Macht und Ohnmacht

Varoufakis Im postheroischen Zeitalter ist der Rücktritt vielleicht die letzte große Geste, um der Politik die Stirn zu bieten
Ausgabe 28/2015
Yanis Varoufakis (geht ab): Nach dem Schlussakt beginnt die Interpretation
Yanis Varoufakis (geht ab): Nach dem Schlussakt beginnt die Interpretation

Foto: Andreas Solaro/Getty Images

„Minister No More!“, twitterte Yanis Varoufakis und verabschiedete sich damit nach nur fünf Monaten vom politischen Parkett. Der Abgang des griechischen Finanzministers gibt Anlass, einen generellen Blick auf das Wesen des Rücktritts zu werfen. Dieser bildet nämlich die vielleicht zwiespältigste Technik des politischen Machtmanagements, allein deshalb, weil er praktisch die einzige Form der außerplanmäßigen Demission darstellt, die die Demokratie zu bieten hat. Auch wenn jemand de facto aus seinem Partei- oder Ministeramt entlassen wird, muss er am Ende de jure doch von selbst abdanken. Die Würde des Amtes, sie verlangt es.

Aber Rücktritt ist nicht gleich Rücktritt, er kann lange vorbereitet sein oder aus dem Affekt erfolgen, seitenlang begründet werden oder nur wenige Worte umfassen. Vor allem kann er ganz unterschiedliche Motive haben. Sieht man von privaten Beweggründen ab, lassen sich aber zwei idealtypische Kategorien erkennen: der konsekutiv-passive und der konzessiv-aktive Rücktritt. Unter den Erstgenannten lassen sich all jene Fälle verbuchen, bei denen jemand aufgrund eines Fehlverhaltens den Hut nimmt. Man denke an Andrea Ypsilanti, Karl-Theodor zu Guttenberg oder Christian Wulff. Der zweite Typus ist der interessantere. Hierunter fallen sowohl die, die aus Gewissensgründen hinschmeißen, weil sie eine bestimmte Politik nicht mehr mittragen wollen, als auch jene, die aus dem Amt weichen, um der „Sache“ zu dienen. Beispiele wären Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die 1996 aus Protest gegen den „großen Lauschangriff“ als Justizministerin aufhörte, oder Oskar Lafontaine, der 1999 nicht mehr die Wirtschaftspolitik von Gerhard Schröder verantworten wollte.

Heute imponiert an einem Politiker vor allem das, was der Kulturtheoretiker Bazon Brock die „Ästhetik des Unterlassens“ nennt. Im Kontrast zur „Politik der Ekstase“ meint Brock damit den „Heroismus des Nicht-Tuns“. Er schreibt: „Heutzutage kann jeder kapitalkräftige Hanswurst zum Beispiel ein Atomkraftwerk bauen; es zu verhindern, verlangt Genie, Durchhaltevermögen und Überzeugungskraft.“ Man ersetze Atomkraftwerk durch Vorratsdatenspeicherung, Drohnenkrieg oder Austeritätspolitik und weiß, wo das Unterlassen heute nötig wäre.

Durch sein Unterlassen wird der Abdankende indes zur Kippfigur des Politischen. Zum einen, weil das Nicht-Verantworten des Falschen immer auch als Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Richtigen gelesen werden kann. Zum anderen, weil sich im Rücktritt eine eigentümliche Dialektik entfaltet. Macht und Ohnmacht verklammern sich hier herzlichst. Oder hegelianisch gesprochen: Als Knecht der Verhältnisse wird der Abtretende noch einmal zum Herr des Verfahrens. Er kann Parteifreunde, ja sogar eine ganze Regierung mit in den Abgrund ziehen. Exakt darauf basiert das Erpressungspotenzial der sogenannten Vertrauensfrage. Im postheroischen Zeitalter scheint sich der Rücktritt somit als vielleicht letzte heroische Geste anzubieten.

Und Varoufakis? Sein Rücktritt bleibt uneindeutig. Haben Mitglieder der Eurogruppe tatsächlich seine Ablösung gefordert, sodass er lediglich zurücktrat, um der „Sache“ zu dienen? Oder war seine Demission von Tsipras längst eingepreist, weil seine Rolle als charismatischer, kompromissloser Kommunikator auserzählt war? In dieser Hinsicht gleichen Politkarrieren einer Theatervorstellung: Nach dem Schlussakt beginnt die Interpretation.

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