Vor dem Eingang des Werksgeländes in Wilkau-Haßlau lag ein Schild: „Haribo machte mich mal froh, das ist leider nicht mehr so.“ Trotzdem hat die Belegschaft des Gummibären-Werks in der Nähe von Zwickau in Sachsen immer noch nicht aufgegeben. Anfang November 2020 verkündete die Geschäftsführung die Schließung zum Ende des Jahres. Seitdem kämpfen die Arbeiter*innen dort für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze – mit Unterstützung der Gewerkschaft NGG Ost, mit Hilfe von vielen aus der ganzen Gegend und mit Hilfe einer Initiative junger Menschen, die sich Aufbruch Ost nennt.
Die Kleinstadt Wilkau-Haßlau liegt bei Zwickau, sie hat ungefähr 10.000 Einwohner. In diese Gegend reisen West-Journalist*innen sonst manchmal, um über Rechtsradikale im Osten zu berichten. Sie kommen weniger zahlreich, wenn das für die Gegend wichtige Haribo-Werk geschlossen werden soll. Wenn die Menschen dort eine weitere Einkommensquelle verlieren. Und wenn sie mutig und geschlossen wie die „Haribojaner“ um ihre Existenz kämpfen.
Aber von vorne: Nach der Ankündigung der Schließung des kleinsten von fünf Haribo-Standorten in Deutschland wollten sich die Haribo-Arbeiter*innen nicht kampflos geschlagen geben. Das hatten sie zu oft getan, nach der Wende, als die Treuhand kam, als ihre Betriebe privatisiert, verkauft, aufgeteilt, geschlossen wurden, als Sachsen zu dem Niedriglohnland wurde, das es heute noch größtenteils ist. Doch die Zeiten sind jetzt andere. Ganz in der Nähe hat es jüngst einen anderen, erfolgreichen Arbeitskampf gegeben: Bei dem Nudelproduzenten Teigwaren Riesa hat die Belegschaft mehr als zwei Jahre gekämpft, gestreikt, verhandelt und so einen Betriebsrat und einen Tarifvertrag durchgesetzt.
Der Kampf der Haribojaner war nicht so erfolgreich: „Ende März 2021 soll das Werk geschlossen werden“, erzählt Hanna Pleßow von der Initiative Aufbruch Ost, einer Gruppe junger Menschen, die den Kampf gemeinsam mit der Gewerkschaft NGG Ost unterstützt haben. „Wir haben an Solidaritätskundgebungen vor Ort teilgenommen, Redebeiträge gehalten, waren mit Haribojanern im Gespräch, haben eine Social-Media-Kampagne gestartet, haben Flyer in Supermärkten verteilt und überhaupt Öffentlichkeit hergestellt“. Aufbruch Ost ist eine junge Bewegung aus Leipzig, die 2018 gegründet wurde, und für einen emanzipatorischen Aufbruch im Osten jenseits von Pegida, AfD und Co. kämpft. Sie unterstützt auch Arbeitskämpfe und Gewerkschaftsarbeit im Osten.
Die Belegschaft steht jetzt erstmal mit der Kündigung in der Hand da. Deshalb muss schnellstmöglich eine Nachfolge gefunden werden, die das Werk übernimmt. Es geht um 150 Beschäftigte. Durch den Arbeitskampf der Haribojaner wurden zwar Zeit und ein Sozialplan gewonnen, wie es jetzt aber weitergeht, wissen sie trotzdem nicht. „Haribo spielt auf Zeit und blockiert damit die Zukunft des Werks“, sagt Hanna Pleßow.
