Wie´s gefällt

Protestantische Note Sich-Schön-Machen findet an der Oberfläche statt, macht Spaß, und man tut es nur für sich selbst - das sind eine Menge Mythen über Schönheit. Es wird Zeit, mit ihnen aufzuräumen

"Ich mach´ mich nicht für andere schön, sondern für mich. Und ich muss mir gefallen, und nicht den anderen. Das finde ich ganz wichtig." Eine typische Antwort. Sie stammt aus einer von 31 Gruppen mit insgesamt 160 DiskutantInnen unterschiedlichen Alters, Geschlechts, sozialer Herkunft und sexueller Orientierung, die sich zur Frage "Was bedeutet es für Euch/Sie, sich schön zu machen?" im Rahmen einer sozialwissenschaftlichen Studie, jeweils ein bis zwei Stunden lang abgearbeitet haben: Schön machen sich Menschen für sich selbst, nicht für andere. Zumindest soll es so erscheinen. Die Frauenzeitschrift Brigitte - und die muss es ja wissen - fand bei einer Umfrage aus dem Jahr 2001 heraus, dass sich 94 Prozent der 28.000 befragten Frauen für sich selbst schön machen, weil sie damit Wohlbefinden und Selbstsicherheit verbinden (1978 waren es bei 27.000 Befragten 79 Prozent). Nur drei Prozent wollten anderen gefallen (1978 waren es 14 Prozent). Glaubwürdig sind diese Zahlen nicht. Denn die Äußerungen teilen vor allem etwas darüber mit, was die Befragten für eine sozial erwünschte Antwort halten. Kein Wunder. Denn das Eingeständnis, sich für andere schön zu machen, käme für viele einer Bankrotterklärung gleich und wird geflissentlich unterlassen. Schon gleich gar nicht lässt sich aus der Brigitte-Statistik ein gewachsenes Selbstbewusstein von Frauen ableiten, das sich von der Meinung anderer unabhängig gemacht hätte. Verlässt man sich auf das, was die Befragten behaupten, läuft man Gefahr, puren Ideologiekonstruktionen auf den Leim zu gehen. Da hilft es auch nicht viel, wenn die Antworten pseudowissenschaftlich bis zwei Stellen hinter dem Komma ausgerechnet und ausgewertet werden.


Sind wir also über herrschende Schönheitsnormen erhaben? Zumindest wollen wir das andere glauben machen. Und noch etwas glauben wir: dass sich vor allem Frauen schön machen - trotz einiger trendig aufgemachter Magazine für lifestyle-orientierte Männer mit natürlich aussehender Solariumsbräune und Waschbrettbauch. Zu guter Letzt sind wir davon überzeugt, der ganze Zauber um Schönheit mache auch noch Spaß - denn etwas Schönes tun ist schließlich eine lustvolle Angelegenheit. Tatsächlich ist es ganz anders: Sich schön machen ist keine Privatangelegenheit. Sich schön machen ist auch keine Frauensache. Und mit juxiger Oberflächlichkeit hat das alles auch nicht viel zu tun: Sich schön machen ist mitunter harte Arbeit, die in tiefe Identitätsschichten reicht. Viel versenkter, als es oberflächliche Debatten zum Für und Wider des Schminkens, Frisierens, Anziehens, Rasierens, Piercens oder auch Operierens ahnen lassen.

Beim Sich-schön-machen geht es nicht um Schönheit "an sich" und schon gleich gar nicht um die Frage, was und wer schön (oder hässlich) sei, sondern um pures "Schönheitshandeln": einem Medium der Kommunikation, das der Inszenierung der eigenen Außenwirkung zum Zweck der Erlangung von Aufmerksamkeit und Sicherung der eigenen Identität dient. Schönheitshandeln bedeutet, sich sozial zu positionieren.

Im Gegensatz dazu bezieht sich der normativ verwendete Begriff Schönheit auf massenmedial produzierte und im Alltag gewichtige Auffassungen von dem, was Schönheit als Norm im medial-öffentlichen Diskurs in Abgrenzung zum Nicht-Schönen oder Hässlichen ist oder sein soll. Beim "Schönheitshandeln" dagegen interessiert nicht das ästhetische Urteil der RezipientInnen, sondern die gelingende oder misslingende Anerkennung. Schockiert die Punkfrau mit gelbem Irokesenlook, abgewetzter Lederjacke, Nasenring und sicherheitsbenadelten Jeansfetzen spießige Normalos auf der Straße, hat sie ihr Ziel erreicht: Sie weiß, zu wem sie gehört und von wem sie sich abzugrenzen hat. Schönheitshandeln ist ein sozialer Prozess, in dem Menschen versuchen, soziale (Anerkennungs-)Effekte zu erzielen. Dabei stehen Werte wie Individualität, Autonomie und Authentizität im Vordergrund. Das lässt sich durchaus als ein Erbe der Aufklärung interpretieren. Denn die Auffassung, dass es überhaupt so etwas wie eigenständige Individuen, dass es etwas "Unteilbares", nämlich Individualität gebe, ist eine moderne Erfindung. Sie wurzelt in einem Kernglauben der Aufklärung, der Mensch sei für sein eigenes Leben selbst verantwortlich und habe dieses in die eigenen Hände zu nehmen und selbst zu gestalten. Diese Verlagerung von Verantwortung weg von Gott und Schicksal hin zum Individuum betraf auch Seele und Körper, Befindlichkeit und den Eindruck, den man aufgrund seines/ihres Äußeren vermittelt.

