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„BürgerInnenversammlung“ Auf einem Mega-Event im Olympiastadion soll die Welt zum Spottpreis verändert werden. Was soll da schon schief gehen?
Ausgabe 48/2019

Waren Sie letzte Woche im Internet? Dann dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass Start-up-Gründer, Influencer und Instagram-Prominenz wie Jessica Weiß und Charlotte Roche am 12. Juni 2020 die Demokratie retten wollen, gemeinsam mit den Fridays for Future. An diesem Tag soll im Berliner Olympiastadion „die größte Bürgerinnenversammlung“ aller Zeiten stattfinden. Die größte? Vielleicht. Sicherlich aber die teuerste, oder haben Sie schon mal von einer Bürger*innenversammlung gehört, die 29,95 Euro Eintritt kostet? Tja, Demokratie kostet eben.

Oder? Wie demokratisch kann ein Event sein, das all jene ausschließt, die sich den Eintritt nicht leisten können? Bei dessen Planung niemand von uns eingeladen war? Und wenn sich schon 90.000 Menschen an einem Ort versammeln, warum nicht Forderungen diskutieren? Warum nicht streiken, die Stadt lahmlegen oder Umweltsünder wie RWE, Ryanair und/oder gleich den Bundestag blockieren, um ihm wirklich Entscheidungen abzutrotzen?

90.000 Menschen könnten einiges bewegen, stattdessen ist bloß das kollektive Unterschreiben einer Petition, dem mit Abstand zahnlosesten Instrument demokratischer Einflussnahme, geplant. Vielleicht soll sich aber auch gar nicht wirklich etwas ändern? Philip Siefer sagte dem Radiosender Deutschlandfunk Kultur vergangene Woche: „Ich glaube, unsere Demokratie braucht im Moment ein bisschen Eventisierung und ein bisschen Power, damit wir wieder merken, was es alles für wahnsinnig tolle Mittel gibt in diesem geilen System.“ Siefer ist von Beruf her Gründer des Einhorn-Start-ups, das seit geraumer Zeit Kondome zu Lifestyleprodukten für die Generation Nachhaltig hochjazzt. Erst letztens hat er sich zum deutschen Oberfeministen aufgespielt, als er mit seiner Firma die Kampagne gegen Tamponsteuer besetzte.

Es ist dann auch diese Mischung aus neoliberaler Weltverbesserei, aufgeblasener Selbstdarstellung und Charity-Kapitalismus, die dem Event im Olympiastadion anhaftet: ein wenig was fürs gute Gefühl machen, dabei die eigene Marke aufpolieren, vor allem aber den Status quo wahren. Der muss sich allerdings komplett verändern, wenn wir das Klima und die Welt wirklich noch retten wollen. Das sollten doch Mitveranstalter wie die Aktivistinnen der Fridays for Future Berlin wissen, die seit geraumer Zeit die Systemfrage stellen und versuchen, sich basisdemokratisch vor Ort zu vernetzen. Warum stecken FFF ihre doch sicherlich begrenzten Ressourcen in die Organisierung eines so zahmen Events, statt ihre über die letzten Monate aufgebaute Gegenmacht wirklich zu nutzen?

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