Ein Start-up für die Pflege?

Gesundheit Mein Vater braucht Unterstützung, die gesetzliche reicht nicht. Kann eine Plattform wirklich helfen?
Ausgabe 10/2020

Waren Sie schon mal in der Situation, dass ein Angehöriger von Ihnen gepflegt werden muss? Und Sie das organisieren müssen? Ich wünsche das niemandem, denn ich kenne die Situation genau. Mein Vater lebt allein, hat Alzheimer, die gesetzliche Pflege reicht vorne und hinten nicht. Sie sorgt gerade mal dafür, dass jemand morgens und abends kommt, oft sind die Pflegerinnen und Pfleger nicht über seine Krankheit und seine Lebenssituation informiert. Nach ein paar Minuten piepst ihre Armbanduhr, sie müssen weiter.

In ein Pflegeheim möchte mein Vater nicht, aber so ist er, wenn ich nicht vorbeikomme, allein zu Hause, andere Verwandte gibt es nicht. Wie also damit umgehen, dass ich nicht ständig Zeit habe, dass ich arbeite, nicht immer in derselben Stadt wie er bin? Und manchmal nicht mehr kann, einfach weil es schwer ist, wenn einen der eigene Vater nicht mehr erkennt. Darauf habe ich noch keine Antwort gefunden, im Gegensatz zur Privatwirtschaft – die aber fällt reichlich zynisch aus.

2015 haben die Geschwister Antonia und Nikolaus Albert in Berlin das Pflege-Start-up Careship gegründet. Angeblich weil ihre Großmutter in eine ähnliche Situation wie mein Vater geraten war, so lautet zumindest der von ihnen kolportierte Gründungsmythos. Careship ist ein Plattform-Unternehmen wie Lieferando, Helpling und Uber. Es vermittelt private Helfer und kassiert dafür eine Vermittlungsgebühr. So versorgen bei allem, was leichte Pflege nicht übersteigt, Menschen, die sich kurzfristig etwas dazuverdienen müssen, Menschen, die alleine gelassen werden. Niemand außerhalb des Start-ups kann wirklich kontrollieren, ob die Pflegebedürftigen richtig behandelt werden. Die Kurzzeithelfer haben keine Unterstützung, keinen Betriebsrat, sie sind prekär beschäftigt. Abgesehen davon können sich Careship nur jene leisten, die entsprechend verdienen.

Careship folgt der Logik anderer Start-ups mit sozialem Anstrich: Wo Menschen überfordert sind, wo der Staat spart und nicht versorgt, wo Familien, Nachbarschaften, Gemeinschaften nicht mehr greifen, ist eine Geschäftsidee nicht weit. Die gewollte staatliche Unterversorgung hat dafür gesorgt, dass ich auf Careship zumindest aufmerksam geworden bin. In meiner prekären Lage habe ich darüber nachgedacht, andere in einer anderen prekären Lage anzustellen – und damit die Alberts reicher zu machen. Ich habe es nicht getan. Aber hätte ich einen Wunsch frei, dann möchte ich in einer Welt leben, in der es keinen Markt für solche Start-ups gibt. Denn in dieser Welt würden mein Vater und ich nicht alleingelassen mit seiner Krankheit.

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