Die Aussage, das Motiv des Schönheitshandelns sei das Wohlbefinden und eigentlich tue man "es" doch für sich selbst, ist dabei ein wirkungsmächtiger Glaubenssatz. Ich nenne ihn "Ideologie des Schönheitshandelns als privater Angelegenheit". Der Begriff Ideologie meint dabei, dass es einen Bruch gibt zwischen den Darstellungen sozialer AkteurInnen und ihrer eigenen Praxis. Man muss ihre Erklärungen also nicht für bare Münze nehmen, obwohl sie keinesfalls mit einer böswilligen Täuschungsabsicht gleichzusetzen sind. Im strengen Sinn ist eigentlich der überwiegende Teil der Höflichkeitsarbeit eine Lüge - wann interessiert sich der flüchtige Bekannte auf der Straße mit der Frage "Hallo, wie geht´s?" tatsächlich für das Befinden der Gegrüßten? Ideologisch ist die Aussage "ich mache mich für mich schön", weil sie - wie es der Soziologie Erving Goffman ausdrückt - zum gesellschaftlich notwendigen impression management gehört, als autonom und selbstbewusst zu erscheinen. Kein Wunder, denn die Außenwirkung ist heute sozial bedeutsamer als noch vor 20, 30 Jahren. Ein Bundeskanzler wie Helmut Kohl etwa passt nicht mehr zu heutigen Vorstellungen eines dynamischen Machers. Glaubt man sozialpsychologischen Studien, haben schöne Menschen (im Sinn der statistisch-mehrheitlichen Auffassung von Schönheit) mehr Erfolg in der Liebe, im Beruf und im Leben überhaupt. Die Schönen wirken sympathischer, ziehen an und in Bann. Schöne Menschen haben größere Chancen bei der Partnerwahl, größere Aufstiegschancen im Job und verdienen mehr. Schönheit befähigt zu sozialer Macht, dient ihrer Inszenierung und verkörpert Status. Es ist also sehr rational, wenn AkteurInnen Kuren und Operationen, Diäten, Training und Entspannung gezielt als Mittel zur Steigerung der Schönheit einsetzen.

Um Schönheit zu erreichen, ist Kompetenz erforderlich, und Kompetenz als Vermögen und Fähigkeit, bestimmte Anforderungen zu erfüllen oder selbst gesteckte Ziele zu erreichen, ist zur modernen Voraussetzung schlechthin geworden, gesellschaftlich überlebensfähig zu bleiben. Schönheitskompetenz als Fähigkeit, die eigene Wirkung auf andere im Hinblick auf Anerkennung erfolgreich zu inszenieren und damit instrumentell zu nutzen, ist deshalb auch erfolgsorientiertes, genauer: instrumentelles Handeln. Wer sich schön macht, steigert seine Erfolgsaussichten, und Schönheitshandeln ist ein Versuch zur Teilhabe an sozialer Macht.


Die Ideologie des privaten Schönheitshandelns ist nicht die einzige. Der Ideologie des "Spaßhandelns" zufolge ist Schönheitshandeln mit Kreativität, Freude und Lust verbunden, es macht Spaß. Wie beim privaten Schönheitshandeln fällt aber auch hier der Schein des Lustvollen schnell in sich zusammen. "Wer schön sein will, muss leiden", heißt es. Man wird nie fertig, gebräunte Haut gibt es nicht mehr ohne gesundheitliche Risiken einzugehen, und das richtige Schminken erfordert Übung und Geschicklichkeit. Deshalb lassen einige lieber gleich die Finger davon. Dieser Zwang- beziehungsweise Arbeitsaspekt hat eine protestantische Note: ohne Arbeit keine Belohnung. Das sagen einige auch ganz freimütig: "Also ich kann Schönheit nur dann empfinden, wenn ich irgendwas getan habe oder dafür gemacht habe." So sind auch sportliche Körperprogramme mit Joggen, Bodybuilding, Gymnastik, gesunder Ernährung funktionale Äquivalente für das Schminken beziehungsweise die Fassadenpflege mit Make-up und Kajal. Schönheitshandeln ist Arbeit und kein hedonistischer Akt des Sich-gut-gehen-Lassens.