Also alles umsonst in Wilkau-Haßlau? Ganz im Gegenteil, es wurde schon einiges gewonnen, findet Pleßow: „Die Stärke war der Zusammenhalt: Gewerkschaft, also vor allem die NGG Ost, der Betriebsrat, die Belegschaft, Politiker*innen, Bürgermeister, Menschen aus der Region, Vereine haben zusammen gekämpft.“ Und sie wollen weitermachen: „Wir entlassen Haribo nicht aus der Verpflichtung, sich um Beschäftigte und um das Werk zu kümmern. Es geht auch um die Zukunft der Region. Bei einer Übernahme fordern wir deshalb die Mitsprache der Belegschaft! Die Stimmung vor Ort ist aber nach wie vor kämpferisch. Wir erwarten konstruktive Vorschläge. Auch damit der Imageschaden für Haribo nicht allzu groß wird.“
Kommentare 13
Wurde denn auch schon überlegt, ob die Beschäftigten selbst den Betrieb übernehmen können? Da gibt es ja einige Erfahrungen - in Deutschland nicht so viele, aber anderswo schon.
Zum Beispiel hat Dario Azzelini einge Belegschaftsübernahmen untersucht, v.a. in Lateinamerika: https://oya-online.de/review/read/3055-vom_protest_zum_sozialen_prozess_buchbesprechung.html
Der Film "Taste of Hope" zeigt das Beispiel einer Teebeutelfabrik aus Südfrankreich, die nach mehr als 3-jähriger Besetzung von den Arbeiter*innen übernommen wurde, ohne die damit verbundene Schwierigkeiten zu verschweigen: https://www.graswurzel.net/gwr/2019/10/geschmack-der-hoffnung/
Bei Interesse meldet Euch gerne, liebe Zwickauer Kolleg*innen.
aha,
also ein schutz-bund für vom aus-sterben bedrohte problem-bärchen?
Bedauerlich, dass man sich bereits auf die Abwicklung über einen Sozialplan 'geeinigt' hat. Denn warum sollten Coronazeiten nicht auch von Seiten der Arbeitnehmer genutzt werden, um über die rechtlichen Vorgaben hinaus den 'Rahmen zu sprengen'.
Was damit gemeint ist dürfte klar sein. Übernahme, Verhinderung des Abtransports von Maschinen usw., die Neuorganisation mit anderen Zulieferern (falls überhaupt erforderlich), Umstrukturierung der Produktpalette (falls erforderlich), Umbenennung von Haribo (da Markenschutz) z.B. auf Obirah, worin enthalten bleibt, was man dem ehemaligen Standort aus DDR-Zeiten genommen hat. Man konnte es nämlich auch mit 'Gummi' bereits vor der 'Übernahme'.
Zudem ließe sich doch sicher das Vertriebsgebiet ein wenig neu ausrichten, wobei die Unterstützung (Emotionalität!) eine wesentliche Rolle spielen dürfte, was den Erfolg beträfe.
Wie gesagt schade, dass man sich hat 'einwickeln' lassen, auch wenn es nicht einfach geworden wäre. Von Seiten deutscher Gewerkschaften sollte man solche Aktionen/Unterstützung eher nicht erwarten. Die sind voll im Rechtssystem integriert und was das in Deutschland ausmacht, zeigt auch die Haltung hinsichtlich Generalstreik. Da holt man sich doch eher 'ne Genehmigung ein, als mal Durchzustarten (wobei die Rechtslage auch noch ungeklärt/offen ist und selbst wenn!).
Zwickau ist kein Einzelfall. Der Vergleich mit Riesa ist jedoch nicht ganz zutreffend. Bei Haribo konkurrieren genau wie bei Müller-Milch oder Gruner & Jahr mehrere Standorte in Ost wie West untereinander. Sie lassen sich vom Mutterkonzern gegeneinander ausspielen. Solange die Standorte nur einzeln kämpfen, werden die Beschäftigten die Zeche bezahlen müssen. Dabei wird auch schon einmal die Kapitallogik scheinbar außer Kraft gesetzt, wenn ein Standort, vorzugsweise im Westen, der härter kämpfen kann und mehr Rückhalt in der örtlichen Politik hat, erhalten wird, obwohl der neu aufgebaute Standort im Osten rentabler ist.
