen in 6-Tage-Arbeitswochen, ohne Internet & trallala, die Kraft hatten Gewerkschaften und Arbeiterparteien zu gründen.
Heute, wo doch alles leichter scheint, ist diese Kraft eliminiert, wodurch? Wie kann die Arbeiterklasse (die es gibt, solange es Lohnarbeit gibt) gesunden?
„Der Rentenbescheid der 57-Jährigen beläuft sich auf gerade mal 735 Euro. „Ich war nie faul. Ich habe immer malocht. Und das ist ungerecht“: Das ist die Botschaft von Susanne Neumann aus Gelsenkirchen.“
Dieses stolze Dienstboten-Selbst-Bewusstsein ist auch der Millionenfache Erfolgsschlager deutscher Gewerkschaftsmoral. Und genau deswegen ist Frau Neumann auch ein so gern gesehener Gast in deutschen Talkshows und Parteizentralen. Warum DGB und Frau Neumann so ticken? Weil die das so wollen.
"Er blickt wohl in den Himmel, doch sieht er die Sterne nicht."
Er hat vielleicht nie lernen können oder erfahren , was "Sterne" sind. Zu eng das Kostüm, zu illusionär jede Freiheit. Ist er jemals erwachsen geworden oder doch immer noch das brave Kind?
Gibt sicher auch welche, die innerlich Kind geblieben sind. Ich selber hatte eher den autoritären Typus vor Augen, der in die Identifikation mit den Autoritäten gegangen ist und dem, "was schon immer so war". Auf jeden Fall fehlt die Entwicklungsperspektive (beruflich, bildungsmäßig, künstlerisch), die zu innerer Stagnation, mangelnder Aufgeschlossenheit und Verhärmung führt.
Richtig.
Menschen kann man kein Bewusstsein "verpassen", sie müssen es selbst erlangen.
Und dass diese Forderung auf die gesamte Menschheit gesehen keinen wirklich durchschlagenden Erfolg haben wird, wusste auch die Offenbarung des Johannes über das Jüngste Gericht zu berichten: "Die Bösen mögen weiterhin sündigen, die Guten weiterhin Gutes tun. Aber sehet, ich komme bald!"
Das einzige Interesse des kleinen Mannes besteht darin (angesichts der wachsenden Ungleichheit im Zuge der industriellen Revolution zur Mitte des 19. Jahrunderts), selber zum kleinen Kapitalisten zu werden, schrieb Joseph A. Schumpeter in "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" einmal zur von Marx seinerzeit aufgeworfenen sozialen Frage. Das stimmt tatsächlich: Für die Arbeiterklasse, das Proletariat, den Pauper oder moderner: den prekär Beschäftigten, hat sich, bis auf wenige Ausnahmen einmal abgesehen, nie jemand aus der Arbeiterklasse selber stark gemacht! Damit haben wir immerhin wenigstens eine historische Konstante in der jüngeren Sozialgeschichte gefunden! Darauf, was sich zumindest theoretisch daraus schliessen liesse, will ich mich lieber nicht einlassen...
Literatur plus veraltete Empirie - das funzt nicht
Lieber Nils,
dein Stück ist erhellend und interessant, was die literarische Figur des "kleinen Mannes" anlangt. Was mir aber fehlt ist, die Arbeiter, Prekären, Arbeitslosen und Verzweifelten tatsächlich soziologisch zu beschreiben. Da hilft ein Lexikon der Ideomoatik nicht weiter. Wenn ich recht gehe, finden sich Millionen Menschen in Deutschland, die man evtl unter kleine Leute fassen könnte. Sie machen sich tatsächlich demoskopisch bemerkbar, um es freundlich zu sagen. Hilft es da wirklich, die soziologische Gestalt dieser Abgehängten (oder sich so fühlenden) literarisch zu vernebeln bzw. zu einem unbewussten, kaum denkfähigen Depperl zu erklären? Kurz gesagt: Seit Jahren begegnen uns diese Personen als reale Abgehängte in Arbeitslosenstatistiken, ABM-Maßnahmen usw. Als Opfer sind sie also allgegenwärtig. Aber wenn diese Leute dann frecherweise die falsche Partei wählen, werden sie einfach wegerklärt. Wahrscheinlich weil man sie nun als Täter ansieht. So jedenfalls mein Eindruck, wenn diese Non-Figur dann plötzlich in 86prozentiger Konzentrationen Wahlen fast einscheidet. Best, Christian
P.S.. Die AfD-Studie des IW ist superinteressant - und total veraltet. Wir können nicht mit Studien, die im Jahr 2013 erhoben wurden, auf Wähler einer Partei im Jahr 2016 schließen.
