Digitalisierung, ein netteres Wort für Gier

Gewerkschaften Diskussionen über eine Digital-Gewerkschaft lenken vom Kampf für gute Löhne ab, findet unsere Kolumnistin
Ausgabe 03/2019
Manchmal wünscht man sich die Zeit zurück, in der sich die Digitalisierung der Öffentlichkeit noch auf solche Spielhallenautomaten beschränkte
Manchmal wünscht man sich die Zeit zurück, in der sich die Digitalisierung der Öffentlichkeit noch auf solche Spielhallenautomaten beschränkte

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Brauchen wir eine Digital-Gewerkschaft? Das fragten Christina Kampmann, digitalpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion in NRW, und Tobias Kollmann, Professor für E-Business und E-Entrepreneurship, Anfang des Jahres in der Rheinischen Post. Die Antwort auf diese Frage ist selbstverständlich: nein.

Dabei sind viele Fragen, die Kampmann und Kollmann stellen, durchaus relevant, etwa ob der Betriebsrat wirklich die beste gewerkschaftliche Organisierungsform ist oder ob wir in Zukunft alle Freelancer ohne Arbeitsrechte sind. Leider sind ihre Antworten falsch. Denn damit hat die Digitalisierung wenig zu tun. Es stimmt, scheinbar haben Unternehmen, deren Geschäftsmodelle auf Algorithmen und Apps basieren, besonders oft prekäre Arbeitsverhältnisse geschaffen. Das liegt aber nicht an den Technologien, sondern daran, dass Putz- oder Lieferdienste wie Helpling oder Deliveroo vormals informelle Arbeitsverhältnisse massenweise über Plattformen organisieren – und damit erst richtig für den Arbeitsmarkt erschließen. Oder dass die Akzeptanz von Arbeitskämpfen in den vermeintlich flachen Hierarchien der Start-ups durch Mitarbeiterbespaßung, Frühstücksbuffets, Yogakurse ersetzt wurde. Was diese Unternehmen machen, ist so alt wie der Kapitalismus selbst: Sie erhöhen ihre Profite auf dem Rücken derer, die für sie arbeiten. Das hat mit Technologie wenig zu tun. Die Erfahrungen der Tech-Arbeitenden unterscheiden sich nicht von denen anderer: Löhne sinken oder stagnieren, man fürchtet um den Stellenverlust, kämpft mit Problemen des Freiberuflerdaseins.

Und: Was soll überhaupt ein digitales Unternehmen sein? Fast alle Arbeitenden müssen heute über Smartphones erreichbar sein, fast kein Unternehmen kommt ohne Software aus. Auf was sie alle nicht verzichten wollen, ist aber vor allem Outsourcing, Stellenabbau, Flexibilisierung, Befristung der Verträge. Man spielt ihr Spiel mit, wenn man das Digitalisierung nennt, das klingt nämlich netter und moderner als Profitgier, Sparpolitik, Ersetzbarkeit, Entfremdung. Das Phänomen heißt also nicht Digitalisierung, sondern Kapitalismus. Bei diesen Kämpfen hilft uns keine Partikulargewerkschaft. Wir brauchen eine Gewerkschaft, die uns nicht spaltet in Menschen mit vermeintlich „modernem“ oder „altertümlichem“ Arbeitsplatz, sondern im Gegenteil solidarisch verbindet im Kampf für gute Löhne. Und vor allem für ein gutes Leben.

Nina Scholz arbeitet für Radiosender und Printmedien. Sie ist Autorin des Buches Nerds, Geeks und Piraten. Digital Natives in Kultur und Politik

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