Die Ideologie des Schönheitshandelns als Frauensache ist zum Mythos geworden. Gemeint ist damit, dass es vor allem Frauen seien, die sich schön machten. Das ist schon historisch falsch. Denn im klassischen Griechenland galt beispielsweise der Männerkörper als attraktiver, "adonisch" heißt schön. Schönheit als Frauensache ist eine moderne Zuschreibung. Bis zum frühen 18. Jahrhundert etwa war die Geschlechterdifferenzierung in der Mode weniger wichtig als die Differenzierung nach Klasse. Schönheitshandeln ist zwar ein Mittel der Unterscheidung von Geschlechtern, keineswegs aber ausschließlich Frauensache. Nicht nur Feministinnen prangern seit Jahrzehnten einen geradezu brutalen Schönheitskult an, der vor allem Frauen in ein enges Korsett von Schlankheit, Jugend, Attraktivität, Sportlichkeit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit schnürt. Heute ist die äußere Erscheinung pluralistisch geworden, Manipulationen des Körpers sind zum Akt der Freiheit geworden: auszuprobieren, was möglich ist. Nur gerecht, dass die Schönheits- und Wellnesswelle inzwischen auch Männer erfasst hat. Nicht nur muskelbepackte, sondern wohlgeformte und durchtrainierte Körper ohne überflüssiges Fett sind das, was Trendmagazine und Fitness-Päpste heute in Millionenauflagen predigen: Männer sind gefragte Klientel von SchönheitschirurgInnen und -salons, und magersüchtig sind neben Mädchen und Frauen inzwischen nicht nur dem Jugendkult ohnehin verfallene Schwule, sondern auch heterosexuelle Männer.

Mit der Ideologie des vermeintlichen Spaßhandelns eng verbunden schließlich ist die Ideologie des Schönheitshandelns als Oberflächenphänomen: Man manipuliert, stylt, formt, schminkt das Äußere, aber eigentlich - das sagen viele mit dem Unterton tiefster Überzeugung - komme es auf die inneren, tieferen Werte an, die davon unberührt blieben: "Was ist, wenn jetzt jemand total schön aussieht und was weiß ich, aufgebrezelt ist bis zum Gehtnichtmehr - und wenn sie den Mund aufmacht, kommt nur Müll raus? Dann ist es auch nicht mehr schön." So müsse Schönheit auch nicht mit Makellosigkeit zusammenfallen, sondern könne und solle auf Ausstrahlung und Charakter basieren. Dennoch operiert "Sich-schminken" als zentrale Komponente des Schönheitshandelns wie ein verinnerlichtes Alltagsritual vergleichbar dem Zähneputzen, das schon gar nicht mehr auffällt. "Wenn ich ungeschminkt ausgehe, das ist genauso, wie wenn ich ohne Kleidung rausgehe. Und wozu zieht man sich an? Kann man sich genauso fragen." Wird die Gewohnheit schließlich zum Zwang, ("Ich weiß, ich habe die letzten fünf Euro in der Tasche; wenn ich mich entscheiden muss: was zu essen oder Schminkzeug, würde ich Schminkzeug kaufen.") hat das mit dem Herausstellen innerer Werte nicht mehr viel zu tun.


Schönheitshandeln, das haben die Beobachtungen der gesamten Studie gezeigt, ist voll gestopft mit Ideologien. Grund zur kulturkritischen Resignation indes besteht nicht. Denn auch und gerade Inszenierungen, die etwas anderes bedeuten als sie zu bedeuten glauben, bieten die Möglichkeit der ironischen, subversiven oder auch spielerischen Aneignung - was vor allem gesellschaftliche Subkulturen praktizieren. Die Ideologie des privaten und frauenspezifischen Schönheitshandelns etwa unterläuft eine Gruppe von Transgendern, wenn sie sich darüber auseinandersetzt, welches Beuteraster hinter welcher Inszenierung stecken möge und wie es am erfolgreichsten zu bedienen sei. Und die Ideologie des Schönheitshandelns als Oberflächenphänomen schlägt geradezu in einen Innerlichkeitskult um, wo Menschen in schwarzem Lack, Gummi und Leder mit Striemen und Narben auf der Haut gängige Schönheitsnormen auf den Kopf stellen und neu bewerten. Die Devise "Zeige deine Wunden und finde dich trotzdem schön dabei" macht solche Inszenierungen zu einer Form von Schönheitshandeln, die darauf hofft, zu einer tieferen Ebene jenseits oberflächlicher Inszenierungen vorzudringen. Schönheitshandeln ist danach ein identitätsstiftender Akt; es kommt zu sich selbst.

Nina Degele ist Professorin für Soziologie an der Universität Freiburg. In diesem Monat erscheint ihre Studie Sich schön machen .


In Sachen Schönheit

Die Zahl der jährlich neu erscheinenden Ratgeber zu Schönheit, Schönheitschirurgie und Tipps gegen den Schönheitswahn sind Legion. Neuere Erscheinungen nicht aus Ratgeber-Ecke:

Nina Degele: Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und Schönheitshandeln. VS-Verlag; Opladen, 2004

Umberto Eco: Geschichte der Schönheit, Hanser-Verlag, München 2004

Andrea Hauner: Body-Talk. Der riskante Kult um Körper und Schönheit, dtv, München (erscheint im November 2004)

Winfried Menninghaus: Das Versprechen der Schönheit, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003

Die Fotos von Anja Müller in dieser Beilage sind ihren Bildbänden Männer und Frauen entnommen (Konkursbuchverlag, Tübingen 2001 und 2000).

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