Und weiter geht es mit der Kapitallogik, siehe hier. Es sei denn, (...).
ja, die logik rationalen wirtschaftens
(kapitalist. rationalisierung/kosten-reduktion),
läßt sich von freundlichen angeboten(with a little help from my friends)
be-einflussen, außer kraft gesetzt wird sie nur, wenn außer-ökonomische
gewalten(zwangsmaßnahmen durch viren oder politik z.b.)
einhalt gebieten.
In der Ostzone? Träum weiter.
Aber in der Westzone!!
Da geht das ruckzuck und der Betrieb ist besetzt und in eine Arbeiterkooperative umgewandelt!!
So wahr ich Hoppelpoppel heisse.
>>…ob die Beschäftigten selbst den Betrieb übernehmen können? Da gibt es ja einige Erfahrungen - in Deutschland nicht so viele, aber anderswo schon.<<
Sehr langjährige Erfahrung mit Arbeitergenossenschaften gibt es in der Mondragón Corporación Cooperativa
Selbst wenn sie die Produktionsmittel in einem revolutionären Akt einfach mal so eben an sich reißen. Was sollen die dann produzieren UND verkaufen? Hier im freien Westen klappt das vereinzelt mal mit Technikfirmen, wo der Eigentümer keinen Bock mehr hat, der Erbe irgendwas mit Medien macht und "der Chinese" kein Interesse hat. In der Ostzone gehört den Leuten noch nicht mal irgendwas.
da setzt dann die überlegung ein, ob man sich zum anhängsel eines
(zwar selbst-geführten) betriebes macht.
konsum-verzicht leistet, um fremd-kapital/kredite sich bemüht, die
längerfristig-abhängig machen...
der sprung zum unternehmer-tum wird oft unterschätzt.
und führt bei vielen neu-unternehmern(nicht nur landwirten) zu ketten,
die an sklaverei gemahnen.
oda?
Um erfolgreich zu sein, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein.
Die Belegschaft muss zusammenhalten und nicht nur kampfbereit, sondern auch kampfkräftig sein.
Sie muss auch längere Arbeitskämpfe durchstehen können, wofür die materiellen Voraussetzungen vorhanden sein müssen und eigene Erfahrungen vorhanden sind, um mit Widrigkeiten und Gegenschlägen fertig zu werden.
Die Umgebung, privat und lokal, muss mitziehen.
Nicht zuletzt muss auch das Produkt stimmen. Das halte ich im Zwickauer Fall für die größte Schwachstelle. Wer mit einem eigenen Produkt in den Markt kommen will, muss sich gegen die vorhandene Konkurrenz (s. Kosten f. Markenwerbung) und die großen Einzelhandelsketten durchsetzen. Zwickauer Produkte landen, wenn überhaupt, zu Niedrigpreisen in den unteren Regallagen der Supermärkte. Ob mit den Umsätzen und Erlösen der Betrieb aufrecht erhalten werden kann, ist dann die entscheidende Frage.
Es gab einmal eine innovative Firma in Zittau. Die konnte getrocknete Lebensmittel in wesentlich besserer Qualität herstellen, als mit dem üblichen Verfahren der Gefriertrocknung. Die Erdbeeren oder Blaubeeren behielten wesentlich mehr von ihrem Geschmack. Sie kamen trotzdem nicht auf die Liste der großen Ketten. Nach wechselvoller Geschichte befindet sie sich in Liquidation.
Da läuft wohl die übliche Marktbereinigung nach einer stürmischen Aufbauphase. Es wird sich zeigen, welche Strategie Oetker verfolgt. In der Getränkeproduktion verfügen sie über sehr große Kapazitäten. Gerade auch im Osten haben sie zugkräftige Marken gekauft (s. Radeberger Gruppe), die über modernste Produktionsstandorte mit genügend großem Volumen verfügen. Der Diversität der deutschen Bierlandschaft stehen weitere schwere Zeiten bevor.