Lieber Christian,
Du hast mit deiner Kritik insofern Recht, als dass es in der Tat auch einer soziologisch-empirischen Analyse des „kleines Mannes“ bedürfte. Nur wäre dann direkt die Frage, wie das genau aussähe? Denn selbstverständlich gibt es „die Arbeiter, Prekären, Arbeitslosen und Verzweifelten“, die man jeweils statistisch erfassen und beschreiben könnte. Wobei sich dann vermutlich eine sehr vielschichtige Realität zeigen würde, denn bspw. hat der VW-Arbeiter mit dem Lager-Arbeiter bei Penny ökonomisch relativ wenig gemein.
Die Sozial- und Diskursfigur des „kleinen Mannes“, die eben auch, aber nicht nur eine literarische ist, leistet ja nun aber genau das: Aus einer vielschichtigen Masse an Menschen erzeugt sie im politischen Imaginären ein Kollektivsubjekt, das dann wiederum über einen vermeintlichen Willen verfügt. Sprich: Zu ihrem Wesensmerkmal gehört ja gerade eben, dass sie immer amorph bleibt, dass sie mitunter auch als eine Art rhetorisches Kostüm dient.
Der Text versucht nun diese Diskursfigur zu umkreisen, zu fragen, welche historischen Narrative in ihr stecken, wie sie funktioniert, wie sie instrumentalisiert wird? Und ich finde weder, dass hier irgendwas „wegerklärt“ wird, noch dass der Text den „kleinen Mann“ zum „kaum denkfähigen Depperl“ erklärt. Der Text beschreibt doch eindeutig eine starke Ambivalenz.
Es ging mir also zunächst um die Wirkmächtigkeit einer rhetorischen Figur, eines Narrativs, das im politischen Diskurs wirkt. Demenstprechend war das Anliegen des Textes, erst einmal deutlich zu machen, dass der "kleine Mann" vielleicht eben kein selbsterklärender Begriff ist, der eine bestimmte soziale Realität abbildet, sondern eine Sozialfigur, die einen gewissen symbolischen Überschuss birgt. Aber wie gesagt: Ich gebe dir Recht, im zweiten Schritt müsste man dann vermutlich in der Tat in die konkrete empirische Analyse gehen.
Lieber Nils,
„Schreiben Sie mir“, sagte Thorton Wilder einmal zu Hans Sahl. „Ich will wissen, wie es Ihnen geht, was Ihre Zähne machen, woran Sie arbeiten, wie Sie essen, trinken, schlafen. Aber, um Himmels willen, keine Philosophie. Oh, diese Deutschen.“
Auf Deine "Antwort" bezogen heißt das: Lass man langsam Deine Werkzeuge sinken, mit denen Du immer höher in Abstraktionen kletterst und Dich am Ende in Diskursfiguren und Narrativen verläuftst. Der Wert Deines Textes ist, dass er anregt; das Problem ist, dass er eine Vielzahl von realen Personen zu einer ziemlich einfachen negativen Figur verdichtet. Lies mal Deine Leserbriefschreiber, die haben das schon verstanden, dass "der 'Kleine Mann' ein Niemand, ein Blödmann und ein Arschloch ist." (Zitat aus den Leserbriefen zu der Ergänzung von Magda zum Kleinen Mann mit Hilfe von Gabriele Wohmann)
Meines Erachtens machst Du den gleichen Fehler wie die Linkspartei als Ganzes. Weil die kleinen (dummen) Leute sie enttäuscht haben, suchen sie sich nach Brecht jetzt halt ein neues Volk; und weil es das real da draußen nicht gibt, ideosynkrasiert man es sich halt im Kopf zusammen. Wozu auf empirische Daten und Beschreibungen zugreifen und dann komplizierte Antworten finden, wie und ob man die Abtrünnigen zurückholen könnte, wenn man sie sich das Sockenpüppchen "doofer kleiner Mann" zurechtbasteln und dann seinen ganzen Schmerz da reinhauen kann. Das tut so gut! Da muss seine Politik nicht ändern! Dann kann man, auch als Journalist, den alten Besteckkasten weiter benutzen! Und es befreit so!
Dein Text ist gut und anregend. Aber er macht zwei Dinge, die ich für unverzeihlich halte. Du verhöhnst den kleinen Mann und Du erhebst Dich über André Brie, den Du mit Gauland und Söder in einer Reihe stellst. Brie ist sicher kein kleiner Mann, dafür stehen ein bisschen zu viele Bücher in seinem Regal in M´burg herum. Aber er ist einer, der ihn ernst nimmt, weil er kein Lexikon der Ideomatik braucht, um ihn kennen zu lernen, er muss einfach mit seinem Gärtner sprechen.
