Luftbeben und Duftdoping

Philosophie Eine kleine Nachlese zu Quarks & Co: Wie man mit Peter Sloterdijk von der Deutschen Bahn über den Terrorismus zum Air Design kommt

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Es liegt etwas in der Luft
Es liegt etwas in der Luft

Foto: LAKRUWAN WANNIARACHCHI/AFP/Getty Images

Gestern Abend widmete sich die von Ranga Yogeshwar moderierte Wissenschaftssendung Quarks & Co den intrikaten Methoden der Werbung. Unter dem Motto Wie wir verführt werden war dabei auch ein Beitrag zum Duftmarketing der Deutschen Bahn zu sehen. In einer mehrmonatigen Testreihe zwischen 2011 und 2012 hatte diese nämlich vereinzelt Waggons mit manipulierten Klimaanlagen eingesetzt. Zusätzlich montierte Kartuschen konnten so ein leichtes Odeur aus Jasmin-, Veilchen-, Rosenholz- und Moschus-Noten in die sonst eher ausgedünstete Atmosphäre des Abteils verströmen. Die Wirkung dieses Experiments war gleichermaßen unterschwellig wie effektiv. Die hauchzart parfümierten Fahrgäste zeigten im Vergleich nämlich nicht nur eine erhöhte Zufriedenheit, sondern waren auch eher bereit der Bahn Verspätungen oder Überfüllungen zu verzeihen. Die leicht bittere Note an der Sache blieb jedoch, dass die Passagiere die olfaktorische Marketingoffensive weder bewusst wahrnahmen noch darüber informiert wurden. Deshalb war man bei der Bild-Zeitung auch gleich gewohnt alarmiert und verbreitete die Neuigkeit großflächig unter dem Stichwort des "Duftdopings".

Vom Terror zum Klimawandel

Den philosophischen geneigten Beobachter kann dergleichen hingegen kaum überraschen. Nicht nur, weil solche Verfahren in Shopping-Centern und Einkaufspassagen schon des Längeren üblich sind, sondern auch, weil die Bahn in ideengeschichtlicher Hinsicht gewissermaßen nur konsequent zu Ende denkt, was am 22. April 1915 über den Schützengräben des Ypern-Bogens begann. Zu dieser etwas überspannt wirkenden Einschätzung kann man zumindest kommen, wenn man Peter Sloterdijks 2002 erschienenen Essay Luftbeben zur Hand nimmt. Nach dessen Lektüre führt einen das experimentelle Geruchsregime der Deutschen Bahn nämlich (in-)direkt an die "Quellen des Terrors".

Aber der Reihe nach: Sloterdijk schickt sich in dem kleinen Büchlein an, die ideengeschichtlichen Kennzeichen des 20. Jahrhunderts zu konturieren. "Wer die Originalität dieser Epoche verstehen will, muss in Betracht ziehen: die Praxis des Terrorismus, das Konzept des Produktdesigns und den Umweltgedanken." In einer philosophischen Tour de Force illustriert er nun, wie alle drei Phänomene atmosphärisch zusammenhängen. Den epochemachenden Startschuss gibt dabei der besagte 22. April 1915. An diesem Tag erfolgt seitens des "Gasregiments" der deutschen West-Armeen der erste militärische Großeinsatz mit Chlorgas gegen französisch-kanadische Infanteriestellungen. Und was hier beginnt, sei nichts geringeres als die Wandlung des konventionellen Krieges zum Terrorismus. In methodisch-nüchterner Manier definiert Sloterdijk diesen nämlich als "Ersetzung klassischer Kampfformen durch Attentate auf die umweltlichen Lebensvoraussetzungen." Er bedeutet also die Verschiebung des primären Zerstörungshandelns vom Körper auf die Umwelt - unter der "malignen Ausnutzung der Lebensgewohnheiten der Opfer." Im Laufe des 20. Jahrhunderts offenbare sich dieses terroristische Dispositiv dann in einer stetig perfektionierten "Ökologisierung der Kriegsführung", sodass aerochemische, atom- oder atmoterroristische Präzisionsschläge eine immer umfassendere "Verletzung der Feind-Lebenswelten" produzierten. Die Verbindung zum Umweltgedanken und Produktdesign zeigt sich nach Sloterdijk nun in „der Beschleunigung der Explikation“, also in der „aufdeckenden Einbeziehung von Hintergrundgegebenheiten in manifeste Operationen.“ Oder kurz: Nicht nur in militärischen, sondern auch zivilen Gefilden entstehen Formen der Sonderklimatologie. So formierten sich moderne Gesellschaften beispielsweise zunehmend als "wetterdiskutierende Gemeinschaften". Und zwar nicht nur aus geselliger Selbstverständigung. Weil die "Ausbürgerung des Menschen aus der natürlichen Lufthülle" droht, verständigt man sich auch über die "Klimaspur eines zivilisatorischen Projekts, das auf dem erleichterten Zugang zu großen Mengen fossiler Brennstoffe dank Kohlebergbau und Ölförderung beruht."

Air Design

Die ökonomische Version der atmosphärischen Hintergrundexplikation zeige sich schließlich darin, dass der Kunde nicht mehr persönlich, sondern systemisch angesprochen wird. So wie beim Air Design. Dabei handele es sich um "die technische Antwort auf die phänomenologische Einsicht, dass menschliches In-der-Welt-Sein sich immer und ohne Ausnahme als Modifikation von In-der-Luft-Sein darstellt. Weil immer irgend etwas in der Luft liegt, drängt sich im Fortgang der Atmosphärenexplikation die Idee auf, es vorsorglich selber hinzulegen." Und aus Marketingperspektive soll das, was man da hineinlegt, freilich schön duften. Denn das Air Design "zielt unmittelbar auf Stimmungsmodifikation bei Luftraumbenutzern – und dient damit dem erklärten mittelbaren Zweck, die Raum-Passanten durch geruchsinduzierte angenehme Situationsanmutungen assoziativ an den Ort zu binden und eine erhöhte Produktbejahung und Kaufbereitschaft bei ihnen hervorzulocken." Ob man Sloterdijks Exkurs nun folgen will oder nicht: Die Bahn hat in jedem Fall angekündigt, dass sie die Zwangsbeduftung flächendeckend ausweiten will, sobald sich erweist, dass diese zu erhöhten Fahrkartenverkäufen führt. Dann wolle man die Passagiere aber offiziell darauf hinweisen.

Peter Sloterdijk Luftbeben. An den Quellen des Terrors. Frankfurt a.M. 2002.

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