Die Linkspartie hat sich entschieden, für wen sie ist. Auch wenn sie das noch bemäntelt. Sie behauptet zwar mit einem blutleeren Zitat, das voller Stanzen ist (von Rico Gebhardt), "die Arbeiterschaft und die Arbeitslosen zurückgewinnen" zu wollen. "Das ist eine soziale Herausforderung mit hohem antifaschistischen Effekt!" [Was bedeutet dieser groteske Textbaustein eigentlich?]. Aber in Wahrheit geht es darum, "die vielen Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, [nicht] wieder [zu] verlieren". Das ist die linksprogressive kulturelle Linke, die vor allem quasseln kann. Sie ist die neue erste Adresse, die versteht die abstrakten Formeln, die hat genug Kracauer gelesen, um beim kleinen Mann begründet abwinken zu können. Igitt, der trinkt Schnaos und versteht keine Ironie! Eine Partei darf so einen Blödsinn schreiben und dabei im Jahr 2016 nach mehr Revolution rufen. Um AfD-Wähler zurück zu holen?! Eine Zeitung darf es sich nicht so einfach machen. Denn ihr reichen 5% nicht, um zu überleben. Mein Tipp: Ab und zu mal Statistisches Bundesamt, Mikrozenus, SOEP, DIW usw. Die produzieren bergeweise Daten, um die abtrünnigen Wähler zu beschreiben. Das Leben mit solchen Datenbergen ist hart, aber es übt ungemein ;-) Grüße, Christian
q.e.d. "Die größte Veränderung [der AfD] betrifft den sozialen Status. Weniger Anhänger als noch vor einem Jahr gehören zur Oberschicht. Der Anteil sank von 26 auf 18 Prozent. Heute hat die AfD mehr Anhänger aus der Unterschicht als aus der Oberschicht, vor einem Jahr war das noch umgekehrt. Auch der Anteil der Besserverdiener ist etwas zurückgegangen. Und während vor einem Jahr 29 Prozent der AfD-Wähler weniger als 2000 Euro verdienten, stieg diese Zahl auf aktuell 33 Prozent. Wenig überraschend auch, dass die AfD für Menschen, die sich selbst als „links“ einschätzen, heute weniger attraktiv ist, während deutlich mehr als zuvor sich selbst als politisch „rechts“ bezeichnen." Infratest laut FAZ
Lieber Christian,
Vielleicht nochmal kurz abschließend: Es ist ja an sich durchaus richtig, was du sagst, nur, scheint mir, reden wir womöglich auch ein wenig aneinander vorbei.
Wie gesagt: Natürlich kann man jene Schichten, die gemeinhin unter den Begriff "kleiner Mann" fallen, empirrisch analysieren, fragen, was sie verdienen, wie sie arbeiten, was ihre politischen Haltungen sind etc. Das wäre eine klassische sozialwissenschaftliche Analyse. Kann, muss man machen. Nur will der Text das erstmal gar nicht. Deshalb, weil es zunächst mal nicht um eine konkrete Menge von Menschen geht, sondern eben um eine Diskursfigur (deren Wesen, wie gesagt, in diesem Fall gerade darin liegt, dass man sie empirisch letztlich gar nicht genau beschreiben kann). Sprich: Natürlich sind die hard facts wichtig, wenn man die Realität analysieren und verstehen will. Aber ebenso wichtig sind Narrative und Erzählungen. (Dazu übrigens sehr gut: Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen). Anders gesagt: Mann kann Arbeiter, Banker, Mananger usw. empririsch analysieren, mit ihnen reden usw. - man kann sie aber auch als Sozialfiguren untersuchen (wie es bspw. dieser Band macht: http://www.suhrkamp.de/buecher/diven_hacker_spekulanten-_12573.html)
Und: Ich verhöhne "den kleinen Mann" keinesfalls, zum einen weil der gesamte erste Teil des Textes positiv vom "kleinen Mann" bzw. der "kleinen Frau" spricht! Zum anderen weil sich ein Teil des zweiten Teils ja eben auf jene bezieht, die tatsächlich gar nicht "klein" sind (auch wenn diese in den Reihen der AfD heute weniger sein mögen als vor einem Jahr). Was der Text problematisiert, ist die Tatsache, dass aus der Diskursfigur des (organisierten) Arbeiters, der klassischerweise gegen den - wenn man's good ol' marxistisch formulieren will - Konflikt von Kapital und Arbeit anging, der "kleine Mann" geworden ist, bei dem dieser - bspw. seitens der AfD - kulturell überdeterminiert wird. (Wenn man so will: Ressentiment statt Klassenkampf)
Und: Ich stelle Brie auch nicht - normativ - in eine Reihe mit Söder und Gauland. Nicht nur, weil in der Reihe eben auch Gabriel steht, den du en passant unterschlägst, sondern auch, weil es einfach darum geht, zu zeigen, dass die Figur des "kleinen Mannes" momentan wieder sehr präsent ist - und zwar in allen politischen Lagern.
Beste Grüße,
Nils